„Die Öffentlichkeit ist ein unangenehmer Zeitgenosse geworden.“ Die Schnittfläche freier Meinungen mit dem freien Austausch von Ansichten war seit der Aufklärung ein verlässliches Forum demokratischer Verhältnisse. Doch ein radikaler Strukturwandel der Öffentlichkeit ist im Gang. Bedingt durch Globalisierung und technologischen Fortschritt können Einzelne Botschaften nicht nur weltweit empfangen, sondern auch senden. Zunehmend wird unklar, ob nicht viele Meldungen von künstlichen Stimmen stammen.
Bernd Stegemann, Dramaturg und Professor für Theatergeschichte an der „Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch“ in Berlin, analysiert diese „erhitzte Öffentlichkeit“. Er diagnostiziert Reizbarkeit, Aggressivität und fehlende Selbstkritik. Das Anthropozän, das Zeitalter, in dem Menschen als naturgestaltende Faktoren wirken, sieht sich mit einem Lebensraum Erde konfrontiert, der eigenen Gesetzen folgt und Grenzen hat.
Der Autor stellt die Fragen, ob die Öffentlichkeit – sie ist die Voraussetzung für demokratische Veränderungen – das Anthropozän entsprechend begreifen kann und ob ausreichend viele Menschen ihre Verhaltensweisen ändern können. Mit Skepsis beurteilt Stegemann öffentliche Kommunikationsformen, Protest und Wut, die wenig helfen. Er ortet Denkblockaden und vermisst ein adäquates Herangehen der Öffentlichkeit an die Komplexität des Anthropozäns. Deshalb schlägt er ein ökologisches Denken auf Basis der Systemtheorie vor, um sich der neuen Herausforderung zu stellen. Entgegen der Philosophie der Postmoderne und deren Tendenz zur Beliebigkeit stützt sich die Systemtheorie auf Grenzziehungen. Sie versteht die Gesellschaft als Summe sozialer Systeme, wovon keines allein existieren kann.
Mit dieser Betrachtungsweise erörtert der Autor differenziert die gesellschaftliche Problemlage, wobei er die politische Öffentlichkeit als das System sieht, in dem alle sozialen Systeme aufgrund von Kommunikation aufeinandertreffen. Ein ökologisches Denken ergibt sich, weil die Systemtheorie die Gesellschaft – analog zur biologischen Umwelt – als ein nicht planbares Zusammenwirken verschiedener Akteure versteht.
Wir sollen, mahnt Bernd Stegemann, uns von einfachen Lösungen nicht verleiten lassen, auf die bestehenden Widersprüche nicht vergessen und uns keiner „Komplexitätsmüdigkeit“ hingeben. Er fordert „Transzendenztauglichkeit“: das heißt, sich mit komplexen, ungelösten und noch unerklärlichen Aufgaben zu beschäftigen sowie sich einzugestehen, dass die Feinde der Öffentlichkeit in uns allen sitzen.
Stegemann verzeichnet die Widersprüche in neoliberalen Gesellschaften und beschreibt postmoderne Sackgassen: Atomisierung von Gesellschaft, Auflösung von Zusammenhängen, alles für relativ erklären, außer der Behauptung, alles ist relativ. Eine „offene Öffentlichkeit“, die sich selbst als gemeinsame Aufgabe bewusst wird, „[…] ist so unvorstellbar wie das Ende des Neoliberalismus“ (S. 116). Erörtert wird neben dem zerstörerischen Einfluss auf die Öffentlichkeit durch neoliberal agierende Konzerne – sie nutzen z. B. den Kampf gegen Diskriminierung als Mittel zur Verhinderung von Gewerkschaften – auch die daraus folgende „spaltende Kommunikation“.
Der Autor sieht uns in einem globalen Konkurrenzkampf, in einem Strudel beschleunigten Untergangs. Im Hinblick auf Wissenschaft mit politischem Auftrag sieht er die Gefahr, dass die politische Debatte endet, sobald eine Wahrheit alternativlos für gültig erklärt wird.
Ob wir den bestehenden Entfremdungen entkommen, ist für den Autor keineswegs sicher. Genauso wenig wie zu bezweifeln ist, ob wir ein gemeinsames Nachdenken über die Natur schaffen, weil dadurch schon lange bestehende Werte und Wahrheiten in Frage gestellt werden und es frustrierend erscheint, die Änderungen unserer Lebensformen gegen viele Milliarden anderer Menschen durchzusetzen.
Stegemanns Hoffnung und Vorschlag in einer Situation, von der wir wissen, Schreckliches wird passieren, aber noch nicht wissen, wie wir uns davor schützen können: Die Ratlosigkeit angesichts der komplexen Problematik zur Grundstruktur einer neuen Öffentlichkeit zu erklären und beginnen, ökologisch, systemtheoretisch zu denken. Dafür, meint Stegemann, braucht es Demut in einer Welt, die den Lauten und Panischen gehört.
Ein anspruchsvolles Buch, das eine neue geistige Einstellung sowie Mut und Ausdauer für ein ökologisches Bewusstsein fordert. Es vermittelt die wohlbedachte Herausforderung an Erwachsene, Ökologie als Provokation anzuerkennen und die Öffentlichkeit als Markt der gewaltfreien Kommunikation zurückzugewinnen.
Ein Bildungsziel inklusive den didaktischen Weg liefert der streitbare Autor gleich mit (S. 283): „Die neue, noch nicht öffentliche Einsicht besteht darin, dass der Kampf um die Erde nur gewonnen werden kann, wenn er nicht als Kampf geführt wird.“
Das Buch empfiehlt sich für den wissenschaftlichen Diskurs über die Ziele von Erwachsenenbildung/Weiterbildung sowie für die Professionalisierung. //
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