„As is surrender to my sleeping, I commit my dream to you: People have the power!“ Patti Smith, Godmother of Punk und feministische Ikone, hat mit „People have the power“ nicht nur einen ihrer größten Hits geschrieben. Es ist auch einer der besten und zugänglichsten Texte, die über Demokratie und den Kampf um Mitbestimmung existieren. Demokratie als Staatsform stellt weder eine anarchistische Spielwiese dar, noch muss man sich den Launen eines autoritär regierenden Diktators unterwerfen. Es gibt jedoch Regeln, an die sich alle in einer Demokratie lebenden Menschen halten müssen. Denn sie ist eben nicht die oft zitierte Einbahnstraße. Eine dieser Regeln ist unumstößlich und kommt dabei direkt der Bevölkerung zugute: Die Macht geht vom Volk aus – „People have the power“. Jedoch werden in den letzten Jahren immer wieder Stimmen laut, dass dies eben nicht (mehr) so sei und mittlerweile häufig von einer Krise der Demokratie gesprochen wird. Populist*innen, Demagog*innen und antidemokratische Strömungen haben es in den letzten Jahren geschafft, in den Diskurs über Demokratie einzugreifen und ihn lautstark mitzubestimmen. Sie stoßen Debatten an, haben es aber noch nicht geschafft, die Führung an sich zu reißen. Die Gründe für deren Erfolg sind freilich vielfältig. Parallel zu den Möglichkeiten, welche die Digitalisierung uns allen bietet, haben sich demokratiefeindliche Echokammern gebildet. Durch Kanäle wie Telegram oder YouTube ist es sehr einfach geworden, mit Verschwörungstheorien und Hetze das gesellschaftliche Klima zu vergiften, da man sich auf diesem Wege Transparenz und staatlicher Kontrolle entzieht. Mit relativ wenig Aufwand und finanziellen Mitteln können tausende Menschen erreicht werden. Man spricht hier von Reichweite, die oftmals erschreckende Ausmaße annimmt. Erschreckendes Beispiel hierfür stellt Donald Trumps Twitter-Account dar, durch welchen er seine Anhänger*innen zum Sturm auf das Kapitol anheizte. Weiters tendieren Menschen in Krisenzeiten dazu, antidemokratischen Tendenzen ihr Gehör zu schenken. In solch einer Zeit befinden wir uns gerade. Die Inflation treibt die Preise in die Höhe, der Wohnungsmarkt ist kaum noch erschwinglich. Das Klassenzimmer einer ganzen Generation junger Menschen war in den letzten Jahren in den digitalen Raum verlagert. Es herrscht eine allgemeine Unsicherheit. Weiteres ist die Demokratie eine komplexe Staatsform. Daniela Ingruber schreibt in diesem Zusammenhang von Demokratie als einer Jukebox. Sie sei für die Menschen da und nicht umgekehrt. Stößt dies an Grenzen, wird sie allzu rasch als Diktatur verunglimpft. Dabei stellt die Demokratie das politische System dar, in dem sich die größten Erwartungen und Sehnsüchte der Bevölkerung spiegeln. Die Vorstellungen wie Demokratie zu sein hat, gehen dabei weit auseinander.1 „Das mag auch daran liegen, dass Demokratie schlussendlich einen Gewohnheitsbegriff darstellt. Es gibt sie einfach, man ist mit ihr aufgewachsen und weil sie so selbstverständlich ist, muss man nicht darüber nachdenken, was sie bedeutet, sondern kann sich zurücklehnen, sie genießen, sie aber auch nicht (be)achten oder gar ignorieren.“2
Es werden neue Wege benötigt, um die Demokratie zu schützen. Es braucht eine zugängliche politische Bildung, die im Alltag der Menschen spürbar wird. Und das betrifft meiner Ansicht nach vor allem die digitale Welt. Die erste große Frage, die sich nun stellt, ist also die, ob Demokratie Digitalisierung braucht. Die Frage kann nur mit einem klaren Ja beantwortet werden. Die Digitalisierung ist längst Teil der menschlichen Lebensrealität und somit als Instrument der Partizipation unabdingbar. Demokratie kann und muss daher auch im virtuellen Raum ein Gegengewicht zu Populismus, Xenophobie und Wissenschaftsfeindlichkeit darstellen. Der folgende Artikel soll nun zeigen, wie man durch moderne, digitale Konzepte Menschen für demokratiepolitische Themen erreichen und begeistern kann. Eine kurze Skizze soll dabei Parallelen der historischen Volksbildung aufzeigen. Abschließend wird an dem theoretischen Modell der Migrationspädagogik aufgezeigt, dass diese in der Praxis der Erwachsenenbildung angewandt werden kann.
Ein Funke für die Demokratie. Die Wiener Volkshochschulen zwischen demokratiepolitischer Tradition und neuen Wegen
In diesem eben beschriebenen, komplexen Geflecht befinden sich die Wiener Volkshochschulen, zu deren Kernaufgaben sowohl politische Bildung als auch Selbstermächtigung der Bevölkerung gehören. Wie ist es in dieser brisanten Zeit möglich, Wissen über und Werte der Demokratie zu vermitteln? Eine Möglichkeit ist es, der Demokratie eine digitale Stütze zu liefern. Für diesen Weg entschloss sich die Volkshochschule Liesing 2022 mit dem Projekt „Erklär mir Demokratie.“3 Das Projekt wurde von der Österreichischen Gesellschaft für Politische Bildung gefördert und konnte im Frühling 2023 finalisiert werden. Bei „Erklär mir Demokratie“ wurden sechs Videos gemeinsam mit Studentinnen der Universität Wien erstellt, die niederschwellig komplexe, demokratiepolitische Begriffe in leichter Sprache behandeln. Die Videos wurden auf eine eigene Homepage gestellt und sind nicht nur für Lehrende und Lernende der Wiener Volkshochschulen abrufbar. Die Videos sollen allen Bildungsinstitutionen und auch der Bevölkerung als Lehrmittel und Informationsquelle über Demokratie zur Verfügung stehen. Die Videos können problemlos über Messengerdienste mit wenigen Klicks geteilt werden. Interessierte können ortsunabhängig auf sie zugreifen und auf dem Weg in die Arbeit, die Schule oder zum Supermarkt an Bildung teilhaben. Auch wenn ich die Digitalisierung innerhalb der Bildungslandschaft sehr kritisch beäuge, so liegt dem Projekt ein niederschwelliges, bewusst digitales Konzept zugrunde. Zur theoretischen Grundlage und dem Ablauf des Projekts wird an späterer Stelle noch die Rede sein.
Die Wiener Volkshochschulen sind von ihrer Geschichte aus gesehen der ideale Funke, um die Initialzündung eines breiten Demokratisierungsprozess zu entfachen. Auch heute noch stehen Sie für Chancengleichheit und lebenslanges Lernen. Diese Punkte finden sich auch im Leitbild wieder.4 Es lohnt sich jedoch wie immer ein Blick hinter die historische Fassade. Nur wer das Gestern begreift, kann im Heute ansetzen. Christian Stifter gibt in seinem Aufsatz „Aspekte der Demokratiezentriertheit moderner Erwachsenenbildung am Beispiel der Popularisierung von Wissenschaft“ einen historischen Überblick über die Geschichte von Demokratie und Volksbildung. Schon am Anfang stand das Bestreben einer Demokratisierung von Wissen und Bildung, wobei die frühe Volksbildung als überparteilich und überkonfessionell galt. 5 „Die damit in die Wege geleitete Aufklärungsarbeit, die im ersten Schritt gegen die massenhafte Illiteralität der Bevölkerung ankämpfte, um diese nachfolgend zu eigenständigem Denken, zur Kenntnis der (natur-)wissenschaftlichen Grundlagen des modernen Industriezeitalters sowie zur klassischen wie modernen Kultur zu führen, bildete das Arbeitsziel einer bildungspolitischen Avantgarde, die ausgehend von der Gleichheit aller Menschen bereits auf Seite der – realpolitisch erst zu erkämpfenden – Demokratie stand.“6 Grundkompetenzen wie Lesen, Schreiben und Rechnen, aber auch Forschungsseminare in Geographie und Physik wurden „demokratisiert“ und somit einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Stifter weist dabei auf ein nicht zu unterschätzendes demokratiepolitisches Merkmal jener Phase hin. Egalität sollte nicht nur unter den Lernenden herrschen. Sondern auch zwischen Lehrenden und Lernenden. In der von Stifter als Hochblüte der Volksbildung bezeichneten Zeit, den 1920er-Jahren, setzten die Wiener Volkshochschulen einen weiteren, großen Schritt in der Demokratisierung von Wissen. Durch die Popularisierung von Wissenschaft wurde nicht nur Naturwissenschaft, sondern auch Disziplinen wie Soziologie oder marxistische Literaturkritik noch vor deren Institutionalisierung an den Universitäten der Bevölkerung zugänglich gemacht. Spannend ist dabei, dass damals Student*innen die Laboratorien der Volkshochschulen nutzten, da diese besser als jene der Universitäten ausgestattet waren.7 Nach 1945 vollzieht sich ein essentieller Moment in der Geschichte der Volkshochschulen. Nach dem institutionellen Wiederaufbau fanden an den Wiener Volkshochschulen sehr rasch erste Vorträge über die nationalsozialistischen Gräueltaten statt. Bereits 1946/47 konnten Vorträge zum Tabubruch der jüngeren Vergangenheit (z. B.: „Verfemt und geächtet – die Dichtung in der Emigration von 1938 – 1945“) besucht werden. Die Wiener Volkshochschulen nahmen damit die universitäre Disziplin Zeitgeschichte institutionell vorweg. In Österreich wurde Zeitgeschichte vergleichsweise spät akademisch verankert. Dies war einerseits der Tabuisierung des Themas, andererseits dem Fehlen geeigneter Fachkräfte geschuldet, da die meisten Historiker sich Entnazifizierungsmaßnahmen unterziehen mussten.8 In jene Zeit fällt auch eine Änderung der Haltung der Wiener Volkshochschulen – weg von einer aufklärerischen, neutralen Bildungsarbeit hin zu einer klar demokratiepolitisch engagierten, antifaschistischen Haltung.9
Betrachtet man die Wiener Volkshochschulen nun aus dieser historischen Perspektive, so fällt eines sofort auf: Sie stellen auf bildungs-, demokratiepolitischer und naturwissenschaftlicher Ebene ein Experimentierfeld dar. Und das mit Erfolg. Dies war meiner Ansicht nach immer möglich, da auf gesellschaftliche Phänomene und Veränderungen reagiert wurde. Bildung, Wissen und die Methoden der Vermittlung ändern sich innerhalb einer Gesellschaft. Ich meine nun zeigen zu können, dass gerade jetzt abermals die richtige Zeit ist, um demokratiepolitische Maßnahmen und Projekte in der Erwachsenenbildung umzusetzen. Ich werde dies mit einem Querverweis auf die Arbeit der historischen Volksbildung aufzeigen: Die frühe Arbeit der Volksbildung fiel unter anderem auf so fruchtbaren Boden, da es zu einem gesellschaftlichen Bedeutungsanstieg der (Natur-)Wissenschaft und deren Technologien kam, die sich auf soziale sowie ökonomische Prozesse in der Bevölkerung auswirkte. Erhofft wurde dabei laut Christian Stifter auch eine Verbesserung der Arbeits- und Lebensgrundlagen.10 Wirft man nun den Blick ins Jahr 2023, so meine ich dies auch zu erkennen. Die Digitalisierung hat unseren Alltag nicht nur eingeholt, sondern überholt. Eine Gesellschaft ohne Smartphone, Tablet, Alexa und Internet ist nicht mehr denkbar. Dies spiegelt sich freilich auch in unserem Arbeitsalltag wider. Einigen verspricht sie Wohlstand, andere fürchten den Verlust des Arbeitsplatzes. Wie weit diese Schere hier auseinandergeht, sieht man an den steigenden Gehältern der IT-Branche, während im Niedriglohnsektor Menschen um Ihren Job bangen. Das beste Beispiel hierfür ist wohl das der Scannerkasse im Supermarkt. Das Homeoffice hat unser Verständnis von Arbeitsplatz und Privatsphäre nochmals grundlegend verändert. Gleichzeitig eröffnet die Digitalisierung auch scheinbar unendlich viele Möglichkeiten. Nehmen wir als Beispiel das Smartphone. Es ist nicht nur einfach ein Handy. Es ist Wecker, Uhr, Home-Cinema und Informationsquelle. Und mittlerweile auch Lehr- und Lernmittel. All das wirkt sich auf die Gesellschaft und daher auch auf Arbeit, Freizeitgestaltung, Wissen und Wissensvermittlung aus. Wir befinden uns aktuell in einem Wandel. All dies wirkt sich freilich auch auf demokratiepolitische Prozesse aus. Demokratie und eine Gesellschaft stehen dabei stets in einer Wechselwirkung zueinander und treffen dabei auf die Digitalisierung. Noch nie war es möglich, aus so vielen verschieden Quellen Informationen zu beziehen. Hier kommen wir leider wieder bei den eingangs angeführten Fake News an. Man sieht, das Verhältnis von Demokratie und Digitalisierung ist kein einfaches. Die Volksbildung kann hier jedoch Aufklärungsarbeit leisten. Einerseits mit klassischen Formaten der politischen Erwachsenenbildung. Andererseits mit niederschwelligen Projekten, die die Bevölkerung erreichen. War es damals die Illiteralität, die es in den Anfangsjahren der Volksbildung zu bekämpfen gab, so geht es heute um einen nicht weniger wichtigen Aspekt: die Medienkompetenz. Hier sehe ich eine weitere Parallele zur historischen Volksbildung. Wurden damals fehlende bildungsrelevante Grundkompetenzen und hohe Illiteralität bekämpft, um durch Bildung einen demokratiepolitischen Prozess in Gang zu bringen, so muss sie heute (auch) an anderen Stellen ansetzen. Verfügen Menschen nicht über ein gewisses Maß an Medienkompetenz, so ist eine Unterscheidung zwischen Fake News und glaubwürdiger Information nicht mehr möglich. Dann überlässt man Populisten und Demagogen das Feld. Dies betrifft jedoch nicht nur das Feld der politischen Erwachsenenbildung. Es ist die Aufgabe der Volksbildung, Medienkompetenz in Methodik und Didaktik umzusetzen. Sie muss deren Möglichkeiten als Lehr- und Lernmittel im Unterricht vermitteln, um niemanden zurückzulassen. Aber auch die Grenzen aufzeigen. Gegebenenfalls muss sie auch die notwendigen Tools zur Verfügung stellen. Vor allem aber muss sie Konzepte entwickeln, mit denen Chancengleichheit durch Bildung erreicht werden kann.
Erklär mir Demokratie – mehr als nur Lehrmaterial
Das Projekt „Erklär mir Demokratie“ entstand vor dem Hintergrund, hochwertiges Lehrmaterial nicht nur für Deutsch als Zweitsprache-Unterricht zu gestalten. Lernende sollen jederzeit die Möglichkeit haben, sich Wissen anzueignen. Dass gerade Grundpfeiler der Demokratie als Lerninhalt gewählt wurden, liegt an deren Vernachlässigung in Lehrwerken für Deutsch als Zweitsprache. Will man Partizipation, die über das Erlernen der Mehrheitssprache einer Bevölkerung hinausgeht, erreichen, so benötigt es die Auseinandersetzung mit Demokratie im Unterricht. Begrifflichkeiten der Demokratie sind oft schwer zu vermitteln, Texte darüber in einem bildungssprachlichen Kontext formuliert. Ein Anspruch und auch Ansporn von „Erklär mir Demokratie“ ist es, hier einem sprachlichen Ausschlussverfahren entgegenzuwirken. Gemeinsam mit Studentinnen der Universität Wien wurde ein didaktisches Video-Konzept entwickelt, das Menschen Demokratie niederschwellig in deren Lebensrealität näherbringt und vermittelt. Durch die Gestaltung von Videos in einfacher Sprache sollen alle Menschen am Prozess der Demokratiebildung teilhaben können. Schon während der Einreichung des Projekts wurde schnell klar, dass die Videos nicht nur den Weg in den Deutschunterricht der Wiener Volkshochschulen finden sollten. Alle Bildungsinstitutionen und interessierte Menschen sollten auf sie zugreifen können. Videos als Lehrmittel zu verwenden, hat gleich mehrere Vorteile: Erstens werden Videos immer öfter als Lehrmittel im Unterricht verwendet. Zweitens nehmen Videos im Alltag und Medienverhalten der Menschen einen festen Platz ein.
Videos sind zudem längst Mittel für Menschen geworden, um sich eine Sprache anzueignen. „Sprachliche Bildung findet in und durch Institutionen statt. Das Individuum selbst hingegen eignet sich eine Sprache auf vielfältigen Wegen an: MigrantInnen lernen Deutsch in Sprachkontakten, aus den Medien, durch Lehrbücher, aus Wörterbüchern oder eben in Deutschkursen.“11 Die Studentinnen hatten als Expertinnen und zukünftige Lehrkräfte bei der Wahl der Themen freie Wahl und wurden bei der Erstellung von einer erfahrenen Kursleitung unterstützt. Anschließend fungierten sie auch als Darstellerinnen der Videos. So entstanden Texte zu den Themenkomplexen Pressefreiheit, Parlament, Kinderrechte, Zivilcourage, Wahlen und Minderheitenschutz.
Migrationspädagogik – ein pädagogisches Modell als Möglichkeit für die Erwachsenenbildung
Dem Projekt „Erklär mir Demokratie“ liegt dabei eine migrationspädagogische Grundhaltung zugrunde. Migrationspädagogik versteht die Gesellschaft als eine von Migration geprägte. Dies wirkt sich freilich auch auf den Bildungssektor aus. Anhand eines kurzen Theorie-Inputs möchte ich zeigen, dass der Blick der Migrationspädagogik nicht nur für den Bereich Schule, sondern auch die Erwachsenenbildung fruchtbar sein kann. Paul Mecheril – Bildungswissenschafter und einer der führenden Theoretiker*innen der Migrationspädagogik – begreift Migration als Phänomen, das mit all den dazugehörigen Facetten die Strukturen und Prozesse unserer Gesellschaft prägt. Er schlägt daher den Begriff Migrationsgesellschaft vor, der Phänomene wie die Bildung von Identitäten, Diskurse über Migration oder auch Vermischung und Wandel von Sprache(n) in einer Gesellschaft bündeln soll.12 All dies wirkt sich freilich auch auf den Bildungssektor aus. „Pädagogisches Handeln und pädagogische Institutionen werden sowohl unter der Perspektive Handlungsfähigkeit als auch unter dem Gesichtspunkt Legitimität durch die Anwesenheit von Migrant*innen herausgefordert. Von der Tatsache der Migration ist Pädagogik in vielerlei Hinsicht grundlegend betroffen“13 Dies ist nun vor allem für eine Großstadt wie Wien relevant: 2022 hatten 42,6 Prozent der Bevölkerung Migrationshintergrund.14 53,3 Prozent der schulpflichtigen Kinder hatten zuhause eine andere/weitere Umgangssprache als Deutsch.15 Das Phänomen Migration birgt nicht nur die territoriale Grenze in seiner Bedeutung. Im Kontext der Migrationspädagogik zeigt sich auch eine symbolische Grenze der Zugehörigkeit. Zugehörigkeit wird hier zum Unterscheidungsmerkmal und betrifft daher alle Menschen einer Gesellschaft, denn es kommt zur Bildung zweier identitätsstiftender Gruppen: Wir und Nicht-Wir. Aufgrund der Vielschichtigkeit von Zugehörigkeiten, schlägt Mecheril vor, den Terminus natio-ethno-kulturelle-Zugehörigkeit im Kontext von Migrant*innen zu verwenden. Diese Dimension kann dabei noch je nach Geschlecht, Sexualität und sozialem Status individuell variieren.16 Die Migrationspädagogik stellt nun die Frage, wie Menschen unterschiedlicher natio-ethno-kultureller-Zugehörigkeiten gesellschaftlich positioniert werden und wie ihre Handlungsmöglichkeiten sind. Gleichzeitig untersucht sie dabei die Rolle der Pädagogik. Werden durch sie Differenzen wirksam und immer aufs Neue bestätigt, die Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit verunmöglichen?17 „Gegenstand der Migrationspädagogik sind die durch Migrationsphänomene bestätigten und hervorgebrachten Zugehörigkeitsordnungen und ist insbesondere die Frage, wie diese Ordnungen in Bildungskontexten wiederholt und produziert, aber auch problematisiert und verschoben werden.“18 Die große Frage, die sich mir jedoch stellt, ist folgende: Wie können Bildungsinstitutionen Unterscheidungen vermeiden, um Chancengleichheit zu fördern? Eine Grundvoraussetzung zu Erfolg sowie gesellschaftlicher und politischer Teilhabe stellt die Sprache dar. Sie ist der Schlüssel zu einer Tür zu Möglichkeiten, die geöffnet wird oder geschlossen bleibt. Sprache ist aber auch ein Raum, in dem soziale Unterscheidungen sichtbar werden: „Sprache ist nicht nur ein technisches Kommunikationsmittel, sondern auch ein Mittel der Herstellung und Artikulation gesellschaftlicher Anerkennung. Wer ist befugt wann, wie zu wem und über wen und was zu sprechen? Welche Sprachen und Sprechweisen gelten (in der Gesellschaft, in der Schule, im Jugendzentrum) als legitime Sprachen? Wer gilt als legitimer Sprecher/in einer Sprache?“19 Die Migrationspädagogik untersucht nun diese Melange aus Sprache, Macht und Zugehörigkeit in der schulischen Bildung. Sie zeigt Missstände, aber auch Wege auf, um Menschen unterschiedlicher Herkunft Chancengleichheit in der Schule zu ermöglichen. Die sprachlichen Realitäten und Ressourcen der Kinder sollen in den Unterricht integriert werden. Ein Beispiel dafür wäre etwa das Konzept der durchgängigen Sprachbildung, das Kindern den Unterschied zwischen Alltags- und Umgangssprache vermitteln soll. Ich selbst bin überzeugt, dass ein migrationspädagogischer Blick auch in der Erwachsenenbildung Menschen mehr Teilhabe ermöglicht. In der politischen Erwachsenenbildung benötigt es progressive Konzepte, die Lebenswelt und Bedürfnisse der Menschen widerspiegeln. Sprache nimmt daher einen großen Teil ein. Denn sie ist immer an die Handlungsfähigkeit des Menschen geknüpft. Unsere Gesellschaft ist sprachlich vielfältig. Auf Wiens Straßen werden täglich unzählige Sprachen gesprochen. All diese Stimmen haben das Recht, gehört zu werden und an demokratischen Prozessen beteiligt zu sein. „Erklär mir Demokratie“ setzt nun genau hier an. Menschen, die noch nicht über die notwendigen sprachlichen Mittel verfügen, um komplexe Texte zu erfassen, sollen Zugang zu Informationen über Demokratie erhalten. Die Videos sind daher bewusst in leicht verständlicher Sprache ge
sprochen und zeitlich kompakt gestaltet. Es wurden Untertitel eingefügt, um so auch gehörlosen Menschen einen Zugang zu ermöglichen. Vertriebene und Verfolgte, die sich vielleicht erstmals mit Begriffen wie Minderheitenschutz oder Pressefreiheit beschäftigen, sollen durch „Erklär mir Demokratie“ einen ersten Einblick bekommen. Auch Menschen, die sich die deutsche Sprache gerade erst aneignen oder sich aufgrund ihrer Bildungsbiographie die notwendigen sprachlichen und politischen Mittel bisher nicht aneignen konnten, sollen Zugang haben. Freilich sind die Videos ihrem Ursprung nach für den Deutschunterricht konzipiert, um Demokratiebildung fester darin zu verankern. Sie sind jedoch mehr: Die Videos sollen zu mehr Demokratiebewusstsein und Partizipation in der Gesellschaft beitragen – unabhängig von sozialem Status, ökonomischen und sprachlichen Mitteln. Man sieht: Migrationspädagogik eignet sich als Missing-Link in der Vermittlung demokratiepolitischer Themen in der Erwachsenenbildung. Gerade Menschen, die dabei sind, sich die deutsche Sprache anzueignen, können davon profitieren. Freilich geht es bei „Erklär mir Demokratie“ auch darum, zu zeigen, was die Erwachsenenbildung leisten kann. Auch im 21. Jahrhundert kann diese noch immer sowohl bildungs- als auch demokratiepolitische Lücken schließen; sie hat hier nicht an Relevanz verloren. Gerade heute ist es wichtiger und notwendiger denn je, die Demokratie schützen. Denn Demokratie war nie eine Selbstverständlichkeit und wird es auch niemals sein. //
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