Die Wiener Volkshochschulen wählten „Demokratie“ als Jahresschwerpunkt für 2024. Ein passendes Thema, da in diesem Jahr sowohl die Wahl zum Europäischen Parlament als auch die Nationalratswahl stattfanden. In den Planungssitzungen für das Herbstsemester 2024 überlegten wir uns in der VHS Floridsdorf, wie wir das Thema aufgreifen könnten. Einig waren wir uns von Anfang an darin, dass wir etwas anderes als „nur“ Vorträge anbieten wollten. Diese sind zwar gut und erprobt, und das Streamen erweitert unsere „Reichweite“, doch meist erreichen wir nur dasselbe gut gebildete und demokratiefreundliche Publikum. Wir wollten hinaus gehen, neue Zielgruppen erreichen. Aber wie? Und mit welchem Format?
Ein anderes Projekt, an dem die VHS Floridsdorf seit Längerem beteiligt ist, brachte uns auf die entscheidende Idee: Das von der Stadt Wien und den Bezirken Floridsdorf und Donaustadt initiierte Projekt „LiDo geht“1. Ziel des Projektes ist die Förderung des Zufußgehens in den beiden flächenmäßig größten Bezirken in Wien. Neben einer Fußwegkarte, die im Rahmen des Projektes entstand, sind auch Spaziergänge2, die von den Projektpartner*innen organisiert werden, ein zentraler Bestandteil. Spazierengehen und Demokratie ergaben den „Demokratiespaziergang“!
Wir hatten nun also ein Format, aber womit füllen wir es? Wohin gehen wir? Was möchten wir den Teilnehmer*innen vermitteln? Was könnte interessant sein? Erste Ideen waren, Orte aufzusuchen, die nach Persönlichkeiten benannt sind, die in der österreichischen Demokratiegeschichte eine wichtige Rolle gespielt haben. Davon gibt es in Floridsdorf einige, zum Beispiel den Franz-Jonas-Platz3 oder den Karl-Seitz-Hof4. Es stellte sich aber für uns schnell die Frage, ob Spazierengehen und das Erzählen von Biografien für die Teilnehmer*innen interessant sind. Die aufgeworfene Frage, ob Demokratie nur aus Wahlen und bekannten Politiker*innen besteht, brachte uns zu der Frage, wo findet Demokratie sonst noch statt und wer gestaltet sie neben den Politiker*innen noch mit? Schnell fiel uns einiges ein: Volksbefragungen, Bürger*innenbeteiligungsverfahren, Vereine – und natürlich die Demokratie im Alltag.
Wir begannen zu recherchieren, welche Orte oder Institutionen es in Floridsdorf gibt, an denen Demokratie auf einer niederschwelligen Ebene stattfindet. So stießen wir auf das Bürger*innenbeteiligungsverfahren zur Umgestaltung der nahe gelegenen Schleifgasse. Die Gebietsbetreuung Nord wurde vom Bezirk beauftragt, die Anrainer*innen über die bevorstehende Umgestaltung zu informieren und vor allem auch ihre Ideen, Wünsche und Anregungen in die Planung einzubringen. So wurde die Schleifgasse unser erstes Ziel.
Bevor wir jedoch von der VHS Floridsdorf Richtung Schleifgasse aufbrachen, begann der Spaziergang traditionell mit einer Begrüßung. Diese nutzten wir, um die Rolle der Frau in der Demokratie zu thematisieren. Marina Hanke, Mitglied im Förderverein der VHS Floridsdorf und Gemeinderätin aus dem Bezirk, war hier unsere ideale Ansprechpartnerin. In ihrer Begrüßung betonte sie die Bedeutung der Frauen für die Demokratie. Sie berichtete über Analysen, dass Frauen im Vergleich zu Männern tendenziell eher demokratiefreundliche Parteien und Politiker*innen wählen. Aus ihrer politischen Erfahrung wisse Hanke, dass es ohne Engagement von Frauen in der Politik viele frauenfördernde Gesetze nicht geben würde. Auch heute noch sind diese Gesetze absolut notwendig, denn obwohl Frauen laut Gesetz gleichberechtigt sind, sind sie in der Realität oft benachteiligt.
Marina Hanke begleitete die Gruppe zu ihrer ersten Station und stand den Teilnehmer*innen für Fragen und Diskussionen zur Verfügung. In der Schleifgasse wurden wir von Mitarbeiter*innen der Gebietsbetreuung erwartet. Sie berichteten vor Ort über das Bürger*innenbeteiligungsverfahren und die Teilnehmer*innen konnten die Ergebnisse anschauen.5
Eine Gruppe von etwa 20 Personen, die sich langsam durch eine kleine abgelegene Gasse in Floridsdorf bewegt, weckt natürlich Aufmerksamkeit und Neugierde. Zwei ältere Damen sprachen uns an und fragten, was wir hier machen. Nach einer kurzen Erklärung zum Demokratiespaziergang und zum weiteren Weg schlossen sie sich uns spontan an. Auch ein Herr lauschte den Ausführungen der Mitarbeiter*innen von der Gebietsbetreuung, ging aber nach einer Weile wieder seine Wege. Wir machten uns auf den Weg zu unserer zweiten Station – den „Wohnpartnern“.
Die „Wohnpartner“ sind eine Einrichtung der Stadt Wien, deren Auftrag darin besteht, „im Rahmen von Gemeinwesenarbeit, Konfliktarbeit und Vernetzung im Gemeindebau, […] die Nachbarschaft im Wiener Gemeindebau zu stärken.“6 Besonders interessierte uns die Konfliktarbeit der „Wohnpartner“, da diese auf den gleichen Prinzipien wie eine funktionierende Demokratie aufbaut: wertschätzender Umgang, miteinander reden, zuhören, Bereitschaft zu Kompromissen. Die Mitarbeiter*innen der „Wohnpartner“ zeigten in ihrem Bericht anschaulich auf, wie wichtig demokratische Grundwerte schon im alltäglichen Zusammenleben Tür an Tür sind.
Das Interesse der Teilnehmer*innen an den Ausführungen der Mitarbeiter*innen der Gebietsbetreuung als auch der „Wohnpartner“ ließ sich an den zahlreichen Fragen und den angeregten Diskussionen erkennen. So wurde der Zeitplan schnell über den Haufen geworfen. Um rechtzeitig beim geplanten Endpunkt des Spaziergangs zu sein, mussten wir die Frage, wie weit darf sich eine Demokratie schützen bzw. verteidigen, leider ausfallen lassen. Diese Frage hätte zum Schlinger-Hof gepasst, wo die Gebietsbetreuung ihre Büros hat. Der Schlinger-Hof7 war im Februar 1934 neben dem Karl-Marx-Hof einer der am heftigsten umkämpften Gemeindebauten in Wien gewesen.
So trafen wir pünktlich beim Bezirksvorsteher von Floridsdorf, Georg Papai, ein. Es war uns wichtig zu zeigen, wie Demokratie abseits von Wahlen gelebt werden kann, dennoch wollten wir die institutionelle Demokratie nicht unberücksichtigt lassen. Daher lag es nahe, eine*n Vertreter*in der Bezirkspolitik um ein Gespräch zu bitten. Erfreulicherweise war BV Georg Papai sofort bereit, unsere Spaziergruppe im Bezirksamt zu empfangen.
Er berichtete ausführlich über seine Aufgaben und die der Bezirksvertretung. Ein großes Anliegen ist ihm, mit den Bewohner*innen des Bezirks ins Gespräch zu kommen. Bei rund 185.000 Einwohner*innen ist das keine leichte Aufgabe, daher freute er sich über unseren Besuch und nahm sich viel Zeit für Fragen.
Abschließend lässt sich sagen, dass die Veranstaltung geglückt ist. Meiner Ansicht nach gelang es uns gut, den Teilnehmer*innen an verschiedenen Orten und mit vielfältigen Beispielen zu vermitteln, wie Demokratie im Alltag gelebt und aktiv gestaltet werden kann – und dass Demokratie weit mehr ist, als nur zur Wahl zu gehen. //
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