Soziale Kohäsion ist Sicherung des Wohlergehens aller
Soziale Kohäsion definiert der Europarat als die „Fähigkeit einer Gesellschaft, das Wohlergehen all ihrer Mitglieder zu sichern“. Ungleichheiten sollen minimiert werden und Marginalisierung vermieden werden und Mittel zur Erreichung des Wohlergehens aller sind zu gewährleisten (Europarat 2010, S. 2).
Soziale Kohäsion ist ein wichtiger stabilisierender Faktor, denn „Gesellschaften, in denen es Spaltung und Ungleichheit gibt, sind nicht nur ungerecht, sie können auf lange Sicht auch keine Stabilität garantieren“ (Ebd.).
Die Strategie des Europarates für soziale Kohäsion ruht auf vier Säulen
- Reinvestition in soziale Rechte und eine kohäsive Gesellschaft;
- Schaffen eines Europas gemeinsamer und sozialer Verantwortung
- Stärkung von Repräsentation und der demokratischen Entscheidungsprozesse sowie den Ausbau des sozialen Dialogs und des zivilgesellschaftlichen Engagements;
- Aufbau einer gesicherten Zukunft für alle. (Ebd.)
Wohlergehen hat sehr viel mit dem Individuum zu tun, es hat aber auch damit zu tun, in welchem Verhältnis das Individuum zu seinen Mitmenschen steht, über welche sozialen Kontakte die Menschen verfügen. Trauen sie ihren Mitmenschen oder sind sie generell misstrauisch. Weiters wäre die gesellschaftliche Stellung zu nennen. Ist das in Ordnung, dass ich mich hier befinde und andere sich dort befinden. Wie kommt das überhaupt zustande, dass die einen unten sind und die anderen oben? Schließlich geht es um nicht mehr und nicht weniger als um die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen.
Wie sieht es mit dem sozialen Zusammenhalt in Österreich aus?
Dazu gibt der „Radar gesellschaftlicher Zusammenhalt“ Auskunft, der im Auftrag der Bertelsmann Stiftung unter der Leitung eines Forscherteams der Jacobs University Bremen ab 1989 den Zusammenhalt in 34 westlichen Staaten untersucht. Dabei werden Indikatoren aus international vergleichenden Befragungsstudien verwendet und andere, nicht näher definierte, wissenschaftliche Daten (Bertelsmann o.J., S. 3)
Der gesellschaftliche Zusammenhalt wird in einem Gesamtindex erfasst, der aus drei Bereichen besteht (soziale Beziehungen, Verbundenheit mit dem Gemeinwesen und Gemeinwohlorientierung), die in neun Dimensionen erfasst werden: Soziale Netze, Vertrauen in Mitmenschen, Akteptanz von Diversität, Identifikation, Vertrauen in Institutionen, Gerechtigkeitsempfinden, Solidarität und Hilfsbereitschaft, Anerkennung sozialer Regeln und gesellschaftliche Teilhabe.
Eine besondere Stärke Österreichs liegt darin, dass soziale Regeln anerkannt werden. Österreich war auch lange Zeit in der Spitzengruppe bei der Solidarität und Hilfsbereitschaft der Bürger, hier sind wir allerdings zurückgefallen. Die soziale Vernetzung und die Teilhabe am politischen und gesellschaftlichen Leben haben sich positiv entwickelt. Der Umgang mit Diversität ist ein Schwachpunkt in Österreich, hier hat sich unser Land in die Schlussgruppe bewegt und im letzten Erhebungszeitraum in das untere Mittelfeld entwickelt. Hier geht es darum, wie Minderheiten und ihre Lebensstile toleriert werden, zum Beispiel von MIgrantInnen oder Homosexuellen (ebd., S. 4).
Der Ländervergleich zeigt, dass ein hoher Anteil von MigrantInnen kein Hindernis für sozialen Zusammenhalt ist, hingegen belastet die fehlende Akzeptanz von Vielfalt das Zusammenleben.
Quelle: Bertelsmann Stiftung http://medienservicestelle.at/migration_bewegt/wp-content/uploads/2014/01/IBIB_Gesellschaftlicher_Zusammenhalt_Oesterreich.pdf
Dem Thema “Wir und die anderen” widmet sich die aktuelle Arena Analyse, die seit 2006 jedes Jahr von Kovar & Partners durchgeführt wurde, 2018 in Zusammenarbeit mit der Tageszeitung “Der Standard” und mit der Österreich-Ausgabe von “Die Zeit”. 51 ExpertInnen wurden zum Thema “gesellschaftlicher Zusammenhalt” um Antworten zu offen gestellten Fragen ersucht. Die Befragten kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen, damit wird eine Vielfalt sichergestellt. Die Antworten werden erfasst und geclustert, um Muster offen zu legen. In weiterer Folge wird die Auswertung in Form eines Berichtes gemacht. (Osztovics et al 2018)
Der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft wird schwächer, so lautet der globale Befund der Arena Analyse. Dazu werden mehrere Themen bzw. Entwicklungen genannt, wie die Desintegration der EU, der Zerfall von Nationalstaaten mit separatistischen Regionen, Konflikte zwischen Stadt und Land oder Peripherie und Zentrum, eine wachsende Verständnislosigkeit zwischen Gruppen mit ethnisch oder kulturell unterschiedlichem Hintergrund. Ein starker Treiber ist die Digitalisierung, die die die Gefahr weiterer Spaltungen und Ungleichheiten bewirken kann.
Zusammenhalt müssen wir jedenfalls versuchen, lautet die Schlussfolgerung der ExpertInnen, den die menschliche Gemeinschaft kann ohne Kohäsion nicht funktionieren. Wichtig sind dabei einerseits Bildung und andererseits die Arbeit der Zivilgesellschaft, den diese bringt die Menschen in der wirklichen Welt zusammen. Bildung verbessert nicht nur Qualifikationen, sondern sie schafft auch Perspektiven.
Erwachsenenbildung wirkt für ein besseres Zusammenleben
Die in zehn europäischen Ländern durchgeführt BeLL-Studie zu den „Benefits of Lifelong Learning“ hat interessante Ergebnisse zu den Wirkungen von allgemeiner Erwachsenenbildung, wie sie beispielsweise in Volkshochschulen umgesetzt wird, erbracht (Manninen et al. 2014). Mehr als 8.000 Menschen haben in Fragebogen bekannt gegeben, welche Veränderungen der Kursbesuch bei Ihnen gebracht hat, anhand von rund 4.500 Fragebögen wurden die offen gestellten Fragen qualitativ ausgewertet und 82 Personen haben persönlich vertiefende Interviews gegeben.
Zwischen 70 und 87 Prozent haben von positiven Veränderungen durch den Kursbesuch bei der Lernmotivation, bei sozialen Kontakten, beim allgemeinen Wohlergehen und ihrer Lebenszufriedenheit berichtet, 31 bis 42 Prozent haben gemeint, dass es Veränderungen in ihrer Arbeit bzw. in der beruflichen Karriere gegeben hat und beim staatsbürgerlichen Engagement.
Besonders interessant ist, dass alle Gruppen von allgemeiner Erwachsenenbildung profitieren und dass alle Typen von Kursen Änderungen in der Selbsteinschätzung und in den Einstellungen ihrer KursteilnehmerInnen zur Folge haben. Für die jüngeren TeilnehmerInnen fungiert die Erwachsenenbildung als Sprungbrett in die Gesellschaft, indem beispielsweise ihr Bewusstsein, das eigene Leben im Griff zu haben, verbessert wird. Bei älteren Menschen federt der Kursbesuch Übergänge etwa in die Pension, den Verlust von Freunden usw. ab.
Je niedriger das Niveau der Erstausbildung bei den KursteilnehmerInnen ist, umso höher fallen die Veränderungen durch den Kursbesuch aus. Benachteiligte Personengruppen profitieren am meisten vom Kursbesuch.
Kursbesuch hat positive Auswirkungen auf das persönliche Wohlergehen und auf die eigene Gesundheit. KursteilnehmerInnen stellen einen Zusammenhang zu ihrem eigenen Glücksgefühl her. Zufriedenheit und Wohlbefinden der Menschen sind gerade für das Zusammenleben wichtig.
KursbesucherInnen berichten von einer höheren Lernmotivation. Die Freude am Lernen zeigt sich auch darin, dass TeilnehmerInnen das Lernen in der Erwachsenenbildung als sehr positiv bestimmt beschreiben. Und sie tun es gerne. Einmal damit begonnen, können die Menschen nicht genug davon bekommen. Gerade das wird ja heute verlangt: selbsttätiges und ständiges Weiterlernen.
Die KursteilnehmerInnen sprechen von einem verbesserten Umgang mit neuen Herausforderungen, mit Stress, aber auch mit persönlichen Schwierigkeiten oder Krankheiten. Das hängt wahrscheinlich auch damit zusammen, dass das Lernen in der Erwachsenenbildung überwiegend ein Lernen in der Gruppe ist und hier findet ein Prozess in mehrere Richtungen statt: Die Gruppe stützt das Individuum und der/die einzelne leistet einen Beitrag für die anderen, für die Gruppe.
Über ein Mehr an Toleranz sprechen die Lernenden in der Erwachsenenbildung. Toleranz bildet sich aus den Erfahrungen des Umgangs miteinander, der sozialen Interaktion in gemischten Gruppen heraus. Gerade diese heterogenen Gruppen haben wir in Volkshochschulen. In ihnen geschieht vielfach auch das, was wir als „Probehandeln“ bezeichnen, hier werden Interaktionen ausprobiert, hier kommt Feedback von den anderen KursteilnehmerInnen und Handlungen werden korrigiert oder verändert.
Erwachsenenbildung hat Wirkung und Effekte auf den einzelnen Menschen, über diese wirkt sie auch auf die Gemeinschaft, trägt zur Verbesserung des sozialen Zusammenhalts bei und durchaus auch auf die Bereitschaft des Einzelnen sich für die Gesellschaft zu engagieren. Erwachsenenbildung trägt so zur persönlichen Weiterentwicklung, zur Verbesserung der Chancen der Menschen im Alltag und im Beruf, aber auch in der Bildung und in der Gesellschaft bei.
Was leisten die österreichischen Volkshochschulen für einen besseren sozialen Zusammenhalt?
Die Beiträge in dieser Ausgabe der ÖVH (Die Österreichische Volkshochschule) sind exemplarische, die weitestgehend für die gesamte österreichische VHS-Landschaft gelten. Zahlreiche Vorträge zum Thema Zusammenleben und Zusammenhalt finden Jahr für Jahr in den Volkshochschulen statt. Bundesweite bildungspolitische Maßnahmen wie die „Initiative Erwachsenenbildung“ mit ihren beiden Programmbereichen Basisbildung und Pflichtschulabschluss werden Österreich-weit von den Volkshochschulen umgesetzt und tragen wesentlich zu einem verbesserten sozialen Zusammenhalt bei. In dieser Ausgabe der ÖVH haben wir einige Beispiele aus den Volkshochschulen zusammengestellt, die für das breite Spektrum an Bildungsaktivitäten stehen, die das Zusammenleben und den Zusammenhalt verbessern.
Bildung ermöglicht Teilhabe und Bildung ermöglicht sozialen Aufstieg. Eines der stärksten Motive, an die Gesellschaft zu glauben und sich von ihr nicht abzukapseln stellt die Aussicht dar, die soziale Stufenleiter erklimmen zu können. Dafür ist allerdings ein Bildungssystem notwendig, das soziale Unterschiede ausgleicht und überwindet und nicht zementiert. //
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