Was sollen unsere Kinder lernen? Die Journalistin und Psychologin, Verena Friederike Hasel, ändert die oft gehörte Fragestellung: Was können Eltern und Lehrer*innen beitragen, damit Kinder schwierige künftige Zeiten bewältigen? Die Zukunft bleibt im Blick, der Fokus verlagert sich auf ein unterstützendes Umfeld. Wie das geht? Beispiele: Ein Direktor, der jedes Kind persönlich kennt und begrüßt; eine Klasse, die einen Weinberg betreut, eine andere, die oft im Wald lernt; Lehrer*innen, die auf die Selbstregulation von Kindern vertrauen, die ihre Kinder nicht im Regen stehen lassen, sondern einen Schirm aufspannen.
Ihr journalistisches Gespür und ihr Geschick, pädagogische Problemlagen attraktiv, spannend und lesefreundlich darzustellen, hat die Autorin schon bewiesen. „Der tanzende Direktor. Lernen in der besten Schule der Welt“ (2019), Erfahrungen der Autorin und Mutter von drei Töchtern mit dem Bildungswesen in Neuseeland, wurde zu einem oft gekauften Erfolgsbuch.
In ihrer aktuellen Publikation hebt die Autorin wieder die direkte Erfahrung mit Bildungsinstitutionen hervor. Sie schildert Besuche in deutschen und finnischen Schulen und stellt viele Bezüge zu vornehmlich entwicklungspsychologischen Studien her.
Für die Erwachsenenbildung kann das Buch mit zweifachem Interesse gelesen werden. Erstens zeigt sich, welches Potenzial Heranwachsende für ihre Fähigkeit, lebenslang zu lernen, entfalten können. Zweitens geben die vielen geschilderten didaktischen Situation Anlass, über verbesserte Lernbedingungen auch bei Erwachsenen nachzudenken.
Die Autorin führt zu Beginn ihres Buches in eine finnische Grundschule. Am Beispiel einiger Unterrichtsszenen rückt sie ins Rampenlicht: die Bedeutung der Persönlichkeit von Lehrenden für den Lernerfolg; interdisziplinäre Curricula; Autonomie mit kooperativer Kontrolle; flexible Unterrichtsführung; gesellschaftliche Achtung und Wertschätzung aller pädagogisch Tätigen; Aufmerksamkeit und Achtsamkeit für individuelle Lernschritte und für soziales Befinden sowie für die Stimmungen und Gefühlswelten der Kinder; enge Kooperation mit anderen Lehrenden; eine „liebevolle, zugewandte Atmosphäre“ für die Kinder. Die Autorin zieht ein erstes Resümee, was der Qualität des Lehrpersonals dient: Gesellschaftlicher Respekt vor dem pädagogischen Beruf, wissenschaftsbasierte Ausbildung und berufsbezogene Weiterbildung kommen letztlich dem Lernerfolg und dem Wohlbefinden der Lernenden zugute.
Ungleichheit, basierend auf sozialer Herkunft, im Bildungszugang und beim Bildungserfolg, sieht die Autorin in Finnland weniger gegeben, weil die Kinder die ersten neun Jahre gemeinsame die Schule besuchen. Das dreigliedrige Schulsystem wurde abgeschafft, nach der neunten Klasse entscheidet sich der weitere Bildungsweg.
Wenig Platz räumt die Autorin neurobiologischen Erkenntnissen für das Lernen ein. Sie plädiert aber, da sich das Gehirn immer verändert und sich durch Lernen stets neue Neuronen und Synapsen entwickeln, für ein „growth mindset“ – eine positive Einstellung gegenüber der Lernfähigkeit auch bei älteren Personen.
Aufgrund der hohen Bedeutung, die Hasel der Persönlichkeit von Lehrenden für gelingende Lehr-/Lernprozesse zuschreibt, entwirft sie auch eine Typologie eines/r guten Lehners/Lehrerin. Zusammengefasst (S. 120): „Gute Lehrer*innen muten Kindern die Welt zu, aber spannen zugleich etwas für sie auf, das ihnen Sicherheit bietet.“
Besondere Aufmerksamkeit erhalten auch emotionale Erfahrungen in der Schule, soziales Lernen und der Wert der Gemeinschaft. Voraussetzung für aktives, positives soziales Miteinander sind Kinder, mit der Fähigkeit zur Selbstregulation. Nicht zuletzt betont Hasel die Bedeutung von Ambiguitätstoleranz sowie die Fähigkeit, Mehrdeutigkeiten zu ertragen – eine heute oft von erwachsenen Zeitgenossen erhoffte und erwünschte Haltung.
Abschließend skizziert die Autorin Eckpunkte für die Reform des Bildungssystems. Dazu gehören unter anderem: erst wissenschaftlich orientiert planen, dann handeln; von internationalen Vorbildern lernen; mittels Vorschule früh fördern; mehr Diagnostik und pragmatische Lösungen zulassen; für den Beruf als Lehrer*in begeistern; den Beruf für Lehrende attraktiver gestalten; das pädagogische Personal achtsamer betreuen und sorgfältiger unterstützen; „immer weiter lernen“ und innovative Lehrende als „Bildungsbotschafter*innen“ einsetzen.
Programmatisch befindet die Autorin: Wir sollen Vertrauen in die Kinder haben und ihnen Zuversicht vermitteln. Dazu soll das Bildungssystem „in einen gewaltigen Schutzschirm“ verwandelt werden, unter dem sich „ansteckende Hingabe und Liebe“ entfalten können.
Die vielen praxisnahen Beispiele für gelingendes pädagogisches Handeln bieten eine Lektüre der Ermutigung. Die Sinne für das Positive und das Mögliche werden aktiviert. Lehren und Lernen können Freude machen – Kindern und Erwachsenen entsprechende Erfahrungen zu vermitteln, dazu finden sich in diesem Buch viele Anregungen.
In der Erwachsenenbildung eignet sich das Buch für Elternbildung, für die Fort- und Weiterbildung von pädagogischem Personal sowie für alle Themen, die die Reform des Bildungswesens betreffen. //
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