Klaus Brinkbäumer/Samiha Shafy: Das kluge, lustige, gesunde, ungebremste, glückliche, sehr lange Leben. Die Weisheit der Hundertjährigen. Eine Weltreise.
Frankfurt am Main: S. Fischer 2019, 446 Seiten.

Es gibt kein Rezept für langes Leben. Es gibt keines für gesundes Altern. Aber es existieren viele Wege, die alte Menschen in ihrem Leben gegangen sind. Diesen bei Hundertjährigen nachzuspüren, um ihre Lebenserfahrungen und Lebensweisheiten zu dokumentieren, haben sich die Journalistin Samiha Shafy und ihr Kollege Klaus Brinkbäumer zur Aufgabe gemacht. Daraus ist eine Weltreise geworden. Das Autorenpaar konzentriert sich auf „longevity-spots“, Orte mit auffällig höherer Anzahl an Hundertjährigen, wie in Okinawa, Sardinien, Kalifornien, Costa Rica und Griechenland, berichtet aber auch über einzelne Personen u. a. in den USA, China, Russland, Österreich, Deutschland, Dänemark, in der Schweiz und auf den Seychellen.

In ihren Gesprächen und Interviews ließ sich das Autorenpaar von den „großen Fragen“ unseres Daseins leiten, wie z. B.: Was ist ein erfülltes Leben? Wie lebt man ein langes, gutes Leben? Was lässt sich wie beeinflussen? Worauf sind Menschen stolz und was bedauern sie? Was können wir Jüngeren daraus lernen?

Das Buch bietet zwei Ebenen. Die eine umfasst biografische Darstellungen einzelner Lebensschicksale und allfällige persönliche Lebensweisheiten, die andere wissenschaftliche Einsichten, Erkenntnisse und Forschungen, die die Bedingungen des Alterns und des langen Lebens erkunden wollen.

Bezüglich der Biografien stellt das Autorenpaar fest: Jede/r Hundertjährige hat seine eigenen Stärken und seine eigene Geschichte. Der meist gehörte Satz war: „Ich bin mit allem zufrieden.“ Die Lektüre der Biografien, sie beruhen auf journalistischen Interviews und folgen keiner wissenschaftlichen Methodik, geben ein Abbild von regional unterschiedlichen Lebensbedingungen im 20. Jahrhundert. Der Krieg mit seinen Entbehrungen, Schrecken und Grausamkeiten und das Wiederanfangen sind durchgängige Themen. Damit zusammen hängt das Ertragen von Verlusten. Doch es geht auch um ständige Verluste anderer Art: LebenspartnerInnen, Kinder, Verwandte, Freunde, Arbeit – doch Hundertjährige sind offensichtlich sehr resilient. Sie leben in sozialen Einheiten wie Familie, Heimen oder mit ständiger Pflege und schützen so weit wie möglich ihr „Ikigai“ – japanisch für „Lebenssinn“ und „Lebenswert“.

Sehr alt zu werden ist statistisch gesehen Frauensache. Der Männeranteil liegt bei etwa fünfzehn Prozent. Im Rückblick erzählen die Frauen über ihre schon durch Erziehung vorgegebene untergeordnete Rolle sowie über die Dominanz ihrer Männer. Das Bild einer sehr patriarchalischen Gesellschaft entsteht: Männer verwirklichen sich beruflich, Frauen sorgen sich um den Nachwuchs.

Wenn Bildung angesprochen wird – es ist kein Hauptthema des Buches – so rangiert sie unter Bedauern und Verlusten. Als Mädchen aufzuwachsen bedeutete meist, Geschwister zu betreuen, Schulbesuch frühzeitig aufzugeben, im Haushalt und/oder anderswo zu arbeiten, früh zu heiraten, Kinder zu versorgen… Es galt „Glück zu haben“ mit der Familie.

Auf wissenschaftlicher Ebene liegen zwar Langzeitstudien vor. Sie werden noch fortgeführt. Allerdings mit teilweise sich ändernden Fragestellungen, wie RepräsentantenInnen von Forschungsprojekten berichten. Einen speziellen Schwerpunkt bildet die Erforschung der Gene, die bis zu einem Drittel die Langlebigkeit erklären. Ebenso hat die Lebensweise große wissenschaftliche Aufmerksamkeit: Rauchen ist ein No-Go, abwechslungsreiche Ernährung mit Schwerpunkt auf Gemüse, viel Bewegung, soziale Kontakte inklusive Intimität, aufgeschlossenes, offenes, neugieriges Verhalten, so wenig Stress wie möglich gelten als positiv. Gelassenheit und Vorrang für Empathie anstelle von Narzissmus empfehlen sich als Grundlage für Langlebigkeit. Doch wie gesagt – es gibt noch kein Rezept, kein Medikament, um gesund alt zu werden. Die vorgestellten Einsichten decken sich mit den allgemein üblichen Ratschlägen zur gesunden Lebensführung.

Natürlich unterstützt die Pharmaindustrie diesen Forschungszweig, sie hat Hoffnungen auf große Profite in einer langlebigen Gesellschaft. Der Fokus der Forschung bezieht sich aber nicht in erster Linie auf die Hundertjährigen, sie sind ja schon mehr oder weniger am Ziel, auch nicht nur auf ihre Kinder – inzwischen etwa 70 bis 80 Jahre alt –, sondern auf den Alterungsprozess insgesamt.

Viele Fragen bleiben offen. Ganz aktuell: Wie sollen Betreuungs- und Pflegesysteme gestaltet werden, um im Alter zufrieden, heiter und sinnvoll leben zu können?

Dort, wo es um Bildung geht, ist zu erkennen, sie ist keine Zutat im Alter, sie sollte ab früher Kindheit Teil des Lebens sein. Das bestätigt nämlich eine Ansicht, der alte Menschen zustimmen: Für ein zufriedenes, langes Leben hat jede/r Einzelne auch selbst Sorge zu tragen. Damit geht die Einsicht einher, die Persönlichkeit von Menschen ist dynamisch und kann sich bis ins hohe Alter ändern.

Ein Buch für jedes Lebensalter – auch alt werden will gelernt sein! Für alle Bereiche des intergenerationalen Lernens, aber auch zum Verstehen globaler Geschichte geeignet – sowie zur Motivation für weitere einschlägige Forschung besonders biografischer Art von Interesse. //

Lenz, Werner (2020): Klaus Brinkbäumer/Samiha Shafy: Das kluge, lustige, gesunde, ungebremste, glückliche, sehr lange Leben. Die Weisheit der Hundertjährigen. Eine Weltreise. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Winter 2019/20, Heft 269/70. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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