Eine klimagerechte Welt liegt in greifbarer Nähe. Das ist der Grundtenor des zu Optimismus Anlass geben wollenden Sammelbandes. „Unlearn CO2“ meint, in allen gesellschaftlichen Sektoren umzulernen, neu zu lernen, um die Klimakrise zu bewältigen und den dafür notwendigen Wandel einzuleiten. Dies bedeutet jedoch nicht, nur alle Kohlendioxid-Emissionen zu „verlernen“ und zu verringern, sondern auch zu erkennen, dass die Ursachen der Klimakrise in globalen Ungerechtigkeiten, in der Zerstörung von Natur und Biodiversität oder im Wachstumsdruck unseres Wirtschaftssystems liegen.
Das „Verlernen“ soll zu einem „Neulernen“ werden, um die Gegenwartsgesellschaft auf gerechtere und gesündere Wege zu führen. Dass es diesbezüglich schon viele Ideen, Vorschläge, Lösungsansätze und praxiserprobte Versuche gibt, will dieses Buch, herausgegeben von Vertreter*innen des Journalismus und der Wissenschaft, belegen.
Der einleitende Beitrag „unlearn verdrängung“, der erste von insgesamt vierzehn Beiträgen, erklärt Klimaangst als Transformationsangst: Status, Selbstbild, sozialer Standort – vor allem von (weißen) Männern – sind in Gefahr. Gegenentwürfe und Alternativen zum Status quo erscheinen oft unklar. Positiv motivierend wird empfohlen, Freude an kollektiver Wirksamkeit zu empfinden. Gemeinschaftsgefühl und „Zukunftsvorfreude“ können sich in kooperativer, kreativer, sozialer Zusammenarbeit entfalten. Gemeinsames Erleben hilft, keine Angst vor der Angst zu haben.
Wie die Liebe hat auch das Klima mit dem Magen zu tun. Daher: „unlearn ernährung“. Der Beitrag erläutert den komplexen Einfluss menschlicher Ernährungssysteme auf das Klima. Er verweist auf pflanzliche Alternativen zu rotem Fleisch, kritisiert den Umgang mit überflüssigen Lebensmitteln, benennt die Gefahren der gnadenlos effizient gewordenen Fischereiindustrie. Warum nicht Entscheidungen über Ernährung treffen, in die Empathie und Wertschätzung für die Tierwelt einbezogen werden?
„Ableismus“ – Menschen nur aufgrund ihrer Leistungen zu beurteilen – „verlernen“, macht auf die Problematik von Menschen mit Behinderung(en) bei ihrem Engagement gegen die Klimakrise aufmerksam. Eine Chance, durch Bildung und Weiterbildung die Kompetenzen zu profilieren, um an Klimadebatten teilzuhaben, ergibt sich in(?) mit(?) den Disability-Studies.
Gesellschaftlich sehr bedeutsam ist die Frage nach der Transformation des bestehenden Rechtssystems. Das „herrschende“ Recht, heißt es im Beitrag „unlearn recht“, folgt nämlich der auf „fossilen Füßen stehenden Wohlstands- und Wachstumslogik“ (S. 85). Der Schutz von Klima- und Biodiversität braucht ein Rechtssystem, das Natur und somit unsere Lebensgrundlagen mehr berücksichtigt. Zu den Ideen, die natürliche Ressourcen und die Menschenrechte sowie Energie- und Klimawende befördern, zählen u. a.: die Pflege ökologischer Verhältnismäßigkeit, der Schutz planetarer Gemeingüter (z. B. Korallenriffe, Regenwälder), das Achten auf Eigenrechte der Natur, das Verankern eines neuen, universellen Menschenrechts auf ein Leben in einer gesunden Umwelt.
„unlearn arbeit“ fordert eine gerechte, klimaschützende Arbeitswelt, die nachhaltig Menschen nicht „ausbrennt“. Die wichtige Rolle der Gewerkschaften für das Erreichen kürzerer Arbeitszeit verbunden mit einem gesünderen Lebensstil wird ebenso belegt wie bereits erkennbare Vorteile im Wettbewerb von klimagerechten Unternehmen. „Planetary Health Diet“, eine planetare gesunde Lebensweise auf einer „gesunden Erde“ zu erreichen, wird als Anliegen aller Menschen propagiert. Daher: „unlearn gesundheit“.
Weitere Beiträge widmen sich den Themen Automobilität, Wachstum, Mode, Desinformation, Wetter, Patriarchat und Energie.
Doch wie können die Menschen von all den notwendigen Transformationen erfahren? Die Medien haben hierbei eine verantwortungsvolle Aufgabe. Deshalb sollte auch diesbezüglich ein „unlearn medien“ vor sich gehen. Medien soll mehr Bedeutung für das praktische Bewältigen der Klimakrise zugesprochen und eingeräumt werden. Gute Klimaberichterstattung und solide Klimakommunikation sollen Menschen ermächtigen, „sich in dieser alles umfassenden Krise nicht mehr hilflos zu fühlen, sondern Teil des Wandels zu werden“ (S. 83).
Manchmal etwas blauäugig, doch konsequent dem Optimismus verpflichtet, bietet das Buch viele Argumente und Beispiele, die in Klimadebatten angeführt und für die Praxis eines klimabewussten Zusammenlebens eingesetzt werden können. Es erläutert Zusammenhänge und verdeutlicht zugleich, wie komplex das Vorhaben ist, für das Wohl der Erde einzutreten. Aber ermutigend heißt es, was für die Erde gut ist, ist auch für uns Menschen gut.
Die Lektüre liefert viele Anknüpfungspunkte für innovatives Denken und engagiertes Handeln im komplexen und interdisziplinären Feld des Klimawandels.
In der Erwachsenenbildung verdient das Buch mit seiner Bandbreite von Kursthemen sicherlich Aufmerksamkeit. //
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