Die für die Modernisierung der Bildung zuständige Direktorin bei der Europäischen Kommission, Chiara Gariazzo, hat bei der Jahrestagung der Europäischen Plattform für das lebenslange Lernen Mitte Juni in Luxemburg über die Bedeutung von „Bürgerschaftlicher Bildung“ gesprochen und auf die Notwendigkeit hingewiesen, das „kritische Denken“ zu fördern.
Noch vor nicht allzu langer Zeit haben VertreterInnen der Kommission argumentiert, dass bürgerschaftliche Bildung nicht prioritär sei, weil sie keine Arbeitsplätze schaffe. Heute heißt es: Bildung leiste einen zentralen Beitrag zur persönlichen Entwicklung, zur sozialen Inklusion und zur Teilhabe. Darüber waren sich die EU-Bildungsminister bei einem informellen Treffen im März dieses Jahres in Paris einig.1
In der „Deklaration zur Förderung der bürgerschaftlichen Bildung und der gemeinsamen Werte der Freiheit, Toleranz und der Anti-Diskriminierung“2 wird die Verteidigung der grundlegenden und zentralen Werte der EU beschworen: Respekt vor der menschlichen Würde, Freiheit und Meinungsfreiheit, vor Demokratie und Gleichheit, vor dem Grundsatz des Rechts sowie allgemein – Respektierung der Menschenrechte.
National, regional und lokal sei inklusive Bildung sicherzustellen. Benachteiligungen geographischer und sozialer Natur sowie Bildungsbenachteiligung soll entgegengewirkt werden. Zudem seien Dialog und Kooperation auf allen Ebenen und bei allen Beteiligten zu fördern, heißt es in der Deklaration. Die Fähigkeit zu kritischem Denken und eigenem Urteilsvermögen soll unterstützt werden, damit die Menschen in der Lage sind, Fakten von Meinungen zu unterscheiden, Propaganda als solche zu erkennen und allen Formen der Indoktrinierung und Hasspredigten zu widerstehen.
Ein wichtiges Anliegen der Volkshochschulen ist die Förderung einer aktiven und inklusiven Gesellschaft, an der möglichst viele Menschen teilnehmen können und wollen. Grundbedingung dafür ist aber, dass die Voraussetzungen die gleichen sind. Das ist derzeit aber nicht der Fall, wie ein Blick auf die Ergebnisse der PIAAC-Studie zeigt. Beinahe doppelt so viele Personen mit geringen Grundkompetenzen stimmen der Aussage „Menschen wie ich haben keinerlei Einfluss darauf, was die Regierung macht“ voll zu. Auch das Vertrauen in andere Menschen, das als Hinweis auf die soziale Einbindung interpretiert werden kann, ist bei Personen mit Basisbildungsbedarf deutlich geringer als bei jenen, die keinen Basisbildungsbedarf haben. Schließlich zeigen sich auch Auswirkungen auf das persönliche Wohlergehen, denn deutlich mehr Menschen mit niedrigen Grundkompetenzen bezeichnen ihren Gesundheitszustand schlechter als jene, die keinen Basisbildungsbedarf haben.3
Die Gesellschaften verändern sich, verstärkte Möglichkeiten der Teilhabe wurden und werden gefordert und realisiert. Die Möglichkeiten der Einflussnahme auf politische Prozesse und auf Mitgestaltung – lokal, regional und national, aber auch auf europäischer Ebene – sind durch die sozialen Medien größer geworden. Vielfach werden sie aber von Menschen in Anspruch genommen, die günstigere Voraussetzungen besitzen, die sich zumeist im Bildungsniveau und im sozialen Status darstellen. Die Attraktivität von populistischen Parteien und ihren Antworten, die zumeist auf Vorurteilen und vorgefassten Meinungen beruhen, ist gestiegen und Teile der Bevölkerung beginnen, sich von den herkömmlichen Formen der Politik abzuwenden.
Den Volkshochschulen ist die Akzeptanz und die Weiterentwicklung der Demokratie ein besonderes Anliegen. Sie vermitteln Wissen zur besseren Orientierung, stärken die eigene Urteilsfähigkeit und unterstützen ein auf Dialog und Toleranz basierendes Zusammenleben. Volkshochschulen sind Treffpunkte für Menschen aus den verschiedenen gesellschaftlichen Schichten, unterschiedlichen Altersstufen und verschiedenen beruflichen Hintergründen. Volkshochschulen sind Orte und Plattformen des „Probehandelns“. Das Lernen in der Gruppe unterstützt die Menschen, Interaktionen werden ausprobiert, Feedback kommt von den anderen KursteilnehmerInnen und neue Perspektiven können entwickelt werden.
Mit ihrem breiten Angebot leisten die Volkshochschulen einen entscheidenden Beitrag zur persönlichen Weiterentwicklung, zum sozialen Zusammenhalt sowie zur gesellschaftlichen und politischen Teilhabe. //
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Der Schwerpunkt dieser Ausgabe der ÖVH befasst sich mit dem Lernen in Volkshochschulen und in der Erwachsenenbildung. In Beiträgen aus Österreich und aus Dänemark werden die Besonderheiten und die Stärken des Lernens in Volkshochschulen herausgearbeitet. Dabei zeigt sich, dass gerade die Volkshochschule mit ihrer Orientierung an der Stärkung von Persönlichkeiten und ihrem breiten, an den vielfältigen Lebenssituationen, Bedarfen und Interessen der Menschen in unterschiedlichsten Lebenslagen ausgerichteten Angebot, zeitgemäßer denn je ist. Die Volkshochschulen unterstützen die Motivation ihrer TeilnehmerInnen und tragen so nachhaltig und effektiv zum lebenslangen Lernen bei.
Die nächste Ausgabe des Magazins „Die Österreichische Volkshochschule“ erscheint im November 2015 und wird sich im Schwerpunkt mit der Finanzierung von Erwachsenenbildung sowie mit Erwachsenenbildungspolitik befassen. Redaktionsschluss ist Mitte Oktober
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