Neue Wege der politischen Bildung an der VHS Wien

Politische Bildung im vielfachen Sinne, von der universitären Wissensvermittlung im Rahmen von Vorträgen bis zur Bereitstellung von neutralen Orten der moderierten, kritischen Reflexion, gehört seit jeher zu den Säulen der Wiener Volksbildung. Mit den Anfängen als „sozialreformerisches Betätigungsfeld“1 am Ende des 19. Jahrhunderts über die neutrale, wissenschaftsbasierte Bildungsarbeit in der Zwischenkriegszeit bis hin zur Erweiterung des Reflexionsraums durch die Gründung von Volkshochschulen in allen Wiener Bezirken seit den 1960er- und 1970er-Jahren, hat die Wiener Volksbildung entscheidend zur Demokratiestärkung und zur Belebung eines friedlichen Zusammenlebens in der Großstadt beigetragen.

Diese Tradition wird im 21. Jahrhundert fortgeführt und mit lokalen Spezifika an den Standorten der VHS Wien ausgebaut – das „Politische Café“ der VHS Alsergrund, ein Diskussionsforum im gemütlichen Rahmen für aktuelle politische Themen, sei hier stellvertretend als Beispiel für regionale politische Bildungsangebote erwähnt. Über diese fixe Verankerung der politischen Bildung in den Programmen der VHS Standorte hinaus werden im Rahmen von punktuellen überregionalen Veranstaltungen spezifische Fragestellungen gesondert aufgegriffen und diskutiert. Dabei werden unterschiedliche Formen der Bildungsarbeit genutzt, wie die Vortragsreihe „Erklär mir die Finanzkrise!“ mit Journalist Robert Misik an der VHS Ottakring 2013 oder die „30-Stunden-Lesung“ von Karl Krauss’ Werk „Die letzten Tage der Menschheit“ an der VHS Hietzing im Herbst 2014 eindrucksvoll dokumentieren.

Ein weiterer Aspekt der demokratiepolitischen Bildungsarbeit der VHS Wien zeigt sich integriert in den diversen Qualifizierungs-Kursen und -Lehrgängen wie der „Initiative Erwachsenenbildung“, die seit 2012 über Basisbildungsangebote und der Möglichkeit des Nachholens des Pflichtschulabschlusses einen wichtigen Bestandteil der Qualifizierungsmaßnahmen der Wiener Volkshochschulen darstellt. Inhalte wie etwa Probewahlen vor der letzten Nationalratswahl oder Kenntnisse über den Aufbau von Staaten werden in den Pflichtschulabschlusslehrgängen vermittelt. Im Rahmen der Berufsreifeprüfungslehrgänge ist politische Bildung ein eigenes Unterrichtsfach.

Gesellschaftspolitische Veranstaltungsreihen der VHS Wien

Seit dem Frühjahr 2014 wird diese bunte und vielfältige Landschaft der politischen Bildung der VHS Wien um ein weiteres Element ergänzt – standortübergreifende gesellschaftspolitische Veranstaltungsreihen zu ausgewählten Themen. Unterstützt durch eine zentrale Koordination beteiligen sich hierbei je nach Schwerpunkt unterschiedliche VHS Standorte und Einrichtungen bei der Aufbereitung von gesellschaftspolitischen Fragestellungen und bearbeiten diese partizipativ und niederschwellig. Dabei wird das große Potenzial an Wissen und Erfahrungen an den Standorten und Einrichtungen zielgerichtet aktiviert und unter einem gemeinsamen Außenauftritt in ganz Wien kommuniziert.

Alle Aktivitäten innerhalb dieser neuen VHS-Reihen, seien es Vorträge, Workshops oder Ausstellungen, sind immer kostenfrei und für alle Menschen zugänglich. Niemand soll durch eine ökonomische Barriere von der Teilnahme an diesen gesellschaftspolitischen Bildungsangeboten ausgeschlossen werden. Durch die flächendeckende Verankerung in Wien, die Berücksichtigung regionaler Ausprägungen und den Einbezug von möglichst vielen Kooperationspartner/innen aus dem öffentlichen wie zivilgesellschaftlichen Bereich, werden unterschiedlichste Zielgruppen erreicht. Im Vordergrund stehen die Begegnung und der Austausch der Teilnehmer/innen untereinander und mit Expert/innen aus Wissenschaft und Praxis sowie die Vernetzung von Institutionen und Initiativen in Wien, die jeweils gebündelt zusammenarbeiten, um komplexe Inhalte und brisante Fragestellungen gemeinsam mit der Wiener Bevölkerung zu reflektieren und zu diskutieren.

So werden in der VHS-Reihe „Nachhaltig in Wien“ in Zusammenarbeit mit der Wiener Umweltschutzabteilung (MA 22) und der Umweltberatung Wien seit Herbst 2014 in halbjährlichen Schwerpunkten diverse Nachhaltigkeitsthemen im urbanen Raum fokussiert. Dabei zeigt sich, dass die Einbindung von internationalen Referent/innen aus der Forschung ebenso wichtig ist wie die Bereitstellung von lokalen Mitmachangeboten. Die Expertise aus kommunalen Einrichtungen ebenso wie jene von NGOs wird einerseits auch für nicht vorinformierte Personen zugänglich gemacht, andererseits werden gesellschaftliche Entwicklungen kritisch hinterfragt. Auf diese Weise kommt es sowohl zu einem Transfer von Wissen aus dem Nachhaltigkeitsbereich als auch zu einem Rückkoppelungseffekt zu den mitwirkenden Akteuren, welche das direkte Feedback der Bevölkerung für ihre Arbeit nutzen können.

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Die große VHS-Menschenrechtsreihe 2014/2015

Eine weitere besonders umfangreiche gesellschaftspolitische Veranstaltungsreihe läuft seit Oktober 2014 an der VHS Wien: die große VHS-Menschenrechtsreihe 2014/2015. Nachdem sich die Stadt Wien im Dezember 2014 als „Stadt der Menschenrechte“ deklariert und im Vorfeld einen Prozess eingeleitet hat, welcher der Erhebung des Status quo und der Vernetzung möglichst vieler in diesem Bereich tätigen NGOs und Initiativen dient, ergibt sich ein guter aktueller Rahmen für diesbezügliche Aktivitäten. Gemeinsam mit der Universität Wien, dem beim Postgraduate Center angesiedelten „Vienna Master of Human Rights“ und seinem Vorstand Univ.-Prof. Dr. Manfred Nowak, ehemals UNO-Sonderberichterstatter über Folter, wurde von der VHS Wien ein Konzept entworfen, wie möglichst breit und gleichsam intensiv unterschiedliche Menschenrechte behandelt werden können.

Dem liegt der Anspruch der VHS Wien zugrunde, mittels volksbildnerischer Methoden die Bevölkerung zu einem Dialog einzuladen um letztlich die Menschenrechte im direkten Lebensumfeld der Wienerinnen und Wiener, in der Stadt in der sie wohnen, am Arbeitsplatz oder in der Familie, zu stärken und zu leben. Die Bewusstmachung der rechtlichen Grundlagen auf internationaler wie kommunaler Ebene, der Blick über den nationalen „Tellerrand“ hinaus auf globale Problemfelder und aktuelle Krisen und vor allem die Begegnung mit Menschen, die sich seit langem für die Menschenrechte engagieren, sollen dazu beitragen, dass alle Wiener/innen zu aktiv gestaltenden Proponent/innen der Menschenrechte im jeweiligen Wirkkreis werden.

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Aufgeteilt in neun Themenmonate, beginnend im Oktober 2014 mit dem „Recht auf Menschenwürde“ und abschließend im Juni 2015 mit dem „Recht auf sozialen Standard“, werden hierbei eine Vielzahl von Aktivitäten an den teilnehmenden VHS-Standorten kostenfrei angeboten. Als roter Faden durch die Reihe dienen monatliche Vorträge von Absolvent/innen des „Vienna Master of Human Rights“, welche ihre aktuellen Abschlussarbeiten präsentieren – sowohl in englischer als auch in deutscher Sprache. Darunter Themen wie der Frauenhandel in Bosnien-Herzegowina, die Situation von Straßenkindern in Nepal oder jene von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Österreich.

Um das akademische Wissen auch für nicht in den Fachbereichen tätige Personen nutzbar zu machen, finden anschließend an die Impulsreferate jeweils Podiumsdiskussionen statt. Hierzu werden Vertreter/innen von supranationalen Organisationen wie UNHCR, UNESCO oder UNICEF und NGOs wie ATTAC, Amnesty International oder Agentur Südwind gleichermaßen eingebunden wie Repräsentant/innen von staatlichen Einrichtungen wie Volksanwaltschaft, Abteilungen der Stadt Wien oder Ministerien. Ziel der Diskussionen ist es, globale Problemstellungen auf das regionale Setting herunterzubrechen und Zusammenhänge wie Auswirkungen für in Wien lebende Menschen näher zu beleuchten. Abgerundet werden diese Hauptveranstaltungen der Reihe mit umfangreichen Informationsangeboten wie Informationstische und Materialien von NGOs oder persönliche Gespräche im Anschluss.

Rund um diese Vorträge und Diskussionen gibt es in jedem Monat an den mitwirkenden VHS-Standorten darüber hinaus eine Vielzahl von Angeboten, welche zielgruppenspezifisch angelegt sind und Einzelaspekte der Monatsthemen bearbeiten. Hier seien ein Menschenrechtsfrühstück zur Situation von Textilarbeiter/innen in Kambodscha, ein Workshop zum geplanten transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP, ein Kasperltheater zu den Kinderrechten oder eine Engagement-Messe gegen Diskriminierung beispielhaft erwähnt.

Ergänzend zu den Aktivitäten der Wiener Volkshochschulen gestalten Kooperationspartner/innen weitere Angebote, welche gemeinsam unter der Dachmarke „Die große VHS Menschenrechtsreihe“ kommuniziert werden. So bieten beispielsweise die Büchereien Wien von Oktober 2014 bis Juni 2015 begleitend „Menschenrechts-Sprechstunden“ in der Hauptbücherei an, wo man mit NGOs in einen persönlichen Kontakt treten und auch Einzelanliegen unbürokratisch abklären kann.

Ein wichtiges Element der Menschenrechtsreihe ist auch die konzertierte Kommunikations- und Medienarbeit. Neben einer an allen VHS-Standorten aufliegenden Reihen-Broschüre und entsprechenden Plakaten gibt es jeden Monat Newsletter-Aussendungen an alle Teilnehmer/innen und Kursleiter/innen der VHS Wien und auch ein eigener Onlineauftritt wurde gestaltet, um die kompletten Monatsprogramme übersichtlich zu gestalten. Mit Medienpartnern wurden Sonderformate wie eine Beilage in einer Zeitung oder monatliche Interviews im Fernsehen gestaltet, wo einerseits die Themen nochmals unter Einbindung der Absolvent/innen erörtert und andererseits auf aktuelle Monatsangebote der Reihe hingewiesen wird. Auch die Kooperationspartner/innen nutzen ihre Kommunikationsinstrumente um die Veranstaltungen in ihren Netzwerken zu verbreiten.

Politische Bildung an der VHS Wien – Conclusio und Ausblick

Die politische Bildung an der VHS Wien erlebt durch standortübergreifende gesellschaftspolitische Veranstaltungsreihen einen neuen Impuls. Als ergänzendes Element neben Qualifizierungsmaßnahmen und den lokalen Angeboten der VHS-Standorte zur politischen Bildung wird hierdurch die Möglichkeit geschaffen, zielgerichtet und unter Nutzung von möglichst vielen zusätzlichen Netzwerken verschiedenste Themen zu kommunizieren und flächendeckend in Wien mit der Bevölkerung zu diskutieren. Um einen nachhaltigen Effekt zu erzeugen, ist die Anbindung an kommunale Einrichtungen ebenso wichtig wie die Vernetzung mit Organisationen aus dem zivilgesellschaftlichen Bereich. Mit den gesellschaftspolitischen Veranstaltungsreihen entsteht so die Chance, auch im 21. Jahrhundert die Tradition der Volkshochschulen als neutrale Orte der Begegnung und des Austauschs, als Stätten der gelebten Partizipation und der Demokratiestärkung, fortzuführen und aktuelle Entwicklungen zeitnah und kritisch zu reflektieren, um hierdurch dem Anspruch gerecht zu werden, auch auf diese Weise Menschen auf dem Weg zu einem selbstbestimmten Leben zu begleiten und zu unterstützen. //

1  Stifter, Christian H. (2005): Geistige Stadterweiterung. Ein kurze Geschichte der Wiener Volkshochschulen, 1887–2005 (S. 35). Weitra: Bibliothek der Provinz

Bohrn Mena, Sebastian (2014): Neue Wege der politischen Bildung an der VHS Wien. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Dezember 2014, Heft 254/65. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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