Erwachsenenbildung, Volkshochschularbeit und Community-Orientation

Der Ursprung der Idee der „Community-Orientation“

Der Ursprung der Begriffe „Community Orientation“ oder auch „Community-Education“ liegt in der angelsächsischen raum- und kontextorientierten Bildung und ArbeiterInnenbildung sowie in der Tradition der „University Extension“. (Goldmann: 1995). Jedoch sind die Ähnlichkeiten der Grundideen mit den vielleicht etwas idealtypisch überhöhten Grundideen historischer Volksbildung, aber auch denen moderner, emanzipatorischer Erwachsenenbildung derart frappant, dass auch im Bereich der Volkshochschulbewegung von einem Community-Bezug gesprochen werden kann; dies im Gegensatz zu und in Abgrenzung von arbeitsmarktorientierter Bildung, die von einer universellen Nützlichkeit ausgeht und die Probleme der Menschen und deren Handlungsermächtigung hinter behauptete, abstrakte und scheinbar für alle relevante Notwendigkeiten des Marktes und der Employability zurückstellt.

Community-Education ist oder wird definiert als „[…] ein Prozess, der das Leben von Einzelpersonen und Gruppen bereichern soll, indem er mit Menschen in einem geografischen Gebiet zusammenarbeitet oder ein gemeinsames Interesse teilt, um freiwillig eine Reihe von Lern-, Aktions- und Reflexionsmöglichkeiten zu entwickeln, die von ihren persönlichen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bedürfnissen bestimmt werden.“ (Scottish Community Education Council: 1984, o. S.)

Diese grundlegende und vielzitierte Definition von Community Education betont aber kaum die Idee der Zusammenarbeit oder der gemeinsamen Entwicklung eines Gemeinwesens, also die Arbeit an der Gemeinsamkeit, die ebenso wesentlich für Community Ansätze, wie auch für die emanzipatorische Idee der Erwachsenenbildung ist, die einer gemeinsamen demokratischen Zukunft verpflichtet ist. Community Education ist charakterisiert durch Zusammenarbeit, Miteinander, Altruismus und der Idee eines guten Zusammenlebens. Insgesamt steht sie damit grundsätzlich gegen moderne neoliberale Bildungspraxen die eben genau die Konkurrenz, die individuelle Leistung und Abgrenzung, die Messung des Erfolgs mit quantitativen Indikatoren betonen.

Community-Orientation in der Erwachsenenbildung

Die Idee zu dieser Reflexion über die Frage der Community-Orientierung in der Erwachsenenbildung hat zweierlei Wurzeln, zuerst die seit 1998 währende Beteiligung des Verbandes Österreichischer Volkshochschulen an der Werkstatt Gemeinwesenarbeit. (Vgl. http://www.gemeinwesenarbeit.at). Die Werkstatt Gemeinwesenarbeit am Bundesinstitut für Erwachsenenbildung (vgl. http://www.bifeb.at) ist eine Art thematische Projektplattform von Verbänden der Erwachsenenbildung (Ring Österreichischer Bildungswerke und Verband Österreichischer Volkshochschulen), der ARGE Region Kultur und der Österreichischen Gesellschaft für Politische Bildung (ÖGPB). Die Werkstätte gab mir seit 1998 die Möglichkeit, eine bunte, methodisch beeindruckende Vielfalt an Projekten kennenzulernen. Gemeinsam ist den vorgestellten und diskutierten Projekten im Detail wenig, außer der Idee, im eigenen Lebensumfeld Dinge demokratisch zum Besseren zu verändern. Dies bedeutet demokratische Auseinandersetzung über die Vorstellungen des gemeinsamen guten Lebens,  also über das Gemeinwesen, zumindest dort, wo die Idee der Gemeinwesenarbeit oder Community Education über Dorfverschönerung durch Blumenkästen und die Traditionspflege oft problematischen Volksliedguts1 hinausgeht – in der Regionalentwicklung, Dorferneuerung und einer Vielzahl an Projekten auch im stätischen Umfeld.

Dabei handelt es sich um Bildungs- und Entwicklungsprojekte, die über die Rezeption der Community Education (Gemeinwesenarbeit), die im Kontext der ländlichen Erwachsenenbildung stattfand – etwa durch Hannelore Blaschek, eine Pionierin des Gedankens der Gemeinwesenarbeit in der Erwachsenenbildung Österreichs – hinausgehen.2 Die Auseinandersetzungen und Diskurse und vor allem die erörterten Bildungspraxen in dieser ältesten Werkstattreihe des Bundesinstitutes für Erwachsenenbildung (bifeb) bilden den konkreten im Bildungsalltag verwurzelten Hintergrund dieser Abgrenzung und Neubestimmung der Idee der Community Education im Kontext der Bildungsarbeit der Volkshochschulen.

Ein zweiter Ausgangspunkt ist die im Kontext der Tagung „Bildung und Populismus. Erwachsenenbildung und die Tradition der Cultural Studies“ (vgl. http://www.vhs.or.at/632/) durchgeführte Auseinandersetzung mit der Volksbildung im Roten Wien im Vergleich mit den Ursprüngen der Cultural Studies in Großbritannien, die in erstaunlich ähnlicher Weise mit  Erwachsenenbildungs-Praxen und Diskursen im Kontext der University Extension im Rahmen der „Workers Educational Organisation“ (WEA) verknüpft sind. (Rogers: 2014). Diese problem- und veränderungsorientierten Formen der Erwachsenenbildung versprechen mehr als einen gerade-noch Erhalt der Employability, nämlich Handlungsfähigkeit und die Beteiligung an einer demokratischen Gestaltung des Gemeinwesens, das heißt einer Gestaltung des Feldes des Zusammenlebens. Die Prinzipien und Praxen beider Traditionen liegen nahe an Ideen und Praxen moderner handlungsorientierter Erwachsenenbildung mit Bezug zu den Ideen von Demokratie und Freiheit.

Im Folgenden versuche ich in einer tabellenartigen (vielleicht holzschnittartigen) Gegenüberstellung eine Abgrenzung und Herausarbeitung von Prinzipien community-orientierter Erwachsenenbildung in Anlehnung an Rogers. (Rogers: 2014, 24).

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Was bedeutet dies für moderne Volkshochschularbeit?

Trotz der Holzschnitt-Artigkeit der Gegenüberstellung lautet meine These, dass die Idee der TeilnehmerInnenorientierung und auch der Bezug auf Anliegen des Gemeinwesens (Community-Orientierung) in moderner Bildungsarbeit – auch in VHS-Bildungsarbeit – mit den Schlagworten Employability, Zertifizierung, Professionalisierung – zunehmend verloren geht, und damit ein wesentlicher Ursprung der Erwachsenenbildung; zumal es in modernen Bildungsdiskursen, auch in den Volkshochschulen, so erscheint, als gäbe es universelle Bildungsinhalte für alle, die für alle gleich nützlich und sinnvoll wären. Dies bedeutet den Verlust eines Grundprinzips der Erwachsenenbildung, der Problem- und Personenzentrierung. //

1   Um hier Missverständnissen vorzubeugen, ich spreche von problematischem Volksliedgut und sage nicht, das Volkslied sei problematisch.

2   Blaschek scheint in verschiedenen Publikationen vor allem darum bemüht, die Praxis und Idee der Community-Orientation auf eine solide, ewige Werte-Basis eines konservativen Katholizismus und eine Warnung vor zu viel Veränderung festzunageln. (Vgl. Blaschek: 1970, 1973, 1979).

Literatur

Aristoteles (1948): Politik. Leipzig: Meiner 1948.

Blaschek, Hannelore (1970): Über das „Community Development“, ein Blick über die Grenzen. In: Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung, 3 (2), 400–405.

Blaschek, Hannelore (1973): Zur Gemeinwesenarbeit eine internationale Überschau. In: Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung, 6 (1), 177–187.

Blaschek, Hannelore (1979): Zur Ausbildung in Gemeinwesenarbeit. Einige Anregungen aus internationalen Gesprächen. In: Erwachsenenbildung in Österreich. Fachzeitschrift für Mitarbeiter in der Erwachsenenbildung, 30 (11/12), 683–692.

Lawrence Goldman (1995): Dons and workers: Oxford and adult education since 1850. Oxford: Clarendon Press.

Rogers, Alan (2014): University Extra-Mural Studies and Extension Outreach: Incompatibilities. In: Journal of Adult and Continuing Education, 20 (1), 3–38. Online verfügbar unter: https://doi.org/10.7227/JACE.20.1.2 [11.01.2019].

Scottish Community Education Council (1984): Training for change: a report on community education training. Edinburgh: Scottish Community Education Council.

Cicero, Marcus Tullius (2010): Der Staat. De re publica. Mannheim: Artemis & Winkler.

Vater, Stefan (2018): Erwachsenenbildung, Volkshochschularbeit und Community-Orientation. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Winter 2018/19, Heft 266/69. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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