Regionale Wirtschaft denkt und arbeitet vernetzt für die Zukunft im ländlichen Raum

Zukunftsentwicklung im ländlichen Raum

Erfolgreiche Zukunftsentwicklung in einer Region verlangt Lernen, um Veränderungen gestalten zu können. Der Mensch spielt dabei eine zentrale Rolle. Dabei wissen wir, dass Veränderung nicht am Wissen scheitert, sondern am Handeln. Nachhaltige Entwicklung wird in der Regel definiert als eine „Entwicklung, die es den heute lebenden Menschen ermöglicht, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, ohne die Entwicklungsmöglichkeiten für zukünftige Generationen zu schmälern“. (WCED: 1987). Diese Definition klingt logisch, ist jedoch schwer zu greifen, weil sie eine Entwicklung fordert, ohne deren Richtung genau zu benennen. Denn die inhaltliche Vorgabe bezieht sich auf die Bedürfnisse der Menschen und weist nachhaltige Entwicklung dadurch mit einer zweifachen Unberechenbarkeit aus: einerseits mit der Unkenntnis über die genauen Bedürfnisse der heutigen Generation, und andererseits mit der Unkenntnis der genauen Bedürfnisse der kommenden Generationen.

Wir wissen auch, dass die Globalisierung die ökonomische Diskussion beherrscht, doch im Hintergrund dieser weltweiten Verflechtungen gewinnt der ländliche Raum mit seinen spezifischen Ressourcen stark an Bedeutung. Zukunftsentwicklung im ländlichen Raum bedeutet heute nicht mehr eine nachholende Förderung für benachteiligte und periphere Regionen, sondern wird zum Spielraum für Entwicklungskonzepte und Standortmarketing. Zukunftsentwicklung im ländlichen Raum ist nach heutigem Verständnis ein komplexer sozialer Prozess. Dieser Prozess führt dazu, dass regionale Akteurinnen und Akteure innovative Konzepte und Projekte entwickeln und verwirklichen, indem sie Ressourcen der Region nutzen.

Zukunftsentwicklung am Beispiel der Wirtschaftsinitiative „Kraft.Das Murtal“ 

Die Initiative „Kraft.Das Murtal“ als regionales Unternehmensnetzwerk, das seit 2009 existiert, hat den Mehrwert einer gemeinsamen Zukunftsentwicklung erkannt und ist deshalb in der Rolle „Wirtschaft übernimmt Verantwortung für die Region“ aktiv. Zuerst ein paar Zahlen, Daten und Fakten aus der Region Murau-Murtal, um die Rahmenbedingungen, in der die Initiative agiert, zu erklären. 

Die Industrie mit der produzierenden Wirtschaft stellt in der Region – auch im Vergleich mit anderen Regionen der Steiermark und in ganz Österreich – einen überproportional starken Faktor hinsichtlich Wertschöpfung (43 Prozent), Arbeitsplätze (47 Prozent) und Kommunalsteueraufkommen (60 Prozent) dar. (Land Steiermark: 2011). In der Region leben 98.805 Menschen, wobei sie flächenmäßig die drittgrößte in der Steiermark und stark vom demografischen Wandel betroffen ist. Denn die Abnahme der Bevölkerung zwischen 2009 und 2030 in der Region wird mit 8,3 Prozent geschätzt, für die Steiermark insgesamt wird allerdings ein Anstieg von 3,6 Prozent erwartet. Neuesten Prognosen zufolge wird nun ausgehend vom Jahr 2012 ein Bevölkerungsrückgang von minus 6,0 Prozent bis zum Jahr 2030, das heißt, auf 96.180 Menschen, für die Region vorausgesagt. Der Bevölkerungsrückgang in der gesamten Region ist nicht nur auf den strukturellen Wandel, also auf das Wachstum des Dienstleistungssektors, der in den Ballungsräumen mehr Jobs verspricht, sondern auch auf die überdurchschnittlich negative Geburten- und Wanderungsbilanz zurückzuführen. Bedingt unter anderem durch die Tatsache, dass vor allem jüngere Menschen dazu tendieren, die Region zu verlassen, weist die Altersstruktur in Murau/Murtal einen Überhang an älteren EinwohnerInnen auf. Die Region ist mit einem Altersschnitt von 44,1 Jahren (Stand: 2012) die zweitälteste steirische Region. Dem österreichweiten Trend folgend, wird in Zukunft weiterhin eine Verschiebung der Altersstruktur von den jüngeren zu den älteren Altersgruppen in der Region vonstattengehen. 

Demgemäß wird es strukturelle Veränderungen und damit im Zusammenhang stehende Herausforderungen in der Region geben, die es zu bewältigen gilt. Mit dem Ziel, diesem demografischen Wandel proaktiv zu begegnen, entwickelt die Wirtschaftsinitiative „Kraft.Das Murtal“ Lösungen und setzt Maßnahmen in die Tat um.

Vision, strategische Positionierung und Ziele

Eine erfolgreiche regionale Wirtschaftsvernetzung entwickelt verschiedene Maßnahmen, die aufeinander abgestimmt und auf gemeinsame Zielvorstellungen ausgerichtet sind. Es muss eine Strategie erarbeitet werden, die durch konkrete Einzelmaßnahmen umgesetzt werden kann. In einer wohlüberlegten Strategie müssen die Einzelprojekte so aufeinander abgestimmt werden, dass Synergien zwischen den Projekten nutzbar gemacht werden können. Die Region Murau-Murtal steht für eine gelungene Symbiose aus Wirtschaftsraum und Lebensraum, an diesem Spannungsbogen setzt die Strategie von „Kraft.Das Murtal“ an. Denn es besteht ein starker Zusammenhang zwischen Standortqualität für Betriebe, Anzahl der Arbeitsplätze, Qualität der Versorgung und Attraktivität für Menschen und Unternehmen. Diese zentralen Knotenpunkte lassen die Region wachsen, wenn dieser Regelkreis positiv angestoßen wird. 

Die Initiative „Kraft.Das Murtal“ hatte von Beginn an eine klare Vision: den Wirtschafts- und Lebensraum der „Region Murau Murtal“ zu stärken und eine positive Entwicklungsdynamik zu schaffen. „Kraft.Das Murtal“ ist ein eng verwobenes Wirtschaftsnetzwerk mit aktuell 82 Partnern von Großbetrieben, kleinen und mittleren Unternehmen sowie Ein-Personen-Unternehmen, das ein attraktives wirtschaftliches Umfeld gestaltet und die regionale Identität stärkt. Für die Region hat sich das Unternehmensnetzwerk als Initiator in Standortfragen etabliert und ist Ansprechpartner sowie Treiber für regional relevante Entwicklungsprozesse. Für die Partnerunternehmen ist „Kraft.Das Murtal“ die Plattform für wechselseitige Inspiration, Lernen voneinander und gemeinsames Entwickeln.

Die Ziele von „Kraft.Das Murtal“ sind der Aufbau eines zukunftsfähigen Images der regionalen Wirtschaft, die Steigerung der Attraktivität der regionalen Arbeitgeber sowie die Forcierung und Intensivierung regionaler Wirtschaftsverflechtungen, die Stärkung der regionalen Verantwortung seitens der heimischen Wirtschaft und der regionalen Innovationskraft. An diesen Zielen wird gemeinsam mit den Partnerunternehmen an konkreten Projekten für eine starke Region gearbeitet.

Es gilt, jene Entwicklungen voranzutreiben, die den Handlungsspielraum für einen attraktiven Wirtschafts- und Lebensraum erhöhen. Um eine lebenswerte Region zu garantieren, wurden die drei Säulen Wirtschaft, Mensch und Lebensraum definiert, die eine kraftvolle Richtung vorgeben und den Rahmen für die Projektaktivitäten bilden. 

Wirtschaft mit Zugkraft für Mensch und Lebensraum

Es werden hier jene Projektaktivitäten vorgestellt, die an der Schnittstelle Wirtschaft und Bildung wirksam werden. Die Aufgaben, qualifizierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den Unternehmen zu halten und neue Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen für sich zu gewinnen oder sogar zum Zuzug in die Region zu bewegen, erfordern immer wieder neue Ideen zur Sicherung der unternehmerischen Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit. Hierbei sind Angebote zur Bildungs- und Berufsorientierung sowie Aus- und Weiterbildungsformate gefragt, die Bedarfe der Wirtschaft und Möglichkeiten der Bildung gleichermaßen berücksichtigen. Die Unternehmen sind gefordert, sich als attraktive Arbeitgeber zu positionieren und brauchen dazu auch ein regionales Umfeld, das insbesondere in Bildungsfragen zeitgemäße und ­unternehmensrelevante Lösungen anbietet.

Mit dem Format „Wirtschaft zum Angreifen“ werden Volksschulkinder in die Unternehmen geholt, wo sie diese mit allen Sinnen erkunden können. So bekommen die Kinder schon früh ein Bewusstsein für die Bedeutung der regionalen Wirtschaft und dieses Thema hält durch entsprechende Vor- und Nachbereitung der Betriebsbesuche gemeinsam mit den Lehrer und Lehrerinnen Einzug in die Klassenzimmer.

Die Formate der regionalen Lehrlingsstrategie wurden vornehmlich für die Schüler und Schülerinnen der Mittelschulen und der Polytechnischen Schulen maßgeschneidert, um diese für eine der zukunftsträchtigen Lehrausbildungen in einem Kraft-Betrieb zu begeistern. Bei der „Kraft-Werkstatt“ sollen beispielsweise anhand praktischer Übungen das Interesse an der Technik und ein Gespür für unterschiedliche Werkstoffe geweckt werden. Die Verantwortlichen der Unternehmen für die Lehrlingsausbildung kommen hier mit ihren Lehrlingen in die Schule und gestalten gemeinsam mit den Lehrer und Lehrerinnen eine Unterrichtseinheit.

Unter dem Motto „Schüler und Schülerinnen erleben regionale Wirtschaft“ ermöglicht „Kraft.Das Murtal“ einen Blick hinter die Kulissen von national und international erfolgreich agierenden Unternehmen aus der Region. Mehr als 1.000 Jugendliche können an einem Tag jeweils zwei der teilnehmenden Unternehmen bei laufendem Betrieb hautnah kennenlernen und so die Vielfalt der heimischen Wirtschaft entdecken. Alle zwei Jahre wird diese Möglichkeit den Schulen mit Anmeldung und entsprechender Vorbereitung geboten. Im Jahr 2020 musste der „Tag der offenen Tür“ coronabedingt abgesagt werden und wurde im Jahr 2021 mit der zuständigen Bildungsdirektion als digitale Variante mit großem Erfolg veranstaltet. Im Jahr 2022 wird es wieder einen analogen Erlebnistag der Wirtschaft, erweitert um digitale Elemente, geben. 

„Kraft.Das Murtal“ ist es in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Campus 02 gelungen, ein ganz besonderes Bildungsangebot im tertiären Bildungsbereich in die Region Murau-Murtal zu holen. Ab Herbst 2022 wird ein berufsbegleitendes Bachelorstudium der Automatisierungstechnik in beispielgebender Kooperation umgesetzt. Es werden 15 zusätzliche Studienplätze für Studierende der Region geschaffen, wobei ein neu kreiertes Blended-Learning-Format zum Einsatz kommt. Es wird Lerneinheiten vor Ort in einem Unternehmen als Präsenzunterricht als auch in digitaler Form geben – die regionale HTL wird als relevante Bildungseinrichtung miteinbezogen – selbstverständlich müssen auch Lerneinheiten direkt an der Fachhochschule stattfinden. Zusätzlich zum vorhandenen Lehrkörper, werden Experten und Expertinnen aus der Region als Lehrende eingesetzt. Die Firma HAGE Sondermaschinenbau GmbH wird einen technisch vollausgestatteten Raum zur Verfügung stellen, um die Qualität der digitalen Lehreinheiten sicher zu stellen. Bei diesen Einheiten mit Direktübertragung von der Fachhochschule wird ein Experte/eine Expertin für Fragen der Studierenden vor Ort zur Verfügung stehen. Dadurch wird der Aufwand eines berufsbegleitenden Studiums für die Studierenden reduziert – die Motivation dafür allerdings erhöht.

Zwei Drittel der Studierenden werden direkt aus den Kraft-Betrieben – das letzte Drittel wird von den Schulen beziehungsweise über das Arbeitsmarktservice der Region kommen. Die Kraft-Betriebe werden für diese Studierenden neue Arbeitsplätze zur Verfügung stellen und die Studiengebühren übernehmen.

„Kraft.Das Murtal“ sieht in diesem Bildungsangebot eine zukunftsweisende Kooperation, die der Region Murau-Murtal zusätzliche Attraktivität verleihen wird und aufzeigt, dass gelebte regionale Vernetzung für Vorsprung sorgen kann.

Innovation und Modellcharakter

Ein zentraler innovativer Aspekt der Initiative liegt darin, dass Unternehmen Fragen der Entwicklung ihrer Region zukünftig verstärkt selbst in die Hand nehmen werden müssen, weil diese Fragen immer auch Fragen der Unternehmensentwicklung sind und nicht entkoppelt diskutiert werden können. Ein innovativer und zugleich fördernder Faktor ist, dass die Motivation zur Initiative von den Unternehmen selbst ausgegangen ist. Außerdem sind die breite Struktur der Partnerschaft und die abgestimmte Vorgehensweise mit den regionalen Akteuren und Akteurinnen wesentlich. Initiativen dieser Größenordnung leben vom Engagement der einzelnen Partner und Partnerinnen und müssen aktiv koordiniert und erfolgreich gesteuert werden. Soziale Innovation in diesem Zusammenhang bedeutet das Eingehen strategischer Partnerschaften zur Zielerreichung. Die Initiative fördert den Austausch zwischen den Unternehmen, aber auch zwischen den Unternehmen und den involvierten regionalen Stakeholdern. Die Partnerschaft der Initiative ist damit ein zentraler Promotor für die Verflechtung in der Region und steigert so die Resilienz der Region. 

Das Unternehmensnetzwerk „Kraft.Das Murtal“ hat sich als Wirtschafts-Dachmarke für die Region etabliert und hat dabei das Thema Wettbewerbsfähigkeit mit dem Thema Lebensqualität verbunden. Eine Region mit der Herausforderung, eine demografische Trendumkehr einleiten zu wollen, muss attraktive Arbeits- und Lebenswelten sowie der Jugend neue Perspektiven bieten. Ein gemeinsam agierendes Unternehmensnetzwerk kann ein attraktives wirtschaftliches und regionales Umfeld mitgestalten und damit die regionale Identität stärken. Die Akteurinnen und Akteure des Netzwerkes müssen bereit sein, gesellschaftspolitische Verantwortung in und für ihre Region zu übernehmen. //

Literatur

Land Steiermark (Hrsg.). (2011): Regionsprofil Obersteiermark West. Verfügbar unter: http://www.raumplanung.steiermark.at/cms/dokumente/11142226_28444368/27677fdb/Obersteiermark_West_2011.pdf. [24.8.2021].

Land Steiermark (Hrsg.). (2014): NUTS III Profil Westliche Obersteiermark AT226. Verfügbar unter: http://www.wibis-steiermark.at/show_page.php?pid=432. [24.8.2021].

ÖROK – Österreichische Raumordnungskonferenz (Hrsg.). (2011): Kleinräumige Bevölkerungsprognose für Österreich 2010–2030 mit Ausblick bis 2050. Wien: ÖROK.

WCED – World Commission on Environment and Development (Hrsg.). (1987): Abschlussbericht der Brundtland-Kommission „Unsere gemeinsame Zukunft“. (In englischer Fassung). Verfügbar unter:
http://www.un-documents.net/wced-ocf.htm. [24.8.2021].

WIFO – Das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (Hrsg.). (2012): WIFO Monatsberichte, (10), Bevölkerungs- und Erwerbsquotenprognosen.

Puhl, Bibiane (2021): Regionale Wirtschaft denkt und arbeitet vernetzt für die Zukunft im ländlichen Raum. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Herbst 2021, Heft 274/72. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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