Die österreichische Validierungsstrategie
Das Thema Validierung nicht-formalen und informellen Lernens hat in Österreich durch die Empfehlung des Europäischen Rates vom 20. Dezember 2012 zur Validierung nicht-formalen und informellen Lernens (2012/C 398/01) neuen Aufwind bekommen. Die EU-Mitgliedstaaten werden damit aufgefordert, bis 2018 national koordinierte Regelungen für die Validierung des nicht-formalen und des informellen Lernens einzuführen. Diese sollen BürgerInnen dabei unterstützen, ihre in diesen Kontexten erworbenen Lernergebnisse zu identifizieren und zu dokumentieren sowie auch deren Bewertung und Zertifizierung zu ermöglichen, um gegebenenfalls auf dieser Basis eine Qualifikation oder Teile davon zu erwerben. Die diesbezüglichen Entwicklungen in Österreich sind eng mit der Strategie zum lebensbegleitenden Lernen „LLL:2020“ (Republik Österreich: 2011) verbunden, die 2011 im Ministerrat beschlossen wurde und in der zehn „Aktionslinien“ und jeweils zugehörige Maßnahmen formuliert sind. Aktionslinie 10 ist den „Verfahren zur Anerkennung non-formal und informell erworbener Kenntnisse und Kompetenzen in allen Bildungssektoren“ gewidmet. Eine der damit verbundenen Maßnahmen ist die Erarbeitung einer österreichischen Validierungsstrategie. Nach einem mehrjährigen Diskussions- und Entwicklungsprozess wurde die Strategie zur Validierung nicht-formalen und informellen Lernens in Österreich im November 2017 beschlossen (BMB & BMWFW: 2017).
Die Validierungsstrategie richtet sich an Institutionen und Akteure innerhalb und außerhalb des formalen Bildungsbereichs und insbesondere an VertreterInnen der Validierungspraxis. Auch für Volkshochschulen bietet die Strategie einen Rahmen für Validierungsangebote. In den folgenden Abschnitten wird beispielhaft gezeigt, inwiefern Validierung auch jetzt schon ein Thema für Volkshochschulen ist und welche Validierungsansätze an Volkshochschulen bzw. ähnlichen Einrichtungen in anderen europäischen Ländern angeboten werden. Eine kurze Reflexion zu den Möglichkeiten und Perspektiven österreichischer Volkshochschulen im Lichte der österreichischen Validierungsstrategie bildet den Abschluss dieses Beitrags.
Ansätze der Validierung an Österreichische Volkshochschulen
Österreichische Volkshochschulen sind als Erwachsenenbildungseinrichtungen bereits in unterschiedlicher Weise in Validierungsansätze eingebunden. Im Bereich der „formativen Validierungsansätze“ (diese umfassen „Verfahrensschritte, die die Lernergebnisse einer Person anforderungsunabhängig erfassen und dabei nicht auf definierte Standards der Aus-, Fort- oder Weiterbildung ausgerichtet sind“– BMB & BMWFW: 2017, S. 23) können etwa folgende Beispiele genannt werden:
- Das Kompetenzanerkennungszentrum (KOMPAZ) der Volkshochschule Linz bietet die Erstellung von Kompetenzprofilen auf Basis des CH-Q (Schweizerisches Qualifikationsprogramm zur Berufslaufbahn) an.1
- Die Kompetenz+Beratung, ein österreichweit standardisiertes, institutionenübergreifendes Format, das im Rahmen des Projektnetzwerks „Bildungsberatung Österreich“ 2012 eingeführt wurde, wird auch an Volkshochschulen angeboten.2
Volkshochschulen sind auch in „summative Validierungsansätze“ (diese umfassen „Verfahrensschritte, die die Lernergebnisse einer Person anforderungsbezogen erfassen und dabei auf definierte Standards der Aus-, Fort- oder Weiterbildung ausgerichtet sind – BMB & BMWFW: 2017, S. 24) eingebunden, wie die folgenden Beispiele zeigen:
- Das Projekt „Du kannst was!“ bietet einen alternativen Weg zum Erwerb eines Lehrabschlusses, d.h. einer „formalen Qualifikation“, „die durch Gesetz oder Verordnung geregelt ist, oder das Ergebnis einer Aus-, Fort- oder Weiterbildung, die durch Gesetz oder Verordnung geregelt ist (§ 2 Z 4 NQR-G)“ (BMB & BMWFW: 2017, S. 23), durch die Anerkennung von in informellen und nicht-formalen Kontexten erworbenen Kompetenzen. Die Volkshochschule Linz war beispielsweise an der Entwicklung der Portfolios zur Selbsteinschätzung der Teilnehmenden und der Planung der Portfolio-Workshops federführend beteiligt und ist zuständig für das Prozessmanagement im Projekt. 3
- Die Weiterbildungsakademie (wba) ist eine Zertifizierungs- und Kompetenz-anerkennungsstelle für ErwachsenenbildnerInnen, die Abschlüsse auf zwei Stufen vergibt (wba-Zertifikat und wba-Diplom). Ein wba-Abschluss wird als „nicht-formale Qualifikation“ verstanden, d.h. als „Qualifikation, die das Ergebnis einer Aus-, Fort- oder Weiterbildung ist, die nicht durch Gesetz oder Verordnung geregelt ist (§ 2 Z 5 NQR-G)“ (BMB & BMWFW: 2017, S. 24). Die wba wurde in einem esf-Projekt (2004-2006) unter der Federführung des Verbandes Österreichischer Volkshochschulen (VÖV) entwickelt; Träger der wba ist das „Kooperative System der österreichischen Erwachsenenbildung“, in dem der VÖV ebenfalls vertreten ist.
Ausgewählte Beispiele aus europäischen Ländern
ProfilPASS, Deutschland
Das ProfilPASS-System4 wurde vom Deutschen Institut für Erwachsenenbildung (DIE) und dem Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung an der Universität Hannover (ies) entwickelt, besteht seit 2006 und wird regelmäßig evaluiert. Es wurde 2016 umfangreich überarbeitet und wurde auch in andere Länder transferiert.5 Dieser Kompetenzbilanzierungsansatz beruht auf zwei Säulen: dem ProfilPASS-Portfolio, einer strukturierten Sammlung von Materialien für die Reflexion bisheriger Berufs- und Lebenserfahrungen, und der qualifizierten Beratung. Im Zentrum steht die Analyse von Tätigkeitsfeldern (wichtige Stationen, Ereignisse und Aktivitäten) und die Erstellung einer Übersicht der besonderen Fähigkeiten und Kompetenzen, die dabei erworben wurden (Kompetenzbilanz). Es erfolgt dabei eine Selbstbewertung der Kompetenzen anhand verschiedener Niveaus, insbesondere in Bezug zum Grad der Selbstständigkeit. Weiters werden Ziele und die nächsten Schritte hinsichtlich der weiteren Berufs- und Lebensplanung definiert. Qualifizierte BeraterInnen bieten unter anderem an Volkshochschulen individuelle sowie Gruppenberatung mit unterschiedlichen Schwerpunkten an: Arbeitssuche, berufliche Erstorientierung (Übergang Schule und Beruf/Studium bzw. Übergang Studium und Beruf), Berufliche Neuorientierung und Karriereberatung, Berufsrückkehr, Ehrenamt/freiwilliges Engagement, Persönlichkeitsbildung, Übergang in die nachberufliche Lebensphase etc.
Identifikation und Dokumentation von „Realkompetenzen“, Dänemark
In Dänemark gibt es im Bereich der nicht-formalen Erwachsenenbildung eine Reihe von Angeboten zur Identifikation und Dokumentation von „Realkompetenzen“6. Damit sind alle Kompetenzen gemeint, die ein Individuum in unterschiedlichen Kontexten (formal, nicht-formal und informell) erworben hat. In den letzten Jahren wurde besonderes Augenmerk gelegt auf eine bessere Klärung, Beschreibung und systematische Bewertung von Kompetenzen sowie auf die Entwicklung valider Instrumente zur Bewertung von sozialen Kompetenzen. Es wird z.B. ein elektronisches Mapping-Tool zur Selbstbewertung von Schlüsselkompetenzen (soziale, organisatorische, selbststeuernde, kreativ-innovative, interkulturelle, kommunikative sowie Lern- und Demokratiekompetenzen), die im „dritten Sektor“ erworben wurden, angeboten.7 Weiters wurde von der Danish Adult Education Association (DAEA) ein Kompetenzspiel bestehend aus Kompetenzkarten8 entwickelt, das eng mit Struktur und Inhalt dieses Mapping-Tools in Verbindung steht und als Vorbereitung zu dessen Verwendung eingesetzt wird. Dieses Spiel dient der Entwicklung eines besseren Verständnisses des Konzepts und der Bedeutung der Schlüsselkompetenzen. Die SpielerInnen erhalten die Aufgabe, sich für eine bestimmte Arbeitsstelle zu bewerben und dabei die Kompetenzkarten, die sie für den entsprechenden Job für passend halten, auszuwählen. Darüber hinaus wird von DAEA ein Trainingsprogramm für Lehrende und BeraterInnen angeboten, die als „prior learning guides“ eingesetzt werden wollen, um Lernende in nicht-formalen Lernkontexten dabei zu unterstützen, ihre vorhandenen Kompetenzen zu identifizieren und zu dokumentieren (Cedefop: 2016, S. 12 f.).
Virtual Open Badges zur Sichtbarmachung erworbener Kompetenzen, Finnland
Die Verwendung von „Virtual Open Badges“ ist eine innovative digitale Methode zur Visualisierung und Validierung erworbener Kompetenzen. Diese Badges wurden 2011 in einem Projekt von Mozilla und der MacArthur Foundation eingeführt.9 Es handelt sich dabei um eine Art digitale Variante von Zertifikaten oder Lernabzeichen. Organisationen, aus dem Bildungsbereich oder der Arbeitswelt, können solche Badges selbst entwickeln und die Kriterien für ihre Vergabe definieren. Lernende bekommen damit die Möglichkeit, ihre mit Open Badges dokumentierten erworbenen Kompetenzen an beliebiger Stelle im Netz zu zeigen und so in anderen Kontexten zu kommunizieren, z.B. bei der Arbeitssuche oder im (Weiter-)Bildungsbereich (Ravet: 2017). Die genutzte Software ist Open Source und insbesondere bei Online-Lernangeboten kommen diese Badges mehr und mehr zum Einsatz. Traditionelle Bewertungssysteme werden durch sie nicht ersetzt, allerdings wird mit ihnen eine Motivationssteigerung für Lehr-Lernszenarien verbunden: „Wissenszuwachs und Kompetenzerwerb werden nicht als Hürde, sondern als Errungenschaft gesehen und anderen gegenüber als solche präsentiert“ (Lorenz & Meier: 2014, S. 260). In Finnland beispielsweise wird dieses Instrument zur Validierung erworbener Kompetenzen auch im Bereich der nicht-formalen Erwachsenenbildung eingesetzt (NVL: 2015, S. 32), beispielsweise von dem „Sivis Study Centre“, das seit 2013 mit Open Badges arbeitet, um Kompetenzen, die im Rahmen von Trainingsangeboten oder der Freiwilligenarbeit erworben wurden, zu validieren.10
Volkshochschulen und Validierung – ein Ausblick
Laut österreichischer Validierungsstrategie sollen Validierungsmöglichkeiten allen Personengruppen, unabhängig von Alter, Qualifikationsniveau, Herkunft, Sozial- und Beschäftigungsstatus, Lebensphase etc., bekannt und zugänglich sein (BMB & BMWFW: 2017, S. 10). Im Bereich der „formativen Validierungsansätze“ haben Volkshochschulen durch den niederschwelligen Zugang gute Möglichkeiten, unterschiedliche Zielgruppen zu erreichen und Validierungsangebote für sie zugänglich zu machen. Insbesondere in der Beratung (z.B. in Bezug auf Weiterbildung, berufliche Neuorientierung oder Karriereplanung) können Kompetenzbilanzierungs- bzw. Validierungsinstrumente zum Einsatz kommen. Beratungsangebote dieser Form können jedoch auch in unterschiedliche Kursangebote eingebunden werden. Mit solchen „integrierten Formaten“ können mitunter auch Personen erreicht werden, die von sich aus diese Beratungsangebote zunächst nicht in Anspruch genommen hätten, aber dennoch von Validierungsverfahren profitieren können.11
Im Hinblick auf „summative Validierungsansätze“ ergeben sich ebenfalls weitere Möglichkeiten für österreichische Volkshochschulen. Solche Verfahren oder Verfahrensschritte können in das Angebot zum Erwerb nicht-formaler Qualifikationen eingebunden werden, um so vorhandene Kompetenzen von Lernenden zu erfassen und individualisierte Lernwege zu ermöglichen.
Weiters können Volkshochschulen „formative“ sowie „summative“ Verfahrensschritte anbieten, die zum Erwerb einer formalen Qualifikation hinführen. Dazu ist eine Kooperation mit entsprechenden Bildungseinrichtungen bzw. Validierungsstellen des formalen Bereichs erforderlich, um sicherzustellen, dass die verwendeten Methoden (insbesondere zur Dokumentation und Bewertung von Kompetenzen) den jeweiligen Erfordernissen entsprechen. Wird beispielsweise ein individuelles Kompetenzportfolio im Rahmen eines Volkshochschulangebotes erstellt, wäre zu überlegen, inwiefern die inhaltliche Struktur des Portfolios an die Erfordernisse des angestrebten Verwendungskontextes angepasst werden kann. Werden etwa Zertifikate erstellt, die lediglich die Teilnahme an einem Volkshochschulangebot bestätigen, wäre ebenfalls darüber nachzudenken, inwiefern deren Transparenz erhöht werden kann, damit sie im formalen Bildungssystem oder auch am Arbeitsmarkt besser verstanden und für Validierungsverfahren in anderen Kontexten genutzt werden können.
Die in der österreichischen Validierungsstrategie festgehaltene gemeinsame Entwicklung von Qualitätskriterien für Validierungsverfahren, in die auch der VÖV eingebunden ist, und deren Anwendung in der Praxis kann die Akzeptanz und Transferierbarkeit von an Volkshochschulen erworbenen Kompetenzen bzw. von an Volkshochschulen durchgeführten Validierungsschritten erhöhen. Erfahrungen, z.B. mit dem Projekt „Du kannst was!“ zeigen auch, dass regionale Kooperationen erfolgversprechend sind. Durch diese Zusammenarbeit kann einerseits der konkrete Bedarf in Bezug auf Verfahrensschritte (z.B. hinsichtlich der Formate oder der Zielgruppen) gemeinsam ermittelt werden und andererseits das Vertrauen in Ergebnisse des Kompetenzerwerbs bzw. von Validierungsansätzen gestärkt werden.
In Anlehnung an das Nordische Netzwerk für Erwachsenenbildung (NVL: 2015, S. 16) soll abschließend auf das Potenzial nicht-formaler Lernkontexte insbesondere in Bezug auf die ersten Schritte im Validierungsprozess verwiesen werden: Bewusstseinsbildung sowie Unterstützung dabei, Kompetenzen sichtbar zu machen und sie zu artikulieren. Nicht-formale Lernkontexte können aber auch eine Rolle spielen in Bezug auf die Dokumentation und Feststellung von Kompetenzen. Dabei ist jedoch auch auf das allen Diskussionen zu diesem Thema inhärente Dilemma zwischen Citizenship-Perspektive und Employability-Perspektive zu verweisen (siehe dazu z. B. Adorno: 2016a,b): Einerseits geht es um demokratiefördernde, emanzipatorische und humanistische Bildungsideen und andererseits um eher pragmatische Ansätze der Formalisierung und Verwertbarkeit von Lernerfahrungen. Diese Aspekte und die damit verbundenen Risiken und Chancen sind bei der Ausgestaltung des Angebots jeweils zu reflektieren, um adäquate Lösungen in diesem Spannungsfeld zu finden. //
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