Flüchtlinge erleben wir in Mitteleuropa mit unterschiedlichen Gefühlen: Sie lösen Hilfsbereitschaft aus, sie verursachen Ängste, sie befremden, sie stören eingesessene Gemeinschaften, sie erinnern an unseren fragilen Wohlstand, sie sind Sendboten schrecklicher gesellschaftlicher Lebensbedingungen. Flüchtlinge „strömen“, stranden, ziehen weiter, wollen ihr Leben neu beginnen.
Karim El-Gawhary, Leiter des ORF-Nahostbüros, und Mathilde Schwabeneder, Leiterin des ORF-Büros in Rom, geben den unpersönlichen „Flüchtlingsströmen“ Gesichter. Sie lassen uns die Menschen erleben, die flüchten, die einen neuen Lebensrahmen suchen. Das Buch vermittelt aber auch, dass Autorin und Autor, die die Berichte der Flüchtenden anhören, nicht unberührt bleiben. Das Gefühl der Ohnmacht ist den Korrespondenten oft begegnet – aber auch die Kraft, sich für einzelne Personen, z.B. mit Briefen an unseren Außenminister, einzusetzen.
Der Schrecken ist kein Motiv des Buches. Er ist Anlass für Flucht. Geografisch weit gespannt sind die Regionen, in denen sich Menschen zur Flucht entschließen und auf der Flucht befinden. Sie umfassen Syrien und den Irak, den Libanon, Afghanistan, Gambia, Nigeria, Eritrea, Somalia, Libyen, die Strände des Mittelmeeres sowie dessen Inseln, insbesondere Lampedusa. Als Symbole der Flucht werden die Matratzen für das Nachtlager und der Tee, eine Begleiterscheinung, um die Zeit der wartenden Flüchtlinge vergehen zu lassen, genannt.
Das Buch beschreibt, so weit bekannt, transnationale kriminelle Netzwerke der Schlepperbanden und Menschenhändler, die ungeheuren Profit aus der Not der Flüchtenden ziehen. Legaler Zugang nach Europa ist allerdings in nächster Zeit nicht absehbar. Geschildert werden aber auch der Stress und die Belastungen der Helfenden: Ärzte, Marine, Fischer, Freiwillige…
Die Berichte über Elend und Schrecken finden im Buch einen positiven Schlusspunkt. In den oberösterreichischen Voralpen hat sich die Gemeinde Großraming unterstützend für Asylwerber geöffnet.
Das Thema Flüchtlinge wird vom Autor und der Autorin als brennendste Frage europäischer Gesellschaften auf lange Sicht bezeichnet. Es wird uns konkret und unmittelbar, sind Autor und Autorin überzeugt, begegnen und betreffen: in Alltag und Beruf, in Schule, Universität und Erwachsenenbildung. Wir werden mit Menschen zu tun haben, die von sich sagen (S. 46): „Wir müssen unser Leben riskieren, um einen sicheren Platz im Leben zu finden.“
Wir selbst in Mitteleuropa, mag ein Gedanke bei der Lektüre sein, werden es hoffentlich bei der spekulativen Überlegung belassen können, was sich für viele Millionen Menschen als rasch zu beantwortende Frage gestellt hat (S. 38): „Was würden Sie in eine einzige Fluchttasche packen?“
Das Buch gibt Einblick in ein aktuelles politisches Problemfeld. Es informiert mit sachlich recherchierten Daten und berührt durch die nacherzählten Schicksale. Es beinhaltet Sozialreportagen, die Flüchtlinge als Mitmenschen erkennen lassen. //