Mediale und interpersonale Kommunikation im Zusammenhang mit Flucht und Asyl
Chancen für den DaF/DaZ-Unterricht

Perspektive und Problematik

Train-of-hope ist eine 2015 gegründete Initiative, die sich mit Freiwilligen und Ehrenamtlichen zum Ziel gesetzt hat, ankommenden Flüchtlingen rasche und unkomplizierte Unterstützung durch die Bereitstellung von Nahrungsmitteln, Bekleidung und Transportmöglichkeiten sowie rechtlicher und medizinischer Betreuung zu helfen. Train-of-Hope ermöglicht dadurch ein Gefühl der Geborgenheit für eine sichere Weiterreise und wird durch freiwillige und ehrenamtliche Arbeit effektiv organisiert (www.trainofhope.at).

Wohin die Reise geht oder gehen soll, ist nicht nur für Flüchtende, sondern vor allem auch für Europa eine offene Frage. Ein leerer Raum als Platz für Erwartungen, Hoffnungen und Chancen für Lösungen. Mit Ankommenden, die in Österreich bleiben möchten, ist ein Theaterabend entstanden, der Botschaften von Asylsuchenden eine Bühne bietet, einen geschützten Raum, auf dem sie ihre Geschichten erzählen können.

„Es interessiert mich, meine Botschaft loszuwerden. Denn es ist schwer, zu einer anonymen Masse gezählt zu werden, der stets mit Angst begegnet wird. Ich möchte zeigen, dass wir bis zum Kriegsbeginn auch ein ganz normales Leben hatten“ sagt Tarek Alghamian (29), der in Damaskus Wirtschaft studierte und dort als Buchhalter gearbeitet hat. Geflohen ist er, weil er im Krieg nicht gegen seine Landsleute kämpfen wollte. Seit sieben Monaten wartet er auf seinen Asylbescheid. Auf die Frage nach seiner Bewältigungsstrategie antwortet er im Zeitungs-Interview:

„Ich habe zum Glück viele österreichische Freunde, wir lernen voneinander.“1

„Das voneinander Lernen” weist auf eine offensichtlich gegenseitige Bewegung hin, aufeinander zuzugehen mit dem Ziel, einander zu verstehen. Im interpersonalen kommunikativen Kontext liegt es oft auf der Hand, dem Verstehen auch Raum zu geben. Seit dem vermehrten Eintreffen von Schutzsuchenden in Österreich seit dem Sommer 2015 wurden zahlreiche, durchwegs positive Berichte von Helfenden sowie von Asylsuchenden in persönlichen Kontakten erzählt und gehört, vor allem von Menschen, die in irgendeiner Weise direkte Begegnungen und eigene Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Ankommen von Flüchtlingen gemacht haben, und das sind dankenswerter Weise sehr viele.

Der weitaus größere Teil der österreichischen (und europäischen) Mehrheitsbevölkerung nutzt vermutlich aber nicht die Gelegenheit, eigene Meinungen aufgrund von authentischen Erfahrungen zu begründen, sondern orientiert sich an Medienberichterstattungen. Denn Medien nehmen in unserer Welt eine zentrale Rolle ein, unser Alltag wird vielfach durch sie strukturiert und ihre Akteure und Inhalte beeinflussen unser Fühlen, Denken, Sprechen, Handeln. Nachrichten aus aller Welt geben uns Orientierung, wir reflektieren dargestellte Berichte und lernen uns dadurch besser kennen. Doch wissen wir meist wenig über Medien, obwohl wir damit oft mehr Zeit verbringen als mit einzelnen, realen Personen.

Den Medien kommt aufgrund ihrer kommunikativen Reichweite bei der Etablierung von individuellen Zuschreibungen sowie bei der Aufrechterhaltung der bestehenden, dominanten Diskurse und Bedeutungen eine erhebliche Bedeutung und damit zusammenhängend eine maßgebliche Machtposition zu (vgl. Winter: 1997, S. 48).

Durch ihre Analyse von sozialen Umwelten und Bedingungen nehmen Medien eine zentrale Rolle in der Gesellschaft ein; Massenmedien werden deshalb als „vierte Macht“ im Rechtsstaat bezeichnet, gerade auch in Bezug auf die Ausschnitte der Wirklichkeit, die sie aufgrund von visuell aufbereiteten Inhalten selektieren und produzieren.

Oft sind es Bilder in audio-visuellen Medien, die emotional ansprechen und damit ins Bewusstsein dringen; Kommentare dazu sind dann ergänzende Indizien, sich ein eigenes Abbild der medialen Welt zu konstruieren, die als Entscheidungs- und Handlungsgrundlage im realen Leben zur Verfügung steht. Die große Distanz zwischen realen Erfahrungen und konstruierten Meinungen schafft weite Freiräume der ganz persönlichen Interpretation, die sich für eine Reflexion des eigenen Denkens, Sprechens, Handelns auftut und genutzt werden will.

Dieser Beitrag möchte auf die notwendige medienpädagogische Perspektivierung sowohl des DaF/DaZ-Unterrichts, als auch auf die demensprechende Schulung der Lehrenden hinweisen.

Die inter- und transdisziplinären Ansätze der Cultural Studies (CS) sorgen für die Behandlung kulturell-politischer Fragestellungen, leisten damit anregende gesellschaftskritische Theoriearbeit. Zudem wird der Anspruch erhoben, auch politisch zu intervenieren. Cultural Studies beschäftigen sich mit den populären Medien und nehmen die Selbstermächtigung des Publikums in den Blick, die zu den Machtstrukturen der Medien und der Gesellschaft in Beziehung gesetzt werden, denn Medien wie das Fernsehen schaffen bedeutungsvolle Diskurse.2

Cultural Studies und Medienkompetenz

Winter hält fest, dass die aus Bildern und Repräsentationen bestehende heutige Wirklichkeit einen flüchtigen und instabilen Charakter hat (Winter: 1997, S. 91). Die Problematisierung des Verhältnisses zwischen der Repräsentation und dem Realen ermögliche einen Einblick in die semiotische Struktur der Wirklichkeit. Filmische Zeichen zu verorten, zu verstehen und womöglich auf die eigene Wirklichkeit zu beziehen richtet sich an die diskursiven Kompetenzen der Zuschauer, die diese in ihrer Mediensozialisation erworben haben. Denn Medien liefern nicht nur verschiedene Interpretationen einer vorgefundenen Realität, vielmehr entsteht diese erst im Kontext der vielfältigen Erzählungen. Darin vermutet Winter eine Basis für eine mögliche Emanzipation, die auf einer ästhetischen Ebene angesiedelt ist (ebd., S. 98).

Denn mediale Bilderwelten beeinflussen Lebensstile, so bilden sich immer wieder neue, instabile Gruppierungen, die Möglichkeiten anbieten, auch soziale Klassen zu überschreiten. Flüchtige, aus der Situation entstehende Beziehungen werden damit möglich. Denn an den Bruchstellen dieser flüchtigen Gruppierungen und deren Erfahrungen ergeben sich Anknüpfungsmöglichkeiten in der realen, alltäglichen Kommunikation, sei es in der Ausbildung, im Beruf oder in der Freizeit. Oft sind es mediale Inhalte, die Themen liefern und so Kommunikation motivieren, und das über Kulturgrenzen hinweg als erster Berührungspunkt.

Daher ist es für die Teilhabe an einer Gesellschaft notwendig, abseits von Deutschkursen entlang der GER Niveaustufen und Zertifikate, auch für entsprechende interkulturelle Medienkompetenz bei Lehrenden und Lernenden zu sorgen, um ein positives Miteinander erlebbar zu machen.

Für die Definition von Medienkompetenz sei auf den vom österreichischen Bundesministerium für Bildung veröffentlichten Grundsatzerlass „Modell für gelingende Medienbildung“ verwiesen. 3

„Medienkompetenz als Zielhorizont medienpädagogischer Bemühungen umfasst neben der Fertigkeit, mit den technischen Gegebenheiten entsprechend umgehen zu können, vor allem Fähigkeiten wie Selektionsfähigkeit, Differenzierungsfähigkeit, Strukturierungsfähigkeit und das Erkennen eigener Bedürfnisse. Medienkompetenz ist daher für die Teilhabe am gesellschaftlichen und bürgerschaftlichen Leben, für die Wahrnehmung der Meinungsfreiheit als grundlegendes Menschenrecht, eine wesentliche Voraussetzung.“

Folgende Bildungsziele bezogen auf Medienbildung werden angeführt:

• Selbstwirksamkeit

Das Konzept der Selbstwirksamkeitserwartung bezeichnet die subjektive Gewissheit, aufgrund eigener Kompetenzen gewünschte [Anm.: insbesondere sprachliche] Handlungen erfolgreich ausführen zu können.

• Kritisches Denken

Kritisches Denken ist ein kreatives Werkzeug, es ist unabdingbar für Lernprozesse und persönliche Weiterentwicklung. Konstruktive, durchdachte, fordernde und fördernde Kritik muss jedoch vielfach erst erlernt und erfahren werden.

• Weltoffenheit

Gemeint ist hier vor allem Toleranz als angemessene Geisteshaltung, in der wir Verhaltens-sicherheit in einer global vernetzten Welt stets neu erwerben und aushandeln müssen. Hilfreich dabei ist Ambiguitätstoleranz.

Der Bedarf an Vermittlung von Medienkompetenz betrifft auch und vorerst jene Personen, die in Aufnahmeländern leben und aus diversen Gründen keine Möglichkeiten eines direkten Kontakts mit Asylsuchenden haben, wohl aber zur Wahl gehen, Medien konsumieren und damit Verantwortung für die politische Stimmung im Land tragen. Denn sind aktive Nutzer, die durch Medienwahl und Selektion ihr individuelles Weltbild konstruieren (vgl. Hiebl: 2015, S. 76).

Der Vermittlung von Strategien und Deutungsmustern im Zusammenhang mit medialen Diskursen wird aber in der Pflichtschule kaum, und auch in den höheren Schulen ab der Sekundarstufe II nur selten Aufmerksamkeit geschenkt. Dieses Defizit gilt daher oft auch für jene, die im professionellen Kontakt mit Deutschlernenden stehen – als LehrerInnen, TrainerInnen oder in diesem Umfeld tätigen Personen. Aber gerade für sie gilt es, mediale Berichterstattungen aktiv und kritisch zu hinterfragen. Umso mehr, als auch die aktuelle Berichterstattung zum Thema „Flüchtlinge“ speziell seit dem Sommer 2015 in verschiedenen medialen Darstellungen und Kanälen durchaus kontroverse Bilder vermittelt, die vom seriösem Journalismus bis hin zu gezielten Falschmeldungen in sozialen Medien reichen.4

Bereits vor der aktuellen medialen Problematisierung von Flüchtlingen weist u.a. Hiebl (2015, S. 79) mit einer kommunikationswissenschaftlich-pädagogischen Untersuchung darauf hin, dass bei der offiziellen Berichterstattung über MigrantInnen negative Nachrichtenfaktoren überwiegen, die denen geringen gesellschaftlichen Status zementieren.

Zudem wird kaum zwischen MigrantInnen und Flüchtlingen unterschieden. Die bis hier angesprochene Problematik kann mit folgenden Punkten zusammengefasst werden:

  • Aktuelle politische und gesellschaftliche Realitäten im Zusammenhang mit dem Krieg in Syrien konfrontieren Menschen in Europa vermehrt mit asylsuchenden Flüchtlingen.
  • Durch das ehrenamtliche und freiwillige Engagement in der Bevölkerung werden viele positive Erfahrungen gemacht, die aber wenig Veröffentlichung erfahren, sondern meist nur als mediale Schlaglichter oder persönlich kommuniziert werden.
  • Asylsuchende und Asylgewährende haben eine Chance, voneinander zu lernen.
  • Die mediale Berichterstattung über Flüchtlinge konzentriert sich überwiegend auf bedrohliche und negative Szenarien.
  • Soziale Wirklichkeiten werden zum überwiegenden Teil durch Medien konstruiert.
  • Traditionell wird einer Vermittlung von Medienkompetenz im Schulunterricht sowie in der Erwachsenenbildung wenig Bedeutung beigemessen, obwohl dies von offizieller Seite explizit gefordert wird.

Daher ist es umso notwendiger, kritische Medienkompetenz zu lehren und zu lernen, um eine friedliche Stimmung für beide Seiten zu ermöglichen – der helfenden Bevölkerung und hilfesuchenden Flüchtlingen. Denn das Nachdenken über die europäische Vergangenheit mit ihren diversen historischen Schauplätzen sowie auch der Blick auf Untersuchungen und Statistiken zeigen den relevanten Einfluss von Medien auf das alltägliche Leben und damit auf Entscheidungen, die jeden Tag getroffen werden. Bei einer Nennung des Fernsehens als wichtigstes politisches Informationsmedium mit einer Nutzungsdauer von gesamt etwa 180 Minuten täglich stellt es den wesentlichsten Beitrag zur politischen Meinungsbildung sowie als Themenlieferant für öffentliche und private Diskurse dar.5 Gefragt ist daher ein Konzept um mediale Darstellungen theoriegeleitet aufzugreifen. Cultural Studies hinterfragen die Entstehungsbedingungen und Wirkungen medialer Berichterstattung:

„Why are the media so powerful? It is largely because they use words and images to convey ideas that inspire action. […] But for the most part, the media are educational and rhetorical; they shape what we think and feel; they influence us to see things in certain ways such that our behaviour in regard to them takes certain forms. They paint the particular picture of reality we hold in our minds and that plays an important role in determining the choices we make as we live each day, the beliefs and values we hold, and the things we do in the real world.“ (Ryan: 2010, S. 127).

Herausforderungen an Personen und Institutionen

Insbesondere die neuen Medien erfordern die Entwicklung neuer und vielfältiger Formen von „media literacy“, die den interaktiven Bereichen von Computer und Multimedia angemessen sind (vgl. Winter: 2006, S. 39). Vor allem, weil in sozialen Netzwerken digitale Inhalte durch ein Nebeneinander von Beiträgen des professionellen Journalismus und privaten Darstellungen von Einzelpersonen gekennzeichnet sind.

Es bedarf daher einer bewussten und reflektierten Gewichtung von medialen Informationen, um deren Informationsgehalt zu erkennen und zu bewerten. Hierzu ist vor allem die pädagogische Arbeit von Lehrenden erforderlich, die ihr Wissen und ihre Kompetenz einbringen sollten, um öffentliche Räume zurückzuerobern und eine Kultur der Partizipation für alle AkteurInnen, gerade für dringende Fragen von Migration und Asyl, zu schaffen.

Durch den Erwerb von Medienrealität in einem dialogischen und auf Zusammenarbeit angelegten Kontext kann auch das Verständnis für andere Kulturen und Subkulturen [Anm.: auch von Situationen um Flucht und Asyl] geweckt und vertieft werden (vgl. Winter: 2006, S. 37). Dazu gehört auch, Menschen dabei zu unterstützen, ihre Erfahrungen anders als im Rahmen der existierenden Kultur zu interpretieren und so zur Schaffung neuer, geteilter Bedeutungen beizutragen. Mit der gemeinschaftlichen Analyse und dem Diskurs über mediale Inhalte können Interaktionen ermöglicht werden, die durch historisch entstandene und individuell kreierte, interkulturelle Bedeutungen neu hervortreten (vgl. Winter: 2006, S. 45).

Wie später gezeigt wird, können solche Erfahrungen beispielsweise im Rahmen von transnationaler Projektarbeit, wirkungsvoller und weniger aufwendig aber mittels Theatermethoden, gemacht werden. Denn in beiden Fällen werden authentische Situationen interkultureller Kommunikation durch zielgerichtete Zusammenarbeit geschaffen. Mecheril (2010, S. 18) bringt den Begriff der „Kompetenzlosigkeitskompetenz“ ein, um auf eine Kritik an den Konzepten von interkultureller Kompetenz hinzuweisen. Damit wird unter anderem auf ein Ungleichgewicht der Personengruppen hingewiesen, denen interkulturelle Bildung zuteil wird:

„Wenn nach Gründen gesucht wird, warum Menschen mit Migrationshintergrund in der Regel nicht als Adressatinnen interkultureller Bildungsangebote [Anm.: sondern nur von Sprachangeboten] vorkommen, dann bietet sich neben der angeführten Erklärung (Reproduktion gesellschaftlicher Verhältnisse in und durch Bildungsangebote[n], die Minderheitenangehörige nicht als Handlungssubjekte denken) eine weitere Erklärung an. Dass Menschen mit Migrationshintergrund in Angeboten zu interkultureller Kompetenz nicht adressiert werden, kann als Konsequenz der Annahme verstanden werden, dass diese Personengruppe bereits über »interkulturelle Kompetenz« verfüge. […] Diese Annahmen sind freilich wenig überzeugend.“

Demnach könnte bezweifelt werden, dass für die eingangs geschilderte, aktuelle Situation, in der inter- und transkulturelle Kompetenz auf vielen Ebenen der Gesellschaft aktuell gefordert ist, die traditionellen Bildungssysteme und deren Angebote in der Lage sind, einen für alle Beteiligten positiven Beitrag zur inter- und transkulturellen Verständigung leisten zu können. Nicht zuletzt deshalb, weil Bildungsinstitutionen in Österreich per se hierarchisch organisiert sind und meist davon auszugehen ist, dass deren Akteure sämtliche Antworten auf gestellte Fragen bereits kennen, was auf eine gewisse Innovationsresistenz schließen lässt.

Wobei hier eine Unterscheidung zwischen den Bildungsangeboten der traditionellen Bildungsinstitutionen und deren Umsetzung durch LehrerInnen und TrainerInnen zu machen wäre, die tendenziell eher auf der Seite der Lernenden stehen. Einen weiterführenden Vergleich dazu bietet Wittek (2005, S. 322), indem er die Wirkung von transnationalen EU-Bildungsprojekten nach Ergebnissen differenziert: Einerseits nach dem im Projektantrag geforderten „europäischen Mehrwert“, der mit konkreten Projektergebnissen und deren Dissemination bereits vorab belegt werden muss, um die Bereitstellung von Fördermitteln zu erreichen. Tatsächlich ist es allerdings so, dass der Mehrwert von transnationalen europäischen Kooperationen für die AkteurInnen der Projekte, darin bestehen kann,

„[…] dass sie sich fremd und erklärungsbedürftig werden, d.h. Grundtatsachen ihrer (kulturellen, politischen, moralischen etc.) Sozialisation als national determiniert begreifen und zu ihnen Distanz zu gewinnen, d.h. sie zu historisieren und sich damit das bisschen Freiheit zu erarbeiten, das nötig ist, um sich von der transnationalen Kooperation auf ungehörige Gedanken bringen zu lassen, ihren Horizont zu durchlöchern und ihr Lernen in die eigene Regie zu nehmen.“

Dies verdeutlicht der Spagat zwischen EU-Programmen und -Projekten mit ihrer aufwendigen Administration auf der einen Seite, und deren Potenziale, die sich aus interkulturellen Begegnungen und der konkreten Projektarbeit der TeilnehmerInnen andererseits ergeben können auf der anderen Seite. Auch hier muss von vornherein eine beabsichtige Antwort auf mögliche Fragen vordefiniert werden, um die Arbeit überhaupt beginnen zu können, auch hier lässt sich eine vergleichbare Hierarchie ausmachen. Projekte haben aber für die Teilnehmenden entscheidende Vorteile: Sie sind zeitlich befristet und die AkteurInnen wechseln ständig. Zudem, wie Wittek (2005, S. 315) formuliert:

„[…] macht es den ProjektteilnehmerInnen Spaß, mal für ein paar Tage der Alltagsroutine zu entkommen, neue Menschen kennen zu lernen, auf anderer Leute Kosten zu verreisen und nebenbei vielleicht noch ihrer Karriere einen Dienst zu erweisen […]“ (Wittek: 2005, S. 315).

Dennoch fördert die interkulturelle EU-Projektarbeit interkulturelle Kompetenzen auf vielfältige Art, zudem müssen deren Ergebnisse und Produkte meist kostenlos zur Verfügung gestellt und in verschiedenen Medien veröffentlicht werden.

In der Praxis jedoch reichen die Projektmittel selten, um eine nachhaltige Wirkung auch bei einem weiteren Personenkreis zu erreichen. Denn mediale Wirkungen von veröffentlichten Projektergebnissen haben keinen hohen Nachrichtenwert, und auch sämtliche Projektakteure schließen meist mit Projektende ihre einst so lebendig erlebten Diskussionen und Fragestellungen endgültig ab, von wenigen Veröffentlichungen abgesehen. Zudem sind die TeilnehmerInnen von EU-Projekten (das zeigt die Erfahrung in Österreich) meist Angehörige der Mehrheitsgesellschaft, selbst zu Projekten, bei denen es inhaltlich um Migrationsfragen geht, werden nur selten MigrantInnen eingeladen. Um aber inter- und transkulturelles Lernen und Handeln zu ermöglichen, wäre eine gegenseitige Beteiligung vorteilhaft und für ein gegenseitiges Verstehen zielführend. Offene Fragen müssten als solche wahrgenommen, zugestanden und sensibel für eine gemeinsame Beantwortung von allen Akteuren nachhaltig beforscht werden.

Hohmann (2005, S. 33) stellt dazu fest, dass sich interkulturelle Erziehung gegen die Auffassung wendet, dass die Situation der MigrantInnen [Anm.: und Asylsuchenden] in den Aufnahmeländern und deren pädagogische und soziale Konsequenzen ausschließlich als Probleme zu gelten hätten. Interkulturelle Erziehung reklamiere viel mehr die Auffassung für sich, dass die durch Migration entstandenen gesellschaftlichen Konsequenzen als Chance für einen Bildungsprozess der ausländischen und auch der einheimischen Menschen verstanden werden sollte.

Der zuvor angeführte Begriff „Kompetenzlosigkeit“ meint professionelles Handeln, das auf Beobachtungskompetenz für die von sozialen Akteuren zum Einsatz gebrachten Differenzkategorien gründet und von einem Ineinandergreifen von Wissen und [Anm.: Mut zum] Nicht-Wissen, vom Verstehen und Nicht-Verstehen hervorgebracht wird, ein Ineinandergreifen, in dem die Sensibilität für Verhältnisse der Dominanz und Differenz in einer handlungsvorbereitenden Weise möglich ist (vgl. Mecheril: 2010, S. 25).

Wenn das Gelingen von interkultureller Bildung und Kommunikation durch Bildungssysteme und deren Institutionen sowie die Umsetzung eines europäischen Mehrwerts durch EU-Programme und Projektergebnisse angezweifelt werden darf, die damit beschäftigten Personen jedoch sehr wohl interkulturelles Lernen erfahren, das zwar kostenintensiv sein kann aber kaum jenseits des beteiligten Personenkreises kommuniziert wird, was wäre dann das geeignete Medium, interkulturelle Erfahrungen einem größeren Publikum unmittelbar zuteilwerden zu lassen?

Sowohl „Kompetenzlosigkeitskompetenz“ als auch das Lernen im Rahmen von internationalen Projekten reklamiert ein Nicht-Wissen, ein Nicht-Verstehen als Ausgangspunkt für interkulturelle Begegnungen, bei denen zunächst gewonnene Überzeugungen in Frage gestellt werden sollten.

Ein leerer Raum (Brook: 1995) sollte sich also auftun und dabei helfen, eingefahrene Strukturen und der Situation unangemessene Überzeugungen beiseite zu lassen um neuen Erkenntnisgewinn zu ermöglichen.

Der Theater- und Filmregisseur Peter Brook verwendet die Metapher des „leeren Raumes“ für seinen Arbeitskontext des Theaters,

„Damit ein Ereignis von einer bestimmten Qualität geschaffen werden kann, muss ein leerer Raum geschaffen werden. Ein leerer Raum erlaubt das Entstehen von etwas Neuem, denn alles, was mit Inhalt, Bedeutung, Ausdruck, Sprache und Musik zusammenhängt, erwächst erst zum Leben, wenn es als unverbrauchte und neue Erfahrung geschieht. Und eine solche ist nicht möglich ohne einen reinen, unberührten Raum, der offen ist, sie zu empfangen.“ (Brook: 1998, S. 12).

Damit schließt sich der Kreis zur eingangs skizzierten Perspektive des „voneinander Lernens“, das auf der Bühne stattfindet, Akteure und Zuseher miteinander in Kontakt bringt, indem authentische Geschichten erzählt, visualisiert, hinterfragt werden und dabei ein Stück mehr an Verständnis füreinander schaffen.

Denn das Theater als Medium kann immer noch ein Ort sein, wo brennende Themen am unausweichlichsten Öffentlichkeit finden und so eine Meinungsbildung forcieren, ohne durch Filter einer Institution oder Berichterstattung vorselektiert zu werden. Dabei ist ein Theater gemeint, dass Experimente erlaubt, unbequeme Wahrheiten inszeniert und nachfragt, im Gegensatz zum herkömmlichen, institutionalisierten Regietheater, bei dem das Publikum genau weiß, was es zu erwarten hat und sich in der Sicherheit des passiven Konsumenten wähnt.

Gewiss ist hier nicht von kostenintensiven, publikumswirksamen Massenproduktionen die Rede, sondern von Produktionen einer kleinen, freien Theaterszene, die – wie ihre Akteure – nicht selten ums Überleben kämpfen muss. Im Gegensatz dazu, und auch zu den Outcomes von manchen zuvor angesprochenen EU-Projekten mit bescheidenem Wirkungsradius, für die in diesen Zusammenhängen jedoch beträchtliche Finanzmittel für einige Auserwählte ProjektteilnehmerInnen bereitgestellt werden, können freie Theaterproduktionen, abseits von institutionalisierten Produktionen ein Vielfaches an Erkenntnisgewinn vermitteln. Immerhin haben etwa 500 Personen das an fünf, mittels Spenden finanzierten, übervoll ausgebuchten Theaterabenden das eingangs erwähnte Stückes „badluck“ gesehen, anschließend mit den mitwirkenden Flüchtlingen gesprochen und Informationen für weiterführende Kontakte ausgetauscht, die ein „voneinander Lernen“ im eröffnen und transkulturelle Räume schaffen.

Kultur als Eigenleistung in transkulturellen Erfahrungsräumen

Mit dem Beispiel des deutsch-türkischen Filmregisseurs Fatih Akin führen Bolscho und Hauenschild (2009, S. 229) ihre Ausführungen über Interkulturalität und Transkulturalität als Überlegungen zu Perspektiven für die Bildung ein, indem dessen Biografie und Wirken in Bezug auf die Nachweisbarkeit in Bezug auf Transkulturalität hinterfragt wird. Sie fassen ihr Verständnis von Kultur in eine zugespitzte Aussage:

„Kultur ist das, was sich Individuen vor dem Hintergrund ihrer lebensweltlichen Wahrnehmungen in ihrem Denken und Handeln zu eigen machen und was ihnen die Teilhabe an der Gestaltung der Gesellschaft, in der sie leben, ermöglicht. […] Dabei spielt der Begriff der Alltagswelt eine zentrale Rolle; er kennzeichnet die Wirklichkeit, die von Menschen begriffen und gedeutet wird und ihnen subjektiv sinnhaft erscheint.“

Wenn aber die Realität, die sinnhafte Bedeutungen hervorbringen soll, eine mediale Wirklichkeit ist, die negative Szenarien aufzeigt, anstatt auch positive Potenziale zu kommunizieren, die authentisch erlebt werden können, braucht es alternative Vermittlungsinstanzen und Kompetenzen für eine positive Alltagsbewältigung im Zusammenhang mit Flucht und Migration. Wesentlich erscheint in diesem Zusammenhang auch das Verständnis einer Gesellschaft, deren Institutionen mit entsprechenden Maßnahmen auf aktuelle gesellschaftliche, politische und bildungspolitische Entwicklungen regieren können.

Wird eine „eigene“ von einer „fremden“ Kultur abgegrenzt, wird eine Situation geschaffen, in der ein „voneinander Lernen“ erschwert wird, „da das Fremde tendenziell als etwas Bedrohliches wahrgenommen wird.“ (Vgl. Bolscho & Hauenschild: 2009, S. 235).

Demgegenüber nimmt das Konzept der Transkulturalität als Reaktion auf gesellschaftlichen Wandel die individuell produzierte Existenz von Differenzen zwischen und innerhalb von Kulturen zum Anlass, auf die Möglichkeit von Transformationsprozessen, Prozessen der Auflösung und Neuzusammensetzung und auf die Möglichkeit der Entstehung neuer Kulturformen hinzuweisen. Kulturelle Konflikte werden hier nicht mehr als bedrohlich wahrgenommen, sondern können allenfalls als Ausgangspunkte für transkulturelle Identitätsbildungsprozesse sein, die sich in den Wahrnehmungen, Denkmustern und Handeln des Einzelnen zeigen. Kultur wird damit als Eigenleistung des Subjekts im Rahmen der Identitätsbildung gesehen, deren Aufgabe es wird, verschiedene Komponenten miteinander zu verbinden (vgl. Bolscho & Hauenschild: 2009, S. 234).

Spielfilme für einen transkulturell empathischen Perspektivenwechsel

Bildungsräume als Bühnen transkultureller Begegnungen würden Möglichkeiten eröffnen, die auseinanderklaffenden Realitäten einer individuellen, medialen Meinungsbildung aufgrund von rezipierter Berichterstattung und dem authentischen, persönlichen Erleben herzustellen. Dafür können freilich nicht immer Theaterbesuche organisiert werden, doch die authentische Realität des Theaters könnte mittels sorgfältig ausgewählter Spielfilmsequenzen in den Kursraum geholt und mit szenischen Aufgabenstellungen gemeinsam bearbeitet werden. Denn empirische Untersuchungen und Studien belegen bereits seit den Siebzigerjahren das hohe Motivationspotenzial von Spielfilmen für den Unterricht (Burger: 1995, S. 592). Warum diese bis heute kaum in Bildungsangeboten vorkommen, hatte neben den bereits dargelegten Gründen bis vor 15 Jahren auch noch technische Ursachen, die heute weitgehend ausgeräumt sind. Gleich geblieben ist hingegen das ungebrochene, altersunabhängige Interesse an beispielsweise fiktionalen Filmen und Filmsequenzen in Daf/DaZ-Bildungsmaßnahmen.

Vom Sehen zum Verstehen zu gelangen ist zuallererst ein emotionaler Prozess, der in gemeinsamen, in professionellen Räumen ermöglichten Rezeptionsgesprächen eine mehrdimensionale Perspektivierung ermöglicht und so die Voraussetzung für eine differenzierte Meinungsbildung zu schaffen vermag.
Kreativ-produktive Aufgabenstellungen, die konstruktive Gespräche motivieren und alle Beteiligten zum Nachdenken anregen, machen durch Figurenanalysen, Gespräche über filmsemiotische Gestaltungsmittel und Handlungsstrukturen eine empathische Haltung zu fremd erscheinenden Situationen möglich, die einen Nachdenk- und Lernprozess in Gang setzen können. Mit sprachanalytischen Aufgabenstellungen können tendenziöse Berichterstattungen enttarnt und versteckte Diskriminierungen erkannt werden. Denn es sind oft unsichtbare Mauern (Rommelspacher: 2011, S. 31) die unsere Gesellschaft durchziehen, errichtet durch das Ineinandergreifen von strukturellem, institutionellem und individuellem Rassismus, der durch eine Diskriminierung im Zugang zu Ressourcen definiert wird und Betroffenen damit weniger Chancen zur Teilhabe an der Gesellschaft einräumt. Denn über Ressourcen wird zentral der Zugang zu ökonomischem, sozialem, kulturellem und symbolischem Kapital einer Gesellschaft geregelt. Das geschieht vor allem durch Zugehörigkeitsmanagement (Rommelspacher: 2011, S. 32), das die einen als zugehörig und die anderen als Außenstehende ausweist. Dadurch wird eine Gesellschaft gespalten, Ungleichheiten betont und Verständnis schaffende Dialoge verhindert. „Denn die einen sind im Dunkeln und die andern sind im Licht. Und man siehet die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.“ Diese bezeichnende Schlussstrophe fügte Brecht 1930 für die geplante Verfilmung der „Dreigroschenoper“ 
hinzu.6 //

1   Siehe: http://derstandard.at/2000030660101/Speakers-Corner-Theater-Die-Realitaet-ist-nicht-so-wie-man [10.2.2016].

2   Vgl. http://www.mediamanual.at/ [12.2.2016].

3   Vgl. http://www.mediamanual.at/ [10.2.2016].

4   Vgl. http://hoaxmap.org/ Download [10.2.2016].

5   Vgl. http://de.statista.com/themen/2110/mediennutzung-in-oesterreich/ [12.2.2016].

6   Siehe: http://de.academic.ru/dic.nsf/dewiki/330181/Die_Moritat_von_Mackie_Messer [16.2.2016].

Literatur

Bolscho, Dietmar & Hauenschild, Katrin (2009): Interkulturalität und Transkulturalität. In: Inci Dirim & Paul Mecheril (Hrsg.), Migration und Bildung. Soziologische und erziehungswissenschaftliche Schlaglichter (S. 229–245). Münster: Waxmann Verlag.

Brecht, Bertold (1997): Ausgewählte Werke in sechs Bänden. Stücke I. Frankfurt a.Main: Suhrkamp Verlag.

Brook, Peter (1995): Der leere Raum. Berlin: Alexander Verlag.

Brook, Peter (1998): Das offene Geheimnis. Frankfurt a. Main: Fischer Verlag.

Burger, Günter (Hrsg.) (1995): Fiktionale Filme im fortgeschrittenen Fremdsprachenunterricht. In: Die Neuen Sprachen, 94 (6), 592–608.

Hiebl, Florian (2015): Erweiterung des Konzepts der interkulturellen Medienkompetenz. Theoretische Grundlagen und praktische Anwendungsmöglichkeiten. Dipl.-Arb., Univ. Wien.

Hohmann, Manfred (2005): Interkulturelle Erziehung als Herausforderung für die allgemeine Bildung. In: Ingrid Gogolin, Marianne Krüger-Potratz, Katherina Kuhs, Ursula Neumann & Fritz Wittek (Hrsg.), Migration und sprachliche Bildung (S. 29–45). Münster: Waxmann. (Interkulturelle Bildungsforschung, Bd. 15).

Mecheril, Paul (2010): „Kompetenzlosigkeitskompetenz“. Pädagogisches Handeln unter Einwanderungsbedingungen. In: Georg Auernheimer (Hrsg.), Interkulturelle Kompetenz und pädagogische Professionalität. Wiesbaden: Springer.

Rommelspacher, Birgit (2011): Was ist eigentlich Rassismus? In: Claus Melter & Paul Mecheril (Hrsg.), Rassismuskritik. Bd. 1: Rassismustheorie und -forschung (S. 25–38). Schwalbach: Wochenschau Verlag.

Ryan, Michael (2010): Cultural Studies. A practical Introduction. Chichester/UK: Wiley-Blackwell.

Winter, Rainer (1997): Cultural Studies als kritische Medienanalyse: Vom „encoding/decoding“ Modell zur Diskursanalyse. In: Andreas Hepp, Kultur – Medien – Macht: Cultural Studies und Medienanalyse (S. 47–63). Opladen: Westdeutscher Verlag GmbH.

Winter, Rainer (2006): Kultur, Reflexivität und das Projekt einer kritischen Pädagogik. In: Paul Mecheril, Monika Witsch (Hrsg.), Cultural Studies und Pädagogik. Kritische Artikulationen (S. 21–50). Bielefeld: Transcript Verlag.

Wittek, Fritz: „So genau weiß das keiner!“ Erinnerungen an den europäischen Mehrwert. In: Ingrid Gogolin, Marianne Krüger-Potratz, Katherina Kuhs, Ursula Neumann, Fritz Wittek (Hrsg.), Migration und sprachliche Bildung (S. 305–324). Münster: Waxmann. (Interkulturelle Bildungsforschung, Bd. 15).

Langeder, Birgit Maria (2016): Mediale und interpersonale Kommunikation im Zusammenhang mit Flucht und Asyl. Chancen für den DaF/DaZ-Unterricht. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. November 2016, Heft 259/67. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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