Bericht zum Online-Workshop: Im Gedächtnis herrscht immer Platzmangel.
Wie können wir Gedenkjahre und andere Inhalte politischer Bildung in der VHS-Bildungspraxis verankern?

Mit mehr als 30 TeilnehmerInnen gut besucht war der von Elisabeth Feigl und Stefan Vater koordinierte Workshop des Verbandes Österreichischer Volkshochschulen am 15. Jänner 2021, der Überlegungen zu Themen des Gedenkens und der politischen Bildung ermöglichte.

Den Ausgangspunkt der Veranstaltung bildete die Frage, welche Themen erinnerungswürdig erscheinen und welche verschwinden und wie dies unsere Vorstellung von Geschichte und Zukunft beeinflusst.

In seinem Impulsvortrag legte der Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger dar, dass Politische Bildung nicht nur die Vermittlung von Wissen, wie z. B. Institutionenkunde umfasse, sondern eine spezifische Praxis der Demokratie und Menschenrechte bedeute. Wichtig sei zu erkennen, dass politische Bildung Ein- und Ausblendungen impliziert. Wie erinnern wir uns der Shoa, und was ist die österreichische Form der Erinnerung? Was behalten wir im Gedächtnis und was vergessen wir? Als Beispiele des Vergessens nannte Schmidinger die Verfolgung von Randgruppen im Nationalsozialismus, die eher wenig präsent ist, so etwa Roma, Zeugen Jehovas oder auch Menschen mit körperlichen Einschränkungen. Er erinnerte auch an bewusste Ausblendungen in Österreich, wie den Februar 1934, den Austrofaschismus oder die Gegenreformation. Und er wies darauf hin, wie wichtig Gedenktage und -jahre sind, da sie Aufmerksamkeit erzeugen und politische Bildung hier sehr gut ankern kann.

Als größte Leerstelle der Erinnerungskultur ortete er allerdings den fehlenden Einbezug von MigrantInnen und deren Erfahrungen; also jener Menschen, die nicht dem imaginierten österreichischen Konsens entsprechen. Hier bezog er sich exemplarisch auf Fluchtgeschichten aus Jugoslawien oder Armenien, somit auf Geschichten und Ereignisse, die im österreichischen Erinnerungskosmos keinen Raum finden (dürfen). So erwähnte Schmidinger etwa den 11. Juli, der als Gedenktag zur Erinnerung an die schrecklichen Ereignisse von Srebrenica eingeführt wurde und auch in Österreich von vielen bosnischen Flüchtlingen begangen wird. Er erinnerte auch daran, dass in der Nacht zum 23. Februar 1944 tschetschenische Dörfer von Truppen des sowjetischen Sicherheitsdienstes NKWD umstellt und die EinwohnerInnen auf Befehl des sowjetischen Diktators Josef Stalin kollektiv nach Sibirien zur Zwangsarbeit deportiert wurden.

Mit einem Beispiel zum Antisemitismus in Kursen syrischer Flüchtlinge analysierte Schmidinger, ohne vorwurfsvoll zu werden, die fehlenden Anknüpfungspunkte für eine universalisierte Gedenkpraxis, eine, die allen in Österreich lebenden Menschen Raum lässt und auch die Bezugspunkte aller hier Lebenden ernst nimmt – eine Gedenkpraxis, die ihnen Raum lässt, sich in das politische Gedenken einzuschreiben. Gayatri Spivak, eine US-amerikanisch-indische Literaturwissenschafterin nennt diese Universalisierung Metonymisierung und meint damit, Menschen die Chance zu lassen, sich auch im Gedenken als Teil der Allgemeinheit zu fühlen.

Nach intensiven Diskussionen in Workshops wurden einige Beispiele der politischen Erwachsenenbildung an Volkshochschulen vorgestellt.

Iris Ratzenböck von der Volkshochschule Oberösterreich präsentierte das „Gemma-Demokratie Quiz“, das ursprünglich von der Erwachsenenbildung Oberösterreich als „Pub-Quiz“ konzipiert wurde und nun coronabedingt auch online zur Verfügung steht. Ratzenböck lieferte so ein Beispiel dafür, wie das oft als eher trocken angesehene Thema Demokratie auch im Sinne von Infotainment in gelockerter Form einer breiteren Öffentlichkeit schmackhaft gemacht werden kann.

Ein ähnliches Ziel, wenngleich auch in weit umfassenderer Form, verfolgt der bereits seit zwei Jahren erfolgreich laufende Demokratie-MOOC, der von Christin Reisenhofer vorgestellt wurde. Dort können unterschiedlichste demokratiepolitisch relevante Themen online in Form eines MOOCs, eines „Massive Open Online-Kurses“, gelernt oder vertieft werden.

Die von Stefan Jagsch eingebrachten Beispiele der Wiener Volkshochschulen zeigten wie unter Bedachtnahme auf Niederschwelligkeit, Aktualität und Relevanz ein Formate-Mix für den Zweiten Bildungsweg entwickelt wurde. So gelang es, Themen wie Rechtsextremismus, Digitalisierung oder Solidarität in einer Form aufzubereiten, die an der Lebenswelt der Jugendlichen anschloss.

Abschließend stellte Sonja Luksik von der Gesellschaft für politische Bildung (ÖGPB) diese Institution kurz vor und verwies auf den aktuellen Schwerpunkt der Arbeit sowie auf die ÖGPB Ausschreibung 2021: ­„Krise – Katastrophe oder Chance auf Neubeginn?“ zu der bis 15. März 2021 noch Projekte eingereicht werden können. //

Vater, Stefan/Feigl, Elisabeth (2020): Bericht zum Online-Workshop: Im Gedächtnis herrscht immer Platzmangel. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Winter 2020, Heft 272/71. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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