Die geburtenstarken Jahrgänge zwischen 1955 und 1970 – die sog. „Babyboomer“ – stehen im Scheinwerferlicht des Buches von Heinz Bude, das als besinnliche Sozialgeschichte dieser Generation auf deutscher Bühne vorgetragen wird. Analogien zu Österreich lassen sich aber leicht herstellen.
Heinz Bude, Professor für Makrosoziologie und selbst Angehöriger der „Boomer“-Generation, erzählt die Geschichte von Deutschen, die über viele Jahre in zwei unterschiedlichen deutschen Staaten, der dam. BRD und der dam. DDR, lebten. Die verschieden akzentuierten sozialen, politischen und kulturellen Erfahrungen formten die jeweilige Generation. Musik, Film, Idole und Alltagsmythen schufen den kollektiven Rahmen und wurden „Bestandteil des persönlichen Selbstverständnisses“.
Anfang der 1960er Jahre vermerkt Heinz Bude die Aufbruchsstimmung im Bildungssektor der dam. BRD. „Bildung ist Bürgerrecht“ hieß und signalisierte das Buch des Professors für Soziologie und Politikers Ralf Dahrendorf (1929 – 2009). Ein Recht auf Bildung habe der Staat zu gewährleisten, Chancengleichheit solle keines der Talente der Gesellschaft ausschließen, die Fähigkeit, selbstbewusst an der Gesellschaft mitzuwirken, solle gefördert werden. Ähnlich verhielt es sich in der dam. DDR, allerdings mit den Vorzeichen und Vorgaben „der Gebildetheit im Dienste des Volkes“ und „der sozialistischen Aufbaugemeinschaft“.
Die „Wende“ von 1989 legte die unterschiedlichen Biografien in den beiden deutschen Staaten offen. Nach dem Mauerfall folgte ein Staunen und Bestaunen auf beiden Seiten. Heinz Bude erklärt: Die „Boomer“ der beiden Staaten hatten keine gemeinsame Geschichte – die einzige Verbindung zwischen diesen Generationen der Nachkriegszeit waren Krieg und Völkermord. Die Wiedervereinigung ab 1989 wurde, auch durch die Zuwanderung aus anderen Ländern, zu einer Epoche erhöhter Buntheit und Unübersichtlichkeit.
Unterschiedlich waren auch grenzüberschreitende Katastrophen wahrgenommen worden. „Transnationale Großereignisse“ wie die Reaktorexplosion von Tschernobyl (1986) und die tödliche Bedrohung ab den 1980er Jahren durch Aids wurden von den sog. „West-Boomern“ durch Forschung – erste Citizen-Science Projekte – und Selbsthilfe bekämpft. Eine bis heute tragfähige Stütze der Zivilgesellschaft entstand. Für die sog. „Ost-Boomer“ blieben beide Gefahren durch Desinformation auf einer sehr niederen Schwelle der öffentlichen Wahrnehmung.
In eine neue Phase der Geschichte – „Nichts ist sicher!“ – eingetreten zu sein, blieb vorerst eine „westliche“ Auffassung. Heinz Bude konstatiert (S. 97): „Auf beiden Seiten der Mauer nahmen die Boomer hin, was nicht zu ändern war.“
Die „Boomer“ sind nun Eltern geworden, haben meist noch selbst hochbetagte Eltern und müssen Grenzen und Endlichkeit des eigenen Lebens erkennen. Die alternde Generation der „Boomer“ wird zu einer sozialen Herausforderung für den Wohlfahrtsstaat und für die geburtenschwächere nachfolgende Generation.
Welche Verantwortung erwächst gegenüber ihren älter werdenden Eltern? Welche Verantwortung tragen sie gegenüber ihren eigenen Kindern? Wie loslassen, ohne sich zu verlieren? Wie soll und möchte ich meinen Lebensabend verbringen? So lauten Fragen alternder „Boomer“.
Sie altern in einer Zeit, meint Bude, in der sich das Ökosystem, hochgradig bedingt durch menschliches Verhalten, rasant ändert. Lebten und leben „Boomer“ auf Kosten ihrer Nachkommen? Haben sie ihren Nachfahren die Zukunft gestohlen? Muss neidvoll auf das pralle Leben in ihrer Vergangenheit geblickt werden?
Das Buch vermittelt – unaufdringlich – eine Haltung, weder Vergangenheit noch Zukunft sorglos, gleichgültig oder vorwurfsvoll zu betrachten. Es liefert soziologisch fundierte Grundlagen für die Reflexion von Bildungsbiografien und thematisiert problemorientiert Inhalte für einen intergenerationalen Dialog.
Im Rahmen von Professionalisierung im Weiter- und Bildungsbereich eine wichtige Lektüre, die gesellschaftliche Veränderungen als Anlässe für Bildungs- und Lernprozesse erkennen lässt. //
Kommentare