Die Kärntner Volkshochschulen – Lobbying für den sozialen Zusammenhalt.

Die Volkshochschulen, und für diesen Artikel exemplarisch die Kärntner Volkshochschulen, sind in diesem neoliberalen Entsolidarisierungsprozess das wichtigste Gegenstück, beinahe schon der Antagonist. Auf verschiedenen Ebenen gilt es sich zu positionieren, zu bestehen sowie eine alternative Leseart zu Bildung und Bildungspolitik anzubieten und im Idealfall sogar zu etablieren. Allerdings muss diese Entwicklung, um dem Anspruch der Nachhaltigkeit zu entsprechen, auf allen gesellschaftlichen Ebenen gleichermaßen erfolgen.

Leistungsgebot von oben

Auf der ideellen Makro-Ebene besteht die Herausforderung darin, Bildung im Sinne der Aufklärung als Instrument der Befreiung neu zu fassen. Bildung ist weit mehr als die ökonomische Adaption des Individuums an das System zur Effizienz- und Effektivitätssteigerung. Neoliberale Strömungen vermitteln den Menschen stets das Gefühl, unzulänglich zu sein, wie folgende gängige Aussagen, die sich nahtlos in den Kreislauf der Manifestierung des Mängel- respektive Degradierungswesens einfügen: „Ohne Studium kann man diese Tätigkeit nicht ausführen“, nach dem Studium hört man „Naja frisch von der Uni kann man das nicht wissen, da braucht man Erfahrung“. Nach zahlreichen Weiterbildungen und jahrelanger Erfahrung drückt sich die Abwertung des Arbeitskräftepotenzials schlagartig anders aus: „Klar die alte Generation ist so festgefahren in ihren Strukturen, denen fehlt der Innovationsgedanke“.

Die arbeitende Bevölkerung befindet sich also nie im Zustand ökonomisch einwandfreier Adaption, entspricht niemals dem vom Neoliberalismus geforderten Standard und erfährt eine permanente, individualisierte Abwertung. Bildung gilt in dieser Rahmensetzung als zwingend zu erbringende Leistung – alles andere entspräche mangelnder Bereitschaft, ein wertvolles Mitglied der ökonomischen Leistungsgesellschaft zu sein.

Doch Bildung darf Freude machen

Dass die Volkshochschulen hier einen essentiellen Gegenpol zur sich ständig neuerfindenden beruflichen Weiterbildung darstellen, lässt sich anhand der Fachbereiche erkennen, die in allen Volkshochschulen seit Anbeginn ident sind. Bei ständiger Erweiterung, Ausdifferenzierung, Anpassung und Professionalisierung des Angebotes, vertreten die Volkshochschulen im Gegensatz zu anderen Einrichtungen, Institutionen und Schulen einen Bildungsbegriff, der humanistisch geprägt, über die rein ökonomische Verwertbarkeit und Verwertungslogik hinausgeht.

Selbstverständlich müssen die Kärntner Volkshochschulen sich dabei auch noch auf dem freien Markt behaupten und wirtschaftlich agieren. Dennoch unterstehen sämtliche Unternehmungen stets dem Grundsatz, Bildungsangebote zur Förderung sozialer Gerechtigkeit allen Menschen mittels sozialverträglicher Preisgestaltung zugänglich zu machen. Diesbezüglich findet sich im Leitbild der Kärntner Volkshochschulen folgendes Bekenntnis wieder: „Wir stehen für Offenheit, Vielfalt, Toleranz, Freiwilligkeit, soziale Verantwortung und einen emanzipatorischen Bildungsansatz.“ (https://www.vhsktn.at/volkshochschulen/detail/C13/leitbild, Stand: Mai 2018)

Der emanzipatorische Bildungsansatz lässt sich dabei bis zu Immanuel Kant zurückverfolgen, der bereits 1784 in seiner „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ festhielt:

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus einer selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursachen derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen.“ (Zitiert nach Oelschlägel: 2013, 240)

Kants Emanzipationsbegriff lässt sich in den frühen ArbeiterInnenbildungsprogrammen und in den Leitbildern verschiedener Volkshochschulen widerfinden:

„Grundgedanke gewerkschaftlicher Bildungsarbeit ist, dass sie Menschen, die in abhängigen Beschäftigungsverhältnissen stehen, dazu befähigen will, die Interessen ihrer Klasse (kollektive Emanzipation) und ihre eigenen Interessen (individuelle Emanzipation) vor allem im Betrieb, aber auch in der Gesellschaft zum Nutzen der abhängigen Beschäftigten zu vertreten.“ (Derichs-Kunstmann: 2011, 510)

Dass die Volkshochschulen nicht immer davor gefeit sind, selbst der Cashcow hinterherzujagen, liegt vermutlich in der Natur der Sache, da neoliberale Überlegungen sich bereits im Alltag latent manifestieren konnten. Das Ausmaß dieses Einflusses auf die Gesellschaft lässt sich anhand der zahlreichen ökonomischen Termini in diesem Artikel ausmachen, die unreflektiert verwendet und verstanden werden. An dieser Stelle muss festgehalten werden, dass die Kärntner Volkshochschulen, ebenso wie die anderen Volkshochschulen, nicht den Luxus genießen, sich zur Gänze von jeglicher Wirtschaftlichkeit verabschieden zu können. Jedoch ist es essentiell, diesen neoliberalistischen Einfluss mittels Reflexion sichtbar zu machen und den Menschen wieder in den Mittelpunkt der Aufgaben zu stellen, nicht das System – ganz nach dem Motto: „Geht’s den Menschen gut, geht’s der Wirtschaft gut.“

Ein Verbindungsmanager auf EU-, Bundes- und Landesebene

Auf der Meso-Ebene fungieren die Kärntner Volkshochschulen als Verbindungsstück zwischen EU-, Bundes- und Landespolitik. Die Bildungsvorgaben der unterschiedlichen Politikinstanzen werden im Erwachsenenbildungsbereich für die lokalen Bedingungen vor Ort adaptiert zur Umsetzung gebracht. Bedürfnisse sowie Bedarfe der lokalen Zielgruppe sind dabei besonders zu berücksichtigen, um Bildung situations- und teilnehmerInnenadäquat zu gestalten. Dadurch können mehr Menschen Bildungsangebote wie Basisbildung oder auch Lehrgänge zum Nachholen des Pflichtschulabschlusses in Anspruch nehmen. Politische Bildung, nicht parteipolitische Bildung, ist dabei ein fixer Bestandteil jeder pädagogischen Arbeit. Schließlich wurde der Begriff „kritisches Denken“ in den vergangenen Jahren viel zu oft als Legitimation für Verschwörungstheorien und Schwarz-Weiß-Malerei von Seiten der Politik und der Gesellschaft missbraucht. So heften sich beispielsweise sämtliche Pegida-Bewegungen die Kunst des kritischen Denkens auf die Fahnen und rechtfertigen damit ihre demokratiefeindlichen Überzeugungen.

Solidarität in Europa beginnt in den Kursräumen der Basisbildung

Gerade Bildungsangebote, die durch öffentliche Mittel gefördert und so oftmals kostenlos angeboten werden können, ermöglichen die Erschließung bildungsbenachteiligter Personen, denen die Erwachsenenbildung zu elitär oder zu teuer geworden ist. Trotz anfänglicher Vorurteile und Ressentiments gegenüber anderen TeilnehmerInnen aus marginalisierten Zielgruppen steht für die TeilnehmerInnen mit unterschiedlichen Biografien und Sozialisationen ein gemeinsames Bildungsmotiv im Vordergrund. Solche Angebote wirken zum einen Ressentiments, Verschwörungstheorien, Grenzen, Hierarchisierungen oder Individualisierungsprozessen entgegen, da diese im Rahmen des andragogischen Angebotes thematisiert und hinterfragt werden können, und steigern zum anderen den sozialen Zusammenhalt marginalisierter Personengruppen, da sie einer Entsolidarisierung entgegenwirken.

Als Vermittler obliegt es hier auch den Kärntner Volkshochschulen, diesen vermehrten Bedarf öffentlichen Stellen zu kommunizieren: selbstständig auf Landes-, mit dem VÖV auf Bundes- und mit EAEA und anderen Erwachsenenbildnern in Europa auf EU-Ebene.

Das Einende über das Trennende

Ruft man sich die vergangenen Wahlschlachten in Erinnerung, so entstand beinahe der Eindruck, dass sich zwischen den dichotomen Wahrnehmungen nicht mehr viel Platz findet. Ultimative Wahrheitsansprüche auf der einen wie auf der anderen Seite ließen kaum Raum für Graustufen – und für Farben sowieso nicht.

Wie weit derartige Polarisierungen gehen können, lässt sich anhand der Abtreibungsdebatte 1989 in Boston nachvollziehen. Die Front zwischen BefürworterInnen und GegnerInnen galt schlussendlich als so verhärtet, dass es zu Übergriffen und auch vereinzelt zu Anschlägen auf Abtreibungskliniken kam. Daraufhin gründete Familientherapeutin Laura Chasin das „Public Conversations Project“, dessen Ziel es war, die verloren geglaubte Gesprächsbasis zwischen den gegensätzlichen Parteien wiederaufzubauen. Kurz zusammengefasst war die Methode darauf ausgerichtet, die gegnerischen Parteien mit der Auflage, über alles zu reden was außerhalb des Themas Abtreibung liegt, zu einem gemeinsamen Event zu laden. Diese Vorgabe garantierte die Sicherstellung, dass die TeilnehmerInnen, die dadurch nicht wussten, wer welche Einstellung vertritt, sich über andere Themen unterhielten und so Gemeinsamkeiten feststellen konnten. Nach und nach erfolgte die Lockerung der Auflagen; doch trotz gegensätzlicher Positionen vermochte die ursprüngliche Aggressivität nicht mehr aufzukeimen, denn die TeilnehmerInnen hatten nun einen persönlichen Bezug zueinander, kannten die unterschiedlichen Hintergründe, Geschichten und Lebensläufe. Ziel des Projektes, das in zahlreichen Neuauflagen zu unterschiedlichen Themen wiederholt wurde, war es nicht, die TeilnehmerInnen zu überzeugen, sondern eine solidarische Basis untereinander zu schaffen, die Gespräche wieder zuließ. Wer sich mehr mit dem Public Conversations Project auseinandersetzen möchte, kann hier weiterlesen: https://participedia.net/en/organizations/public-conversations-project

Die VHS im Zeichen der Demokratie

Auch wenn die Angebote der Kärntner Volkshochschulen nicht einen therapeutisch-professionellen Rahmen wie das Public Conversations Project bieten können, so schaffen sie doch eben diesen neutralen Boden, der maßgeblich dazu beiträgt, unterschiedliche Ideologien und Meinungen zusammenzubringen. So findet sich in einem Nähkurs für AnfängerInnen beispielsweise die Chefin eines mittelständischen Kärntner Unternehmens und der Raumpfleger der benachbarten Firma. Im Spanisch-Kurs sitzen sich zahlreiche politisch unterschiedlich sozialisierte Personen gegenüber und beginnen, nach der ersten Phase des Kennenlernens, zu politisieren – jedoch auf einer respekt- und verständnisvollen Ebene. Gleiches lässt sich auch aus den Pflichtschulabschluss-Lehrgängen berichten, wo das Bildungsmotiv der TeilnehmerInnen vordergründig ist, und nicht die ethnische oder religiöse Zugehörigkeit.

Mit diesem organisierten Raum zum gegenseitigen Kennenlernen einer jeden Volkshochschule können keine Sprachlern-App, keine E-Learning-Plattform und auch keine rein berufsbildende Einrichtung jemals mithalten. Gleichzeitig sind diese Räume heutzutage Mangelware und gehören geschützt und gefördert, um soziales Miteinander zu stärken.

Dieser neutrale Boden der Kärntner Volkshochschulen mit über 50 Kursorten in ganz Kärnten ist der Nährboden von Solidarität und sozialem Zusammenhalt. Die Arbeit der Volkshochschulen lässt sich somit nicht ausschließlich anhand wirtschaftlicher Faktoren oder Businessplänen messen und manche mögen diese Herangehensweise vielleicht auch als naiv bezeichnen, doch auf jeden Fall ist sie essentiell für eine solidarische Gesellschaft, die heute immer mehr droht auseinanderzudriften. //

Quellen

Schui, Herbert & Blankenburg, Stephanie (2002): Neoliberalismus. Theorie, Gegner, Praxis. Hamburg: VSA Verlag.

Oelschlägel, Dieter (2013): Emanzipation. In: Dieter Kreft, Ingrid Mielenz, Wörterbuch Soziale Arbeit. Aufgaben, Praxisfelder, Begriffe und Methoden der Sozialarbeit und Sozialpädagogik (S. 239–241, 7. Auflage, Weinheim/Basel: Beltz Juventa.

Derichs-Kunstmann Karin (2011): Gewerkschaftliche Bildungsarbeit. In: Rudolf Tippelt, Aiga von Hippel (Hrsg.), Handbuch Erwachsenenbildung/Weiterbildung (S. 507–513), 5. Auflage, Wiesbaden: VS Verlag.

Hell, Benjamin/Waldner, Tonia (2018): Die Kärntner Volkshochschulen – Lobbying für den sozialen Zusammenhalt. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Frühjahr/Sommer 2018, Heft 264/69. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

Kommentare

Neuen Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

Zurück nach oben