Für die Bildungschancen der Kinder ins Gefängnis gehen? – so vor kurzem geschehen in den USA. Betuchte Promi-Eltern wollten ihren Sprösslingen mittels Bestechung einen sicheren Studienplatz an renommierten Universitäten erkaufen. Das Vorgehen wurde entdeckt, ein betrügerisches Netzwerk entlarvt, die Beteiligten – auch die in den Universitäten – verurteilt. Medien berichteten genüsslich darüber.
Michael J. Sandel, renommierter Professor für politische Philosophie in Harvard, stellt diesen Bildungseklat an den Anfang seines Buches. Er blickt auf die Ursachen. Als wesentlichen Punkt konstatiert er die in den USA zunehmende Ungleichheit. In seinem moralisch gespaltenen Heimatland meinen die Anhänger einer „offenen Welt“, der Erfolg hängt von Bildung ab. Die überheblichen Gewinner hätten sich ihren Erfolg verdient, die wütenden Zurückgelassenen ihr Schicksal selbst verschuldet. Diese giftige Mischung aus Hybris und Verbitterung, die einen autoritären Populisten wie Trump an die Macht brachte, hält Sandel für keinen guten Nährboden, um Solidarität zu fördern.
Wie die sozialen Bindungen und der gegenseitige Respekt in der Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten zerstört wurden und wie der „Weg zu einer Politik des Gemeinwohls“ gefunden werden kann, ist Anliegen des Buches. Die zunehmende Ungleichheit und die Einkommensunterschiede zwischen AbsolventInnen von Universitäten und anderen BürgerInnen, führt Sandel das Bildungsthema weiter aus, ließen ängstliche, wohlhabende Eltern den Betrug für die Uni-Zulassung ihrer Kinder riskieren. Wobei Spenden üblich sind – Betrug aber die rechtliche Grenze überschreitet.
Am Beispiel dieses Skandals stellt Sandel die Bedeutung von Bildung und meritokratischer (allein die Leistung zählt) Gesellschaft dar. Es sollte der Eindruck entstehen, die eigene Leistung sei für die Zulassung zur Uni ausschlaggebend. Das meritokratische Siegel sei durch eigenen Fleiß und eigene Arbeit verdient. Zu meinen, Erfolg sei nur das eigene Werk und sich für völlig eigenverantwortlich und selbständig zu halten, verhindert Dankbarkeit und Demut zu lernen. Ohne diese erlöschen aber letztlich die Sorge um das Gemeinwohl! Sollen wir weiterhin dem Leistungsprinzip huldigen oder das Gemeinwohl in anderen sozialen Konstellationen suchen, fragt der Autor.
Sandel belegt, dass in Hinblick auf das „Gerede vom Aufstieg“ harte Arbeit, soziale Mobilität oder Talent keineswegs ausreichen, um die sich vergrößernde Ungleichheit zu kompensieren. Im Gegensatz dazu registriert er aber bei seinen Studierenden seit den 1990er-Jahren beständigen meritokratischen Glauben: Sie zeigen sich in zunehmender Zahl überzeugt, ihr Erfolg sei Ergebnis der eigenen Anstrengungen und deshalb auch verdient.
Der Autor stellt Zusammenhänge zwischen dem Glauben, von Gott begnadet und als Volk bevorzugt zu sein, mit der meritokratischen Überheblichkeit, dass sozial Aufgestiegene ihren Erfolg verdient haben, her. Tatsächlich ist Erfolg mit harter Arbeit verbunden, urteilt der Autor. Das beginnt spätestens in der High-School und führt über eine gute Universität zu einem entsprechend einkommensstarken Job.
Versäumnisse sieht Sandel darin, dass in den 1980er- und 1990er-Jahren, in der Zeit der Globalisierung, keine strukturellen Wirtschaftsreformen erfolgten, sondern weitreichende Ungleichheiten und stagnierende Löhne der Arbeiterklasse akzeptiert wurden. Statt Reformen wurde Chancengleichheit angestrebt. Dem lag, urteilt Sandel, der Sinn des „Geredes vom Aufstieg“ zu Grunde. Wer es unter gleichen Chancen schafft, hat es dann verdient.
So wurde Bildung, einseitig betont als Lösung von Ungleichheit, zur Antwort auf diese. Das bedeutete, die scheinbar mit Naturgewalt etablierte globale Wirtschaft nicht mit politischen Mitteln zu ändern, sondern sich ihr anzupassen und den Zugang zu höherer Bildung zu erweitern. Die Leistungsgesellschaft wurde immer leistungsorientierter, was hingegen zu Ungleichheit geführt hatte, blieb außerhalb grundlegender Analysen.
Die daraus entstandenen negativen Formen von Bildung erwähnt Sandel. Eine Wettbewerbskultur ist entstanden, in der Auslese und Eifer Lehren und Lernen verdrängen. „Man wird darin ausgebildet, sich als Produkt zu verpacken und für Jobs zu bewerben“, kritisiert Sandel (S. 291) die neue Rolle von Colleges und Universitäten. Er bedauert ein Bildungswesen, das statt intellektueller Neugier Noten priorisiert. Die AbsolventInnen erhalten dazu eine finanzielle „Hochschulprämie“, die sie über das Einkommen von Nicht-AbsolventInnen deutlich erhebt.
Sandel beschreibt die Fehler der Politik, orientiert an Leistungsgesellschaft und Technokratie, die weg vom Gemeinwohl und hin zu Unzufriedenheit und autoritärem Populismus führten.
Er weist auch nach, dass die „Tyrannei der Leistung“ die Würde der Arbeit untergräbt. Arbeit versteht er als Möglichkeit, Geld für den Lebensunterhalt zu verdienen und als Quelle sozialer Anerkennung. Die Menschen wollen als ProduzentInnen – sie stellen Waren zur Verfügung, die die Bedürfnisse der Mitmenschen erfüllen – anerkannt werden, nicht bloß als KonsumentInnen. Um die Würde der Arbeit wiederherzustellen, sollten wir die sozialen Bindungen reparieren, die das Zeitalter der Leistungsgesellschaft zerstört hat.
Sandel verlangt demutsvolle Einsicht. Die Zufälligkeiten des Lebens hätten uns auch in ganz anderen Verhältnissen aufwachsen lassen können – es hing nicht nur allein von unseren Leistungen ab, wer wir geworden sind.
Das auf die politischen Verhältnisse in den USA bezogene Buch ist im Kern eine Studie über die Rolle von höherer Bildung und ihrer Funktion, Ungleichheit zu erweitern und zu stabilisieren. Der Appell des Autors an Demut, Einsicht und soziale Verbundenheit klingt etwas milde, lässt aber seine politische Forderung nach strukturellen Veränderungen nicht überhören. Die von Sandel gestellte Frage, was als wertvoller Beitrag zum Gemeinwohl gilt und was wir einander als BürgerInnen schulden, bleibt uns aufgegeben.
Heimische und europäische AktivistInnen der Erwachsenenbildung/Weiterbildung sollten bedenken, dass sie mit ihrer Bildungstätigkeit allein Ungleichheit nicht aufheben können, sondern sie schlimmstenfalls festigen. Erwachsenenbildung/Weiterbildung als integrierter Teil des Bildungswesens, also verankert in einem Konzept lebensintegrierter Bildung, könnte im Sinne einer lebensübergreifenden Wirkung von Bildung eventuell leichter Akzente setzen. Als nur lose verbundener, abgespaltener Teil des bestehenden fragmentarischen Bildungswesens kommt ihr bestenfalls die Rolle situativer Einzelfallhilfe und Ermutigung – was freilich auch nicht zu verachten ist – zu. //
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