Altersstruktur der Bevölkerung und der Teilnahmen an Volkshochschulkursen in Österreich

Bevölkerungsstruktur in Österreich

Ein Blick auf die Bevölkerungsstruktur lohnt sich wegen der für die Erwachsenenbildung zu erwarteten Veränderungen im Hinblick auf die aktuellen und zukünftigen Zielgruppen: Die Bevölkerungspyramide von Österreich weist eine für westliche Industriestaaten typische Zwiebelform auf. Sie ist geprägt von mehreren Phasen mit hohen und niederen Geburtenzahlen, die eng mit der Geschichte des Landes zusammenhängen. Am markantesten – und für die Erwachsenenbildung von großer Bedeutung – zeichnet sich in ihr der Geburtenboom der 1960er Jahre ab.

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Quelle: https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/bevoelkerung/bevoelkerungsstruktur/bevoelkerung_nach_alter_geschlecht/index.html (Zugriff: 05.02.2019)

Die Babyboomer

Als Babyboom wird typischerweise eine starke Geburtenzunahme nach Kriegen bezeichnet. In Österreich können wir drei Phasen mit starken Geburtsjahrgängen sehen, wovon wir nur die Jahre unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg (ca. 1920 bis 1924) als typischen Nachkriegs-Babyboom identifizieren können. Dieser Babyboom nach dem ersten Weltkrieg zeigt sich heute nicht mehr in der Alterspyramide. Der Zweite Babyboom des zwanzigsten Jahrhunderts stellt sich mit dem „Anschluss“ Österreichs 1938 ein und bildet sich in der Alterspyramide als die hervorstechende Altersgruppe der bald 80-Jährigen ab.

Die dritte – und für die heutige Erwachsenenbildung bedeutendste Phase eines Geburtenbooms – stellt sich nicht unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg ein. Nach einer kurzen Zunahme der Geburten unmittelbar nach dem Krieg fallen die Geburtenzahlen bis in die frühen 50er Jahre. Erst danach beginnt eine stetige Geburtenzunahme bis in die Mitte der 1960er Jahre. Die Jahrgänge von 1959 bis 1969 können als die typischen Babyboomer bezeichnet werden. In diesem Zeitraum kamen jedes Jahr über 120.000 Kinder zur Welt.

Dem gegenüber stehen vor allem zwei Phasen des Geburtenrückgangs in den 1970er Jahren und 1990er Jahren. Um einen Vergleich anzubieten für die Geburtenzahlen während des Babybooms der 1960er-Jahre: Zwischen 1999 und 2013 liegen die Geburten stets unter 80.000 pro Jahr. Die in diesem Zeitraum Geborenen und heute bis 20-Jährigen, die sich in der Schule oder Ausbildung befinden, stellen damit eine relativ kleine Altersgruppe dar. Damit treffen zwei Prozesse aufeinander: Die geburtenschwachen Jahrgängen stehen vor dem Eintritt in den Arbeitsmarkt während gleichzeitig die Babyboomer beginnen diesen zu verlassen (siehe Tabelle: Bevölkerung in fünfjährigen Altersgruppen (2018)).

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Quelle: Q: STATISTIK AUSTRIA, Lebend- und Totgeborene seit 1871. Erstellt am 17.05.2018. https://statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/bevoelkerung/geborene/025423.html (Zugriff: 05.02.2019)

Die Babyboomer als „Generation“

Dass Alter nicht nur ein einfaches statistisches Faktum darstellt, das wir zum Beispiel dazu  verwenden um unsere TeilnehmerInnen potentiellen Zielgruppen gegenüberzustellen, ist der Erwachsenenbildung zumindest implizit schon immer bewusst. Bildungsentscheidungen treffen wir im Alter von 50 Jahren unter gänzlich anderen Voraussetzungen, als wir sie am Ende unserer Pflichtschulzeit getroffen haben. Es haben sich im Laufe der Zeit nicht nur die Rahmenbedingungen (im Sinne von Gelegenheitsstrukturen) geändert unter denen wir Bildungsentscheidungen treffen, sondern das eigene Alter selbst tritt als bewusste Entscheidungsgröße mit zunehmendem Alter in den Vordergrund. „Was will und kann ich noch lernen?“ Die Erwachsenenbildung streicht insbesondere auch die Gebundenheit des Lernens selbst an die bisher gemachten Erfahrungen der Lernenden heraus. Erwachsenenlernen ist mit anderen Zielen und Erwartungen verbunden und geschieht vor dem Hintergrund eines größeren Erfahrungsschatzes. Dazu zählen die bisherigen Lernerfahrungen ebenso wie die Erfahrung, dass erworbenes Wissen oder Fertigkeiten verloren gehen oder obsolet werden.     

Spricht man von den Babyboomern als „Generation“, ist damit ein ganzes Bündel an teils widersprüchlichen Faktoren angesprochen, die diese Gruppe von der Vorgänger- und Nachfolgegeneration unterscheiden. Am einfachsten ist es dabei jene Phasen der Geschichte stichwortartig in Erinnerung zu rufen, die die Babyboomer zwar nicht als einheitliche Gruppe, aber doch in gewissen Sinne gemeinsam gestaltend und geprägt werdend durchlebt haben. Am augenfälligsten ist dabei die grundsätzliche Erfahrung der größeren Zahl von Gleichaltrigen, die diese Gruppe von den Nachgeborenen unterscheidet. Die Babyboomer sind auch jene Generation, die von der Bildungsreform von 1963 und der damit einhergehenden allgemeinen Bildungsexpansion betroffen war. Sie zeichnen sich durch ein wesentlich höheres Bildungsniveau aus, als ihre Vorgänger. Sie wuchsen in Haushalten auf, die durch den Einzug von Waschmaschine und Fernseher modernisiert wurden, was mit dem allgemeinen Wirtschaftsaufschwung ein neues Freizeitverhalten ermöglichte und neue Bedürfnisstrukturen hervorriefen.

Den Babyboomern wurden auch die Grenzen und Risiken des Wirtschafts- und Lebensmodells der Nachkriegszeit bewusst: Sie können als Träger der neuen sozialen Bewegungen (Umwelt-, Friedensbewegung) in den 1980er Jahren bezeichnet werden. Dass diese Phase auch durch einen Strukturwandel in der Wirtschaft und einer fortschreitenden Vervielfältigung von Lebens- und Interessenslagen geprägt ist, zeigt die Schwierigkeit, die Babyboomer als „Generation“ anzusprechen. Anna Wanka stellt die Babyboomer als jene Generation vor, die den „Wertewandel“ weitergeführt hat, der mit 1968 eingesetzt hat. Im Beruflichen treten für sie immaterielle Bedürfnisse in den Vordergrund: „Ihnen ist Autonomie am Arbeitsplatz wichtiger, sie wünschen sich Entscheidungsfreiheit bei ihren Arbeitsaufgaben, wollen eigene Ideen in die Arbeit einbringen und ihr Wissen weitergeben.“ (Wanka 2019, S. 10) Ein Befund, der sich vermutlich auch auf die Bildungsbedürfnisse und Bildungsmotivationen umlegen lässt.

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Quelle: Q: STATISTIK AUSTRIA, Statistik des Bevölkerungsstandes. Erstellt am 17.05.2018. http://statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/bevoelkerung/bevoelkerungsstruktur/bevoelkerung_nach_alter_geschlecht/index.html (Zugriff: 05.02.2019), eigene Berechnung

Altersstruktur der Teilnahmen an Volkshochschulkursen im Vergleich

Die Teilnahmen an österreichischen Volkshochschulkursen werden jedes Jahr im Rahmen der Volkshochschulstatistik auch nach Altersgruppen erhoben und veröffentlicht*. Hier zeigt sich im Zeitraum der letzten 15 Jahre eine markante Entwicklung: 2003 können wir die Altersgruppen von 30 bis 49-Jährigen als klassische Kern-Zielgruppe der Volkshochschule identifizieren. 40 Jahre nach 1963, dem geburtenstärksten Jahr in der zweiten Republik, können wir diese Kern-Zielgruppe auch als die Babyboomer identifizieren. Ihr Anteil an den gesamten Kursteilnahmen beträgt 43 Prozent. In den folgenden Jahren stellt sich eine zunehmende Homogenisierung des Volkshochschulpublikums ein. Teilnahmenzuwächse erleben wir sowohl bei den Altersgruppen bis 29 Jahre, als auch bei den oberen Altersgruppen ab 50 Jahre, während bei den 30 bis 49-Jährigen ein Teilnahmenrückgang zu beobachten ist. Die größte Altersgruppe stellen zwar, nach einer Unterbrechung, wie 2003 die 30 bis 39-Jährigen, sie kommt aber nur mehr auf einen Teilnahmenanteil von 16 Prozent.

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Quelle: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Knowledgebase Erwachsenenbildung. Eigene Berechnung.

Stellt man sich die Frage, wie erfolgreich die Volkshochschulen Zielgruppen erreicht, bietet es sich an die Teilnahmen mit den jeweiligen Bevölkerungsgruppen im Zeitverlauf gegenüberzustellen. Dazu wurden die Teilnahmen in ein Verhältnis zur jeweiligen Altersgruppe in der Bevölkerung gesetzt (und mit 100 multipliziert um, der leichteren Lesbarkeit, einen Prozentwert anzubieten). Dabei zeigt sich, dass es vor allem in den mittleren Altersgruppen der zwischen 30 und 49-Jährigen bedeutend weniger Teilnahmen/EinwohnerInnen erreicht werden konnten.  Ähnlich stellt sich die Situation bei der Altersgruppe der 50 bis 59-Jährigen dar. Zwar konnten hier insgesamt mehr Teilnahmen verzeichnet werden, diese Steigerung steht aber einem überproportionalen „Wachstum“ dieser Altersgruppe in diesem Zeitraum gegenüber.

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Quelle: Verband Österreichischer Volkshochschulen; Statistik Austria, Bevölkerung zu Jahresbeginn 2002-2020, Statistik des Bevölkerungsstandes. Erstellt am 06.07.2020 (Zugriff: 10.11.2020).

Die Entwicklung der Altersgruppen

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Quelle: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Knowledgebase Erwachsenenbildung. Eigene Berechnung.

Die Grafik zeigt, dass es insbesondere in den letzten beiden Erhebungsperioden zu Verschiebungen gekommen ist, bei denen noch abzuwarten ist, in wie weit sich daraus längerfristige Trends fortschreiben lassen. So hat beispielsweise durch das Angebot der Gratislernhilfe in Wien ein junges Publikum Kontakt zur Volkshochschule gefunden. Das lässt sich insbesondere am Teilnahmensprung der Altersgruppe unter 15 Jahre ablesen. Dagegen ist bei der Gruppe 15 bis 19 Jahre bereits seit längerem ein Aufwärtstrend zu sehen. Ob dieser Generation damit ein Einstieg in das Lernen auch im Erwachsenalter an der Volkshochschule geebnet ist, wird sich zeigen. Die Teilnahmen aus der Gruppe der 30 bis 39-Jährigen gehen bis 2012 zurück um sich von da an auf einem Niveau einzupendeln. Umgekehrt war die Entwicklung der Gruppe 40 bis 49 Jahre. Hier zeigt sich ein stetiger Teilnahmenrückgang in den letzten fünf Jahren. Die Gruppe der 50 bis 59-Jährigen verzeichnet in den letzten zehn Jahren einen leichten, relativ stetigen Zuwachs (der aber mit dem Wachstum der Bevölkerungsgruppe nicht mithält!). Vermutlich wird sich in dieser Altersgruppe ein Teilnahmenrückgang einstellen, wenn davon auszugehen ist, dass die in diese Altersgruppe vorrückende Personengruppe bereits diesen Rückgang vorweggenommen hat. Ähnlich ist die Entwicklung der Teilnahmen der 60 bis 69-Jährigen in den letzten zehn Jahren. Mit einer stark positiven Teilnahmenentwicklung fällt hingegen die Gruppe der über 70-Jährigen auf. Ihre Teilnahmen haben sich in den letzten zehn Jahren kontinuierlich nach oben entwickelt, in einem deutlich stärkeren Ausmaß, als es ihre Größe in der Bevölkerung erwarten lässt.

Als Fazit lässt sich sagen, dass der hohe stabile Teilnahmenstand der Volkshochschulen in den letzten beiden Jahrzehnten nicht den – hinsichtlich der Alterszugehörigkeit – „erwachsenenbildungstypischen“ Zielgruppen zuzuschreiben ist und eine zunehmende „Verflachung“ des Altersprofils der TeilnehmerInnen beobachtet werden kann. Damit einher geht eine Diversifizierung des Angebotes und vermutlich längerfristig wohl eine geänderte Wahrnehmung der Volkshochschulen in der Öffentlichkeit. Diesem Befund für die Volkshochschulen in Österreich als Ganzes muss aber einschränkend entgegengehalten werden, dass sich die einzelnen Volkshochschulstandorte hinsichtlich ihres jeweiligen Altersprofils deutlich unterscheiden. Volkshochschulen mit einem „durchschnittlichen“ Altersprofil bilden eher die Ausnahme als die Regel. 

*Anmerkung Teilnahmen:

Die hier angegebenen Teilnahmezahlen beruhen auf einer Schätzung, die sich an den erhobenen Altersgruppendaten orientiert. Seit der Volkshochschulstatistik 2006 wird den Volkshochschulen und Verbänden die Möglichkeit angeboten in diesem Erhebungsbereich „keine Angaben“ anzugeben. In den letzten Jahren lag der Anteil der Teilnahmen für die keine Zuordnung vorliegt bei ungefähr acht Prozent. Eine Differenz zu den veröffentlichten Daten im jährlichen Statistikbericht des VÖV ergibt sich daraus, dass dort nur die in der Erhebung tatsächlich zugeordneten Altersgruppendaten angeführt werden. Die Gesamtzahl der Teilnahmen lag zuletzt bei ungefähr 500.000. Mit der letzten abgeschlossenen Erhebung 2020 waren Pandemiebedingt erhebliche Schwierigkeiten verbunden. Daher bleibt hier eine Aufstellung der Daten bis 2019 beschränkt. //

Literatur

Wanka, Anna (2019): Die Babyboomer werden älter – Zeitdiagnose einer außergewöhnlichen Generation, in: Oberösterreichische Zukunftsakademie (Hrsg.): Die Babyboomer werden älter. Zukunftsperspektiven einer starken Generation. Internet: https://www.ooe-zukunftsakademie.at/Trendreport_Babyboomer.pdf (5.6.2019)

Zwiehlehner, Peter (2020): Altersstruktur der Bevölkerung und der Teilnahmen an Volkshochschulkursen in Österreich. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Herbst/Winter 2020, Heft 271/71. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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