Heterogenität und Exklusivität: Eine Herausforderung für die Bildung älterer Menschen

Bei der Diskussion über einen zeitgemäßen Altersbegriff und über aktuelle Bildungsthemen für „ältere Menschen“ kann man auf eine große Anzahl an Studien zur demographischen Entwicklung und zur Veränderung der Lebenssituation älterer Menschen zurückgreifen. Dabei wird zum Beispiel der spezifische individualistische Habitus dieser Generation von Babyboomern bis hin zur Punk-Generation betont und „das Alter“ wird als eigenständiger, plan- und gestaltbarer Lebensabschnitt betrachtet. Das wird damit argumentiert, dass Altern neben Verlusten und Einschränkungen auch Gewinne bringt hinsichtlich Erfahrung, Wissen und gelungene Auseinandersetzungen mit Entwicklungsaufgaben. Auch die Verbesserung der Innovationsfähigkeit von Unternehmen durch die kontinuierliche Weiterbildung ihrer Arbeitskräfte wird als wertvolle wirtschaftliche Ressource erachtet. Bei der Auseinandersetzung mit Bildungsangeboten für ältere Menschen wird man daher nicht umhinkommen, die Altersgruppe differenzierter zu betrachten und die Diversität der Lebenssituationen, in denen sich auch ältere Menschen befinden, genauer in den Blick zu nehmen.

Diversität in Altersbildern, Altersdefinitionen und Altersgruppen

Wer sind nun „die Älteren“? Orientiert man sich am Merkmal „Lebensalter“ zeigt sich folgendes Bild: die Bevölkerung wird bis zum Jahr 2050 rapid altern (vgl. OECD 2019) und der Anteil der Menschen mit 65 Jahren und darüber wird dann laut Prognosen von Statistik Austria mehr als ein Viertel der Bevölkerung betragen.1 In diesen Prognosen werden gegenwärtige Trends in die Zukunft fortgeschrieben. Dabei kommt der so genannten Babyboomer-Generation, also den überdurchschnittlich vielen Menschen, die um 1964 geboren wurden, durch ihren hohen Anteil ein besonderer Stellenwert zu, der sich in der Vorausrechnung zu Buche schlägt. Allerdings sind Zukunftsprognosen nur ein Anhaltspunkt, denn niemand kann ahnen wie sich die Gesellschaft tatsächlich entwickeln wird, zum Beispiel in der Wirtschaft, in der Geburtenanzahl, in der Migration oder im Gesundheitsbereich, wie aktuell die Auswirkungen einer Pandemie wie COVID-19 mit den hohen gesundheitlichen Risiken für die Älteren und großen Belastungen für ihre Lebensgestaltung. In einer aktuellen Studie des Experten für Sozialgerontologie Anton Amann wird die Situation der älteren Menschen in der Corona-Krise ausführlich beleuchtet (Vgl. Aman, 2020).

Die Gruppe der „älteren“ Menschen wird oft unterteilt in die Subkategorien „Frühes Alter“: 60 (bzw. 65) bis 80 Jahre und „Höheres Alter“: 80+ Jahre. Dass diese Unterteilung getroffen wird, hat damit zu tun, dass zwischen den zwei Altersgruppen wesentliche Unterschiede bestehen: Während die meisten Menschen im „frühen Alter“ noch gesund sind und dank geringerer beruflicher und privater Verpflichtungen und weniger Stress eine gute aktive Zeit verbringen, gibt es in der Personengruppe der über 80-Jährigen immer weniger vital bleibende Menschen, während jene, die eine Reduktion ihrer physischen und psychischen Fähigkeiten erfahren, drastisch zunimmt.

Vielfach wird bei der Beschreibung der Altersgruppe auch der „Lebenszyklus-Ansatz” (vgl. Antony et al, 2019) gewählt, der davon ausgeht, dass nicht die Anzahl der Lebensjahre entscheidend sind, sondern ob sich die verschiedenen Einflüsse auf die Gesundheit und das Wohlbefinden positiv oder negativ auf den Alterszustand ausgewirkt haben. Ein anderer Begriff ist der der ergrauenden Welt, „the graying of the modern societies“ bzw. „Graying World“2, der vor allem in den USA für das Phänomen des Verhältnisses zwischen Jungen und Alten verwendet wird, das durch die steigende Lebenserwartung einerseits und die fallenden Geburtenzahlen andererseits aus dem Gleichgewicht geraten ist.

Ein anderes wesentliches Merkmal für die Unterteilung der Menschen im Alter ist der Grad ihrer Gesundheit. Dabei spielen verschiedene Bereiche eine Rolle, etwa das Wohlbefinden im Allgemeinen oder physische und psychische Einschränkungen bzw. Krankheiten. Ein besonderes Beispiel ist das Ausmaß der Mobilität bzw. Gebrechlichkeit. Das führt bei einer Mobilitäts-Skala in die Einteilung, ob jemand gut, langsam bzw. unsicher oder gar nicht mehr gehen kann (Robust: go-goes, pre-frail: slow goes, frail: no-goes3).

Eine besondere Bedeutung kommt der Erkundung der Leistungsverminderung des Gehirns durch neurologische Forschungen zu, verbunden mit den möglichen Konsequenzen und Interventionsmöglichkeiten, die sich dabei ergeben. Interessant ist dabei die Feststellung einer hohen Verfügbarkeit von Reservekapazitäten, auf die das Gehirn bei kognitiven Defiziten, etwa Störungen der Merkfähigkeit oder bei Leistungsminderung in Folge von Krankheiten zurückgreifen kann, außer bei primären Faktoren wie Demenz. Die Fähigkeit zur Kompensation besteht auch für andere Ressourcen, etwa Zeit oder Energie, die zwar begrenzt sind und im Alter abnehmen, jedoch gut durch andere Fähigkeiten wie Gewissenhaftigkeit, Genauigkeit und/oder Erfahrung ausgeglichen werden können.

Insgesamt konnten in den letzten Jahren viele neue Erkenntnisse in der Altersforschung gewonnen werden, auch durch die Entstehung neuer Spezialgebiete wie der Biogerontologie als eigener Teil der Entwicklungsbiologie oder der Gerontopsychologie als Schwerpunkt der Psychologie.

Besonders wichtig für die Darstellung der Altersdiversität ist ein Blick auf die subjektive Perspektive der älteren Menschen. Auf der einen Seite findet man die älteren Menschen, die ihr Leben sehr aktiv gestalten, über soziale Netzwerke verfügen, ihren Hobbies nachgehen, neue Aufgaben oder gesellschaftliche Verpflichtungen übernehmen oder gar eine neue Karriere starten. Bereits in den 1990er Jahren präsentierten die Volkshochschulen verschiedene Möglichkeiten zur aktiven Gestaltung der dritten Lebensphase. Interessante Konzepte, Modelle und „Best Practise“ finden sich etwa in dem Buch „Die dritte Karriere. Ideen zur Gestaltung der reifen Jahre“ (Brugger et al, 1996). Heute gibt es ganze Industrien, die sich mit Beschäftigungsmöglichkeiten für ältere Menschen befassen und auch viele Einzelinitiativen und Gruppen, die sich als „Communities“ oder Plattformen mit Hilfe der sozialen Medien vernetzen und Freizeitaktivitäten, berufsrelevante oder soziale Leistungen anbieten.

Daneben gibt es aber auch Studien, die auf die Zunahme der persönlich belastenden Gefühlsbereiche im Alter hinweisen, etwa die Sorge um die Gesundheit, der Verlust an Wertschätzung, die mangelnde Integration in der Gemeinschaft und die Angst um die Sicherheit in physischer, psychischer und existenzieller Hinsicht (vgl. Göttlinger, 2015). Die Sorgen älterer Menschen sind nicht unberechtigt, denn 13,4 Prozent der über 65-jährigen leiden unter Armut/Armutsgefährdung. Dabei sind Frauen stärker von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, 2017 betraf dies rund 144.000 Frauen (16,5 Prozent) und 65.000 Männer (9,6 Prozent) in Österreich. Dauerhaft armutsgefährdet sind ebenso häufiger Frauen (10,4 Prozent) als Männer (9,1 Prozent) über 65 Jahren (nach: Antony 2019).

Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Armutskonferenz4 zu, einem Netzwerk mit über 40 sozialen Organisationen, wie Frauenhäuser, Arbeiter Samariter Bund, Arbeit-Plus-Soziale Unternehmen, ASB Schuldnerberatung, Caritas, Dachverband beruflicher Integration, Rotes Kreuz, Telefonseelsorge, Volkshilfe etc. Das Netzwerk thematisiert nicht nur Ursachen, Strategien und Maßnahmen sondern unterstützt auch jährlich über 500.000 Menschen konkret.

Als besonders wichtige Maßnahmen gegen Altersarmut werden gute (Aus-) Bildungen, Aneignung von zeitgemäßem Wissen, Stärkung der Persönlichkeit und Förderung von positiver Lebenseinstellung gesehen. Die Entwicklung spezifischer Bildungsangebote für armutsgefährdete Ältere, etwa die Schulung für geringfügige Beschäftigungen, wären auch ein wichtiger gesellschaftlicher Aspekt.

Exklusives Altersthema: Der Pensionsanritt und das PensionistInnen-Dasein

Der Übertritt in die Pension stellt für die meisten Menschen eine besondere Zeit dar. Vor allem Menschen, die ihr Leben stark auf das Erwerbsleben ausgerichtet haben und deren soziales Umfeld vorwiegend aus diesem Bereich besteht, erfahren nach dem Pensionsantritt eine Zeit der Orientierungslosigkeit, weil das gewohnte Arbeitsumfeld, die gewohnten Strukturen, Abläufe, Regeln und Rituale nicht mehr da sind, durch die das bisherige Leben gestaltet wurde. Zu den allgemeinen Verunsicherungen, die sich durch die zunehmende Vulnerabilität im Alter ergeben, zum Beispiel durch nachlassende Sinnesleistungen, Altersgebrechen oder Schmerzen, treten nun vor allem Sorgen in psychischer Hinsicht, die sich durch die Reflexion auf das zurückliegende Leben und spezifische Lebensumstände, z.B. Verlusterfahrungen, aber auch Angst vor Bedeutungslosigkeit ergeben. Die Phase des Pensionsantritts bedarf in vielen Fällen einer Neuorientierung zur Gestaltung des künftigen Leben. Aber anders als andere Umbruchphasen im bisherigen Leben, etwa Pubertät, Arbeitssuche und -Antritt, Studium, Familiengründung etc. hat die Phase der Pensionierung ein irreversibles Ende. Diese Erkenntnis schlägt plötzlich zu Buche und trifft die meisten Menschen unvorbereitet. Eine Umorientierung in eine gute neue erfüllende Zeit gelingt nicht immer. Bildungsmaßnahmen in Kombination mit spezifischem Coaching zur Unterstützung wären für Menschen in dieser „exklusiven Phase“ anzudenken.

Eine Methode, die in den Volkshochschulen bereits Anfang der 1990er Jahre publiziert wurde und von BildungsforscherInnen heute zu den relevantesten gezählt wird, ist das vom US-amerikanischen Bildungsforscher Jack Mezirow entwickelte „transformative Lernen“ (vgl. Marsick, Finger, 1994). Dabei wird davon ausgegangen, dass alles, was man wahrnimmt, versteht und fühlt, das eigene Denkschema bestimmt und festigt. Auch bei Aus- und Weiterbildungen wird üblicherweise diesem Denkschema gefolgt. Aber Menschen, die mit dem einschneidenden Ereignis des Pensionsantritts konfrontiert sind, für das sie keine Erfahrungen mitbringen, können nicht auf ihr altes Denkschema zurückgreifen. Jedoch können sie versuchen, Lösungen zu finden, wenn sie ihr Denkschema ändern und ihr Leben neu organisieren. Menschen in unsicheren Lebenssituationen oder Krisen sind oft bereit, bewusst einen Perspektivenwechsel vorzunehmen, um zu neuen, besser geeigneten Lebensstrategien zu kommen. Mit einem schrittweisen Prozess der Reflexion, des „Darüber Denkens“ und des Diskutierens können neue Lösungen gesehen werden und eine bewusste Weiterentwicklung vorangetrieben werden. Für die Orientierungsphase rund um den Pensionsantritt könnte die Gestaltung von Bildungsprogrammen nach der Methode des „transformativen Lernens“  ergänzt mit individuellem Coaching eine interessante Programmergänzung sein.

Eine alterstypische Besonderheit, die stark im Steigen begriffen ist und einen hohen Risikofaktor hat ist der Pensionsschock. Laut Erhebungen der Gesellschaft für Psychische Gesundheit sind 25 Prozent aller ÖsterreicherInnen gefährdet daran zu erkranken. Beim Pensionsschock wird das Ende des Erwerbslebens als gravierender Einbruch des bisherigen Lebensgefüges erlebt, das zum Verlust von Identität, Gemeinschaftsleben, Orientierung und Zukunftsperspektiven führt. Die Konsequenz ist eine krankhafte Depression, die einer spezifischen und nachhaltigen Behandlung bedarf. Besonders betroffen vom krankhaften Pensionsschock sind Männer im Allgemeinen und Menschen in Berufen mit hohem Sozialprestige im Besonderen (vgl. Meise, 2010).

Eine große Rolle in der Debatte rund um das Altern spielt die Wertigkeit, die dem Altern und den alten Menschen in der öffentlichen Meinung zugemessen wird. Gegenwärtig dominiert in Österreich der defizitorientierte Ansatz, der den Fokus auf die Schwächen und Risiken der Altersgruppe legt und den Kostenfaktor der Pensionen und des Pflegebedarfs in den Vordergrund schiebt. Dadurch verfestigt sich der Eindruck, dass alte Menschen eine Belastung für die nachfolgenden Generationen sind und eine Generationenkluft zeichnet sich ab. Demgegenüber betonen Länder wie Dänemark, Finnland, Norwegen, Schweden oder Japan, eher die Stärken und Ressourcen älterer Menschen, die dazu genützt werden, um innerhalb der Arbeitswelt oder im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements neue soziale Rollen zu schaffen, die allgemein als sinnstiftend und produktiv gesehen werden. (vgl. Kruse, 2006)

In diesem Zusammenhang ist interessant, wie die Unterschiede im Aktivitäts-Ausmaß von der Sozial-Gerontologie gesehen werden.  Demzufolge wird eine Form als „Aktivitätsthese“ bezeichnet, die besagt dass Menschen ihr Leben lang aktiv bleiben sollen, um in der Gesellschaft integriert zu bleiben und um der Vereinsamung entgegenzuwirken. Menschen, die nicht mehr aktiv sind, riskieren die Ausgrenzung aus der Gesellschaft und den Verlust der sozialen Kontakte. Daher sei es wichtig, dass ältere Menschen auch weiterhin verschiedene soziale Rollen übernehmen, in denen sie Wertschätzung erfahren können. Der Rückzug aus dem sozialen Leben, der natürliche Abbau im Alter, die Variabilität von Interessen und Wünschen wird bei dieser These kaum berücksichtigt, idealisiert wird die Leistung bzw. die aktive Tätigkeit. Im Unterschied dazu wird in der Disengagement-These die Ansicht vertreten, dass „das Alter“ als eigene Entwicklungsstufe zu sehen sei, in der Defizite auftreten. Ältere Menschen würden sich einen Rückzug und eine Verringerung von sozialen Kontakten geradezu wünschen, um für sich selbst Zeit zu finden. Hier ist der Gedanke zu erkennen, dass die Pensionierung zum „wohlverdienten“ Ruhestand führt, der die Mühen des Erwerbslebens beendet und eine neue, ruhige Phase mit weniger Verpflichtungen und mehr Freiheiten einläutet. Diese These lässt den Schluss zu, dass Wohlbefinden und Zufriedenheit nicht nur von der realen Situation abhängen sondern auch von der Reflexion auf das vergangene Leben und der Perspektive, die man daraus für sich entwickelt.

Eine Möglichkeit, beide Thesen zu kombinieren, bietet die Kontinuitätsthese, die die Aktivitätsphase als Kontinuum darstellt, bei dem jedes Individuum selbst entscheidet, ob und wann Phasen der Aktivität bzw. eines Rückzugs erfolgen sollen. In dieser These findet sich der Gedanke, dass es über das gesamte Leben verteilt unterschiedlich intensive Phasen von (Erwerbs-) Aktivitäten geben sollte, die über die Erreichung des Pensionsalters hinaus wirksam sein können.

Neben der Erwerbstätigkeit haben vor allem die vielen Möglichkeiten der freiwilligen Leistungen eine Bedeutung für Teilhabe, Integration und Nutzen älterer Menschen für die Gesellschaft. Freiwilligenarbeit spielt in Österreich insgesamt eine große Rolle. Das betrifft auch die ältere Generation: 47 Prozent der ab 55-Jährigen sind in einem freiwilligen Engagement tätig (IFES 2016). Besonders hoch ist der Anteil bei den 60- bis 69-Jährigen mit 58 Prozent gegenüber dem Anteil aller ab 15-Jährigen mit 46 Prozent. Auch bei den ab 80-Jährigen ist die Beteiligung noch immer verhältnismäßig hoch und nimmt erst mit noch höherem Alter ab. Das freiwillige Engagement von Männern und jenes von Frauen haben sich einander in den vergangenen Jahren angeglichen, wobei sich Frauen eher im informellen Bereich (d. h. in der Nachbarschaftshilfe) engagieren. Dank guter digitaler Plattformen ist es auch für Menschen ohne einschlägige Kontakte möglich, auf Angebote für Freiwillige zu reagieren.5

Neue internationale und nationale Programme für die ältere Bevölkerung

Wie sehr die Fragen rund um die ältere Bevölkerung gesellschaftlich relevant sind und wie stark die Aufmerksamkeit darüber zugenommen hat zeigt sich vor allem dadurch, dass seit dem Jahr 2000 zahlreiche nationale und internationale Rahmenprogramme und Strategien entwickelt wurden, um die Situation besser fassen zu können und mit zukunftsorientierten Maßnahmen reagieren zu können. Hier einige Beispiele:

Im Jahre 2002 wurde im Zuge der zweiten UN-Weltversammlung über das Altern der „Madrid International Plan of Action on Ageing (Political Declaration 2002)“6 verabschiedet, im selben Jahr präsentierte die WHO eine Definition von „Aktivem Altern“ als „Prozess der Optimierung der Möglichkeiten von Menschen, im zunehmenden Alter ihre Gesundheit zu wahren, am Leben ihrer sozialen Umgebung teilzunehmen und ihre persönliche Sicherheit zu gewährleisten und derart ihre Lebensqualität zu verbessern”. Die WHO unterstreicht damit die lebenszyklische Betrachtungsweise und betont die aktive gesellschaftliche Rolle älterer Menschen. Zur Untermauerung dieses Ansatzes wird das “Active ageing policy framework”7 erstellt.

Etwas anders ist der Ansatz der WHO im Jahr 2017 mit der „Global strategy and action plan on ageing and health“8. Dabei steht im Fokus ein „Prozess der Entwicklung und Erhaltung der Funktionsfähigkeit, die Wohlbefinden im Alter ermöglicht”.  Gesundheit wird dabei als Fähigkeit einer Person gesehen, jene Dinge zu tun, die ihr wichtig sind. Die Strategie sieht vor, dass – aufbauend auf der gesammelten Erfahrung bis 2020 – ein Entwurf für eine „Decade of Healthy Ageing 2020–2030“ vorgelegt wird, um die Implementierung geeigneter Strategien bzw. Maßnahmen für Gesundheit und Alter auf nationaler und internationaler Ebene zu unterstützen und die Entwicklungen mit geeigneten Kennzahlen zu beobachten. Der Paradigmenwechsel von der einseitigen Betrachtung älterer Menschen als gesellschaftliches defizitbehaftetes Problem (z. B. Krankheitskosten, Pflegebedarf etc.) hin zu einer zukunftsorientierten und nachhaltigen Entwicklung findet sich auch in der UN Agenda 2030 „Sustainable Development Goals“ mit spezifischen Zielen in Bezug auf Ältere.

Auf europäischer Ebene ist das im Jahr 2012 ausgerufene Europäische Jahr für aktives Altern und generationenübergreifende Solidarität ein Meilenstein für neue Programme in Bezug auf die wachsende ältere Bevölkerung. Dazu gehören zum Beispiel die Erstellung von Leitlinien und ein Index für „Aktives Altern“, der von UNECE (United Nations Economic Commission for Europe), der Europäischen Kommission und dem European Centre for Social Welfare Policy and Research in Wien entwickelt wurde.

Der Active Ageing Index9 zeigt anhand mehrerer Bereiche mit jeweiligen Indikatoren, wie gut einzelne Länder auf die demografischen Entwicklungen vorbereitet sind. Österreich liegt dabei um einen Zehntelprozentpunkt über dem EU-Durchschnitt und an 12. Stelle von insgesamt 28 Staaten.

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https://unece.org/population/active-ageing-index

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https://composite-indicators.jrc.ec.europa.eu/active-ageing-index/active-ageing-index/profiles/AT

Bildung für ältere Menschen

Eine wesentliche Voraussetzung für eine aktive Lebensgestaltung im Alter wird dem Zugang älterer Menschen zu den vielfältigen und qualitätsvollen Lernangeboten und zur Bildung zugemessen.

Ein Blick in die Statistik zeigt, dass laut LLL-Strukturindikator 2019, der die Weiterbildungsteilnahme für einen Zeitraum von vier Wochen abfragt, 10,2 Prozent der Personen ab 55 Jahren an Bildung teilgenommen haben.10 Dem steht eine Beteiligung der 25-64-jährigen von 14,7 Prozent gegenüber.

Der Erwachsenenbildung, die ohne Zweifel einen wichtigen Stellenwert in Hinblick auf den wissenschaftlich-technischen und sozioökonomischen Wandel hat, fällt bei der Beteiligung älterer Menschen am lebensbegleitenden Lernen eine besondere Rolle zu.

Unter dem Aspekt der Chancengleichheit werden vor allem ältere Menschen bedacht, die aufgrund ihres Einkommens, ihres Gesundheitszustands sowie ihrer Bildung von sozialer Exklusion bedroht sind (vgl. Antony et al, 2019).

Einen großen Stellenwert für die öffentliche Hand haben Schulungen zur Digitalisierung der älteren Bevölkerung, wie etwa die Richtlinien für die allgemeine Seniorenförderung im Bundes-Seniorengesetz zeigen (BMASK 2016).

Auch das Sozialministerium sieht im Kontext der Strategie zum lebensbegleitenden Lernen in Österreich (LLL:2020 Strategie) Maßnahmen vor, die die Weiterbildungsbeteiligung stärken, Qualität der Angebote sichern und Beratungsmöglichkeiten sowie bildungsfördernde Infrastruktur für eine niederschwellige, wohnortnahe Beteiligung älterer Menschen sichern helfen. Interessant sind dabei der Bezug auf eine nachberufliche Bildungsberatung, auf die Methodik und Didaktik für ältere Menschen und Maßnahmen für Seniorinnen und Senioren in der digitalen Welt (vgl. Antony et al, 2019).

Geht man von den Bedarfen älterer Menschen aus, sollten auch verstärkt die Möglichkeiten geboten werden, Bildungsabschlüsse nachzuholen, zu denen im bisherigen Leben keine Möglichkeit bestand. Das mag Basisbildung genauso betreffen wie das Nachholen der Matura oder der Besuch der Universität. Dort, wo es bei den bestehenden Maßnahmen nicht möglich ist, auf die besonderen Bedarfe älterer Menschen einzugehen sollten altersadäquate Formen geschaffen werden.

Die meisten Angebote der Volkshochschulen gehen von einem intergenerativen Ansatz aus, bei dem Erwachsene jeglichen Alters angesprochen werden. Diese allgemeinen Angebote entsprechen sehr gut den Wünschen älterer Menschen nach Kontinuität und Integration.  Altersbedingte Einschränkungen, etwa Lernschwierigkeiten beim Nachlassen des Gedächtnisses oder des Hörverstehens werden von Unterrichtenden durch methodische Anpassungen wettgemacht. Wichtig für ältere Lernende ist oft ein geeigneter Zeitplan, der selbständiges Arbeiten ohne Druck ermöglicht und eine mehrkanalige Darbietung des Lernstoffs, um allfällige Sinnesbeeinträchtigungen kompensieren zu können.

Die Weiterbildung der Unterrichtenden im Umgang mit älteren Lernenden ist eine Aufgabe, die bereits seit Jahren an Volkshochschulen wahrgenommen wird. Ein besonderes und bezogen auf ältere Menschen exklusives Bildungsangebot ist PASEO, ein Projekt, das bereits 2011 entwickelt wurde mit dem Ziel der Umsetzung des „Wiener Aktionsplans zur Förderung von Bewegungs- und Sportaktivitäten älterer Menschen“. An dem Netzwerk mit anderen österreichischen Organisationen, das die spezielle Qualifizierung der BewegungstrainerInnen für ältere Menschen übernommen hat, beteiligen sich auch die Wiener Volkshochschulen.

Einen hohen Stellenwert in der Bildung älterer Menschen kommt jenen Angeboten zu, die eine Auseinandersetzung und eine Entwicklung ihrer vielfältigen Interessen ermöglichen, z. B. in Naturwissenschaften, Technik, Allgemeinbildung, Gesellschaft, Kultur etc. Besonders für ältere Menschen sind diese Angebote wichtig, da sie oft an bereits vorhandene Kenntnisse anknüpfen oder den Anschluss an zeitgemäßes Wissen ermöglichen. Ein besonders erfolgreiches Programm war neben dem langjährigen Bildungsquiz für SeniorInnen der VHS Wien die „VHS-Senioren-Akademie“, die ab Mitte der 1980er Jahre bis etwa Mitte der 1990er Jahre durchgeführt wurde. Die damaligen Ziele haben bis heute ihre Gültigkeit: „1. Durch das Gehirntraining den Alterungsprozeß aufzuhalten oder zu verlangsamen. 2. Durch die Bildung von Lerngruppen eventueller Einsamkeit zu begegnen. 3. Das Selbstgefühl und Selbstbewußtsein der Senioren zu stärken. 4. Ein bildungstheoretisches Konzept für die Praxis umzusetzen, das geeignet scheint, die bildungsfeindliche Fachzergliederung zu überwinden.“ Die Inhalte der Senioren-Akademie in Vorträgen und Kursen sollten alle Bereiche im Zusammenhang mit der Entwicklungsgeschichte der Menschheit betreffen. Als Vortragende fungierten ProfessorInnen und DozentInnen der Wiener Universitäten. Die Lehre wurde durch Skripten ergänzt. Im Anschluss an die Vorträge gab es Diskussionen. Zudem organisierten die „Hörer und Hörerinnen“ Museumsbesuche und Exkursionen. Am Ende der Semester konnte auf Wunsch der TeilnehmerInnen eine Prüfung über den jeweiligen Inhalt abgelegt werden. Als Vorteil dieses Lernmodells wurde argumentiert: „der Mensch nimmt an der Wissensbildung teil (partizipatorisch), das Lernen wird schöpferisch (Die Wiener Volkshochschulen 1984).

In den letzten Jahren wird der Interesseentwicklungs-Ansatz auch in der Bildungsforschung weiter entwickelt. Vor allem die Modelle von Anke Grotlüschen in Deutschland (Grotlüschen, 2010) und Renninger/Hidi in den USA sind hier erwähnenswert. Für die Bildungsmotivierung älterer Menschen kommt der Interesseentwicklung eine große Bedeutung zu, einmal in Bezug auf die Motivation, da Aufmerksamkeit, Anstrengung, Konzentration, Selbstbewusstsein und Gleichwertigkeit gefördert werden und zweitens als kognitive und affektive motivationale Voraussetzung zur Entwicklung eines länger anhaltenden Interesses. Mit der Orientierung an Interessen werden Lernergebnisse und Lernprozesse positiv beeinflusst und langanhaltende Leistungssteigerung gefördert. Ein weiterer Vorteil für die Bildungsarbeit für Ältere ist, dass Interessen nicht nur geweckt, sondern auch gut und nachhaltig unterstützt werden können. So können Lehrende älteren Menschen dabei helfen, Verbindungen mit erworbenem Wissen herzustellen oder auch das Umfelddesign (Aktivitäten, Software) besser zu nutzen, damit sie aktiv partizipieren können (vgl. Renninger, Hidi 2016). Dass Interessen einen unterstützenden Effekt auf die Lernmotivation älterer Menschen haben, betont auch der österreichische Wissenschaftler und Experte im Bereich Gerontologie Franz Kolland (vgl. Kolland, 2016).

Um das Bedürfnis älterer Menschen nach Wissenserwerb mit dem gleichzeitigen Wunsch nach Autonomie und Selbstbestimmtheit in Einklang zu bringen, müssten auch zeitgemäße Möglichkeiten zum selbständigen Weiterentwickeln der Interessen geboten werden, etwa durch Foren; online-learning-Modelle, Wissens-Netzwerke; Laien-ExpertInnen-Projekte etc. Netzwerke mit anderen Wissens- und Bildungsorganisationen, z. B. mit Universitäten oder Bibliotheken, könnten dafür genützt werden. Den Lehrenden käme dann die Funktion zu, neben der Vermittlung von Wissen ältere Lernende weiter zu fördern und auf Vernetzungsmöglichkeiten zu achten.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Bildungsvoraussetzungen älterer Menschen sehr heterogen sind und sich wie die aller anderen erwachsenen Menschen hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen, sozialen, wirtschaftlichen und bildungsmäßigen Möglichkeiten unterscheiden. Weiters zeigt sich, dass es auch innerhalb der älteren Bevölkerungsgruppe zusätzlich zu den vorhandenen Bildungsbarrieren große Unterschiede bei der subjektiven Bereitschaft und Motivation zur Teilnahme an Bildungsmaßnahmen sowie bei den Bildungswünschen gibt. Gleichzeitig zeigt sich, dass altersbedingte Einschränkungen beim Lernen, wie nachlassende Konzentration oder Lerngeschwindigkeit durch Ausdauer, Genauigkeit, Erfahrung etc. weitgehend wettgemacht werden können. Das bedeutet, dass altersheterogene Gruppen auch für ältere Menschen Vorteile bieten und den gesellschaftlichen Austausch fördern helfen. Dort, wo nachlassende Lernleistungen zum Hindernis für altersheterogene Gruppen werden können unterrichtsergänzende Maßnahmen den Ausgleich bieten. 

Doch die Bevölkerungsgruppe der Älteren zeichnet sich auch durch einige exklusive Merkmale aus, die nur sie betreffen. Da ist einmal die Änderung des sozialen Status durch die Pensionierung, die dem beruflichen Lebenslauf ein Ende setzt. Diese irreversible Situation führt bei vielen Menschen zur Verunsicherung und Orientierungslosigkeit in Bezug auf eine unsichere Zukunft. Hier können neue Bildungskonzepte wie das „transformative Lernen“  helfen um Wege zum positiven aktiven Altern oder zum geruhsamen Lebensabend zu finden. Auch kann die Förderung der Interessensentwicklung, das Abschließen versäumter Bildungswege etc. einen wertvollen Beitrag dazu leisten. Ein weiteres Merkmal, das exklusiv diese Bevölkerungsgruppe betrifft, ist die Änderung in der gesellschaftlichen Wertigkeit, die aus den „erfahrenen Älteren“ eine Belastung für künftige Generationen macht. Hier könnten Bildungseinrichtungen durch Bildungsberatung, Bildungsmaßnahmen und Coaching das Selbstbewusstsein der Älteren stärken und mit intergenerationalen Diskussionen, Netzwerken und Projekten zu mehr Verständnis, Respekt und Wertschätzung zwischen den Generationen beitragen. //

  https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/bevoelkerung/demographische_prognosen/bevoelkerungsprognosen/index.html [18.12.2020]

2   https://compassmag.3ds.com/a-graying-world/ [18.12.2020]

3   http://www.allianz-gf-wien.at/fileadmin/daten-allianz-gf-wien/Praesentationen/7_WS_Sommeregger.pdf [18.12.2020]

4   http://www.armutskonferenz.at/

5   Zum Beispiel https://www.wien.gv.at/gesellschaft/ehrenamt/freiwillig/ [18.12.2020]

6   https://www.un.org/development/desa/ageing/madrid-plan-of-action-and-its-implementation.html#:~:text=The Prozent20Madrid Prozent20Plan Prozent20of Prozent20Action,ensuring Prozent20enabling Prozent20and Prozent20supportive Prozent20environments [18.12.2020]

7   https://www.who.int/ageing/publications/active_ageing/en/ [18.12.2020]

8   https://www.who.int/ageing/global-strategy/en/ [18.12.2020]

9   https://unece.org/population/active-ageing-index [18.12.2020]

10   https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/bildung/erwachsenenbildung_weiterbildung_lebenslanges_lernen/weiterbildungsaktivitaeten_der_bevoelkerung/index.html [18.12.2020

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Antony, Gabriele, Fried, Andrea, Habimana, Katharina, Ostermann, Herwig unter Mitarbeit von Delcoer, Jennifer, Engel, Bettina & Griebler, Robert (2019): Aktiv und gesund altern in Österreich. Verfügbar unter: https://www.sozialministerium.at/dam/jcr:3d309dc8-ca07-464c-89c6-9ab81e675476/aktiv_und_gesund_altern_in_oesterreich_final.pdf [17. 12. 2020]

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Kolland, Franz (2016): Bildungsmotivation im Alter. Modelle und Forschungserkenntnisse. Wien: BMASK

Kruse, Andreas (2006): Altern, Kultur und gesellschaftliche Entwicklung. In: REPORT 29: Verfügbar unter: https://www.die-bonn.de/doks/kruse0601.pdf [17.12.2020]

Marsick, Viktoria, Finger, Matthias (1994): Jack Mezirow – Auf der Suche nach einer Theorie des Lernens, in: Brugger, Elisabeth, Egger, Rudolf (Hg): Querdenken. ErwachsenenbildnerInnen im 20. Jahrhundert, Wien: Verband Wiener Volksbildung

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Renninger, K. Ann, Hidi, Suzanne (2016): The Power of Interest for Motivation and Engagement. London: Routledge

Brugger, Elisabeth (2020): Heterogenität und Exklusivität: Eine Herausforderung für die Bildung älterer Menschen. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Herbst/Winter 2020, Heft 271/71. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien

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