In einer Zeit, in der künstliche Intelligenz unseren Lebens- als auch Arbeitsalltag tiefgreifend verändert, stehen Volkshochschulen an einem entscheidenden Wendepunkt: Wie schaffen wir es, diese Entwicklungen in unseren Bildungsauftrag als Volkshochschulen zu integrieren, damit Volksbildung auch weiterhin ihren demokratischen, humanistischen und emanzipatorischen Prinzipien nachkommen kann. KI-Tools wie ChatGPT, DALL-E oder Midjourney gestalten unsere Arbeits- und Lebenswelten grundlegend um und werfen auch auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene fundamentale Fragen auf: Wer kontrolliert diese Technologien? Welche Werte verkörpern sie? Wie bewahren wir menschliche Autonomie in einer zunehmend algorithmisierten Welt? Wie schaffen wir es, dass digitale Entwicklungen soziale Ungleichheiten nicht zusätzlich verschärfen? Wie ermöglichen wir Teilhabe und Mitgestaltung an digitalen Entwicklungen?
Der „Digitale Humanismus“ bietet auf diese drängenden Fragen zwar keine abschließenden Antworten, ver eröffnet jedoch eine Grundlage, auf Basis derer nachgedacht werden kann, welche Konsequenzen technologische Entwicklungen für eine Gesellschaft haben, und welchen Herausforderungen, die sich aus diesen Entwicklungen ergeben, begegnet werden muss. Für Volkshochschulen ist der „Digitale Humanismus“ aus mehreren Gründen essenziell. Erstens entspricht seine Grundhaltung – Technologie in den Dienst des Menschen zu stellen und nicht umgekehrt – dem Kern des Bildungsauftrags von Volkshochschulen. Zweitens suchen Bürger*innen mehr denn je Orte, an denen sie einen reflektierten, ethisch fundierten Umgang mit digitalen Technologien erlernen können – eine Aufgabe, für die Volkshochschulen mit ihrer niedrigschwelligen, bürger*innennahen Struktur ideal positioniert sind. Drittens droht ohne ein humanistisches Gegengewicht zur rein technikgetriebenen Digitalisierung eine Verstärkung bestehender sozialer Ungleichheiten und Machtkonzentrationen – ein Szenario, dem Volkshochschulen mit ihrem Auftrag zur demokratischen Bildung entgegenwirken können.
Die Auseinandersetzung mit dem Digitalen Humanismus stellt für Volkshochschulen daher keine optionale Ergänzung ihres Bildungsangebots dar, sondern betrifft den Kern ihrer gesellschaftlichen Aufgabe: Menschen zu befähigen, selbstbestimmt und kritisch an einer demokratischen Gesellschaft teilzuhaben und diese auch mitzugestalten – auch und gerade im digitalen Zeitalter.
Ein Wertesystem im Einklang mit der Volkshochschultradition
Die Grundidee des Digitalen Humanismus, wie sie im Wiener Manifest 2019 formuliert wird, steht in direkter Kontinuität zur historischen Mission der Volkshochschulen. Während die technologische Entwicklung in atemberaubendem Tempo voranschreitet, drohen zentrale humanistische Werte wie individuelle Selbstbestimmung, demokratische Teilhabe und Mitgestaltung sowie soziale Gerechtigkeit ins Hintertreffen zu geraten. Genau hier besteht die natürliche Brücke zwischen Volkshochschulen und Digitalem Humanismus.
Das Leitprinzip „Der Mensch zuerst“ bildet den Kern des Digitalen Humanismus und fordert, dass Technologien nach menschlichen Bedürfnissen gestaltet werden müssen – nicht umgekehrt. Dies entspricht exakt dem traditionellen Bildungsauftrag der Volkshochschulen, die seit über 130 Jahren den Menschen mit seinen Bedürfnissen in den Mittelpunkt stellen. Anders als transhumanistische oder technikorientierte Ansätze, die eine fundamentale Veränderung des Menschen durch Technologie anstreben oder als unvermeidlich betrachten, betont der „Digitale Humanismus“ die Wahrung menschlicher Autonomie, Würde und demokratischer Werte.
Für Volkshochschulen ist der „Digitale Humanismus“ kein abstraktes philosophisches Konzept, sondern die zeitgemäße Fortführung ihres ureigenen Bildungsauftrags unter den Bedingungen der digitalen Transformation. In einer Welt, in der Algorithmen immer mehr Entscheidungen treffen, müssen Volkshochschulen mehr denn je dafür sorgen, dass die Menschen die Fähigkeit behalten, diese Entwicklungen zu verstehen, zu hinterfragen und mitzugestalten.
Praktische Bedeutung für die Bildungsarbeit
Die Prinzipien des Digitalen Humanismus beeinflussen die Bildungsarbeit der Volkshochschulen auf mehreren Ebenen:
1. Neue Bildungsinhalte
Volkshochschulen entwickeln Kurse, die Menschen zeitgemäße Kompetenzen vermitteln. Sie befähigen ihre Teilnehmenden, KI-generierte Inhalte wie Deep Fakes und synthetische Texte kritisch zu bewerten. Dazu gehört auch, KI-Assistenzsysteme sinnvoll im Alltag und Beruf einzusetzen, ohne dabei die eigene Autonomie einzuschränken. Die Volkshochschulen unterstützen die Menschen dabei, die Grenzen algorithmischer Entscheidungssysteme zu verstehen und ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, wann menschliche Entscheidungen unverzichtbar bleiben. Ergänzend bieten sie Räume, in denen ethische Fragen der Digitalisierung reflektiert und diskutiert werden können.
2. Digitale Bildung und Nachhaltigkeit vereinen
Der „Digitale Humanismus“ eröffnet Volkshochschulen die Möglichkeit, zwei zentrale Zukunftsthemen zu verbinden: Digitalisierung und Nachhaltigkeit. In einer Zeit, in der der ökologische Fußabdruck digitaler Technologien immer gravierender wird, müssen Volkshochschulen Bildungsangebote entwickeln, die kritisches Bewusstsein für die Umweltauswirkungen der Digitalisierung schaffen. Der enorme Energieverbrauch von Rechenzentren, die Ressourcenintensität der Hardwareproduktion und die wachsenden Elektroschrottberge sind Themen, die in der öffentlichen Diskussion oft zu kurz kommen. Volkshochschulen können hier wichtige Aufklärungsarbeit leisten und zugleich Handlungsalternativen aufzeigen. Sie vermitteln Wissen über nachhaltige Nutzung digitaler Geräte, längere Nutzungsdauer durch Reparatur und Wiederverwendung sowie bewussten Konsum digitaler Dienste. Darüber hinaus können sie aufzeigen, wie digitale Technologien gezielt für Umwelt- und Klimaschutz eingesetzt werden können, etwa durch Smart-Home-Anwendungen zur Energieeinsparung, Sharing-Plattformen für ressourcenschonenderen Konsum oder Umweltmonitoring-Apps für bürgerschaftliches Engagement. Der „Digitale Humanismus“ mit seiner kritischen Perspektive auf Technologieentwicklung bietet dabei den idealen Rahmen, um digitale Kompetenzen nicht losgelöst von ökologischen Fragen zu vermitteln, sondern beide Aspekte in einer ganzheitlichen Bildung für nachhaltige Entwicklung zu integrieren.
3. Fokus auf digitale Inklusion
Volkshochschulen tragen eine besondere Verantwortung, digitale Bildung für alle gesellschaftlichen Gruppen zugänglich zu machen. Sie entwickeln barrierefreie Kursangebote für Menschen mit Behinderungen, die spezifische Bedürfnisse berücksichtigen und gleichberechtigte Teilhabe ermöglichen. Für Menschen mit Migrationshintergrund bieten sich mehrsprachige Programme an, die kulturelle Unterschiede im Umgang mit Technologie berücksichtigen. Ältere Menschen profitieren von seniorengerechten Formaten, die an ihre Lebenserfahrung anknüpfen und individuelle Lerngeschwindigkeiten respektieren. Besonders bedeutsam sind auch niederschwellige Angebote für Menschen mit wenig formaler Bildung, um die digitale Kluft zu verringern und allen Menschen den Mehrwert der Digitalisierung zugänglich zu machen.
4. Fokus auf Demokratiestärkung
Demokratien stehen im digitalen Zeitalter vor existenziellen Herausforderungen: Fake News, Desinformation, Überwachungskapitalismus und eine wachsende Abhängigkeit von privatwirtschaftlich gesteuerten Plattformen gefährden eine freie Meinungsbildung und demokratische Entscheidungsprozesse. Der „Digitale Humanismus“ setzt hier auf Transparenz, digitale Souveränität und eine demokratische Kontrolle technologischer Entwicklungen. Eine digitalisierte Gesellschaft, die sich an humanistischen Werten orientiert, muss sicherstellen, dass Technologie nicht nur von wenigen mächtigen Personen und Organisationen gestaltet wird, sondern dass sie von einer gesamten Gesellschaft gestaltet wird und stets dem Wohle aller dient. Dies erfordert Bildung, Regulierung und eine stärkere Einbindung der Zivilgesellschaft in technologische Entscheidungsprozesse. Volkshochschulen können hier nicht nur die wichtige Rolle übernehmen, digitale Bildung für alle zugänglich zu machen, um die Menschen zu befähigen, kompetent und kritisch mit digitalen Technologien umzugehen. Sie können auch als Orte des öffentlichen Diskurses dienen, an denen Menschen gemeinsam über die ethischen, sozialen und politischen Implikationen der Digitalisierung diskutieren. Volkshochschulen tragen so dazu bei, ein Bewusstsein für digitale Rechte zu schaffen und demokratische Werte in der digitalen Transformation zu verankern. Durch die Schaffung von Räumen, in denen kritisches Denken möglich ist und gefördert wird, leisten Volkshochschulen einen unersetzlichen Beitrag zur Stärkung der Demokratie im digitalen Zeitalter.
Die Volkshochschule als lernende Organisation
Der „Digitale Humanismus“ fordert Volkshochschulen aber auch dazu heraus, sich selbst als Organisationen weiterzuentwickeln:
1. Professionalisierung der Lehrenden
Die Kursleitenden entwickeln idealerweise selbst umfassende KI-Kompetenzen, um diese erfolgreich vermitteln zu können. Hierfür bieten sich systematische Qualifizierungsprogramme für digitale und KI-bezogene Themen an, die kontinuierlich aktualisiert werden, um mit der rasanten technologischen Entwicklung Schritt zu halten. Für die Lehrenden erweisen sich zudem spezifische Fortbildungen zum didaktisch sinnvollen Einsatz von KI-Tools im Unterricht als wertvoll, damit diese als Bereicherung und nicht als Ersatz für menschliche Interaktion fungieren. Besonders hilfreich ist auch ein gezieltes Training im Umgang mit heterogenen digitalen Kompetenzen der Teilnehmenden, da die Unterschiede in den Vorkenntnissen bei digitalen Themen oft besonders ausgeprägt sind.
2. Entwicklung hybrider Lernformate
Die Volkshochschulen verbinden Präsenz- und Online-Lernen sinnvoll und gestalten innovative hybride Lernformate, die das Beste aus physischen und virtuellen Lernumgebungen kombinieren. Der soziale Aspekt des gemeinsamen Lernens bleibt dabei stets erhalten und wird gleichzeitig durch die Flexibilität digitaler Angebote ergänzt. Ein strategischer Einsatz von KI eröffnet Möglichkeiten für personalisierte Lernwege, die sich an individuellen Bedürfnissen, Vorkenntnissen und Lerngeschwindigkeiten orientieren. Die Entwicklung adaptiver Lernmaterialien erweist sich dabei als zukunftsweisend – diese passen sich automatisch an den Fortschritt und die Herausforderungen der Lernenden an, ohne dabei den wertvollen menschlichen Kontakt zu ersetzen.
3. Einhaltung von Datenschutz und digitaler Ethik als Grundprinzipien
Die Nutzung digitaler Lernplattformen und KI-Tools profitiert von klaren ethischen Leitlinien, die von den Volkshochschulen entwickelt und gelebt werden. Datensparsamkeit dient dabei als Grundprinzip, bei dem nur die für den Lernprozess wirklich notwendigen Daten erhoben werden. Eine umfassende Transparenz über Datenerhebung und -nutzung gegenüber allen Beteiligten schafft Vertrauen und ermöglicht informierte Entscheidungen. Die Wahlfreiheit zwischen digitalen und analogen Lernwegen bleibt stets gewährleistet, sodass niemand zur Nutzung bestimmter Technologien gedrängt wird. Ergänzend dazu regt die kritische Reflexion algorithmischer Entscheidungssysteme im Bildungskontext dazu an, mögliche Diskriminierungen durch Algorithmen zu erkennen und zu verhindern.
4. Interne Auseinandersetzung mit Demokratie in der digitalen Transformation
Wenn Volkshochschulen eine Schlüsselrolle dabei spielen, Demokratien im digitalen Zeitalter zu stärken, müssen sie auch intern als lernende Organisationen agieren. Das bedeutet, dass sie digitale Veränderungen nicht nur als Herausforderung für die Gesellschaft betrachten, sondern auch als Aufgabe für die eigene Organisationsentwicklung.
Mitarbeitende brauchen nicht nur technisches Know-how, sondern auch Räume für Reflexion, demokratische Mitgestaltung und den kritischen Austausch über digitale Entwicklungen. Sie müssen verstehen, wie sich digitale Technologien auf gesellschaftliche Machtverhältnisse, auf Bildung und auf demokratische Prozesse auswirken, um dies in ihre Arbeit einfließen zu lassen. Es braucht deshalb nicht nur gezielte Fortbildungsangebote für Mitarbeiter*innen zu digitalen Kompetenzen, sondern auch die Einrichtung von Diskursräumen zu ethischen Fragen der Digitalisierung und die Förderung einer aktiven Beteiligung ihrer Mitarbeiter*innen an internen Entscheidungsprozessen.
Darüber hinaus müssen Volkshochschulen verstärkt neue Formen der Zusammenarbeit und Vernetzung suchen – sowohl intern als auch mit externen Partner*innen, zum Beispiel aus Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft. Denn Demokratielernen im digitalen Zeitalter kann nicht isoliert geschehen, sondern braucht eine breite gesellschaftliche Allianz.
Die Volkshochschule als „Humanistischer Tech-Hub“
Im Sinne des Digitalen Humanismus werden Volkshochschulen zu innovativen Lernorten mit gesellschaftlichem Mehrwert. Menschen jeden Alters und jeder Herkunft erhalten hier niedrigschwelligen Zugang zu neuesten Technologien, unabhängig von ihrem sozialen Status oder ihrer Vorbildung. In speziell konzipierten Workshops und Kursen können verschiedenste KI-Systeme praktisch erprobt und gleichzeitig kritisch hinterfragt werden, wodurch technisches Verständnis und ethische Reflexion Hand in Hand gehen. Die Volkshochschulen schaffen zudem Beteiligungsformate, in denen Bürger*innen aktiv an der Gestaltung der digitalen Gesellschaft mitwirken und ihre Bedürfnisse, Sorgen und Visionen in den digitalen Transformationsprozess einbringen können. In öffentlichen Diskussionsveranstaltungen, Vortragsreihen und Bürger*innendialogen werden ethische und demokratierelevante Fragen der Digitalisierung transparent verhandelt und unterschiedliche Perspektiven sichtbar gemacht. Nicht zuletzt entwickeln Volkshochschulen Bildungskonzepte, die aufzeigen, wie technologische Innovation mit menschlichen Werten in Einklang gebracht werden kann, anstatt diese zu verdrängen oder zu ersetzen.
Fazit: Ohne Digitalen Humanismus keine zukunftsfähige Volkshochschule
Die Auseinandersetzung mit dem Digitalen Humanismus erweist sich für Volkshochschulen als zentrales Zukunftsthema. In einer Zeit, in der technologische Entwicklungen gesellschaftliche Veränderungen in beispiellosem Tempo vorantreiben, erscheint es wesentlich, die ethischen, demokratiepolitischen und sozialen Dimensionen dieser Transformation bewusst zu gestalten und nicht als Randthema zu behandeln. Der „Digitale Humanismus“ bietet sich als integraler Bestandteil der Volkshochschulidentität an.
Die Zukunft der Volkshochschulen im KI-Zeitalter liegt nicht im aussichtslosen Wettbewerb mit digitalen Lernplattformen oder KI-Systemen, sondern in ihrer unersetzlichen Rolle als physische und soziale Lernorte, die technologische Bildung mit humanistischen Werten verbinden. Als Labore des Digitalen Humanismus eröffnen sie Räume, in denen Menschen nicht nur die technische Bedienung, sondern vor allem den verantwortungsvollen, kritischen und selbstbestimmten Umgang mit Technologien erlernen.
Volkshochschulen, die den Digitalen Humanismus in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen, leisten einen unersetzlichen Beitrag zu einer demokratischen digitalen Gesellschaft. Sie helfen, die digitale Kluft zu überbrücken, algorithmische Diskriminierung zu erkennen und digitale Teilhabe für alle zu ermöglichen. Sie schaffen Räume, in denen die Gestaltung unserer technologischen Zukunft nicht allein Expert*innen oder Tech-Konzernen überlassen bleibt, sondern als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begriffen wird.
Der „Digitale Humanismus“ zeigt sich damit nicht nur als ein Bildungsthema unter vielen, sondern als wertvolle Grundlage für eine zeitgemäße Interpretation des Volkshochschulauftrags. Er bietet die Chance, die traditionelle humanistische Mission in die digitale Ära zu übertragen und dabei die einzigartige Position der Volkshochschulen als demokratische Bildungsorte für alle zu stärken und neu zu profilieren. //
Das Wiener Manifest zum Digitalen Humanismus gibt es hier (https://dighum.ec.tuwien.ac.at/wp-content/uploads/2019/07/Vienna_Manifesto_on_Digital_Humanism_DE.pdf) zum Download.
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