Eine Liebesgeschichte vom Radio und der Bildung
Rede zum Radiopreis der Erwachsenenbildung, gehalten am 20. Jänner 2016

Praeauer3

Teresa Präauer
Foto: ORF/Pichlkostner

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Auszuzeichnende und Preiswürdige, liebe Jurymitglieder!

Um nachvollziehen zu können, wie die Bildung zum Radio kam oder das Radio zur Bildung, müssen wir in der Geschichte etwas zurückgehen. Lassen Sie mich, da wir doch etwa zehn Minuten Zeit für diese akustische Unternehmung einer Rede haben, weiter ausholen, und seien Sie versichert: Ich bin eine gebildete Autorin, ein Poeta doctus, vertrauen Sie also meinem Wissen und meiner Recherche!

Denn: ich liebe Radiohören.

Und auch die Geschichte der Erwachsenenbildung im Radio ist so etwas wie eine Liebesgeschichte.

Und jetzt schließen Sie die Augen, um besser hören zu können, und stellen Sie sich Folgendes ganz genau vor: Bevor es das Radio gegeben hat, das war also vor dem Jahre 1920, da haben sich ein schneidiges Velo, vielleicht ein »Excelsior Kavalierrad« aus den 1910er-Jahren, und ein fescher, doch recht ich-bezogener Italiener ineinander verliebt. – Nach dem ersten schmeichelnden Werben um das Rad hat der Italiener aber bald wieder nur noch sich selbst im Kopf gehabt. Sobald er das Rad besessen hat, seinen ledernen Sattel, seine »ziselierten Lenkstangen, seine vernickelten Blümchen und Ornamente auf dem Rahmen«, kurz: sobald er es besessen hat, hieß es aus dem Munde des Italieners nur noch: Ich, ich, ich. Io, io, io. Das war dem Rad für eine dauerhafte Beziehung freilich zu wenig, aber da ist es schon zu spät gewesen, denn das Rad und der Io haben, nach einem innigen Ritt, das Radio geboren. 1920 war das, tri-hul-je, holla-ra-dio!

Das Radio selbst hat sich gut entwickelt, trotz oder gerade wegen seines ungleichen Elternpaares. Und das Radio hat, dem Vorbild seines Vaters eben nicht folgend, doch immer allen gehört, statt nur sich selbst. Es wurde ein »demokratisches Instrument« genannt  tja, nicht durchgängig, wir vom Radio historisch gebildeten Autorinnen wissen, es hatte sich einen ausführlichen Ausflug in die Propaganda genehmigt –, sagen wir: das Radio hat den Anspruch, ein »demokratisches Instrument« zu sein und soll es auch bleiben: per tutti, certamente! Und am besten ist dieses Radio, auch ganz gegen das Vorbild seines hallodrihaften Vaters: frei von Werbung. –

Seit wenigen Jahren nun, wir befinden uns wieder im aktuellen Jahr 2016, gibt es das junge Kind namens Radio auch als Webstream. Das heißt, wir können Radio hören, uns dabei bilden, und gleichzeitig Fahrrad fahren, was die nach wie vor flotte Mutter des Radios natürlich freut. »Mens sana, in corpore sano«, sagt sie dann zu ihrem Kind, dem Radio. Falls wir jetzt, bloß einmal angenommen, eine vom Radiohören gebildete Autorin sind, dann haben wir auch gelernt, dass dieses Zitat vom »gesunden Geist in einem gesunden Körper« eines ist, das stets bloß verkürzt wiedergegeben wird, und ursprünglich aus einer Satire auf die Sporttreibenden stammt. Und wir wissen: Eine Satire ist keine Didaxe und auch kein Aphorismus. –

Zurück zu den Liebenden. Es hat sich noch ein Paar gefunden, wie es halt so ist im Leben der Dinge. Da war einmal das Bild, das war natürlich sehr alt. Sehr, sehr alt. Viel älter als ein Fahrrad und älter als ein Italiener. (Was nicht heißt, dass sich nicht ausgerechnet bei den Italienern die schönsten Bilder finden lassen!). Weil das Bild so alt, so althochdeutsch, so allumfassend und über den Dingen stehend ist … – nein, hier muss ich einhaken: Es gibt viel an Bildtheorie, aber eine recht verbreitete These besagt doch, dass das Bild »in Bezug zum …« Ding steht. Man nennt das, ganz liebestoll: »Abbildrelation«. Das Bild steht also viel eher neben den Dingen als über den Dingen. Dennoch war dem Bild keines unter den Dingen gut genug, und lange hat das Bild, beinah wie der Italiener, sich selbst genügt. »Ceci n’est pas un amant!«, hat es abwehrend gerufen, sobald sich ihm ein potenzieller Liebhaber andienen hat wollen. »Du bist nichts als ein Amateur!«, hat das Bild den Dingen ganz arrogant zugerufen und dabei weiter an seiner Pfeife geraucht.

Ja, jetzt fragen Sie sich, wie hat es das Bild endlich doch noch zu einem Gefährten gebracht? War es ein »norwegischer Bildhauer« namens Per Ung? Nein!, der war doch viel zu j-ung für unser Bild. War es die »ungarische Bezeichnung des transkarpatischen Flusses Usch«, nämlich Ung, der unser Bild ganz wuschig gemacht hat? Ungarisch Ung, was, wie wir als vom Radio gebildete Autorinnen wissen, vom altslawischen Wort »už« kommt und angeblich Schlange bedeutet? Ist dieses Ung also eine Schlange, die sich unser Bild gekrallt hat, wie Adam und Eva den roten Apfel? Neiiin. Unser Bild ist ja bildhistorisch gebildet und hat bereits gewusst, was nach so einem Biss in den Apfel zu erwarten wäre. (Vom Übersetzungsfehler, der aus einer Feige einen Apfel gemacht hat, einmal ganz abgesehen.)

Nein, das Bild hat sich tatsächlich von einem bescheidenen Suffix rumkriegen lassen, das sich parasitär angedockt hat an unser Bild. Und so, ich erspare ihnen die Details der befruchtenden Liebesnacht, ist aus den beiden zusammen die Bildung entstanden.

Wie gesagt, trauen Sie meiner Recherche!

Nun. Wie haben also Bildung und Radio, diese Kinder ungleicher Eltern, schließlich zueinander gefunden?

Das Radio ist, seinem Anspruch nach, »demokratisch«: es weist niemandem ab. Und es hat sich freilich mit allen möglichen Liebesdienern eingelassen. Ein paar Idioten für eine schnelle Sache sind auch darunter. Doch seine Freundschaft und Zuneigung gehört der Bildung, und mit ihr hat es das schönste Kind gezeugt, und dieses bekommt heute einen Preis verliehen: den »Radiopreis der Erwachsenenbildung«.

(Die Bildung selbst ist übrigens auch kein Kind von Traurigkeit: Sie hat sich, wie auch das Radio, mit dem lustigen Internet eingelassen und dient so faulen, halbgebildeten Autorinnen als Rechercheinstrument betreffend »norwegische Bildhauer« und »transkarpatische Flussnamen«.)

Sagte ich, die Bindung der Bildung an das Radio, und umgekehrt, sei beständig?

Ja, beständig, solange es uns Hörerinnen und Hörer gibt, euch Radiomacherinnen und Radiomacher, ein paar finanzpolitische Wurschtlerinnen und Wurschtler, die Mut haben, Liebe und Lust, ihren »Verstand zu gebrauchen«.

Sollten nun Sie, liebe Anwesende, das eine oder andere faktische Detail meiner Rede anzweifeln und gleichzeitig wenig Sinn für die literarische Kunst des Kalauers besitzen, so hören Sie sich doch lieber ein gescheites Radioprogramm an!

Und sollte ich – ich, ich, ich! – mich jemals so fortpflanzen wie die Liebespaare aus dieser Geschichte, und mein Kind würde mich später einmal fragen: »Mutter, warum hast du so große Ohren?« Dann würde ich antworten: »Damit ich besser Radiohören kann!« //

Vielen Dank!

Präauer, Teresa  (2016): Eine Liebesgeschichte vom Radio und der Bildung. Rede zum Radiopreis der Erwachsenenbildung, gehalten am 20. Jänner 2016. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. April 2016, Heft 258/67. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

Kommentare

Neuen Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

Zurück nach oben