In diesem Sammelband präsentieren Berufstätige, die im schulischen Bereich arbeiten, ihre Forschungsarbeiten. Dabei handelt es sich um Arbeiten, die mit der beruflichen Tätigkeit der Autor*innen verbunden sind und daher eine hohe Feldkompetenz widerspiegeln. Genau das macht auch den Wert dieser hier vorgestellten wissenschaftlichen Arbeiten aus. Denn sie zeigen nicht nur, dass die Autor*innen Methoden wissenschaftlichen Arbeitens anwenden können, sie sind auch stark an Erkenntnissen und Ergebnissen und daraus folgenden Handlungen orientiert. Wissenschaftliches Arbeiten neben der eigenen beruflichen Tätigkeit eröffnet einen neuen Raum der Reflexion des eigenen Berufsfeldes, das theoretisch bestimmt wird und mit adäquaten Methoden analysiert wird.
Im Rahmen des Interuniversitären Kollegs Graz wurden die Autor*innen des vorliegenden Sammelbandes bei ihren Doktoratsstudien, beim Forschen und beim Verfassen ihrer Abschlussarbeiten begleitet. Das Kolleg wurde speziell für berufstätige Studierende eingerichtet und richtete sich insbesondere an Personen im Gesundheitsbereich, vor vier Jahren kamen die Erziehungswissenschaften hinzu. Die Arbeit der Studierenden wurde in Reflexionsgruppen unterstützt, die sich vier Mal jährlich trafen. Kennzeichnend dabei war die Offenheit für die Themen der Berufstätigen und ein ausgeprägter Praxisbezug. Angeboten wurde neben der wissenschaftlichen Begleitung auch eine Supervision. Das Kolleg für Studien zum lebenslangen Lernen wird nun in einer Kooperation mit der Universität Nicaragua und der polnischen Universität Collegium Humanum weitergeführt. Berufsbegleitend und online, als Diplomstudium und als Doktoratsstudium. Die Abschlüsse sind in Österreich anerkannt.
In drei Abschnitten werden in diesem Sammelband Forschungsarbeiten von Praktiker*innen präsentiert.
Im ersten Abschnitt „Schule verändern“ werden Bedingungen, Strukturen und Organisationsformen behandelt sowie Reformanliegen zur Diskussion gestellt. Simone Reichenberger, Direktorin der Stern-Schule, untersucht die Erfolgsbedingungen der reformpädagogisch ausgerichteten Schule in Deutschlandsberg. Mit der Entwicklung eines Indikatormodells für das Qualitätsmanagement an Schulen (QMS) befasst sich Sylvia Potzmader, Professorin an der Kirchlich-Pädagogischen Hochschule Wien/Krems. Im Vordergrund stehen dabei das gemeinsame Vereinbaren und das gemeinsame Handeln. Die Autorin identifiziert wichtige Faktoren zur Förderung von Schulqualität. Claudia Schneider von der Pädagogischen Hochschule Burgenland setzt sich mit der Zufriedenheit und Belastung von Lehren in der Pflichtschule auseinander, identifiziert Fortschritte und präsentiert mehrere Empfehlungen zur Verbesserung der Zufriedenheit von Lehrer*innen. Michaela Tscherne, Professorin an der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich, die Berufserfahrung aus der Wirtschaft hat, untersucht die Führungsaufgaben von Schulleiter*innen („leadership“), die mehr als Management zur Sicherstellung des Schulbetriebes sind. Im Zentrum steht die Schaffung einer förderlichen Umgebung des Lehrens und Lernens für alle an der Schule beteiligten Personen. Management und Leadership ergänzen einander. Wie Lehrkräfte des Unterrichtsfaches Berufsorientierung ihre interkulturelle Sensibilität einschätzen, damit befasst sich Sabine Zenz, ebenfalls Professorin an der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich. Für die Selbsteinschätzung verwendet sie die Intercultural Sensitivity Scale und kommt zum Schluss, dass hier noch Veränderungsbedarf besteht, den sie mit mehreren Empfehlungen stützt.
Im zweiten Abschnitt „Lernprozesse fördern“ werden Unterrichtssituationen von Lehrer*innen analysiert. Wie das Supportsystem und seine Maßnahmen für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf wirken, ist Thema der Arbeit von Sarah Brandstetter, Mittelschul- und Sonderpädagogin sowie sonderpädagogische Gutachterin. Die Datenbasis ist derzeit noch sehr dürftig und eine Verbesserung würde auch eine Grundlage für weiterführende Studien und Konzepte zu den Lernsituationen von betroffenen Kindern und Jugendlichen bieten. Darüber hinaus gibt sie Hinweise auf mögliche positive Interventionen. Die Akzeptanz des selbstorganisierten Lernens durch Lehrende und Stakeholder sowie Gelingensbedingungen für die Implementierung selbstorganisierten Lernens stehen im Mittelpunkt der Arbeit von Marcus Gehl, Lehrender an Gewerbeschulen in Baden-Württemberg. Gehl gibt Empfehlungen für alle Ebenen des Schulsystems ab und nennt die Digitalisierung als einen Schritt zu einer „selbstverantworteten Gestaltung von Bildungs- und Lernprozessen“ (S. 170). Die Religionslehrerin Tamara Kunc diskutiert die Bedeutung des achtsamen Umgangs mit Religionen für Toleranz, Wertschätzung und Respekt. Eine korrekte Sprache und ein sensibler und umsichtiger Gebrauch von Sprache tragen zur Förderung von Dialogfähigkeit und Toleranz bei. Die HIV-Prävention an Schulen untersucht Andrea Obermayr, Lehrerin für naturwissenschaftliche Fächer an einer Mittelschule. Sie fordert Verbesserungen in der Aus- und Fortbildung von Lehrenden sowie ein vermehrtes Angebot an Unterlagen und Vorbereitungsmaterialien. Edda Polz, Professorin an der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich, setzt sich mit der Bedeutung des lebenslangen Lernens im Lehramt Primarstufe auseinander. Die europäischen Schlüsselkompetenzen sind dabei leitend, allerdings werden nicht alle im Lehramt abgedeckt. Polz nennt hier die fremdsprachliche Kompetenz, für die wenig Zeit im Lehramtsstudium vorgesehen ist sowie die digitale Kompetenz. Ein besonderes Augenmerk wird auf das Lernen im Austausch mit anderen Lehrenden zu legen sein. Sonderpädagogische Professionalität und Professionalisierung ist das Thema der Arbeit von Barbara Steinscherer-Silly, Beratungslehrerin an der Ellen-Key-Schule in Graz. Im Mittelpunkt ihrer Studie, in der sie sich mit den Bildungs- und Lebenswegen der Absolvent*innen der Ellen-Key-Schule befasst, stehen die Erfahrungen von Betroffenen, die in der Forschung oft vernachlässigt sind. Auch diese Autorin gibt eine Reihe von Empfehlungen für die Praxis und die Forschung.
Im dritten Abschnitt „Weiterlernen stützen“ werden individuelle Entwicklungen durch Lernen thematisiert. Christine Harnik begleitet als Sozialpädagogin und Therapeutin Menschen mit Behinderung und analysiert ihre eigene Tätigkeit. Tanja Lenz, ebenfalls Therapeutin, untersucht die Wirkungen von Psychotherapie von hochbetagten Menschen und formuliert Empfehlungen für die Aus- und Fortbildung von Psychotherapeut*innen und für die Forschung.
Abschließend analysiert Werner Lenz, Mitherausgeber des Sammelbandes und wissenschaftlicher Begleiter des Interuniversitäten Kollegs, Entwicklungen im Wissenschafts- und Universitätsbetrieb, der berufstätigen Studierenden wenig Aufmerksamkeit widmet. Weiters befasst er sich mit den Wirkungen forschender Berufstätiger auf ihr berufliches Umfeld. Die Förderung von „non-traditional-students“, also berufstätigen Studierenden, würde auch der wissenschaftlichen Forschung guttun und sie mit Problemstellungen aus der Praxis aber auch für gesellschaftliche Entwicklungen besser vertraut machen.
Alles in allem handelt es sich hier um ein lesenswertes Buch, das auch für Erwachsenenbildner*innen interessant ist. Die Beiträge geben einen guten Einblick in die angeführten Themen aus dem Schulsystem, die sich auch in einigen Bereichen der Erwachsenenbildung wiederfinden. Die kritische Auseinandersetzung mit „Reformen von oben“ bleiben nicht in der bloßen Kritik des Status quo stecken, sondern liefern auch Beispiele für Verbesserungen und geben Handlungsempfehlungen ab. Ein gutes Beispiel für forschende Praktiker*innen und eine Anregung, auch für die Erwachsenenbildung forschende Berufstätige zu fördern und ihre Ergebnisse zu veröffentlichen. //
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