Was bedeutet eigentlich Bildungsbenachteiligung? Schlicht formuliert, die Verhinderung einer Beteiligung im Bildungsbereich aufgrund verschiedenster Barrieren. Hier muss aber differenziert werden: Verhinderung der Bildungsbeteiligung bedeutet nicht unbedingt, dass die Nicht-TeilnehmerInnen gegen ihren Willen nicht teilnehmen können. Es könnte sich ja auch um bewusste Entscheidungen gegen eine unzumutbare, aufreibende, nervende Form von Bildung handeln oder gegen einen Besuch von als nicht wertschätzend empfundenen Institutionen, die als fremd und schulisch, belehrend oder sanktionierend empfunden werden. Ausbleibende Bildungsbeteiligung kann auch eine Entscheidung gegen Karriere, mit der Bildung ja zunehmend assoziiert wird, sein.
Bildungsbenachteiligungen zu reduzieren setzt eine Analyse von Bildungsbarrieren voraus bzw. die Frage, was von wem als niederschwellig empfunden wird. Für Institutionen wie etwa die Volkshochschulen geht es um Niederschwelligkeit für Menschen, die nicht gesellschaftlichen Eliten oder Bildungseliten zugehören. Den Begriff „Bildungsferne“ möchte ich hier soziologisch und nicht wertend verstanden wissen. Bildungsferne bedeutet dann, fern von formal anerkannten Institutionen, Zertifikaten und auch fern der Idee, Bildung könnte jedem und jeder Aufstieg und Karriere garantieren. Für eine teilnehmerInnenorientierte Bildungsinstitution wie die Volkshochschule liegt es nahe, Bildungsbeteiligung nur im Sinne der/ihrer TeilnehmerInnen zu untersuchen, wobei es hier nicht darum geht, welche Weiterbildung welche Menschen aus welchen Gründen auch immer besuchen sollten. Im Folgenden versuche ich, mit Zitaten von TeilnehmerInnen der Frage nachzugehen: Was ermöglicht Bildung? Was macht Bildung an Volkshochschulen attraktiv und was macht es möglich und leicht, an dieser Bildung teilzunehmen? Festgehalten werden kann mit Blick auf vorliegende Daten, dass Volkshochschulen Orte mit niedrigen Bildungsschranken und einer deutlich niedrigeren Eingangselektion wie andere Bildungsinstitutionen sind (vgl. Vater & Zwielehner: 2018).
Was macht Bildung an Volkshochschulen attraktiv?
Der Beitrag legt einige Anmerkungen und Evidenzen zur Frage der Niederschwelligkeit der Volkshochschulen und deren Anboten vor, besonders geht es um die Niederschwelligkeit für wenig Bildungserfahrene. Der Beitrag bezieht sich auch auf die Auswertungen der Bell-Studie (Wider Benefits of Learning – Projekt des Verbands Österreichischer Volkshochschulen und der Donauuniversität Krems – Monika Kil, Filiz Keser-Aschenberger) an Volkshochschulen von 2018 bis 2020 über die in der ÖVH Nr. 270 (2020) ausführlich berichtet wurde. Im Kontext dieser Studie wurden 1400 Fragebögen an Volkshochschulen verteilt und rund 600 eingesammelt, weiters wurden acht qualitative Interviews geführt. Der Hauptfokus lag auf der Frage nach dem Nutzen von Bildungsbeteiligung. Allerdings finden sich in den qualitativen Interviews und den offenen Fragen der quantitativen Fragebögen auch Aussagen zu Zugang und Niederschwelligkeit. Alle Zitate in diesem Beitrag sind den Interviews und quantitativen Befragungen (in den offenen Fragen sind die Antworten teils stichwortartig) entnommen und werden hier vollständig anonymisiert zitiert, als „BeLL- Interviews 1–8“ oder als „BeLL-Fragebogen offene Fragen“, jeweils mit dem Textmarker der Analysesoftware MAXQDATA.
Eine „entspannte Atmosphäre“ und zwangloses Lernen
Viele VolkshochschulteilnehmerInnen betonen die „entspannte Atmosphäre“, die ein Lernen, das Erweitern der eigenen Grenzen beinahe als Erholung und ohne Schulstress ermöglicht, nicht nur in Bildungsbereichen, die der Freizeit oder Gesundheit zugeordnet werden.
„Positive Erfahrung. Kräftigung, Wohlbefinden, ausgeglichener, neues Wissen.“ [BeLL-Fragebogen offene Fragen, Position: 118–119].
„Die weitestgehend entspannte Kursatmosphäre stellt ein Vergnügen dar.“ [BeLL-Fragebogen offene Fragen, Position: 222].
„Persönlichkeitsentwicklung durch zwangloses Lernen.“ [BeLL-Fragebogen offene Fragen, Position: 369].
Ein realer sozialer Ort und der Reiz neue Kontakte zu knüpfen
Ein Besuch in der Volkshochschule ermöglicht, neue Menschen kennenzulernen, und dies wird auch als wesentlicher Anreiz eines Kurs- oder Vortragsbesuchs formuliert. Weiters ist die Volkshochschule ein realer Ort für Bildung, dies ist besonders wichtig für alle, denen dieser Raum des Lernens zuhause fehlt. Die Volkshochschulen sind ein Ort für Bildung und mehr und ein Ort, der sympathisch und nett wahrgenommen wird.
„Kreativität, Entspannung in der Freizeit, interessante Menschen treffen.“ [BeLL-Fragebogen offene Fragen, Position: 31].
„Ich komme wegen des soziale Umfelds… den hat mein Kind natürlich auch im Kindergarten, um mit anderen Kindern zusammen zu kommen. […] das ist das eine, aber auch um mit Eltern in Austausch zu kommen…im Kreis sitzen, im Kindergarten ist man ja ausgeschlossen als Elternteil […] das ist das Nette in der VHS – bei Kinder-Kursen. Man kann dabei sein, und das hat was Verbindendes […] und dass man selber Input bekommt, wenn man es sich merken wollte […] Kindertänze und Lieder, die man ja Zuhause auch nochmal tanzen oder singen könnte […] grade im Winter, ist es schon nett wenn es einen warmen Platz gibt, wo man hingehen kann […] und es ist ja auch der Raum rundherum nett, wir gehen ja dann auch oft eine halbe/dreiviertel Stunde vor Kursbeginn hin, und da sind dann auch schon andere Kinder und die können dann schon […] das geht nur dann wenn der Raum das zulässt […].“ [BeLL-Interview 5, Position: 8–10].
„Ich würde nicht zu viel machen, aber es ist schon ein Punkt, eine Regelmäßigkeit zu haben und Gruppen zu haben, wo man sich zugehörig fühlt.“ [BeLL-Interview 4, Position: 14].
Ein Ort für Bildung, ein netter Ort!
„Es gibt Orte, die schüchtern ein, das haben manche Volkshochschulen nicht […] an anderen ist es ja schon sehr ranzig.“ [BeLL-Interview 4, Position: 22].
Mich interessiert alles! Und mich darf alles interessieren.
Die Volkshochschulen stellen für viele ihrer TeilnehmerInnen einen Raum dar, in dem sie sagen können: Es interessiert mich so vieles, aber ich habe das Gefühl, so wenig zu wissen. Andere Bildungsorte sanktionieren Aussagen wie diese negativ. Ich darf dazu nur auf einen Klassiker von Pierre Bourdieu verweisen (vgl. Bourdieu: 2001). Er hält her unter anderem fest: „Von ganz unten bis ganz oben funktioniert das Bildungssystem, als bestände seine Funktion nicht darin auszubilden, sondern zu eliminieren und einzuschüchtern. Besser: in dem Maß, wie es eliminiert, gelingt es ihm, die Verlierer davon zu überzeugen, dass sie selbst und ihr Unwissen für ihren Misserfolg im Bildungssystem verantwortlich sind“ (vgl. Bourdieu: 2001, Klappentext).
„Ja, mich interessiert alles. Ich habe so viel zum Nachholen, da ich so viele Jahre in der Firma gesessen bin, auch dann, wo die Kinder da waren. […] Ich habe so viel Glück gehabt. […] ich gehe jeden zweiten Donnerstag zur Mütterrunde, da haben wir auch Vorträge. Das ist in der VHS im zehnten [Bezirk, der Verf.] und da gibt es auch immer Vorträge. Da kommt jemand hin, und wir sind ungefähr 25 Leute allen Alters. Da kommt immer jemand her und erzählt was Interessantes.“ [BeLL-Interview 8, Position: 61–62].
„Naja, die Vorträge sind oft schon relativ schwer, sie sind schwer und für mich oft zu schwer, aber das macht nichts und ich gehe trotzdem hin, weil irgendwas nehme ich doch mit. Ich denke mir, natürlich verstehe ich nicht alles. Physikvorträge zum Beispiel.“ [BeLL-Interview 8, Position: 93–94].
Alle sind da!
Auch wenn es oft nicht explizit formuliert wird, die Durchmischung des Publikums der Volkshochschulen macht diese zu einem Ort mit niedrigen Zugangsschwellen.
„Genau, so eine Feier halt eben, wie das Diplom übergeben wurde und da bin ich auch mitgewesen und sie hatte mich auch eingeladen […]. Dann sind plötzlich lauter Burschen und Männer aufmarschiert und ihr Freund war neben mir, der studiert dasselbe. Der saß neben mir und ich fragte, warum sind da lauter Männer? Wo sind die Frauen? Er sagte, das ist ein technisches Studium, das machen fast nur Männer.“
I: „Die VHS sind da anders. Da sind ja viele Bildungsteilnehmer Frauen. Ist Ihnen das wichtig, dass da viele Frauen sind oder wäre es Ihnen egal, wenn da nur Männer wären?“
Frau M: „Das ist mir egal. Aber es sind auch Männer da. Ich zähle das aber nicht nach.“ [BeLL-Interview 8, Position: 105–110].
„Also, ich fühle mich immer wohl, egal wo, ich kenne jetzt ja fast schon alle. Ja, durch die zwei Jahre Science Card, und ich fühle mich immer wohl, und das vermittelt mir immer, auch durch die Buntheit der Teilnehmer. Und ich komme ja da manchmal schon hin, da sind noch die Kurse von den Jugendlichen und das gefällt mir irgendwie.“
I: „Genau, weil, wenn ich dann noch einmal, das heißt, nützen Sie die VHS auch dann ein bisschen rundherum? Sind sie ein bisschen früher dort, trinken einen Kaffee noch dort, also nutzen auch den sozialen Raum VHS, der in vielen VHSen schon noch gegeben ist?“
T: „Ja, ja, es ist ja in den, den, also in einigen jetzt, da waren auch Ausstellungen, ja besonders interessant in der Landstraße. Über, über den Kremser Wein, über die Weingegend.“ [BeLL-Interview 5, Position: 71–75].
Der Preis
Auch wenn der Preis von Kursangeboten der Volkshochschulen in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist und im untenstehenden Interviewfragment explizit der Preis als Ausschlusskriterium erwähnt wird, kann festgehalten werden, in manchen Bereichen sind die Volkshochschulen nach wie vor sehr leistbar. Generell sollten materielle Rahmenbedingungen nicht aus dem Fokus verloren werden, sie sind und bleiben für viele Ausschlusskriterium.
„Ich weiß nicht. Mich würden Kurse auch interessieren, aber das ist mir zu teuer. Weil ich zahle die eine VHS Karte und habe nicht so viel Pension. Deswegen mache ich die ganzen Sachen, die nichts kosten oder wenig Kosten. Besonders Führungen, da gibt es viele. So kostenlose Führungen. Die finde ich auch schön.“ [BeLL-Interview 8, Position: 121–122].
„Was ich grundsätzlich sehr interessant finde an VHS Kursen, das es extrem niederschwellig ist, das halt einfach jeder leicht einen Zugang dazu hat. Es ist nicht besonders teuer, es ist […] es ist auch so wie es aufgebaut ist eine, eine, eine sehr niederschwellige Art der Weiterbildung.“ [BeLL-Interview 4, Position: 10–11].
Informationen über Bildung offen zugänglich
Auch die Information an und über Volkshochschulen wird als wichtig und niederschwellig beschrieben.
„Ah, zum einen, also bei der VHS ist das recht leicht, da wird das alles ausgelegt, und da schaue ich, wo es terminlich und interessenmäßig passt, und die anderen Dinge bekomme ich entweder von Freunden, die geben mir Bescheid, dass sie dort hingehen oder dass es das gibt, oder ich sehe es zufällig auf den Events bei Facebook.“ [BeLL- Interview 4, Position: 28–28] //
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