SDGs, ESG and the like – alles nachhaltig?

Agenda 2030 und die 17 SDGs

Die sogenannten Ziele für nachhaltige Entwicklung sind das Herzstück der Nachhaltigkeitsstrategie der Vereinten Nationen und deren Agenda 2030. Es handelt sich dabei um 17 Ziele, die nationalen Gesetzgebern, Regulierungsbehörden sowie gesellschaftlichen und nichtstaatlichen Akteuren als Fahrplan hin zu einer nachhaltigen Zukunft dienen sollen. Die Ziele sind breit und umfassen beispielsweise die Bekämpfung von Hunger, die Sicherung der Wasserversorgung für alle, den Schutz von Leben an Land und im Wasser oder den Wandel hin zu einem Kreiswirtschaftssystem. Sie lassen sich grob in drei thematische Dimensionen gliedern, welche eine konzeptuelle Definition von „Nachhaltigkeit“ erlauben. 

Die erste Dimension umfasst die Umwelt. Diese Ziele sind zwar eng mit dem Erreichen des Pariser Klimaabkommens verbunden (d.h. die globale Erderwärmung deutlich unter 1,5 Grad Celsius zu halten), beziehen sich jedoch nicht ausschließlich auf das Klima. So sind auch weitere Themen inkludiert, wie etwa der Erhalt der Biodiversität. Es zeigt sich bereits an dieser Stelle, dass Nachhaltigkeit nicht mit der Klimadebatte gleichgesetzt werden kann, sondern nur einen Teil von letzterer bildet. Die zweite Dimension der Nachhaltigkeit umfasst gesellschaftliche und soziale Ziele wie z. B. Bildung und Gleichstellung zwischen Geschlechtern, aber auch das Ziel von Gerechtigkeit und Frieden. In der dritten Dimension schließlich lassen sich wirtschaftliche Ziele verordnen, wie z. B. nachhaltiges Wirtschaftswachstum und gute Infrastruktur.

Anhand der drei Dimensionen und der einzelnen Ziele wird ersichtlich, wie umfassend und weitreichend der Begriff Nachhaltigkeit ist. Die 17 SDGs wie auch die drei Dimensionen kennen keine Priorisierung, woraus folgt, dass a priori nicht ein Ziel wichtiger und dringender ist als die anderen. Offenkundig ist jedoch auch, dass die Umsetzung der Ziele gerade auf nationaler Ebene mit politischen Verteilungskämpfen und Zielkonflikten einhergehen kann. 

In der Debatte rund um Nachhaltigkeit gibt es jedoch nicht nur staatlich und politisch getriebene Initiative und Lösungsansätze. Auch der private Sektor hat in den vergangenen Jahren seinen Beitrag geleistet. In den folgenden Abschnitten wird der wohl prominenteste nichtstaatlich geprägte Aspekt näher beleuchtet und kritisch hinterfragt: ESG-Investments. 

ESG und der Finanzsektor

ESG steht für „Environmental, Society and Governance“ und scheint damit, zumindest auf den ersten Blick, zumindest mit zwei der oben genannten Dimensionen von Nachhaltigkeit zu korrespondieren, nämlich mit Umwelt (Environmental) und Sozialem (Society). Im Unterschied zu den SDGs beschreibt der Begriff ESG nicht etwa eine Strategie oder ein Rahmenwerk, sondern eine Gesamtheit an klima-, umweltfreundlichen und sozialen Faktoren, wie auch Merkmale von guter Unternehmensführung (die sogenannte „Good Governance“), welche Unternehmen verfolgen und umsetzten. Wichtig ist hierbei, dass Unternehmen diese „ESG Aktivitäten“ historisch gesehen nicht gesetzlich oder regulatorisch umsetzten mussten, sondern dies stets auf freiwilliger Basis taten. Die konzeptuelle (und vereinfachte) Idee und Erwartung hinter ESG und deren freiwillige Adaption ist, dass Unternehmen, die ESG ernst nehmen und gewisse Faktoren in ihrem Geschäft berücksichtigen, sich gegenüber Mitbewerbern differenzieren, KundInnen anziehen, und damit für InvestorInnen an Attraktivität gewinnen. Damit wird ESG als Differenzierungsmerkmal auf dem Finanzmarkt gesehen. ESG-Aktivitäten und insbesondere ein damit verbundenes ESG-Rating von Unternehmen, so die gängige Prämisse, sendet ein positives Signal an InvestorInnen und trägt zu einem längerfristigen Erfolg bei. Weshalb es zu diesem positiven Effekt kommt, kann auf viele Gründe zurückgeführt werden, wie zum Beispiel gute Publicity in der allgemeinen Wahrnehmung oder dass das Unternehmen in einem „nachhaltigen“ Geschäftsfeld mit großer Zukunftsträchtigkeit tätig ist, wie zum Beispiel nicht-fossiler Energiegewinn. Dieser Logik folgend handelt es sich bei ESG um eine sogenannte Win-win-Situation: Unternehmen tun Gutes für Gesellschaft, Umwelt und Klima, und werden dafür durch Investitionen auf dem Markt belohnt – und dies ganz ohne staatliche Regulierung. 

Zunehmende Regulierung für ESG

Dass staatliche Regulierung bzw. Unterstützung (etwa durch Subventionen) ein nicht vernachlässigbarer Faktor ist, zeigen die neuesten Entwicklungen im Bereich ESG. Immer mehr nationale Gesetzgeber sowie supranationale Institutionen nehmen ESG auf ihre Agenda. So haben diverse Nationalstaaten, wie etwa Österreich und die Schweiz, sowie internationale Akteure wie z. B. das „Network for Greening the Financial System“, ein Verband aus Zentralbanken und Aufsichtsbehörden, an der jüngsten UN Klimakonferenz COP-26 ihr verstärktes Engagement im Bereich ESG angekündigt. Im Zentrum dieser politischen Ambitionen steht vor allem die ESG-Offenlegungspflicht, welche privatwirtschaftliche Unternehmen dazu verpflichten soll, ihre ESG-Tätigkeiten im Zuge des allgemeinen Reportings offenzulegen. Auf EU-Ebene gibt es mit der „Non-Financial Reporting Directive (NFRD)“ bereits eine solche Regulierung, welche Unternehmen ab einer gewissen Größe zur Offenlegung ihrer ESG-Aktivitäten verpflichtet. 

Doch mit einer bloßen Offenlegungspflicht ist es bei ESG noch nicht getan. Ein virulentes Problem betrifft die fehlende Vereinheitlichung, wenn es um die Vergabe von ESG-Ratings geht. Da ESG eine Vielfalt von Themenfeldern zusammenfasst und nicht nur historisch, sondern auch funktional gewachsen ist, handelt es sich nicht um ein „Gütesiegel“ welches vergeben wird, sobald einzelne Schwellenwerte erreicht sind. Es gibt zum heutigen Zeitpunkt keine allgemein festgelegte Methodik zum Berechnen eines ESG-Scores, sondern es existieren verschiedene Rahmenwerke, auf welche Bezug genommen werden kann. Überdies ist weder der Begriff „ESG“ noch „ESG-compliant“ international einheitlich definiert, weswegen auch Begriffe wie „green“ und „sustainable“ unterschiedlich (und teilweise sogar willkürlich) interpretiert werden können. Im Ergebnis heißt dies, dass auch wenn ein Unternehmen einer Offenlegungspflicht unterliegt, weiterhin ein sehr großer Spielraum existiert, nach welchem Rahmenwerk das Unternehmen die ESG-Tätigkeit misst und welche Kalkulationsmethoden dabei verwendet werden.

ESG und das Risiko von „Greenwashing“ 

Damit verbunden ist das zweite große Problem von ESG, das sogenannte Greenwashing. Als Greenwashing wird bezeichnet, wenn Unternehmen sich und ihre Aktivitäten als grün, umweltfreundlich, sozial etc. bezeichnen, dies jedoch überhaupt nicht oder nur in einem begrenzten Ausmaß sind. Entsprechend wird ein falsches Signal an den Finanzmarkt geschickt, was wiederum dazu führt, dass Investitionen unter dem Deckmantel von ESG an nicht nachhaltige Unternehmen fließen. Auf dem Finanzmarkt wird Greenwashing auch häufig mit professionellen Investoren wie Fonds oder Pensionskassen in Verbindung gesetzt, die behaupten „nachhaltig“ zu investieren, jedoch bspw. Aktien von Unternehmen aus der Schwerindustrie oder andere nicht umweltfreundliche Anlagen in ihrem Portfolio haben. Greenwashing und dessen Bekämpfung ist somit nicht zuletzt auch ein zentraler Aspekt im Bereich des Anleger- und Konsumentenschutzes. Um Greenwashing künftig vorzubeugen und mehr Transparenz zu schaffen, hat die EU die „Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR)“ erarbeitet. Im Unterschied zur zuvor besprochenen Offenlegungspflicht von Unternehmen, richtet sich diese Regulierung an den Finanzmarkt selbst. Sie verlangt, dass finanzwirtschaftlich tätige Unternehmen (Banken, Versicherungen, Pensionskassen etc.) offenlegen, inwiefern Nachhaltigkeit in ihren Investment-Prozessen berücksichtigt und welche Methodik dabei verwendet wird. 

Doch weder SFDR noch NFRD werden Greenwashing vollends verhindern können. Beide Regulierungen richten sich nämlich nur an sehr große und im EU-Markt tätige Unternehmen. Weiter lassen beide Regulierungen den Unternehmen viel Spielraum hinsichtlich der Auswahl von Reporting-Standards oder Rahmenwerken. Ein Beispiel: Ein Unternehmen, welches ein Produkt, z. B. Zement, mit großem ökologischem Fußabdruck produziert, verkleinert diesen durch veränderte Produktionsmittel z. B. durch technologische Innovation (vgl. „Green Cement“). Absolut gesehen verbleibt der ökologische Fußabdruck jedoch weiterhin auf einem sehr hohen Niveau. Eine Matrix, die (nur) die Verringerung des Co2-Ausstoßes oder Ambitionen von Unternehmen bzw. Branchen im Fokus hat, könnte ein solches Unternehmen, trotz des hohen absoluten Wertes, als „nachhaltig“ einstufen. Unter einer anderen Methodik könnte die Zement-Produktion hingegen als nicht nachhaltig qualifiziert werden. Somit sind die Signale, die an den Finanzmarkt gesendet werden, weiterhin imperfekt. Gleichzeitig liegt die Verantwortung in großem Maße bei Unternehmen sowie AnlegerInnen und KonsumentInnen, was aufgrund der Komplexität der zugrundeliegenden Thematik auch die Frage aufwirft, ob es nicht mehr staatlicher und regulatorischer Lenkung bedarf. 

Das weiterhin grundlegende Problem ist die fehlende Standardisierung des Terminus ESG und die damit verbundene Operationalisierung in quantifizierbare Rahmenwerke. Zudem muss geklärt werden, wie sich ESG in die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit eingliedert und wie mit allfälligen Zielkonflikten umgegangen wird. Es zeigt sich also, dass trotz des privatwirtschaftlichen Ursprungs von ESG, die politische Debatte darüber und die daraus folgende (international harmonisierte) regulatorische Umsetzung heute wichtiger sind denn je.

Fazit

Die Beispiele der UN SDGs sowie ESG zeigen, wie breit und mannigfaltig das Konzept Nachhaltigkeit ist. Der zunehmende Fokus der öffentlichen und politischen Debatte auf Umwelt und Klima scheint vor dem Hintergrund des schillernden Konzeptes Nachhaltigkeit zu eng. Wie die Gefahren des „Greenwashing“ zeigen, läuft der Begriff Nachhaltigkeit Gefahr, zu einem lockeren Füllwort zu werden. Für künftige Auseinandersetzungen mit Nachhaltigkeit ist es daher wichtig, entweder alle Dimensionen und Schichten zu berücksichtigen oder die adressierte Teilmenge klar als solche zu bezeichnen. //

Schoch, Maxime (2021): SDGs, ESG and the like – alles nachhaltig? In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Winter 2021, Heft 275/72. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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