„Verlassene“ Menschen existieren in einem gleichgültigen Universum! Dieser, in den letzten Jahrhunderten verfestigten Ansicht, tritt der Dramaturg und Publizist, Fabian Scheidler, engagiert entgegen. Auf Basis physikalischer, chemischer und biologischer Erkenntnisse sieht er (S. 15) „ein Universum, das auf Verbundenheit, Selbstorganisation und Kreativität beruht.“
Diese Einsicht motiviert den Autor, auch ein Menschenbild abzulehnen, das Menschen als biologische Maschinen versteht, deren aus Rechenoperationen bestehender Geist, sich auf Computer hochladen lässt. Scheidler erkennt in der Trennung zwischen „verlassenen“ Menschen und der angeblich „toten“ Natur die Ursache der gegenwärtigen „planetaren Krise“. Damit einhergehend stuft er die Ansicht von „festen Objekten“ als fundamentalen Irrtum ein. Dieser erlaube, die Welt als Baukastensystem zu betrachten, aus dem man sich einzelner Teile bedienen kann.
Fabian Scheidler will mit seinem Buch den „dunklen Schleier, den die technokratische Ideologie über die Welt und das menschliche Dasein geworfen hat“ (S. 21), lüften. Mit Hilfe wissenschaftlicher Erkenntnisse zeigt der Autor einen „Kosmos voller Lebendigkeit und Verbundenheit“. Er urteilt, es sei unsere Verantwortung, diese Verbundenheit neu zu entdecken, um den notwendigen gesellschaftlichen Wandel einzuleiten, der die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen beenden sollte.
Das Buch gliedert sich in zwei große Teile, „Die verkannte Natur“ und „Menschliche Gesellschaften und die Krise des Lebens auf der Erde“. Im ersten Teil werden die Themen Stoff, Leben sowie Evolution und Kreativität behandelt.
Der Stoff, aus dem wir sind, bemerkt Fabian Scheidler, entzieht sich unserer Erkenntnis. Anstelle kleiner fester Körper sind Energiebeziehungen festzustellen. Lebewesen erweisen sich als nichtlineare Systeme, mit nicht vorhersagbaren Wirkungen. Letztlich entspricht der Stoff, aus dem wir sind, nicht den Vorstellungen eines mechanischen Universums. Es handelt sich nicht um feste Dinge, nicht um Wirkungen aneinanderstoßender Billardkugeln –, sondern um Prozesse, um Nachrichten, um Netzwerke von schwingenden Energiefeldern. Wir sind mit Außen- und Innensicht ausgestattet, keine isolierbaren Individuen, sondern ein Netz von Bedeutungen und Interpretationen sowie mit einer lebendigen Mitwelt verbunden.
Fabian Scheidler führt uns an die Grenzen unserer Erkenntnis. Wir können die Welt nicht im Sinne des Soziologen Max Webers „entzaubern“, nicht total durchschauen oder beherrschen wie eine technokratische „Megamaschine“. Allerdings eröffnet sich daraus eine Chance für eine Weltsicht, in der Staunen, Nichtwissen und Bescheidenheit einen ebenbürtigen Platz neben Verstehen und Wissen einnehmen könnten.
Den ersten Teil abschließend bringt Scheidler Evolution und Kreativität in Zusammenhang. In beiden sieht er gleiche Muster angelegt, in beiden entsteht Neues überraschend und unvorhersehbar.
Im zweiten Teil beschäftigt sich der Autor mit menschlichen Gesellschaften und der Krise des Lebens auf der Erde. Betont wird der Nachteil einer technokratischen Weltsicht, die auf das kapitalistische Weltsystem und den modernen Militärstaat im 16. und 17. Jahrhundert zurückzuführen ist. Von Anfang an bestand die Verbindung zwischen militarisierten Staaten und privatem Kapital. Die sich entwickelnde Naturwissenschaft diente der ständigen Erneuerung von Technologien, von Navigationsinstrumenten bis Kanonen, dem ökonomischen Konkurrenzkampf und der Kolonialisierung. Berechenbarkeit wurde zu einer entscheidenden Kategorie. Natur wurde zum Objekt, die gesamte lebendige Welt und der Kosmos als eine Maschine betrachtet. Die Objektivierung betraf auch die Menschen. Fabian Scheidler verdeutlicht dies am transatlantischen Sklavenhandel, bei dem über Sklaven wie über bewegliche Gegenstände durch ihre Eigentümer verfügt wurde.
Wie und ob diese „große Trennung“ zu überwinden ist, zählt der Autor zu Überlebensfragen der Menschheit. Erläutert wird auch der Begriff „Kosmologie“, als Organ kollektiver Wahrnehmungen und Erkenntnisse. Eine solche neu zu schaffen, die nicht zerstörerisch wirkt, geht nicht schnell und planmäßig, sondern evolutionär und über lange Zeit. Anders zu denken und zu empfinden geht einher mit anders zu leben und sich anders zu verhalten.
Der planetarischen Krise und dem gesellschaftlichen Umbau ist der letzte Abschnitt des Buches gewidmet. Statt sich auf Appelle wie „corporate responsibility“ zu stützen fordert Fabian Scheidler den Umbau von Institutionen, „die auf Respekt für das Leben, auf Empathie, Verantwortung und Verbundenheit beruhen“ sollen (S. 224).
Ökonomie der Verbundenheit und Politik der Verbundenheit gehören zusammen ebenso wie ein anderes Schulsystem, „das von Anfang an auf Teilhabe und Mitbestimmung setzt“ (S. 228). Programmatisch setzt sich Scheidler für eine „Pädagogik des Staunens“ ein.
Der Autor resümiert: Das Rätsel, was und wer wir sind, ist durch Wissenschaft und mechanische Erklärungen nicht gelöst, allenfalls vertieft worden. Die Illusion des Wissens – dem größten Feind von Erkenntnis – ist entgegenzutreten, und zwar mit Staunen sowie mit Respekt vor unseren Wahrnehmungen, Gefühlen und unseren erlebten Beziehungen.
Fabian Scheidler trägt mit seinem Buch dazu bei, Ursachen und Bedingungen der Bedrohungen des menschlichen Daseins zu verstehen, zu wissen und demgemäß zu handeln. Wir befinden uns auf einem langen Weg, auf dem wir unser Handeln und somit unsere ganze Kosmologie einschließlich der trennenden Ideologie ändern sollten.
Insgesamt ist das Buch ein aktueller Beitrag zu drängenden Diskussionen in der Gesellschaft und somit ein unterstützendes didaktisches Tool für kritische und nachhaltige Erwachsenenbildung. //
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