Fred Luks: Ausnahmezustand. Unsere Gegenwart von A bis Z. Weltrettungs-ABC IV.

Fred Luks: Ausnahmezustand. Unsere Gegenwart von A bis Z. Weltrettungs-ABC IV.
Marburg: Metropolis-Verlag 2018, 363 Seiten

In alphabetischen Schritten entlang gesellschaftspolitischer Fragen! „Ausnahmezustand“ ist der Normalzustand der beschleunigten Moderne. Der Begriff beinhaltet zwei Dimensionen: Er beschreibt einen Notzustand – Freiheit, Wohlstand, Frieden und Zukunftsfähigkeit sind bedroht – oder aber die Hoffnung auf etwas Besseres.

„Wir müssen“, schreibt der Autor (S. 11), „wenn wir auch in Zukunft in Freiheit, Wohlstand und Frieden leben wollen, unsere Lebensweise mit allen Mitteln verteidigen – und eben diese Lebensweise radikal verändern, wenn sie sozial, ökologisch und ethisch vertretbar und zukunftsfähig sein soll.“ Mit dieser paradoxen Herausforderung beschäftigt uns Fred Luks, Leiter des Kompetenzzentrums für Nachhaltigkeit an der Wirtschaftsuniversität Wien, in seinem Buch, mit den dem Alphabet folgenden Kapitelüberschriften. Sie lauten eingangs „Anomalie“, „Bequemlichkeit“, „Clusterfuck“. Letzterer ist mit dem Ausnahmezustand eng verwandt, vielleicht etwas gefährlicher, da vieles gleichzeitig schief geht und dann die Welt eine andere ist. Ein Beispiel einer Kombination an Faktoren, die im Nachhinein unbegreiflich erschien, ist der Zusammenstoß zweier Jumbojets auf einer Startbahn in Teneriffa. Er führte 1977 zum Tod von 583 Menschen.

Luks führt uns weiter über „Digitalisierung“, „Eskalation“, „Feigheit“ und „Glauben“ zu „Hitler“. Dieses Kapitel und seine Benennung begründet der Autor als Zuspitzung, wobei er meint, nach dem Ausnahmezustand könne noch viel Schlimmeres kommen. Unter Bezug auf historische und gesellschaftspolitische Analysen sieht Luks durch Befragen der Geschichte eine Warnung. Er verweist auf den Zusammenhang von Politik, Knappheit und Gewalt und warnt (S. 131): „Eine rasche und/oder grundlegende Veränderung der Lebensbedingungen hat immer ein Potenzial, das zu Chaos, Gewalt und schlimmstenfalls Krieg führen kann.“

Im folgenden Kurzkapitel „Imagine“ – „And the world will be as one“ – bezieht der Autor sich auf den Song von John Lennon und auf einen Ausspruch Paul McCartneys, wir können unseren Planeten retten, indem wir aufhören Fleisch zu essen. Dies führt zu „Jungtier“, zu unserer westlichen Lebensweise und zur Werbung, die das Töten und Essen von Tieren mit Spaßfaktoren unterlegt.

Luks handelt seine Begriffe nicht lexikalisch ab, sondern kontinuierlich – ein Kapitel führt, alphabetisch geschickt gewählt, zum nächsten. Von der „Kritik“ zu den „Lebensweisen“, von den „Menschen“ zum „Nirwana“, vom „Opfer“ zum „Pessimismus“ bis schließlich zu den „Zukunftsbildern“. In diesen bekräftigt der Autor nochmals seine Absicht, mit seinem skeptischen Blick einen produktiven Umgang mit der Lage der Dinge herstellen und den Ausnahmezustand überwinden zu wollen. Perspektiven zur Überwindung der jetzigen gesellschaftlichen Lage finden sich im Kapitel Zukunftsbilder. Mit Musil plädiert Luks, neben dem „Wirklichkeitssinn“ auch auf den „Möglichkeitssinn“ zu achten. Ebenso wichtig erscheint dem Autor das Weitergeben von „guten Geschichten“ (S. 294): “Geschichten von Menschen, die im Rahmen ihrer Handlungsspielräume die Welt schon heute besser machen, als sie ohne ihre Handlungen wäre (…)“.

Das Schlusskapitel „Begründete Hoffnungen“ führt uns nochmals den Widerspruch vor Augen, dass wir unsere Lebensweise zugleich verändern und verteidigen sollen, dass Wissen nicht unmittelbar zu entsprechenden Handeln führt und, dass sich in diesen Zeiten großer Unsicherheit, Quacksalberei und populistischer Politik leicht ein dankbares Publikum finden.

Luks ermutigt am Ende seines Buches den „Ausnahmezustand“, für ihn ein Begriff des Trotzes und des Widerstands gegen die entsetzlichen Zustände produktiv „in eine Hoffnung auf etwas Besseres zu transformieren“. (S. 336).

Das Buch bereichert durch Verwendung von weiterführender Literatur. Es liest sich, dem Anliegen und Thema entsprechend etwas anspruchsvoll, hält aber durchwegs seine Spannung mit aktuellen gesellschaftlichen Bezügen und durch seine gut nachvollziehbare kritische Haltung.

Ein empfehlenswertes Werk für Kurse der politischen und gesellschaftsorientierten Bildung, aber auch für alle Interessierte, die der gegenwärtige „Ausnahmezustand“ beunruhigt. //

Lenz, Werner (2018): Fred Luks: Ausnahmezustand. Unsere Gegenwart von A bis Z. Weltrettungs-ABC IV. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Herbst 2018, Heft 265/69. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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