Ulrike Froschauer/Manfred Lueger: Das qualitative Interview. Zur Praxis interpretativer Analyse sozialer Systeme.

Ulrike Froschauer/Manfred Lueger: Das qualitative Interview. Zur Praxis interpretativer Analyse sozialer Systeme.
Wien: UTB 2020, 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, 262 Seiten.

Interviews haben sozialwissenschaftlichen Eigenwert. Sie sind keine Lückenbüßer oder Türsteher für wissenschaftliche Forschung. Als Mittel qualitativer und interpretativer Sozialforschung geben sie nicht nur subjektive Meinungen wider, sondern ermöglichen, korrekt angewendet, in sozialen Situationen und sozialen Feldern Handlungen und Dynamiken zu beobachten. Um die soziale Welt angemessen zu verstehen, sollten sich empirische Untersuchungen mit ihren Erhebungs- und Interpretationsverfahren den besonderen Eigenschaften dieser sozialen Welt ständig modifizierend anpassen.

„Flexibles Verfahrensrepertoire“ und „reflexive Forschungsstrategie“ sowie ständige Reflexion und Adaption, eine Vielfalt an Interviewtechniken und viele Varianten an Interpretationsverfahren stellen eine Herausforderung dar. Ulrike Froschauer, Soziologin an der Universität Wien, und Manfred Lueger, Soziologe an der Wirtschaftsuniversität Wien, wollen zur Orientierung beitragen. Sie bieten Übersicht in einem Forschungssektor, in dem sie Wege zu Forschungsstrategien zeigen, die prozessual im Laufe der Forschung zu verfeinern und zu optimieren sind.

Soziale Prozesse zu erschließen und menschliches Handeln im sozialen Kontext zu verstehen – zu interpretieren – ist die Zielsetzung qualitativer Forschung. Kommunikation als Grundlage sozialer Systeme soll mit dem Instrument Interview zugänglich werden, wobei Gesprächsinhalte nicht nur vordergründig, sondern auch als Ausdruck sozialer Beziehungen und Verhältnisse zu verstehen sind.

Der Komplexität des Themas angemessen, werden eingangs die Grundlagen qualitativer Forschungsgespräche vorgestellt und anhand eines Beispiels an einer durchgeführten Systemanalyse erläutert. Daraus leiten sich praktische Hinweise zur Durchführung von Gesprächen ab. Unterschiedliche Formen wie z. B. offene, narrative, problem- und themenzentrierte, aber auch Telefon- und Skype-Interviews finden Beachtung. Detailliert, genau und differenziert wird erklärt, was bei Einsatz der verschiedenen Formen zu berücksichtigen und zu erwarten ist. Ebenso gründlich und ausführlich werden zur Gesprächsinterpretation Grundlagen angeführt und Hinweise für die Textinterpretation gegeben.

Der Qualitätssicherung, sie gilt als strategisches Kernelement, und der Aufbereitung der Ergebnisse ist ein eigener Abschnitt gewidmet. Denken in Prozessen gilt auch hier: Präsentationen von Forschungen sind kein Endpunkt, sondern fungieren schon im Forschungsverlauf als Zwischenbilanzen auf dem Weg zu einem kohärenten Ergebnis.

Im letzten Kapitel wird die Analyse sozialer Systeme im methodologischen Kontext diskutiert. Abschließend wird auf der Basis dieser „Forschungsorganisierung“ vorgestellt, was qualitativ tätige ForscherInnen beachten und welche Eigenschaften sie mitbringen sollten. Dazu gehören u. a. Umgang mit Unsicherheit und Widersprüchen, Geduld, Toleranz, soziale Kompetenz und Anpassungsfähigkeit, Flexibilität und Neugier sowie Kenntnisse hermeneutischer Interpretationsverfahren. Last but not least: sich selbst als Lernende (nicht als Wissende) definieren.

Das im wissenschaftlichen Stil verfasste Buch zeigt, wie seriös, aber auch wie herausfordernd die Erkundung und Erforschung sozialer Realität vor sich gehen kann. Der Prozess des Forschens soll auch als Prozess des Erlernens von Erkenntnisschritten verstanden werden. In diesem Sinne eignet sich das Buch für lernfreudige LeserInnen und mutige ForscherInnen, die soziales Handeln von Menschen und ihre Vorstellungen von der Welt hervorbringen und interpretieren wollen. //

Lenz, Werner (2020): Ulrike Froschauer/Manfred Lueger: Das qualitative Interview. Zur Praxis interpretativer Analyse sozialer Systeme. Wien: UTB 2020, 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, 262 Seiten. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Winter 2020, Heft 272/71. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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