Otto Koenig (1881–1955): Ein Leben zwischen Arbeiter-Zeitung und Volksbildung.

Mit dem Namen Otto Koenig verbinden die meisten Menschen wahrscheinlich die Erinnerung an den 1992 verstorbenen Verhaltensforscher und ehemaligen Leiter der Biologischen Station Wilhelminenberg in Wien. Dessen gleichnamiger Vater Otto Koenig (1881–1955), Redakteur der „Arbeiter-Zeitung“ und Volksbildner, ist hingegen nur einschlägig Interessierten noch ein Begriff. Umso verdienstvoller ist es, dass ihn nun Ina Markova mit einer beeindruckenden Biografie der Vergessenheit entrissen hat.2

Otto Koenig verbrachte die Kindheitsjahre in Stockerau, wo der aus Deutschland stammende Vater als Beamter der Nordwestbahn stationiert war. 1900 übersiedelte die Familie nach Klosterneuburg, das in der Folge bis zu Koenigs Tod der Lebensmittelpunkt bleiben sollte. Die Herkunft aus einer protestantischen Familie prägte ihn nachhaltig: Koenig war zeitlebens gläubig und in strikter Distanz zum (politischen) Katholizismus. Von diesem Milieu beeinflusst, fand er in jungen Jahren den Weg zu einer deutschnationalen Studentenverbindung, deren Antisemitismus ihn nicht gestört zu haben schien. Er studierte Germanistik, belegte auch Lehrveranstaltungen in Archäologie, klassischer Philologie, Epigrafik, Pädagogik und unterrichtete danach für kurze Zeit als Gymnasiallehrer.

Das leidenschaftliche Bestreben, seine vielseitige Bildung weiterzugeben, wurde zur Berufung und 1905 erregte sein Vortrag im Arbeiterbildungsverein Gumpendorf über „Friedrich Schiller als revolutionärer Dichter“ die Aufmerksamkeit von Victor Adler und Friedrich Austerlitz. Der für Reden und Schreiben gleichermaßen talentierte Koenig wurde 1908 für die Mitarbeit in der „Arbeiter-Zeitung“ gewonnen, wo er mit Engelbert Pernerstorfer, seinem Vorgesetzten in der Kulturredaktion, die Vorliebe für die deutsche Klassik teilte. Fast fünf Jahrzehnte hindurch – unterbrochen durch die Jahre von Austrofaschismus und Nationalsozialismus – schrieb er Hunderte Beiträge: Theater- und Literaturkritiken, Glossen, Berichte über Volksbildung, Radiokritik, Rezensionen über Kinder- und Jugendbücher. Ebenso widmete er sich als Vater einem eher seltenen Genre und ließ die Leserschaft regelmäßig an der Beobachtung des Spielzeugmarktes teilhaben; der Eisenbahnersohn blieb übrigens auch als Erwachsener ein Modellbahnbastler und hatte in der Wohnung eine große Anlage aufgebaut.

Kurz vor und nach dem Ersten Weltkrieg – den Militärdienst leistete er in Graz und am Balkan – war Koenig in der sozialdemokratischen Dresdner Volkszeitung tätig und kehrte 1919 nach Österreich zurück, wo eine Fülle von Aufgaben auf ihn wartete. Dem von Josef Luitpold Stern geleiteten Reichsbildungsamt der republikanischen Volkswehr diente er als Vortragender und Verfasser von Lehrinstruktionen. Diesem Engagement wurde nach dem Zerfall der Koalitionsregierung und der vom christlichsozialen Carl Vaugoin vorangetriebenen „Umpolitisierung“ des Heeres ein baldiges Ende gesetzt. Danach nahm er das Engagement in der sozialdemokratischen Zentralstelle für das Bildungswesen auf; die junge Republik und das „Rote Wien“ verschafften der Arbeiter*innenbildung großen Aufschwung. Koenig war in der Pädagogischen Kommission der Bildungszentrale aktiv, betätigte sich als Autor der Zeitschrift „Bildungsarbeit“, in der Ausbildung der Arbeiterbibliothekare und als Rhetoriklehrer in der Parteischule. Mit sozialistischer Theorie setzte sich Koenig kaum auseinander. Er begnügte sich mit der Einbettung seiner Praxis in einen auf scheinbar naturwissenschaftlicher Gesetzmäßigkeit basierenden Fortschrittsglauben. Ob die Aneignung klassischer Bildung dem Emanzipationskampf der Arbeiterklasse dienlich war oder an deren Interessen vorbeiging, blieb hingegen als Frage offen und wurde bereits von Zeitgenoss*innen kontrovers diskutiert. Otto Koenig stand dabei in einer Traditionslinie, die von den aus bürgerlich-liberalen Verhältnissen stammenden und von humanistischen Bildungsidealen erfüllten Pionier*innen der Arbeiter*innenbewegung vorgegeben wurde. Dennoch bleibt eine gewisse Breitenwirkung dieses Konzepts bis heute beeindruckend und verdankt sich zweifelsohne auch dem Charisma von Menschen wie Otto Koenig.

In der Redaktion der „Arbeiter-Zeitung“ übernahm nach dem Tod Pernerstorfers David Josef Bach die Leitung der Feuilletonredaktion und wurde, was die Heranführung der Arbeiter*innen an die Hochkultur betrifft, für Koenig zu einem kongenialen Partner. Chefredakteur Austerlitz, dessen cholerische Ausbrüche gefürchtet waren, stand dem Feuilleton ambivalent gegenüber und war in einem ständigen Spannungsverhältnis zu Koenig, dem er vorwarf, am Zielpublikum vorbei zu hochgestochen zu schreiben. Tatsächlich gab es diesbezüglich auch aus der Hörerschaft von Koenigs Kursen immer wieder Beschwerden: Bei aller Verehrung für seine Persönlichkeit, sein Ethos und die lautere Gesinnung fühlten sich einige Schüler*innen von ihrem Lehrer und dessen Frontalunterricht überfordert.

War die Arbeiter*innenbildung organisatorisch und inhaltlich eng mit der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei verbunden, so klammerte die „neutrale“ Volksbildung die Tagespolitik aus. Hier war Koenig in seinem Element und vor allem die Volkshochschule „Volksheim“ Ottakring bot ihm eine Wirkungsstätte innerhalb der literarischen Fachgruppe. Aufgabe einer wissenschaftsbasierten Volksbildung war für ihn die Schaffung kritisch denkender und logisch orientierter Menschen. Während der Zwischenkriegszeit sah sich die Volksbildung mit Kritik der aus der Weimarer Republik kommenden „Neuen Richtung“ konfrontiert. Der aufklärerische Anspruch, Massenveranstaltungen und Quantität wurden in Frage und individualisierende Konzepte in den Vordergrund gestellt, gleichzeitig aber Volksbildung als „Volkbildung“ verstanden, was in späterer Folge einige Exponent*innen für völkische Ideologien anfälliger machte: Ina Markova gelingt eine inhaltlich äußerst instruktive Darstellung dieser Diskussionen. Obwohl oder gerade weil zu Koenigs Lehrinhalten auch Runenkunde, „Gotische Übungen“ und „Altnordische Übungen“ zählten, grenzte er sich gegen „Nationale Irrlichterei“ (so der Titel seines Manuskriptes) besonders deutlich ab.

1934 verlor Koenig schlagartig alle Arbeiten und bezog in den nächsten elf Jahren kein Einkommen. Während der Ära von Austrofaschismus und Nationalsozialismus blieb er standhaft. In Klosterneuburg zurückgezogen und in „innerer Emigration“ lebend, war er Anlaufstelle und Gesprächspartner für Gesinnungsgenoss*innen.

Nach der Befreiung 1945 versuchte er dort weiterzumachen, wo er 1934 aufgehört hatte. Da in Koenigs Fortschrittsideologie seinerzeit die mörderische Barbarei als Möglichkeit nicht vorgesehen war, fiel es ihm jetzt ebenso schwer, als ein von der historischen Entwicklung „Überrumpelter“ den Nationalsozialismus und seine Konsequenzen umfassend zu verstehen – der Zivilisationsbruch wirkte wahrscheinlich auch auf relativ „unversehrt“ Gebliebene zu traumatisch. Als früherer Deutschnationaler distanzierte er sich nun – durchaus im damaligen österreichischen Mainstream stehend – von „Deutschem“. Bei der Frage der Entnazifizierung, in die er eingebunden war, folgte Koenig allerdings nicht mehrheitlichen Gefühlen der Bevölkerung: Hier vertrat er eine konsequente Linie und plädierte auch noch nach der Minderbelastetenamnestie dafür, „Ehemalige“ nicht in den Verband demokratischer Schriftsteller*innen und Journalist*innen Österreichs aufzunehmen.

Stets von eher bescheidenen Einkünften lebend, war er in fortgeschrittenem Alter noch zur Lohnarbeit gezwungen und trat wieder in die Redaktion der „Arbeiter-Zeitung“ als Ressortleiter für Kunst und Kultur ein. Von Chefredakteur Oscar Pollak als Vertreter einer Generation hochgeschätzt, die bereits unter Victor Adler zur Arbeiter*innenbewegung gestoßen war, musste er sich dennoch abermals die Kritik anhören, „zu hoch“ zu schreiben. Mehrmals wurde er von Pollak ermahnt, an die Leserschaft der Zeitung zu denken. Umgekehrt ließ der streitbare Koenig Pollak nicht ungeschoren und nannte ihn einen „Banausen“.

Unmittelbar nach der Befreiung hielt Koenig in der Volkshochschule „Volksheim“ Ottakring wieder gut besuchte Literaturkurse und einen Lateinkurs ab und übernahm dort die Funktion eines Vizeobmanns. Er polemisierte gegen das Vordringen pseudowissenschaftlicher und esoterischer Inhalte in der Volksbildung ebenso wie gegen die Lektüre von Karl May und sprach sich klar gegen die Berufsbildung durch Volkshochschulen aus. In neuen Konzepten einer „Erziehung zur Demokratie“ sah er die hehren Prinzipien der „neutralen“ Volksbildung verletzt. In vielem wirkte er jetzt aus der Zeit gefallen, wenn er die alten Ideale einforderte. Es war kein Zufall, dass ihn nun eine starke freundschaftliche Achse mit dem aus dem amerikanischen Exil zurückgekehrten Josef Luitpold Stern verband. Auch Stern, der als Leiter eines gewerkschaftlichen Bildungsheims ins Mühlviertel abgeschoben wurde, war die österreichische Realität nach 1945 fremd geworden und die beiden Männer tauschten sich öfters über ihre Enttäuschungen – nicht zuletzt über die Nachkriegsentwicklung der Sozialdemokratie – aus. Bei zwei 1948 abgehaltenen Fortbildungswochen der Wiener Städtischen Büchereien in Sterns Bildungshaus Schloss Weinberg unterstützte Koenig seinen Freund mit der Übernahme einiger Programmteile.

Es fällt auf, dass Koenig nach 1945 mit etlichen nicht zurückgekehrten Vertriebenen, mit denen er die Trauer über das Verlorene aus der Welt vor 1934 teilen konnte, in vertrauter brieflicher Verbindung war und auf der anderen Seite parteiübergreifende Freundschaften mit einigen Konservativen – darunter der frühere RAVAG-Direktor und Funktionär der Vaterländischen Front Rudolf Henz – schloss. Während der letzten Lebensjahre wurden ihm noch Ehrungen zuteil. Aber auch die Enttäuschungen wären ohne seine große und tiefe Verbundenheit mit der Volksbildung nicht zu verstehen. Koenig selbst fasste das in die Worte: „Kann man denn unpersönlich sein, wenn man was lieb hat, wenn einem die Sache am Herzen liegt und man sich um sie sorgt und für sie hofft?“ (S. 202) In der Volkshochschule Ottakring erinnern eine Gedenktafel und in der Thaliastraße eine Wohnanlage an Otto Koenig. //

1   Leicht geänderter Nachdruck aus: zeitgeschichte, 51 (1), 161–164. Mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Herausgeber*innen. 

2   Ina Markova ist für diese Arbeit zu danken, die auf der gründlichen Auswertung aller verfügbaren Quellen – darunter auch das Privatarchiv der Familie Koenig – basiert. Sie gibt nicht nur – lebendig geschrieben – Einblick in eine beeindruckende, konfliktträchtige und leidenschaftliche Persönlichkeit, sondern vermittelt ebenso exemplarisch Geschichte und Stellenwert von Arbeiter*innen- und Volksbildung.

Gruber, Heimo (2024): Otto Koenig (1881–1955): Ein Leben zwischen Arbeiter-Zeitung und Volksbildung. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Herbst 2024, Heft 283/75. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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