Emmerich Tálos/Herbert Obinger: Sozialstaat Österreich (1945–2020). Entwicklungen – Maßnahmen – internationale Verortung.

Emmerich Tálos/Herbert Obinger: Sozialstaat Österreich (1945–2020). Entwicklungen – Maßnahmen – internationale Verortung.
Innsbruck: Studien Verlag 2020, 192 Seiten.

Auch ein Sozialstaat erlebt Expansionen und Restriktionen. Diesem historischen Verlauf für Österreich ab Ende des Zweiten Weltkriegs bis zu den Bedingungen der Corona-Pandemie, gibt es nun in übersichtlich strukturierter Form nachzulesen. Die Autoren, Emmerich Tálos, langjähriger fachlich hochqualifizierter Professor für Politikwissenschaft an der Universität Wien, und Herbert Obinger, forschender Experte und Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bremen, gliedern ihr Werk in fünf Kapitel.

Im ersten Kapitel beschreiben sie die Epoche von 1945–1985 als „Goldenes Zeitalter“. In diesem wurden die Bereiche der Sozialpolitik, z. B Sozialversicherung, Arbeitsrecht, Arbeitsmarktpolitik, familienbezogene Leistungen gestaltet. Bilanzierend sprechen die Autoren von einem Siegeszug, in dem Erwerbstätige inklusive ihrer Familien vor eingetretenem sozialem Risiko (z. B. Unfall, Krankheit, Arbeitslosigkeit) geschützt werden. Der Sozialstaat sollte nicht nur materiell absichern, sondern auch als „zentraler sozialer Gestaltungsfaktor“ den Zugang zum Arbeitsmarkt fördern.

In der Bindung des Versicherungsstatus an die Erwerbsarbeit wurden bestehende Ungleichheiten (z. B. bei Frauen geringeres Einkommen oder kürzere Integration in den Arbeitsmarkt) nicht beseitigt.
Ein „Normalarbeitsverhältnis“, vollzeitige dauerhafte Beschäftigung, das der Gesetzgebung zugrunde lag, kam jedoch immer mehr in Fluss. Diese Thematik greift das zweite Kapitel „Sozialstaat zwischen Kontinuität und Veränderung, 1985–2020“ auf. Die Differenzierungen, Modifikationen und strukturellen Veränderungen handeln die Autoren anhand der jeweiligen politischen Machtverhältnisse in den Regierungen ab. ÖVP–FPÖ/BZÖ-Regierungen werden – ideologisch neoliberal – die weitreichendsten Restriktionen zugeschrieben. Eigenverantwortung, Leistung, schlanker Staat gelten als Vokabel des neoliberalen Credos.

Als „Bestimmungsfaktoren staatlicher Sozialpolitik“, die ihre Entwicklungsdynamik erklären, nennen die Autoren in einem eigenen Kapitel politische Systembrüche und wirtschaftlichen Strukturwandel verbunden mit Modernisierungsprozessen. Deutlich wird, dass diesen allen nicht nur nationale, sondern maßgebliche internationale Einflüsse (z. B EU-Mitgliedschaft seit 1995) zugrunde liegen.

Im abschließenden Kapitel wird der Sozialstaat Österreich im internationalen Vergleich dargestellt. Im Zusammenhang mit einer „investiven Sozialpolitik“ wird die seit etwa 2000 verfolgte Bildungspolitik erwähnt. Von da an ist sie präventiver ausgerichtet – Individuen sollen durch Aus- und Weiterbildung zur Integration in den Arbeitsmarkt befähigt werden.

Mit einer vorläufigen Zwischenbilanz zur Corona-Krise beenden die Autoren ihre Publikation: Sozial- und Gesundheitssystem haben den unvermuteten Stresstest relativ gut überstanden. Vorausblickend summieren die Autoren als bekannte weitere Herausforderungen an die künftige Sozialpolitik Pensions- und Gesundheitssystem, Migration, Digitalisierung und zukünftiger Arbeitsmarkt sowie Klimawandel. In Investitionen in Bildung und Ausbildung sehen sie einen wichtigen „Schlüssel für wirtschaftliche Entwicklung und Beschäftigung“, um dadurch die „Finanzierungsbasis für den Sozialstaat der Zukunft“ (S. 164) zu sichern.

Das Buch hilft Erwachsenenbildung/Weiterbildung in ihrer sozialpolitischen Dimension zu verstehen. Die inhaltlich klar aufbereiteten Zusammenhänge sowie die angeführten politischen und gesetzgebenden Entscheidungen ermöglichen, die Lebensbedingungen von Erwachsenen in Österreich realistisch zu beurteilen. Mit coolem Charme geschrieben ist ein Sachbuch entstanden, das die historische und aktuelle soziale Lebenssituation in Österreich aufmerksam aufklärend näherbringt.  //

Lenz, Werner (2020): Emmerich Tálos/Herbert Obinger: Sozialstaat Österreich (1945–2020). Entwicklungen – Maßnahmen – internationale Verortung. Innsbruck: Studien Verlag 2020, 192 Seiten. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Winter 2020, Heft 272/71. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

Kommentare

Neuen Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

Zurück nach oben