„Es ist auch mir gewiß, […)] daß es den Austritt aus der Gesellschaft nicht gibt und wir uns aneinander prüfen müssen. Im Widerspiel des Unmöglichen mit dem Möglichen erweitern wir unsere Möglichkeiten. […], daß wir uns orientieren an einem Ziel, das freilich, wenn wir uns nähern, sich noch einmal entfernt.“ Ingeborg Bachmann
Der Anspruch unserer Demokratie ist die formelle Teilhabe und die ideelle Teilnahme aller. Doch basiert sie realiter auf Ausschließungen: ausgeschlossen sind alle, die zu Anderen gemacht werden oder jene, die anders sein, werden oder bleiben wollen. In diesem Beitrag liegt der Fokus auf der Positionierung von Frauen in diesem politischen System; auch in dem Sinn, dass die Geschlechterdifferenz als Paradigma von Grundwidersprüchen der menschlichen Bedingtheit gelten kann. Wir wissen um diese Geschichte des Frauenausschlusses: der bürgerrechtslose Stand der Frauen in der griechischen Polis, die Hinrichtung Olympe de Gouges’ am Beginn der europäischen Demokratie, die Kämpfe ums Wahlrecht und um Bildungszugang, die anhaltende Unsichtbarkeit der Frauen in den Ämtern der repräsentativen Demokratien. Unangetastet scheinen Männer – in ihren Verbindungen – den Maßstab für Politik, Kultur, Ökonomie, Wissen und Arbeit darzustellen. Frauen haben dabei die Funktion der Zu- und Mitträgerschaft innerhalb von Regeln und Normen, die sie nicht selbst gesetzt haben. Wollen sie innerhalb der jeweiligen Organisation bestehen, sind sie gezwungen, sich dieser unterzuordnen oder zumindest einzufügen. Frauen, so eine feministische Kritik, sind materielle Basis gesellschaftlicher Vorgänge, aber nicht gleichermaßen beteiligt an den monetär und symbolisch anerkannten Tätigkeiten. Die Geschlechterfrage hat also in der real existierenden Demokratie bislang immer schon eine Antwort gefunden, nämlich jene einer Entwicklung von Negation und Entwertung von Frauen hin zu deren Systemadaption und Scheingleichheit. Das prolongiert die Spaltung unter Frauen und hat zur Folge, dass es politische Verbindungen und Verbündungen von Frauen kaum gibt und wenn, dann werden sie öffentlich nicht ernst genommen – manchmal auch von sich selbst. Frauen werden je nach Bedarf strukturell dem Geist des Homo-Sozialen gleich oder ungleich gemacht. Und das bedeutet: eine Demokratie, die Geschlechterdifferenzen nicht wahrnimmt ist keine. (Krondorfer: 2008).
Politische Bildung als Aufgabe
Das muss Konsequenzen für jegliche Art von Bildungsprozessen mit emanzipatorischem Anspruch haben. Denn eine Gesellschaft kann nur substanziell demokratisch werden, wenn sie einerseits Ungleichheiten beachtet um sie zu überwinden und andererseits Differenzen anerkennt um sie achten. Die Überwindung oder Durchquerung von gesellschaftlich verordneten Minderheitenpositionen durch Bildung ist in einer Anerkennungsdialektik gefangen: Die westliche, weiße, männliche, durchschnittswohlhabende Dominanzkultur – die auch die meisten westlichen Frauen adaptiert haben – zeichnet sich durch Definitionsmacht über Zugehörigkeit, Abhängigkeit und Unterordnung aus. Minderheiten haben sich zu integrieren, d.h. sie sollen sich an die ‚Normalität‘ assimilieren, was eine Exklusion voraussetzt: die Subalternen sind (Butler: 2007, S. 15) in der Polis das einbehaltene interiorisierte Außen. Doch Diskriminierung und deren Spiegelverhältnis – die abstrakte Tolerierung von Minderheiten seitens der Mehrheitsgesellschaft – sind weder über Bevormundung von Minderheitenpositionen noch über deren Idealisierung aufzulösen. Die grundsätzliche Problematik lässt sich als Differenz-Dilemma benennen: Wenn Unterschiede von diskriminierten Gruppen ignoriert werden, führt dies zu einer Pseudoneutralität; umgekehrt kann die Konzentration auf diese Differenzen zur Wieder(ein)holung von Stigmatisierungen verleiten. Die Gradwanderung besteht darin, einerseits die vielen, auch unsichtbaren, negativ gedeuteten Unterschiede in der Gesellschaft zu erkennen und wahrzunehmen, sowie andererseits die herkömmlichen Hierarchisierungen nicht wieder zu verfestigen. Idealiter bleiben dann Minderheiten nicht länger ‚gute‘ oder ‚böse‘ Objekte von Mainstreamdiskursen, sondern können ihre Situierung artikulieren, zu Sprechenden werden und müssen das, was sie an Unterscheidung behalten möchten, nicht verleugnen.
Zu emanzipatorischen Bildungsmaximen gehört also das Begreifen eines in- oder expliziten politischen Auftrags: den subalternen Gruppen, denen der Zugang zu den hegemonialen Teilen der Gesellschaft verschlossen ist, die Mittel zur politisch öffentlichen Einmischung zur Verfügung zu stellen. Minoritätsbewusste Bildung kann Vereinzelung und Isolation dadurch begegnen, dass sie Bezüge verhandelt und Kollektivität fördert und damit antidemokratische, auch verinnerlichte, Strukturen herausfordert. Frauenbildung ist in diesem Sinn (Ortner: 2006, S. 75 f.) immer auch „eingreifende Bildung“ und „biographische Selbstaufklärung“, um diskriminierende Bedingungen zu erkennen und die Möglichkeit zu selbstbestimmten Lebensentwürfen zu unterstützen. Hierbei ist es eine Kunst, auf vorhandene Bedürfnisse einzugehen ohne erlernte Stereotype fortzuschreiben: „Ziel ist es vielmehr, Handlungsspielräume zu erweitern. […] In den Gruppen und Lernsituationen sind die Voraussetzungen zu schaffen, dass diese Erweiterung gelingen kann, dass alternatives Verhalten erfolgreich erprobt werden kann“. (Schwanzer: 2008, S. 77). Das impliziert ein Bildungshandeln, das über die individuell ‚gepowerte‘ Frau und die Dialektik zwischen der Einzelnen und dem Gemeinsamen hinausgeht, bzw. die Dialektik zwischen Selbstbewusstsein, Differenz und Solidarität versteht und vermittelt.
Frauenbildung im System
Im Frauenbericht (Bundesministerin für Frauen und Öffentlichen Dienst, 2010)
ist im Bereich Bildung u.a. zu lesen, dass Frauen in der beruflichen Weiterbildung massiv benachteiligt sind, da überproportional viele erwerbstätige Frauen berufsbezogene Kurse und Schulungen in ihrer Freizeit absolvieren müssen. Zum anderen sind Frauen beim lebenslangen Lernen generell aktiver als Männer, wobei nur sehr wenige jener Frauen, die nach der Pflichtschule keine anerkannte Berufsausbildung oder Schule abgeschlossen haben, Angebote des lebenslangen Lernens wahrnehmen. Und wenn sie doch daran teilnehmen, so der Bericht, nutzen sie es eher für private Zwecke, während Männer es für berufliche Interessen nützen.
Das kann verschiedene Gründe haben: der geschlechtssegregierte Arbeitsmarkt auf der einen und die an- und ausdauernde Zuständigkeit von Frauen für Beziehungs- und Reproduktionsarbeit auf der andere Seite. Es kann aber auch sein, dass Frauen mehr an Persönlichkeitsbildung interessiert sind, weil es ihnen an souveräner Subjektivität mangelt, oder weil sie ahnen, dass darin mehr Potenzialität für Veränderung enthalten wäre, als in der imitierenden Aufholbildung von so genannten professionalisierenden Qualifikationen. Ein kurzer Blick in die Geschichte und widersprüchliche Gegenwart des prekären Verhältnisses von Frauen und Bildung hilft diese Ahnung zu verstehen.
Frauen waren von den Kultur- und Wissensproduktionen über Jahrhunderte ausgeschlossen. Der steinige Weg zur Partizipation an allgemeiner Bildung ist weidlich bekannt: die ‚Erziehung des weiblichen Geschlechts‘ zu naturgegebener Unterwürfigkeit und Zuständigkeit für Kinder, Küche und Kloputzen; die Entwicklung spezieller Frauenschulen und Mädchenlyzeen; der zähe Frauenkampf um Zutritt in die akademischen Hallen, (bspw. Universität Wien: Fakultät der Philosophie 1897, Medizin 1900, Rechtswissenschaft 1919, Evangelischen Theologie 1928, Katholischen Theologie 1945); die Einführung der Koedukation an allen öffentlichen Schulen, die in Österreich erst 1982 (BHS) abgeschlossen wurde – wodurch nunmehr formelle Berechtigung zu gleichem Zugang zu allen Bildungsinstitutionen existiert. Doch heute ist dies durch die Ökonomisierung gesellschaftlicher Institutionen und damit auch des Bildungsbereichs wieder gefährdet: an den Universitäten wurden Wissen und Vermittlung modularisiert, Erwachsenenbildung spielt sich in AMS-Kursen, in Kompetenzerweiterungsangeboten der Volkshochschulen, also in neoliberalen Konzeptionen des Life-Long-Learning ab. Das zeigt sich auch in der Ausrufung der „Wissensgesellschaft“, die darauf abzielt ‚Wissen‘ auf die direkte Verwertbarkeit und Selbstvermarktung der Subjekte zu reduzieren – unter Inkaufnahme differenzierender Erkenntnisbildung. (Holland-Cunz: 2005, S. 39). Zudem „werden die Ausbildungs- und Studiengänge der ‚Informationsgesellschaft’ viel häufiger von Jungen als von Mädchen gewählt. In den Exportproduktionszonen der globalisierten Welt arbeiten jedoch ganz überwiegend junge Frauen, sie stellen unter skandalösen Bedingungen die technischen Geräte her, die die Wissensgesellschaft erst ermöglichen.“ (Ebd. S. 43).
Zu dieser Formation gehört auch die als Geschlechterdemokratie fördernd angepriesene Sozialtechnik des Gendermainstreamings (GM) als eine Maßnahme, die auch in Bildungsveranstaltungen Einlass finden soll. Auch wenn es sich immer noch nicht überall herumgesprochen hat, dass in jeder Bildungsgestaltung Gender eine maßgebliche Rolle spielt – also keinerlei neutrale Konstitution und Begegnung außerhalb des so genannten „gender doings“ statthaben kann – so sagen doch feministische Kritikerinnen über GM, dass nicht die politische Arbeit der Frauenbewegungen, sondern das Kriterium ökonomischer Effizienz die Motivation für die Durchsetzung von GM als Konzept zur Geschlechtergerechtigkeit darstellt: „Die EU hat sich im Vertrag von Lissabon zum Ziel gesetzt, einer der führenden Wirtschaftsräume im globalen Wettbewerb mit den USA, den NAFTA- und ASEAN-Ländern, etc. zu werden. Für eine solche Zielpositionierung der EU und deren Umsetzung bedarf es aber der bestmöglichen Nutzung aller Humanressourcen – und daher auch jener, die bisher aufgrund von Geschlechterdiskriminierung und männlichen Dominanzkulturen vernachlässigt wurden.“ (Bendl: 2006, S. 71).
Welches Selbstverständnis und Selbstverhältnis kann eine kritische Bildung angesichts dieses unverblümten ökonomistischen Utilitarismus haben? Wie lässt sich eine Bildungsgestaltung denken, die nicht der Förderung einer Partizipation an dem Gegebenen frönt?
Feministische Differenzbildung
Dazu gehört primär das Wissen der in der Bildung Tätigen darüber, dass der Bildungskontext und sie selbst als Subjekte nicht unabhängig von den hegemonialen Realitäten sind, was bedeutet, dass das Bewußtsein der Lehrenden ebenso wie das der Schülerinnen, Studierenden oder Kursteilnehmenden durch das System geprägt ist – und zwar in den Inhalten, Strukturen und Emotionen. Kritische Selbstreflexion wäre also erstes Gebot für Lehrende, Leitende, Vermittelnde. Hierfür ist das Wissen um die eigene Blackbox unabdingbar: welche Normen spielen bei meinen Wahrnehmungen, Interpretationen, Urteilen eine Rolle?
Im Kontext des Verhältnisses von Frauen und Bildung heißt das unter vielem anderen, dass die Problematik zwischen der Pflicht zur Geschlechtergleichheit und dem Recht auf Differenz als eine von geförderter Angleichung an das Vorgegebene und eine von entschiedener Nichtpartizipation am Allgemeinen in und durch Bildungsprozesse zu wenig diskutiert wird.
Schon in der Geschichte des Kampfes um das Recht auf gleichen Bildungszugang für Frauen und Männer gab es dazu erstaunliche Stimmen. Im Jahresbericht des Allgemeinen Österreichischen Frauenvereins (AÖFV) von 1895 heißt es: „Vergessen wir nicht, wie nahe verwandt Recht und Gewalt immer gewesen sind, dass das Erkämpfen von Rechten immer nur Mittel, niemals Selbstzweck sein darf. Wir wollen es ja nicht den Männern gleichmachen, die die erstrittenen Rechte im Verlauf der Geschichte meist nur zur Unterdrückung des Schwächeren angewendet haben.“ (Bandhauer-Schöffmann: 1990, S. 56). Es ging dem radikalen Flügel der Frauenbewegung schon damals nicht nur um die bloße Forderung nach Gleichberechtigung im Bildungswesen. Der AÖFV strebte eine ‚Reformierung des gesamten Erziehungs- und Unterrichtswesens‘ an. Überzeugt von der Macht der Aufklärung und der Humanisierung der Gesellschaft durch Erziehung ging es darum, dass Bildung für Frauen nicht allein darin bestehen könne, einfach wie Männer Wissen anzuhäufen und die Qualifikationsstufen hinauf zu steigen, sondern aktiv politisches Wissen zum Ziel einer Gesellschaftsveränderung zu erwerben.
Diese Problematik existiert bis heute: Diejenigen, denen die Überwindung der nicht vorhandenen Geschlechterdemokratie ein Anliegen ist, treibt immer noch und immer wieder der Grundkonflikt um, ob es um das Wollen des Äquivalenten geht oder um das Wünschen des Alteritären. Im Unterschied zu einer bloß kompensatorischen Bildung arbeitet feministische Bildung Selbst- und Fremdkritik auf und intendiert die Herausforderung der Wirklichkeit, auch wenn sich diese dadurch unbeliebt macht – denn wer vom standardisierten Weg abweicht, bekommt selten Applaus.
Aktuell wird der gleichen Leistungsfähigkeit von Frauen gefrönt und damit werden alle anderen Einflüsse auf Lebensverläufe unterschlagen. Gestaltungseingriffe gehen damit verloren. Denn wenn Frauen nur die (klischeeartige) Männlichkeit absorbieren, erfinden sie sich und die Welt nicht neu. Erst wenn Frauen selbst ihre Differenzen erkennen und sich eigenständig entwerfen, können sie sich – bei allen Verschiedenheiten untereinander – jenseits der männlichen Hybris individualisieren und kollektivieren. (Gieseke: 2001, S. 14 ff.). Politik und Bildung zu bloßer Gleichstellung jedoch verordnet die äußere wie die innere Kolonialisierung von Frauen (und anderen mit minoritärem Status Versehenen), da sich diese sonst notwendigerweise der Instrumente Machtkampf, Konkurrenz etc. bedienen müssten. Statt also beispielsweise Frauen programmatisch in Richtung Technologik et cetera zu fördern und dies als Gleichberechtigung anzupreisen, sollten Männer im Bereich von Haus- und Pflegearbeit gefördert werden – was (von wegen praktischer Geschlechtergerechtigkeit) nach wie vor ein großes Tabu ist. Es sollte also stärker um die Verschiebung von Denk- und Wahrnehmungsweisen gehen (Ortmann: 1994). Nicht nur, aber gerade die Frauen wären in der Lage der Widersetzlichkeit, da in dem Paradox existierend zwar zumindest die Hälfte der Bevölkerung zu sein, jedoch nicht das Allgemeine zu repräsentieren, was eine permanente Verletzungsgeschichte darstellt. Das lässt sich mit Konzepten radikaler Demokratie verbinden, die nicht von falscher Harmonie, sondern von Dissens und Antagonismus ausgehen; von der Forderung nach der Einrichtung eines Anteils der Anteilslosen ; vom Widerstreit – nicht von vergleichgültigender Akzeptanz –, durch den die Anderen als Andere erst wirklich anerkannt werden; von einer Demokratie, die Einspruch erhebt, wo Menschenrechte zum Alibi verkommen; von einer Demokratie der Offenheit, die immer im Werden ist. (Heil & Hetzel: 2006, S. 7 ff.).
Es stünde also den Akteurinnen, aber auch den Akteuren von Bildung gut an, (sich) zu fragen, was für eine Bildung es für Geschlechterdemokratie bräuchte. Wohl keine, die kuschelweich eingebettet ist, sondern eine, die Widersprüche nicht ignoriert, sondern diese immer wieder thematisiert. //
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