Jonathan Haidt: Generation Angst. Wie wir unsere Kinder an die virtuelle Welt verlieren und ihre psychische Gesundheit aufs Spiel setzen.

Jonathan Haidt: Generation Angst. Wie wir unsere Kinder an die virtuelle Welt verlieren und ihre psychische Gesundheit aufs Spiel setzen.
Hamburg: Rowohlt Verlag, 2024, 445 Seiten.

Gefahr im Verzug! Unsere Kinder sind zu stark behütet in der realen – aber zu wenig behütet in der virtuellen Welt. In der Generation Z (geboren ab Mitte der 1990er Jahre) zeigt sich ein Anstieg psychischer Krankheiten. Fehlt eine „Internet-Volljährigkeit“? Mangelt es an unterstützender Kontrolle für den Gebrauch des Internets und verwandter Technologien? 

Jonathan Haidt, Professor für Sozialpsychologie an der New York University, stellt Studien und experimentelle Untersuchungen in Kombination mit Befunden zum Wandel des Heranwachsens vornehmlich in den USA, aber auch in anderen Ländern vor. Ihn interessieren nicht nur Smartphones und soziale Medien, sondern Haidt will zeigen, dass „eine historische und beispiellose Transformation der menschlichen Kindheit“ (S. 27) vor sich geht, eine „Neuverdrahtung“.

Das Buch gliedert sich in vier Teile. Teil 1 beschreibt die Trends, die sich bezüglich der psychischen Verfassung Jugendlicher seit 2010 beobachten lassen. Teil 2 analysiert das Wesen der Kindheit und wie es „verunstaltet“ wird. Teil 3 diskutiert negative Konsequenzen einer „smartphonebasierten Kindheit“ und in Teil 4 finden sich Vorschläge und Empfehlungen, wie die „Schäden“ zu mindern und zu vermeiden sind.

Im ersten Teil belegt der Autor eindrucksvoll, wie Anfang der 2010er Jahre – das erste Smartphone wurde 2007 präsentiert – Angststörungen, Depressionen und Selbstverletzungen bei Kindern und Jugendlichen zunahmen. Der einschlägige Terminus der Psychiatrie lautet „internalisierende Störungen“. Sie äußern sich in innerlichem Disstress mit Emotionen wie Angst, Furcht, Trauer, Hoffnungslosigkeit und Rückzug von Sozialkontakten. Soweit Daten vor allem für englischsprachige und skandinavische Länder vorliegen, erhöhte sich „das Gefühl einer Schulentfremdung“. Als gemeinsamen Grund für die psychischen Rückzugstendenzen führt der Autor im zweiten Teil den Niedergang der „spielbasierten Kindheit“ ab den 1980er Jahren an. Furchtsamer werdende Eltern installierten einen „Sicherheitskult“, der Kinder in ihrer Neugier und bezüglich herausfordernder Erfahrungen einschränkte. 

Smartphones wirken in der Pubertät verstärkt als „Erfahrungsblocker“ und befördern zusammen mit dem Sicherheitskult die Orientierung am Bildschirm anstelle von Erfahrungen in der Realität. 

Im dritten Teil wird der Aufstieg der „smartphonebasierten Kindheit“ analysiert. Als grundlegende Nachteile gelten soziale Verarmung, Mangel an Schlaf, fragmentierte Aufmerksamkeit und Abhängigkeit. In den Begriff „smartphonebasierte Kindheit“ inkludiert der Autor „alle mit dem Internet verbundenen Geräte“ (S. 150), Spielkonsolen und Apps sowie den Wandel der sozialen Medien.

„Abstand halten“ – soziale Distanzierung – wurde durch Covid zu einem empfohlenen Verhalten. In Verbindung mit der Kommunikation über Smartphones entstand ein Rückgang der Anzahl sozialer Kontakte.

Dargestellt werden auch unterschiedliche Wirkungen und Nutzungen von Smartphones bei Mädchen und Jungen. Erstere sind von den negativen Folgen stärker betroffen. Nicht zuletzt diskutiert der Autor einen an Colleges wahrgenommenen Haltungswandel vom Entdeckungs- zum Verteidigungsmodus. Weiters konstatiert der Autor gesellschaftsübergreifend eine „spirituelle Degradierung“. Gemeint ist, kurz gesagt, die Moral der Gesellschaft sinkt. 

Im vierten und letzten Teil präsentiert Jonathan Haidt seine Überlegungen und Empfehlungen, was für eine „gesündere Kindheit“ getan werden kann und sollte. Der Sozialpsychologe betont, dass es „nicht zu spät“ ist, gegen inzwischen etablierte Technologien aufzutreten. Er plädiert dafür, gemeinsames, kollektives Handeln, attraktive soziale Normen, innovative technische Lösungen sowie neue gesetzliche Regelungen durchzusetzen. Angesprochen werden Regierungen, Tech-Unternehmen, Schulen und Eltern. Schulen frei von Smartphones zu halten, fordert der Autor als wichtigsten nächsten experimentellen Schritt.

Wie alles umsetzen? Jonathan Haidt empfiehlt: „Den Mund aufmachen!“ und „Verbünden Sie sich!“.

Die Lektüre eignet sich sehr für die Professionalisierung und Weiterbildung aller pädagogisch Tätigen. Die didaktisch gelungene Form, Sachwissen zu vermitteln, erleichtert es sicherlich auch allen Verantwortlichen im Bildungswesen sowie allen Interessierten, sich mit der bedrohlichen Thematik zu beschäftigen.

In der Erwachsenenbildung ist das Buch speziell in der Elternbildung sehr gut einsetzbar. //

Lenz, Werner (2024): Jonathan Haidt: Generation Angst. Wie wir unsere Kinder an die virtuelle Welt verlieren und ihre psychische Gesundheit aufs Spiel setzen. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Herbst 2024, Heft 283/75. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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