Aufgrund tiefgreifender technologischer Veränderungen und Entwicklungen, wird Bildung bereits seit dem Zeitalter der Aufklärung auch in die Lebensphase des Erwachsenenalters verlegt. Inzwischen ist belegt, dass Bildung den globalen Schlüssel zur Gesundheit und zum Wohlstand bildet. (Lutz & Kebede: 2018). Die mittels Erwachsenenbildung erworbenen sogenannten „Benefits“ sind in Bezug auf Korrelationen zur Gesundheit und Ökonomie allerdings noch nicht so eindeutig im Wissenschaftssystem etabliert, wie dies für die formale (schulische) Bildung gilt; dies liegt in Ermangelung globaler Datensätze und in der noch ausbaufähigen längsschnittlichen und interdisziplinären Forschung begründet. Es gibt zu diesem Thema aber eine wachsende Zahl von Studien, etwa zu den positiven Auswirkungen der Erwachsenenbildung auf die körperliche Gesundheit (Raucherentwöhnung, Bewegungsumfang, geringeres Risiko für koronare Herzkrankheiten und Verringerung des Drogenmissbrauchs; Feinstein & Hammond: 2004; Chandola et al.: 2011), zu den Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden (Identitätsgefühl, Fähigkeit Zurechtzukommen, gesteigerter Sinn des Lebens, größeres Wohlbefinden, Steigerung der Lebenszufriedenheit; Duckworth & Cara: 2012; Hammond: 2004) sowie auf die kognitive Reserve (Matyas et al.: 2019). Zusätzlich zu diesen Erkenntnissen zeigten Schuller (2017) und die BeLL-Studie (vgl. BeLL-Project: 2014; Thöne-Geyer et. al.: 2017; Kil: 2020), dass der Einfluss der Erwachsenenbildung auf individueller und gesellschaftlicher Ebene größer ist als bisher angenommen.
Erwachsenenbildungsaktivitäten stehen damit unter einer neuen gesundheitsökonomischen Lesart und bilden für die Politik neue Ansatzpunkte, sich mit diesem Bildungssektor und dessen Nutzen für die Gesellschaft zu befassen. Die sogenannte „Benefit-Forschung“ setzt hier an und ist nun an Österreichs Volkshochschulen eingesetzt worden.
In diesem Beitrag werden die ersten Ergebnisse der BeLL-AT-Studie vorgestellt, die darauf abzielt, den breiteren Nutzen von Erwachsenenbildung (non-formal, non-vocational adult education/NFNVAE; Manninen: 2019) – also über den unmittelbaren kognitiven inhaltsbezogenen Lernzuwachs hinaus – an Volkshochschulen (VHS) in Österreich zu untersuchen. Erwachsenenbildung bietet dabei eine „kostengünstige, niedrigschwellige Lernaktivität“ (Manninen: 2014, S. 319) an, die im Allgemeinen von öffentlichen bzw. öffentlich geförderten Bildungseinrichtungen angeboten wird. In Österreich sind die Volkshochschulen mit 256 Einrichtungen in neun Bundesländern der größte Anbieter von Erwachsenenbildung. Im Angebotsjahr 2017/2018 boten die österreichischen Volkshochschulen 50.900 Kurse für fast 780.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an. (Vater & Zwielehner: 2019). Damit bilden sie eine Schlüsseleinrichtung auf dem Gebiet der Erwachsenenbildung in Österreich und sind ein repräsentativer Ort, um mit einer umfassenden Befragung, wie Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Erwachsenenbildung profitieren, voranzugehen und so auch die Rolle von Volkshochschulen in Europa zu stärken und systematische Belege für die Unterstützung von individuellen Transformationsprozessen bei erwachsenen Lernenden und ihrer Folgeeffekte für demokratiebasierte Gesellschaftsformen aufzuzeigen. Insgesamt betrifft diese Studie die gesamte Erwachsenenbildung Österreichs.
BeLL-Österreich
Die Studie repliziert die Methodik, die im EU-Projekt „Benefits of Lifelong Learning“ (BeLL) angewandt wurde, das zwischen 2011 und 2014 vom LLL-Programm der Europäischen Kommission gefördert wurde. Das Projekt untersuchte die „Benefits“ einer Teilnahme an organisierter, nicht-formaler, nicht-beruflicher, freiwilliger Erwachsenenbildung in zehn Ländern Europas mittels eines Forschungsdesigns entlang qualitativ und quantitativ verschränkter Methoden. Quantitative Daten wurden mit Hilfe eines Fragebogens (8.646 gültige Fragebögen) erhoben, der vom Konsortium entwickelt und erprobt wurde und in elf Sprachen vorliegt (siehe: www.bell-project.eu). Für den qualitativen Teil wurden halbstrukturierte Interviews mit 82 Teilnehmenden an Erwachsenenbildungskursen durchgeführt. Das europaweit transdisziplinär zusammengesetzte Konsortium (vgl. Thöne-Geyer u.a.: 2017) hatte zuvor die sogenannte „Benefit-Forschung“ aus Großbritannien und Finnland gebündelt (Kil/Motschilnig &Thöne-Geyer: 2012).
Um für alle beteiligten Länder mit unterschiedlichen Erwachsenenbildungssystemen eine einheitliche Anbieter- und Kursauswahl zur Samplebildung zu ermöglichen, wurde Erwachsenenbildung im BeLL-Projekt definiert als strukturierter Lernprozess, der mittels organisierter Lernaktivitäten und Angeboten formaler und non-formaler Bildungsinstitutionen für Personen jenseits formaler (verpflichtender) Schulbildung stattfindet. Diese Lernaktivitäten sollten so konzeptionalisiert sein, dass sie Individuen dazu anregen, eigene Lernbedürfnisse in verschiedensten Interessensgebieten zu befriedigen, um sich neues Wissen anzueignen, neue Verhaltensweisen zu entwickeln oder erproben zu können; und dies im weiten Themenfeld von Persönlichkeitsentwicklung, sozialer Kompetenz und unterschiedlichen Anwendungsfeldern wie Familie, soziale Netzwerke, der eigenen Gesundheit und im eigenen beruflichen Umfeld. Die Lernangebote sollten freiwillig wahrgenommen werden können und nicht mit einem spezialisierten, formal-schulischen, beruflichen und/oder betrieblichen Qualifizierungsanspruch verknüpft sein.
Insgesamt setzte das Konsortium fünfzehn Konstrukte/Benefits im Fragebogen mit insgesamt 35 Items um, die sich möglicherweise verändert haben: 1. Kontrollüberzeugung1; 2. Selbstwirksamkeit; 3. Toleranz;
4. Vertrauen; 5. soziale Netzwerke; 6. soziale Interaktion; 7. physisches/körperliches Gesundheitsempfinden; 8. zivilgesellschaftliches Engagement; 9. zivilgesellschaftliche Kompetenz; 10. Sinnhaftigkeit des Lebens; 11. mentales Wohlbefinden; 12. gesundheitsbewusstes Verhalten; 13. Erwerbstätigkeit; 14. Familie und
15. Veränderungen von Lernerfahrungen. Alle Fragen des „BeLL-Questionnaires“ wurden so formuliert, dass sie weniger Einstellungen abfragen, sondern auf Veränderungen im tatsächlich an sich selbst beobachtbaren Verhalten, z. B. Ich engagiere mich ehrenamtlich, ich ermutige auch andere zum Lernen, ich treffe mich mit anderen Leuten, abzielen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhielten die Anweisung: „Bitte schätzen Sie ein, ob und inwiefern die Kurse aus dem Bereich der allgemeinen Erwachsenenbildung bzw. Weiterbildung die folgenden Veränderungen in Ihrem Leben bewirkt haben. Nutzen Sie dafür die Skala: viel weniger (—), weniger (–), etwas weniger (-), keine Veränderung (0), etwas mehr (+), mehr (++), viel mehr (+++).“ Österreich beteiligte sich seinerzeit nicht am BeLL-Projekt, beziehungsweise war nicht im vom Deutschen Institut für Erwachsenenbildung (DIE/Bonn) koordinierten Konsortium vertreten. Mit dem Ziel, den österreichischen Kontext der nicht-formalen, nicht-beruflichen Erwachsenenbildung ebenfalls zu untersuchen, um daraufhin die BeLL-Studie erneut in Erinnerung zu rufen und neu zu validieren, wurde die Studie in Österreich auf Initiative der Donau-Universität Krems und der VHS Krems wiederholt. Die deutsche Version des BeLL-Fragebogens wurde an den österreichischen Kontext angepasst. Der Pre-Test mittels 106 Fragebögen (online und Papierausdruck) fand in einer privaten Erwachsenenbildungsorganisation in Tirol statt. Die aufwändige Hauptdatenerhebung wurde dann in Zusammenarbeit mit dem Verband Österreichischer Volkshochschulen (VÖV, Stefan Vater) durchgeführt. Im Dezember 2018 wurden bundesweit 1.450 gedruckte Fragebögen versandt, die in den Volkshochschulen verteilt wurden. Für die Stichprobenziehung wurden die Bundesländer und Kurstypen an Volkshochschulen anteilig berücksichtigt. Die Abbildung 1 zeigt die Anzahl der an die einzelnen Bundesländer versandten und von diesen zurückgesandten Fragebögen. Insgesamt wurden innerhalb von vier Monaten nach der Datenerhebung 627 Fragebögen gesammelt.
Abb. 1: Verteilung und Rücklauf der BeLL-AT-Fragebögen
Ergebnisse
Merkmale der Weiterbildungsteilnehmerinnen und -teilnehmer
Aufgrund der Vergleichbarkeit mit der europäischen Untersuchung wurden 74 von 627 Fragebögen aus dieser Analyse im Folgenden nicht berücksichtigt (Abschluss einer formalen Ausbildung, hier: Zweiter Bildungsweg); diese werden aber zu einem späteren Zeitpunkt österreichspezifisch berücksichtigt werden. Somit beläuft sich die Summe der hier analysierten Fragebögen auf 553.
Die Mehrheit der befragten Teilnehmenden sind weiblich (77,6 Prozent). Das Alter liegt zwischen 16 und 82 Jahren, und der Durchschnitt liegt bei etwa 53 Jahren (Alterskategorien, siehe Abbildung 2). 60 Prozent der Teilnehmenden sind älter als 50 Jahre. Parallel zum Alter sind fast 40 Prozent in Pension, 27 Prozent sind vollzeitbeschäftigt, während 19 Prozent teilzeitbeschäftigt sind. Sechs Prozent sind selbstständig und vier Prozent sind ausschließlich in Haus- und Familienarbeit tätig und zwei Prozent sind arbeits-/erwerbslos. Was die Bildungsabschlüsse betrifft, so haben 38 Prozent der Teilnehmenden einen Hochschulabschluss, während 15 Prozent über einen Lehrabschluss verfügen, 12 Prozent haben eine mittlere berufliche Bildung absolviert und elf Prozent eine berufsbildende höhere Schule abgeschlossen (Abbildung 3 zeigt die Verteilung von Bildungsabschlüssen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer). In einer vergleichenden Perspektive spiegelt die Demographie unserer Stichprobe den allgemeinen Trend der Teilnahme an nicht-beruflicher Erwachsenenbildung wider: in der Mehrheit weiblich, gebildet und mittleren Alters (Statistik Austria: 2018).
Abbildung 2: Verteilung „Alter” (valid %; missing: 48)
Abbildung 3: Verteilung der Bildungsabschlüsse (valid %; missing: 23)
Was die muttersprachlichen Hintergründe zum Ausfüllen des Fragebogens und die Nationalität der Teilnehmenden an der Studie betrifft, so sind die meisten Teilnehmenden österreichische Staatsbürger (89 Prozent), während 5,3 Prozent aus EU-Ländern und 4,6 Prozent aus einem Nicht-EU-Land kommen.
Parallel zur Staatsbürgerschaft hat die große Mehrheit der Teilnehmenden Deutsch als Muttersprache (88,5 Prozent) und 11,5 Prozent haben eine andere Herkunftsprache als deutsch.
Anzahl und Art der erfassten VHS-Kurse
Wir haben die Teilnehmenden gefragt, an wie vielen Kursen der Erwachsenenbildung sie in den letzten zwölf Monaten teilgenommen haben.
Die Ergebnisse zeigten, dass die Mehrheit der Teilnehmenden – die Mindestvoraussetzung zur Teilnahme an der Befragung – einen Kurs besucht, während 31 Prozent zwei Kurse besuchten (Abbildung 4 zeigt die Verteilung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach der Anzahl der besuchten Kurse).
Abbildung 4: Verteilung absolvierter Kurse pro Teilnehmerin und Teilnehmer (valid %; missing: 11).
Insgesamt haben die Lernenden an mehr als 200 verschiedenen Arten von Kursen teilgenommen, die sich in sieben Themenbereiche subsumieren lassen. Angesichts dessen, dass im Durchschnitt jährlich 50.000 Kurse in 256 Volkshochschulen durchgeführt werden, ist diese Themenvielfalt nicht überraschend. Abbildung 5 zeigt die Kurstypen und die Beteiligungsrate an diesen Kursen. In dieser Abbildung werden nur die ersten im Fragebogen benannten Kurse berücksichtigt und Programmbereichen zugeordnet.
Abbildung 5: Verteilung der besuchten Kursthemen in Angebotsbereiche (valid %; missing: 24)
Im Vergleich zu den Jahresstatistiken der Volkshochschulen wird deutlich, dass der Rücklauf nicht der Gesamtstatistik des VHS-Angebots entspricht. Normalerweise handelt es sich bei rund 40 Prozent der in Volkshochschulen durchgeführten Kurse um Gesundheits- und Sportkurse, während die Sprachkurse bei rund 24,9 Prozent liegen. (Vater & Zwielehner: 2019). In unserer Studie sind dies mehr als die Hälfte (55,8 Prozent) der besuchten Kurse, die innerhalb der letzten zwölf Monate besucht wurden. Unter der Rubrik Sprachkurse (Languages) sind Deutsch als Zweitsprache, Englisch, Italienisch, Französisch, Spanisch, Russisch, Japanisch, Farsi, Arabisch, Schwedisch, Türkisch, Tschechisch und Kroatisch, von sehr einfachen Einführungskursen bis hin zu fortgeschrittenen Konversationskursen zugeordnet. 22,5 Prozent der Teilnehmenden besuchten einen der Gesundheits- und Sportkurse, die ebenfalls eine große Vielfalt aufweisen, die von Aerobic, Anti-Osteoporose-Gymnastik für Frauen, Bauch-Beine-Po, Bauchtanz, Body-mind 50plus, Fußball, Gesundheitsgymnastik 60plus, Gi Gong bis hin zu verschiedenen Arten von Yoga und Pilates reicht. Fast zehn Prozent der Teilnehmenden besuchten Kreativitäts- und Kunstkurse (Creative Activities) wie Malen mit verschiedenen Materialien und Techniken, Fotografie, Musik, Gesang und Instrumente lernen sowie Kunsthandwerk wie Goldschmiedeketten anfertigen, die kreative Arbeit mit Keramik und Kalligraphie.
Als gering erscheint die Teilnahmequote an IKT-bezogenen Kursen.
In der BeLL-EU-Studie lag sie bei 14,2 Prozent; dies ist aber auch dem Erhebungszeitpunkt geschuldet, gab es doch noch mehr Bedarf an basalen Grundkompetenzen im Einsatz mit Computern. Angesichts der Länge des Fragebogens ist ebenfalls eine Schiefe im Rücklauf wahrscheinlich, denn in Kreativ- und Sportangeboten und Kursen mit notwendig kleinerer Belegungsanzahl (wie Computereinzelnutzung) ist die Bereitschaft der Teilnehmenden einerseits nicht so groß, wertvolle Lernzeit für das Ausfüllen eines Fragebogens aufzubringen; andererseits ist die Fallzahl in den Kursen selbst nicht so hoch.
Welche Veränderungen erleben die Kursteilnehmenden an sich selbst?
Die erste vorläufige Auswertung ergibt parallele Ergebnisse zur EU-BeLL-Studie im Hinblick auf die Häufigkeit erlebter positiver Veränderungen, die die Teilnehmenden im Fragebogen angegeben haben, d.h. die meisten positiven Veränderungen (absteigend aufgeführt) erlebten sie an sich in den folgenden Items:
Veränderungen im „Lernen Lernen“:
8. Bildung im Erwachsenenalter sehe ich als wichtige Chance.
2. Ich bin motiviert zu lernen.
12. Ich vertraue auf meine Fähigkeit, lernen zu können.
9. Ich respektiere die Meinung anderer.
Veränderungen im persönlichen Wohlbefinden:
6. Alles in allem bin ich glücklich.
3. Ich bin in soziale Netze eingebunden (Freunde, Kollegen, usw.).
15. Ich bin mit meinem Leben zufrieden.
Veränderungen im persönlichen Gesundheitsempfinden:
23. Ich achte auf meine Gesundheit.
Veränderungen im sozialen Miteinander:
22. Ich treffe mich mit anderen Leuten.
24. Ich habe Vertrauen in meine elterlichen Fähigkeiten.
11. Ich respektiere andere Kulturen.
19. Ich ermutige auch andere zum Lernen.
Die Ergebnisse (siehe Abbildung 6) zeigen, dass 91,4 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Erwachsenenbildung nach der Kursteilnahme als eine wichtigere Aktivität für sich ansehen als davor bzw. beim „Lernen Lernen“ dazugelernt haben.
Dementsprechend sind 89,5 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Meinung, dass sie jetzt besser motiviert sind, zu lernen, und 87,8 Prozent fühlen sich als Lernende selbstbewusster als vor der Kursteilnahme;
81,7 Prozent gaben an, dass sie die Meinung anderer nun mehr respektieren. Insgesamt gaben 81,6 Prozent der Teilnehmenden an, dass sie insgesamt zufriedener sind als vor der Kursteilnahme, 79 Prozent gaben an, zufriedener mit ihrer Lebenssituation zu sein als vor der Kursteilnahme.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gaben an, dass insbesondere bei ihren persönlichen Bildungserfahrungen positive Veränderungen eingetreten sind, insbesondere in Bezug auf Lernmotivation, geistiges Wohlbefinden, soziale Vernetzung und Verständnis für andere sowie eine gesündere Lebensweise.
Abbildung 6: Eingeschätzte Veränderungen auf Item-Ebene (absteigend nach der höchsten an sich erlebten positiven Veränderung) (valid %)
Andererseits erfasst der BeLL-Fragebogen auch entsprechend die Kategorie „weniger“, d.h. eine negative Veränderung bei den einzelnen Items. Abbildung 7 macht diese Verteilung transparent. Arbeitsbezogene positive Auswirkungen sowie bürgerschaftliches und soziales Engagement bilden durchaus Bereiche, in denen aufgrund des Lernprozesses und der eingeschätzten Lernerfahrungen auch auch weniger und ggf. kritische Veränderungen an sich selbst wahrgenommen werden. Hier werden sich weitere Regressionsanalysen und Modellberechnungen anschließen müssen. Insgesamt gibt die Möglichkeit, negative Einschätzungen vorzunehmen, ebenfalls wertvolle Hinweise für die Lernforschung, was noch weiter zu analysieren sein wird. Zunächst erscheint es aber durchaus nachvollziehbar, dass bei Item 17: „Ich bin zufrieden mit meinem körperlichen Gesundheitszustand“ beim Besuch erst eines Kurses durch einen sozialen Vergleich Irritationen und Unzufriedenheiten mit der eigenen Fitness entstehen können. Dies verhält sich auch bei Item 18: „Ich kann mir in Gruppen Gehör verschaffen“ ähnlich und kann für Personen, die sich sonst in den Vordergrund stellen, sogar eine positive Veränderung bewirken. Insgesamt wird in der Lehr- und Lernforschung noch zu wenig zu diesen vermeintlich negativen Auswirkungen geforscht. Inhaltlich ist es ebenfalls nachvollziehbar, dass einen die Teilnahme an Erwachsenenbildung (zunächst?) von weiteren ehrenamtlichen Aktivitäten abhält, oder, dass man seine berufliche Position kritischer einschätzt, wenn man in die Potenziale „des Wissens von morgen“ und in die „Veränderungsnotwendigkeiten des heute“ in Berührung kommt oder der soziale Vergleich mit vorbildlichen Kursleitenden und/oder Mitlernenden unbefriedigend/negativ ausfällt.
Abbildung 7: Reihung (absteigend) niedrigere positive Veränderungen und „negative” Auswirkungen (valid %)
Abbildung 8 zeigt den Umfang der Veränderungen bezüglich des Rauch- und Trinkverhaltens. Im Vergleich zu psychischen/kognitiven Veränderungen ist ein geändertes Rauch- und Trinkverhalten „zählbar“ und von Anderen potentiell überprüf- und sichtbarer (vgl. Abbildung 8). In unserer Stichprobe raucht die Mehrheit (66,5 Prozent) nicht, und ein Drittel der Teilnehmenden trinkt überhaupt keinen Alkohol. In unserem Kurssample wurde kein Raucherentwöhnungskurs und/oder Kurs zu schädigendem Gesundheitsverhalten durchgeführt. Trotzdem gaben 8,45 Prozent der RaucherInnen an, weniger zu rauchen, und beim Trinken gaben 19 Prozent weniger Trinkverhalten an als noch vor dem Besuch der Kurse. Aber auch das Gegenteil ist der Fall: 4,1 Prozent rauchen ungünstigerweise mehr und neun Prozent trinken auch mehr. Geselligkeit nach einem Kurs spielt auch in der Erwachsenenbildung eine große Rolle; der Vergemeinschaftungsaspekt, dann auch mehr zu konsumieren, könnte eine Rolle spielen. In der Bilanz bleibt dieser Benefit-Befund positiv: So konnten doppelt so viele reduzieren wie steigern, und dies ohne intendierte Intervention, d.h. ohne „erhobenen Zeigefinger“. Die Gruppe, das Verhalten des Kursleitenden und das Kursthema haben implizit Implikationen für ein gesünderes Verhalten. Allein diese Befunde bestärken die Volkshochschulen, sich vermehrt mit dem Zusammenhang zwischen „Erwachsenenbildung und Gesundheit“ auseinanderzusetzen.
Abbildung 8: Umfang der Veränderungen bezüglich des Rauch- und Trinkverhaltens (valid %)
Gibt es Unterschiede innerhalb der Weiterbildungsteilnehmerinnen und -teilnehmer?
Weitere statistische Analysen wurden durchgeführt, um die wahrgenommenen „Benefits“ nach verschiedenen Gruppen zu untersuchen: Geschlecht, Alter, Bildungsabschluss und Muttersprache. Es wurde kein signifikanter Unterschied nach Geschlecht festgestellt. Allerdings spielen unterschiedliche Bildungsabschlüsse, Alter und Muttersprache eine varianzaufklärende Rolle für einige „Benefits“.
Je nach Bildungsstand gibt es nur bei Item „8. Bildung im Erwachsenenalter sehe ich als wichtige Chance“ einen signifikanten Unterschied.
Hier haben Personen mit Pflichtschulbildung im Vergleich zu Hochschulabsolventen ein stärker positiv verändertes Verständnis für den Wert der Erwachsenenbildung (Abbildung 9).
Abbildung 9: Veränderung „Bildung im Erwachsenenalter sehe ich als wichtige Chance“ nach Bildungsabschluss (valid %)
In Bezug auf das Alter der Teilnehmenden an Erwachsenenbildung gibt es allerdings mehr Varianz (s. Alterskategorien in Abb. 2).
Im Allgemeinen haben Teilnehmende mittleren Alters zwischen 37 und 49 Jahren eine signifikant unterschiedliche und im Allgemeinen geringere Wahrnehmung von Veränderungen im Vergleich zu Jüngeren und Älteren. Soziale Vernetzung, die Begegnung mit anderen Menschen, der Respekt vor anderen Kulturen, ihre Lernfähigkeit, die ehrenamtliche Tätigkeit in der Gesellschaft und das Interesse an der Politik sind die Themen, bei denen Teilnehmende mittleren Alters ein deutlich geringeres Ausmaß an Veränderung erfahren haben.
Aus Platzgründen wird hinter dem Item der signifikante Unterschied in der empfundenen Veränderung im Altersvergleich kurz erläutert und nur für Item Nr. 3 und Nr. 33 exemplarisch näher dargestellt (Abbildung 10):
3. Ich bin in soziale Netze eingebunden (Freunde, Kollegen, usw.); 50–64-Jährige am höchsten; 37-49-Jährige am niedrigsten.
7. Ich bin gewillt, für eine neue Arbeit umzuziehen. (15–24 am höchsten; 50-64 und 65+ am niedrigsten).
10. Ich habe Möglichkeiten, besser zu verdienen. (15–24 am höchsten; 60+ am niedrigsten).
11. Ich respektiere andere Kulturen. (15–24 am höchsten; 37–49 am niedrigsten).
12. Ich vertraue auf meine Fähigkeit, lernen zu können. (15–24 am höchsten; 60+ am niedrigsten).
13. Für mich gibt es unterschiedliche berufliche Möglichkeiten. (15–24 am höchsten; 50–64 und 65+ am niedrigsten).
16. Ich interessiere mich für Politik. (25–36 am niedrigsten; 65+ am höchsten).
21. Ich engagiere mich ehrenamtlich. (37–49 am niedrigsten; 50–64 am höchsten).
22. Ich treffe mich mit anderen Leuten. (15–24 am höchsten; 37–49 am niedrigsten).
33. Ich bin überzeugt, dass ich mit überraschenden Ereignissen gut zurechtkomme. (15–24 am höchsten; 65+ am niedrigsten).
Abbildung 10: Veränderung „Ich bin überzeugt, dass ich mit überraschenden Ereignissen gut zurechtkomme und für „Ich bin in soziale Netze eingebunden“ nach Altersgruppen (valid %)
Ältere (65+) haben zwar bei den arbeits- und einkommensbezogenen Themen erwartungskonform signifikant geringere Veränderungserfahrungen als die jüngeren Gruppen; trotzdem und gerade deshalb bleibt es ein Vorzug von Erwachsenenbildung, den Zugang zu den Kursen nicht an Altersgrenzen beschränken zu müssen (siehe: allerdings AMS). Auch wenn das Rentenalter erreicht ist, hält die Erwachsenenbildung sozusagen nicht davon ab, auch bei Älteren einen positiven Nutzen im Hinblick auf ihre berufliche und erwerbstätige Verwertbarkeitz – trotz Rentenalter – zu erzielen.
Die Analyse von Unterschieden in Bezug auf Personen, deren Herkunftssprache nicht Deutsch ist, zeigt für acht Items signifikante Unterschiede dahingehend, dass die Teilnehmenden mit einer anderen Herkunftssprache ein höheres Ausmaß an Veränderung erleben:
4. Ich engagiere mich in meiner Stadt/meinem Stadtteil/meiner Gemeinde.
7. Ich bin gewillt, für eine neue Arbeit umzuziehen.
10. Ich habe Möglichkeiten, besser zu verdienen.
11. Ich respektiere andere Kulturen.
12. Ich vertraue auf meine Fähigkeit, lernen zu können.
13. Für mich gibt es unterschiedliche berufliche Möglichkeiten.
14. Ich vertraue öffentlichen Entscheidungsträgern.
21. Ich engagiere mich ehrenamtlich.
Nur bei Item 16 „Ich interessiere mich für Politik“ ergibt sich ein umgekehrtes Bild. Hier geben die ihrer Herkunft nach deutschsprachigen Teilnehmenden höhere Veränderungen an als die nicht-deutschsprachigen.
Alle hier erfassten Unterschiede ergeben bereits zahlreiche Implikationen und Schlussfolgerungen, sich das Bildungsangebot von Volkshochschulen aus der Sicht des Nutzens für die Teilnehmenden anzuschauen. Die Ergebnisse sagen allerdings noch wenig darüber aus, warum diese Benefits zustande kommen und bilden keinesfalls verhaltensbezogenen Kausalitäten ab. Faktum ist aber, dass die Teilnehmenden für sich persönlich profitieren, und zwar zusätzlich und unabhängig vom inhaltlichen Kursthema in punkto Gesundheit, Beruf und Persönlichkeit.
Bewertung der Kursbedingungen und Kursleitenden zum Zustandekommen von „Benefits“
Die Lernsituation und die Lerninhalte selbst sind ebenfalls wichtig für das Erzielen von Lernerfolg und darüberhinausgehenden Nutzen. Hatties (2009; 2013) veröffentlichte Studie „Lernen sichtbar machen“ berücksichtigte zwar „nur“ Studien zu Lehrer-/Unterrichtseffekten in Bezug auf die Leistungserbringung; trotzdem kann man für die Erwachsenenbildung analog annehmen, dass zirka 50 Prozent Varianzaufklärung des Lernerfolgs durch die Lernenden, und maximal 30 Prozent durch die Lehrenden und deren Unterrichtsmanagement verantwortlich sind. (Lotz &Lipowsky: 2015. S. 100 f.). Für die Erwachsenenbildung gibt es keine Meta-Analyse dieser Art, so dass auch hier der BeLL-Fragebogen neue Wege für die Erwachsenenbildung eröffnet und auch die Bewertung/Einordnung von zentralen Lernelementen, die mit verantwortlich für das Zustandekommen von
„Benefits“ sind, zusätzlich erfragt. Die Möglichkeit, etwas Neues zu lernen sowie die KursleiterInnen und der Inhalt der Kurse erwiesen sich als die wichtigsten Elemente zum Zustandekommen der Benefits aus Sicht der Teilnehmenden. (Abbildung 11).
Abb. 11: Bedeutung von kursbezogenen Variablen zum Zustandekommen von Benefits (valid %)
Schlussfolgerungen
Die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Erwachsenenbildung können einen vielfältigen positiven Nutzen ihres Lernens für verschiedenste Bereiche an sich wahrnehmen. Sie geben vor allem an, dass sie ihre Lernerfahrungen verbessern und eine Veränderung zum Positiven an sich erkennen. Von den Befragten erlebten zwischen 80 und 90 Prozent positive Veränderungen in Bezug auf Lernmotivation, soziale Interaktion und den Willen, andere zum Lernen zu ermutigen.
Dabei stellen die Teilnehmenden Auswirkungen nicht nur im Hinblick auf die generelle Verbesserung des Lernens an sich fest, sondern Erwachsenenbildungsteilnahme wirkt in weitere Lebens- und Gesellschaftsbereiche (Spill-Over-Effekte) hinein.
Im Anschluss dieser Auswertungen wird der österreichische Datensatz mit dem europäischen zusammengefügt, damit modellbasierte Berechnungen und vergleichende Analysen stattfinden können. Die Zusammenhänge von Benefits, Lernerfolg und entscheidenden Teilnehmendenvariablen in der Erwachsenenbildung stehen noch ganz am Anfang, sind aber hier berücksichtigt und klarer geworden.
Dabei identifizieren die Befragten die Persönlichkeit, die Fachkenntnisse und die Lehrmethoden der Lehrenden/Kursleitenden als wichtigste mitverantwortliche Faktoren für den Nutzen, den sie aus den Kursen an Volkshochschulen ziehen. Der wahrgenommene Grad des Nutzens variiert für verschiedene Altersgruppen und ist sogar im Hinblick auf die Herkunftssprache unterschiedlich.
Ein genauerer Blick auf die Daten wird zeigen, wie bestimmte Gruppen besonders von der Erwachsenenbildung profitieren. Der Nutzen lässt sich nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für die Gesamtgesellschaft feststellen. Zusätzlich validieren und illustrieren die offenen Antworten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer die an sich wahrgenommenen Veränderungen, die sie auf die VHS-Kurse und ihre Lernerfahrungen zurückführen. Einige Beispiele:
„Meine Sprachkursteilnahmen ermöglichten mir nicht nur Vorteile auf Reisen, sie ermöglichten auch beruflich eine bessere Verständigung.“
„Ich habe Deutsch für einen besseren Alltag in Österreich gelernt.“
„Ich kann besser Italienisch und habe noch dazu sehr nette andere KursteilnehmerInnen kennengelernt.“
„Der Chorbesuch erhöhte meine persönliche Achtsamkeit und verbesserte meine Sozialkontakte.“
„Der besuchte Grafikkurs war beruflich sehr gut anwendbar.“
„Ich konnte mir persönliche Netzwerke aufbauen!“
„Ich bin selbstbewusster im Umgang mit Fremdsprachen.“
Bedeutung für Politik und Praxis
Die Volkshochschulen bieten kostengünstige und leicht zugängliche Programme an, die auch als Interventionsprogramme für verschiedene gesellschaftliche Herausforderungen wie Gesundheit, kognitives Wohlbefinden, soziale Inklusion und Integration angesehen werden könnten.
Die Erwachsenenbildung kann eine proaktive Position bei der Durchführung empirischer Forschung zur Herausbildung von Evidenz und bei der Kommunikation mit Gesundheitswesen und Ökonomie einnehmen. Ihre Zusammenarbeit mit Wissenschaft und Politik ist zu forcieren.
Aufbauend auf dieses, aus Eigenmitteln finanzierten Projekts muss es zusätzliche interdisziplinäre und Drittmittel-Forschung geben, um politische Entscheidungsträger über den Nutzen der Erwachsenenbildung in Österreich, Europa und der ganzen Welt noch mehr aufklären zu können. //
SEHR, SEHR interessant, VIELEN Dank!!!