Das Kooperationsprojekt okay.zusammen lernen/VHS Götzis: Angebote für ‚Deutsch-BegleiterInnen‘
Asylsuchende und Deutscherwerb in Vorarlberg

Vorarlberg nimmt pro Woche zirka 30 bis 40 neue AsylwerberInnen auf.1 Laut Information des Internetportals „Hand in Hand mit Flüchtlingen in Vorarlberg“2 18_Vorarlberg_-Flucht-01-11-16_jr.doc gab es im Juli 2016 fast 4.000 Asylsuchende in der Grundversorgung in Vorarlberg. Die größten Gruppen stellen Flüchtlinge aus Afghanistan, Syrien und Irak dar. Keine Angaben finden sich auf diesem Portal über Bleibeberechtigte.

Für AsylwerberInnen in der Grundversorgung werden in Vorarlberg zwar Deutschkurse angeboten, die Kursplätze reichen jedoch bei weitem nicht aus. Zudem haben primär jene, die in den größeren Orten leben Zugang zu Kursen. Obwohl die Differenz zwischen Angebot und Nachfrage im Vergleich zum vergangenen Jahr kleiner geworden ist, sind AsylwerberInnen an vielen Orten auf das Engagement von Freiwilligen angewiesen, wollen sie nicht monatelang auf eine Begleitung beim Deutscherwerb warten. Diese Situation trifft Familien, unbegleitete Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen.

Kinder und Jugendliche, die noch der Schulpflicht unterliegen, haben es relativ leicht in die neue Sprache und die neuen Fachinhalte hineinzuwachsen. Auch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge werden in der Regel umfassender betreut als Minderjährige, die mit ihren Familien gekommen sind. Am schwierigsten finden Jugendliche, die älter als 15 Jahre sind, und junge Erwachsene einen Platz und eine Anknüpfungsmöglichkeit an abgebrochene Schul- oder Universitätskarrieren.

Die Heterogenität der Asylsuchenden ist eine große Herausforderung für die Erwachsenenbildung im Bereich Deutscherwerb. Es braucht Deutschkurse für alle Niveaus, in denen die Vorerfahrung und Bildung der TeilnehmerInnen berücksichtigt und genutzt wird. Und es braucht berufsbezogene Deutschkurse, die klare Lernziele in Verbindung mit einem Berufseinstieg verfolgen. Weiters zeigt sich, dass eine beträchtliche Anzahl an jungen Erwachsenen einen Pflichtschulabschluss als Grundlage für eine berufliche Zukunft in Österreich benötigt. Andere könnten, wenn sie dabei unterstützt werden, an eine Matura oder eine teilweise absolvierte universitäre Ausbildung anknüpfen, wie das folgende Beispiel zeigt. Im Juni 2016 wurde von 100 Studierenden der Sozialarbeit an der Fachhochschule Vorarlberg in Dornbirn im Rahmen eines semesterübergreifenden Unterrichts ein Begegnungsnachmittag mit AsylwerberInnen veranstaltet. 120 von den etwas mehr als 200 TeilnehmerInnen füllten einen Fragebogen zu Deutschkenntnissen und Studienvorhaben aus. 93 Personen gaben an, ein Hochschulstudium absolvieren zu wollen, zirka 50 Befragte hatten zumindest bereits ein Bachelorstudium absolviert. Die Angaben zu den Deutschkompetenzen bewegten sich zwischen A1 (zirka ein Drittel), A2 (fast die Hälfte) und B1.

Die Rolle von Freiwilligen beim Deutscherwerb

Deutschkurs-Abschlüsse sagen nur bedingt etwas über den tatsächlichen Stand der Deutschkenntnisse aus, denn die Wohnsituation, die Kontakte mit Einheimischen, die Einbindung in Vereine, das gemeinsame Tun in gemischten Gruppen, in denen Deutsch die Kommunikationssprache ist, sind mindestens ebenso wichtige Faktoren für eine erfolgreiche Deutschentwicklung wie ein Kursbesuch. In allen diesen Bereichen sind Freiwillige aktiv.

So wie an Universitäten und in Fachverbänden in Deutschland und Österreich, wurde und wird auch in Vorarlberg der Einsatz von Freiwilligen kritisch diskutiert, zum Beispiel mit dem Argument der Qualität der Angebote. Einerseits ist klar, dass professionell geführte Sprachkurse mit definierten Lernzielen und einer gut aufgebauten Progression ein zentrales Instrument des Deutscherwerbs darstellen, andererseits muss hervorgehoben werden, dass erfolgreicher Deutscherwerb tägliche Gelegenheiten braucht, das Erlernte anzuwenden. Zudem bedeutet die völlig andere Lebenserfahrung der Geflüchteten auch, dass sie viele Themen z. B. beim Pflichtschulabschluss ohne Hilfe von Freiwilligen nicht bewältigen würden. Wie sollte z. B. jemand aus Somalia wissen, wie man Ratenzahlungen berechnet, wenn das Konzept „Rate“ nicht bekannt ist? Was ist ein Drehkreuz, eine Schipiste, ein Guglhupf oder ein Apfelstrudel? Auch das Verständnis für die Regeln der Aufnahmegesellschaft basiert auf der Begegnung von Menschen unterschiedlicher Herkunft und dem gemeinsamen Bemühen, um das Zusammenleben. Freiwillige leisten in dieser Hinsicht unverzichtbare Unterstützungsarbeit.

Zudem wurde sehr schnell klar, dass der Bedarf an Einstiegskursen ohne die vielen Freiwilligen absolut nicht abgedeckt werden konnte. Viele Freiwillige führten daher oft über Monate kursähnliche Angebote durch.

Vernetzungs- und Unterstützungsstrukturen

Seit Ende 2015 haben sich unterschiedliche Unterstützungsstrukturen für die Freiwilligentätigkeit gebildet. Es gibt Initiativen von Freiwilligen, Koordinationsstrukturen in Gemeinden und Städten und die Unterstützung durch Institutionen. Dazu gehört das Programm „okay.zusammen lernen“ der Projektstelle „okay.zusammen leben“, das Freiwilligen, die im Deutscherwerb tätig sind, ein laufend an den jeweiligen Bedarf angepasstes Unterstützungsangebot bietet.

Ein detailliert ausgearbeitetes Modul, das grundsätzliche Informationen zu Themen wie Flucht, Deutscherwerb, Bildung, Begegnung, Arbeit und Qualifizierung sowie einen Überblick über Freiwilligeninitiativen in den Vorarlberger Bezirken bietet, findet sich auf der Homepage von „okay.zusammen leben“ (www.okay-line.at) unter „Flucht und Integration“.

Angebote der VHS Götzis

Die VHS Götzis, so wie die anderen Volkshochschulen in Vorarlberg auch, hat sich im klassischen Bereich der Deutschkurs-Angebote gut etabliert. Zusätzlich dazu engagiert sich z. B. die VHS Götzis im Bereich des Pflichtschulabschlusses (PSA). Der Erwerb eines in Österreich anerkannten Zertifikates/Abschlusses bietet Anschlussmöglichkeiten an höhere Schulen oder Lehrstellen. Es hat sich gezeigt, dass der Erwerb des PSA ein großer Vorteil ist. Vorbereitungskurse zum Erwerb des PSA werden aktuell von der VHS Götzis und dem BFI der AK Vorarlberg angeboten. Ab 2017 gibt es, finanziert über Mittel des ESF bzw. des Landes Vorarlberg, diese Möglichkeit für eine größere Gruppe von jugendlichen Flüchtlingen.

Das Programm „okay.zusammen lernen“

Hintergrund und Aufbau

„Okay.zusammen lernen“ ist ein Kooperationsprojekt von VHS Götzis und „okay.zusammen leben“, das seit 2006 besteht. Im Rahmen dieses Programms entstanden verschiedene Angebote zur fachlichen Unterstützung von Lehrenden und Lernenden bei Fragen des Deutscherwerbs. In den ersten Jahren wurde die Mappe „Von Mund zu Mund“ für KursleiterInnen von niederschwelligen Deutschkursen in Gemeinden erstellt. Vor allem Frauen, die schon länger in Österreich lebten, aber geringe aktive Deutschkenntnisse aufwiesen, sollten darin unterstützt werden, mehr Selbständigkeit in ihrem deutschsprachigen Alltag zu gewinnen. Parallel dazu wurde die Abteilung „Deutsch und Mehrsprachigkeit“ der Sprachenbibliothek der Volkshochschule Götzis laufend ausgebaut und ein Fortbildungs- und Beratungsangebot entwickelt, das sich an den jeweils aktuellen Bedürfnissen orientiert.

Die Bibliothek enthält zirka 2.000 Medien im Bereich Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache sowie im Bereich Mehrsprachigkeit, welche KursleiterInnen, PädagogInnen und KursteilnehmerInnen nutzen können. Die fast monatlich stattfindenden Workshops und Seminare werden von KursleiterInnen aus allen EB-Institutionen, aus Vereinen und Gemeinden besucht, die die Gelegenheit zur Vernetzung und zum Austausch sehr schätzen.

Herausforderungen seit 2015

Die Nachfrage nach unterstützenden Maßnahmen änderte sich 2015 mit der zunehmenden Zahl an geflohenen Menschen, die nach Vorarlberg kamen, und dem unwahrscheinlich hohen Engagement vieler Freiwilliger, die die Asylsuchenden beim Deutscherwerb unterstützten. Diese Deutsch-BegleiterInnen oder -HelferInnen versuchten eine Antwort auf die prekäre Situation vieler AsylwerberInnen zu geben, die oft über Monate auf einen kostenlosen Deutschkurs warten mussten. Viele Freiwillige unterstützten weiters Flüchtlinge und Bleibeberechtigte, die zwar Deutschkurse besuchen konnten, aber sonst kaum Möglichkeit hatten, ihr Deutsch zu verwenden und somit weiter zu entwickeln. In dieser Situation konnten wir auf eine jahrelange Erfahrung in der Durchführung von Fortbildungsangeboten sowie auf die Ausstattung der Mediathek der Volkshochschule in Götzis zurückgreifen und relativ rasch reagieren.

Freiwillige als TeilnehmerInnen der Fortbildungsangebote

Die Heterogenität der Freiwilligen in Bezug auf Ausbildung und Erfahrung mit Deutsch-Lernangeboten ist sehr groß. Längst nicht alle haben eine pädagogische Ausbildung oder Erfahrung in der Erwachsenenbildung als Hintergrund; manche haben klare Vorstellungen über Ziele, die AsylwerberInnen und Bleibeberechtigte erreichen sollten, andere möchten einfach unterstützend da sein. Manche arbeiten mit einzelnen Lernenden vertiefend zu Kursen und haben somit relativ klare Vorgaben, viele andere betreuen in Eigenregie über Monate kleinere und größere Gruppen und fühlen sich auch für den Fortschritt ihrer TeilnehmerInnen verantwortlich.

Die Freiwilligen treffen auf eine noch größere Heterogenität bei den geflüchteten Menschen. Sie berichten von Menschen ohne Lese- und Schreibkenntnisse, von UniversitätsabgängerInnen, von Menschen mit klaren Zielen und anderen, ohne reale Vorstellungen vom Leben in Österreich; von Menschen, die mehrere Sprachen sprechen und solchen, die nie aus ihrem Dorf hinaus gekommen sind. Die Flüchtlinge kommen mit ihren Traumatisierungen, ihren Lerntraditionen und Lernerfahrungen, Wünschen und Bedürfnissen.

Es stellte sich rasch heraus, dass Freiwillige Unterstützung in Bezug auf Fragen des Deutscherwerbs, aber auch den Austausch über ihre Rolle als ehrenamtlich engagierte Deutsch-BegleiterInnen brauchten.

Das Angebot „Runder Tisch“

Bei den „Runden Tischen“ und Workshops wird Wissen über den Sprach- bzw. Deutscherwerb von Erwachsenen vermittelt. Die Freiwilligen bekommen zudem Instrumente in die Hand, die die Deutsch-Vermittlung erleichtern sollen. Eine wichtige Botschaft an sie ist, dass Freiwillige keine LehrerInnen sind und keine Grammatik-Progression vermitteln müssen, oder, dass sie nicht dafür verantwortlich sind, ob die Lernenden genug Deutschkenntnisse erwerben, um später eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu haben. Der Schwerpunkt liegt auf der (mündlichen) Kommunikation zur Alltagsbewältigung in unterschiedlichen Begegnungsformaten wie z. B. Sprachen-Cafés oder dem gemeinsamen Tun. Die besondere Qualität dieser Angebote entsteht dabei durch Kontakt und Beziehung, die zu den wichtigsten Elementen eines erfolgreichen Spracherwerbs zählen. Die Rolle als „Deutsch-BegleiterIn“ angesichts dieser Heterogenität für sich zu definieren, ist allerdings kein einfacher Prozess, wie sich bei vielen Austauschrunden herausstellt.

Da Gemeinden und RegionalkoordinatorInnen zunehmend Koordinationsaufgaben übernehmen, bieten wir neben den Runden Tischen auch regionale und lokale Workshops an (siehe unten).

Das Angebot „Engagement-Werkstatt“

Viele Freiwillige brauchen auch eine Begleitung bei anderen Fragen, die sich im Kontakt mit den geflüchteten Menschen ergeben, z. B. Fragen der Abgrenzung, des Umgangs mit anderen Vorstellungen vom Zusammenleben, der Toleranz, klaren Grenzziehungen, des Umgangs mit (fehlender) Zuverlässigkeit oder mit einschneidenden Erlebnissen, wenn z. B. Flüchtlinge bei Interviews begleitet werden. Zusätzlich zum Angebot von „okay.zusammen lernen“ bietet „okay.zusammen leben“ daher im Rahmen der „Engagement-Werkstatt“ Information und Unterstützung an. Detailbeschreibungen zu den einzelnen Angeboten finden sich unter „“auf der Homepage von „okay.zusammen leben“ (www.okay-line.at). //

Aktuelle Angebote von „okay.zusammen lernen“

Unterrichtsmaterial „Von Mund zu Mund. Erste Sprachhilfe für Deutsch-Neulinge“ und zahlreiche weitere Online-Übungsmaterialien zu den einzelnen Kapiteln dieser Mappe.318_Vorarlberg_-Flucht-01-11-16_jr.doc

„Runde Tische“ für Deutsch-BegleiterInnen in der VHS Götzis: Zirka einmal pro Monat wird ein „Runder Tisch“ zu Themen des Deutscherwerbs angeboten, den KursleiterInnen und Deutsch-BegleiterInnen kostenlos besuchen können. Die „Runden Tische“ werden jeweils über den Newsletter von „okay-zusammen leben“ sowie über die Mailingliste der Sprachenbibliothek beworben. Themen dieses Jahres sind z. B. die Sprachschnitzeljagd als Möglichkeit, die Umgebung kennen zu lernen und dabei die Deutschkenntnisse zu vertiefen; der Umgang mit Heterogenität in der Gruppe; die Planung von Aktivitäten; der Einsatz von spielerischen Lernformen beim Deutscherwerb oder Methoden wie das „Total Physical Response-Storytelling“. Alle ReferentInnen sind erfahrene KursleiterInnen.

Die Vermittlung von FachreferentInnen für Treffen bei regionalen und lokalen Gruppen von Freiwilligen vor Ort. Integrationsbeauftragte in Gemeinden oder RegionalkoordinatorInnen geben den Bedarf weiter und koordinieren mit dem „okay.zusammen lernen“-Team die Veranstaltungen. Im Raum Walgau wird z. B. in diesem Jahr eine Serie von Workshops für Freiwillige direkt in den Gemeinden angeboten.

Email-Beratung für Freiwillige zu inhaltlichen und methodischen Fragen des Deutscherwerbs.

Entlehnung von Medien in der Sprachenbibliothek der VHS Götzis am Garnmarkt. Unterstützung und Beratung nach Anfrage bzw. jeweils am Montag von 17.00 bis 19.00 Uhr.

Laufend aktualisierte Hinweise auf weitere Materialien, Lern-Apps, zweisprachiges Lernmaterial in den wichtigsten Sprachen der Flüchtlinge und vieles andere mehr auf dem Internetportal.4

1   Vorarlberger Nachrichten, 8. Juli 2016.

2   Siehe: www.handinhandinvorarlberg.at [30.10.2016].

3   Verfügbar unter: www.okay-line.at/deutsch/okay-programme/okayzusammen-lernen-zusatzmaterialien/ [30.10.2016].

4   Siehe: www.okay-line.at/deutsch/okay-programme/okayzusammen-lernen-zusatzmaterialien/weitere-materialien-zum-deutsch-lernen.html [30.10.2016].

Allgäuer-Hackl, Elisabeth/Fischnaller, Stefan (2016): Das Kooperationsprojekt okay.zusammen lernen/VHS Götzis: Angebote für ‚Deutsch-BegleiterInnen‘. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Dezember 2016, Heft 260/67. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien

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