Romengeri Flogoskeri Utschi Ischkola Burgenland
Roma Volkshochschule Burgenland
1999 wurde die Volkshochschule der Burgenländischen Roma als Teilorganisation der Burgenländischen Volkshochschulen gegründet. 2016 erfolgte die Umbenennung in Roma Volkshochschule Burgenland (VHS-Roma).
Ziel des Vereins war und ist es, ein Bildungsangebot für Rom*nja und Gadsche (Nicht-Roma) zu schaffen, die an der Geschichte, Kultur und an der Sprache der Volksgruppe interessiert sind. Dabei sollen besonders Begegnungen und der Austausch zwischen Rom*nja und Gadsche ermöglicht werden.
In den vergangenen 25 Jahren war es der VHS-Roma stets wichtig, das eigene Angebot zu reflektieren und an die aktuellen Herausforderungen anzupassen. Die zahlreichen Programme und Schwerpunkte spiegeln die letzten Jahrzehnte wider und erlauben uns heute einen Rückblick in Form von Themenschwerpunkten.
1. Tschib – Sprache
Die Zukunft des Burgenland-Romans ist düster. Schätzungen gehen von nur mehr ca. 500 Sprecher*innen aus. Die Erfolge der letzten Jahrzehnte, wie die Kodifizierung der Sprache in den 1990er-Jahren und die Anerkennung als Teil des nationalen immateriellen Kulturerbes Österreichs 2011, konnten keinen wesentlichen Beitrag zum Erhalt liefern. Die Folgen des Porajmos (Eigenbezeichnung der Volksgruppe für den Völkermord an den europäischen Roma und Sinti in der NS-Zeit) und die andauernde Diskriminierung in der Nachkriegszeit waren zu prägend. Ein Aussterben der Sprache steht unmittelbar bevor.
Daher war es der VHS-Roma stets wichtig, mit Roman-Sprachkursen und -Workshops zumindest ein Angebot zu schaffen. Auf verschiedenen Niveaus können diese nun angeboten werden: Es gibt Schnupperkurse, Kurse für Anfänger*innen und Kurse für Fortgeschrittene. Zielgruppe der Sprachkurse sind alle interessierten Personen.
2. Anglevakeriptscha, Kenvakere presentaciji, diskusiji – Vorträge, Buchpräsentationen, Diskussionen
In der Arbeit der VHS-Roma werden neue Konzepte der Kommunikation zwischen Rom*nja und Gadsche erprobt. Beispielsweise wird ein moderierter Stammtisch angeboten, der 2009 eingeführt, zunehmend beliebter wurde und bis heute fortgeführt wird. Interessante Persönlichkeiten aus der Rom*nja-Community berichten dabei über ihre Tätigkeiten und Erfahrungen. Ergänzend werden auch literarische Werke über bzw. von Rom*nja vorgestellt sowie wissenschaftliche Arbeiten von und über Rom*nja präsentiert und diskutiert.
Weitere Angebote der VHS-Roma stellen Veranstaltungen zur Belebung und Erhaltung der Kultur der Burgenland-Rom*nja dar. Da die Anzahl der im Burgenland lebenden Rom*nja seit dem Porajmos bis heute sehr gering ist, stellen Erhalt und Wiederbelebung der Kultur einen Schwerpunkt in der Arbeit der VHS-Roma dar. Dies geschieht etwa bei öffentlichen und moderierten Gesprächen mit Überlebenden des Porajmos, durch Lesungen aus Texten und Büchern von und über Rom*nja, Gedenkveranstaltungen, Filmvorführungen, Artikeln in der vereinseigenen RomaCajtung etc.
3. Historischi taj kultureli artschijiptscha – Historische und kulturelle Ausstellungen
Weiters trägt die Roma Volkshochschule Burgenland durch die Entwicklung und Herstellung von Ausstellungen zum historischen und kulturellen Selbstbewusstsein der Rom*nja-Community bei. Mit diesen Ausstellungen erreichen wir aber auch viele Gadsche, die über Kultur und geschichtliche Zusammenhänge informiert werden. Bisher wurden drei größere Ausstellungen realisiert, die ein breites Publikum erreichten und jede auf ihre Art neue Wege bei der Vermittlung von Kultur, Geschichte und sozialer Situation der Rom*nja beschritten.
Als erstes Ausstellungsprojekt konnte ROMA 2000 realisiert werden. Diese Ausstellung wurde als Ergänzung, aber auch als Replik zur Burgenländischen Landesausstellung von 2000 „Vom Kult der Gewalt zur Kultur des Friedens“ entwickelt. Das Projekt war Teil der Burgenländischen Landesausstellung im Jahr 2000 und wurde erstmals im OHO (Offenes Haus Oberwart) gezeigt. Danach wanderte sie über vier Jahre lang durch Österreich. Unter anderem war sie im Parlament in Wien, im Literaturhaus in Salzburg, in Klagenfurt und an verschiedenen Orten im Burgenland zu sehen. Auch im EU-Parlament in Brüssel konnten wir die Ausstellung zeigen.
ROMA 2000 wurde zur ersten digitalen Kulturdokumentation der Roma ausgeweitet. Die in weiterer Folge entwickelten Unterrichtsmaterialien in Form von CDs und DVDs sind bis heute in vielen Schulen im Einsatz. Auch wurde eine für Kinder leicht verständliche Version entwickelt. Kernelemente der Ausstellung wurden schließlich als eigene Website online gestellt. Wegen der überaus positiven Resonanz und der anhaltenden Nachfrage erfolgte im Jahr 2013 ein Relaunch der Website.1
2002 erhielt die Ausstellung den „Erwachsenenbildungspreis des Österreichischen Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur“.
Das zweite Ausstellungsprojekt mit dem Titel „Ein Güterweg und eine Fracht“ (2005) stellte zehn Jahre nach dem Attentat in Oberwart und 60 Jahre nach Ende des Nationalsozialismus die Geschichte der Volksgruppe in Oberwart dar. Hierfür wurde auch ein völlig neuartiges niedrigschwelliges Ausstellungsbegleitkonzept (Begleitung durch die Ausstellung durch jugendliche Rom*nja und Gadsche) mit vielen partizipativen Elementen entwickelt.
2010 begann die Realisierung der dritten Ausstellung mit dem Titel RomaKinderWelten (2010 bis heute): eine Ausstellung, die sich speziell der Frage annimmt, wie die Kindheitssozialisationen von Angehörigen der Volksgruppe der Rom*nja verlaufen sind und ob sich tendenziell in den letzten 70 Jahren Änderungen abgezeichnet haben. Dieses Projekt wurde 2010 erstmals gezeigt und wurde an weiteren Ausstellungsorten um neue Interviews und Ausstellungsstücke erweitert.
4. Kunst, kultura, tradicija – Kunst, Kultur, Tradition
Wie auch in der Mehrheitsbevölkerung boten Feste stets einen Anlass, um Kultur, Tradition und das Miteinander zu pflegen. Deshalb entschied sich die VHS-Roma zur Wiederbelebung des Roma-Balls im Südburgenland. Da der „Verein Roma-Oberwart“ den sehr beliebten Roma-Ball nicht mehr organisieren wollte oder konnte und er einige Jahre lang nicht stattfand, übernahm im Jahr 2011 auf Anregung mehrerer Rom*nja die VHS-Roma diese Aufgabe bis 2016, ehe man die Organisation des Balls dem damals kurz zuvor gegründeten Verein HANGO-Roma übergab, welcher diesen bis heute weiterführt.
Die kleine Gruppe der Rom*nja in Österreich brachte eine ganze Anzahl hervorragender Künstler*innen hervor. So gelang es uns immer wieder, Konzerte und Ausstellungen sowie Lesungen zu organisieren.
5. Schtudijakero ladipe ande avrethemutne vilagi – Studienreise in ferne Länder
Durch Studienreisen, die erste wurde 2003 durchgeführt, versuchen wir, die Gesamtheit der europäischen Rom*nja, aber auch die jeweilige Situation der Volksgruppe in den verschiedenen Ländern zu betrachten.
Die Reisen vermitteln Einblicke in die Lebenssituationen der Roma in anderen Staaten wie Bulgarien, Rumänien, Ungarn, der Slowakei, Polen, Kroatien, Serbien, Deutschland, Ungarn, Finnland, Frankreich, Italien und zuletzt Albanien. Sie vertiefen das Wissen um die Lebensrealitäten in diesen Ländern und dienen der Vernetzung zu anderen Volksgruppenorganisationen.
2013 zum Beispiel führte die Reise nach Serbien, wo wir auf die vollkommen unzureichende Schulbildung von Rom*nja in einer slumähnlichen Rom*njasiedlung mit dem bezeichnenden Namen „Banglades“ am Stadtrand von Novi Sad aufmerksam gemacht wurden. Es fehle vor allem an Räumen, in denen die Kinder unterrichtet werden können, war die Botschaft, die uns dort übermittelt wurde. 2014 gelang es uns, hauptsächlich über Sponsoring, vier Bürocontainer für diesen Zweck zu organisieren und nach Serbien zu transportieren.
6. Diveseskere talaliniptscha – Tagungen / Internacijonali Romengero Di – Internationaler Rom*njatag
Aber nicht nur durch Studienreisen versuchen wir Einblick in die Lebenssituation der Rom*nja zu bekommen, sondern auch durch das jährlich stattfindende Symposium zum Internationalen Rom*njatag. Diese Tagungen gestalten sich als hochkarätig besetzte Publikumsgespräche, die aktuelle Themen im Zusammenhang mit der Volksgruppe der Rom*nja aufgreifen.
7. RomaCajtung
Die RomaCajtung erscheint zweimal jährlich (im Frühjahr/Herbst), dokumentiert die Arbeit der Roma Volkshochschule Burgenland und macht diese nachvollziehbar. Seit 2012 sind wir darum bemüht, das Wissen um die Geschichte und Kultur der Rom*nja einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dies gelingt uns unter anderem mit aktuellen Berichten aus Österreich und Europa.
8. EU-projekti – EU-Projekte
„Dokumentation, Information und Integration“ – im Juli 2013 startete das Projekt mit der Recherche nach Bildmaterial, der Erstellung einer umfangreichen Literaturliste sowie erschienener Studien, der Sammlung von Lernunterlagen für das Burgenland-Roman und der Erarbeitung neuer Lernunterlagen für die Erwachsenenbildung. Es folgte die Gestaltung von Ausstellungstafeln mit den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen für das Dorfmuseum Mönchhof. Weiters wurde der Infopoint der Roma Volkshochschule Burgenland im Stadtzentrum Oberwart errichtet und die „Roma 2000“ Homepage aktualisiert. Ein weiterer Schwerpunkt war die Durchführung einer Erhebung der aktuellen Bildungs-, Wohn- und Arbeitsmarktsituation der Burgenland-Rom*nja.
„Dream Road“ – startete im Juli 2020, an dem 15 Organisationen aus zehn Donauländern beteiligt waren. Österreich war durch die Roma Volkshochschule Burgenland vertreten. Wir veranstalteten eine Workshopreihe zur Verbesserung der Teilhabe von Rom*nja zu den Themen – „Bilder im Kopf – Umgang mit Alltagsrassismen“, „Argumentationstraining gegen diskriminierende, anti-ziganistische, rassistische und sexistische Parolen“, „Antiziganismus erkennen – benennen – entgegenwirken!“, „Biographiearbeit und interkulturelle Kommunikation“, „Ressourcenorientierte Biographiearbeit – die eigene Geschichte als Lerngegenstand“ und „GEH DENKEN! Gedenktage – ERINNERN“.
Die Tagung „Internationaler Rom*njatag 2021“ stand unter dem Motto „Stärkere Teilhabe an Politik und Gesellschaft von Romnja und Roma“.
Eine der wichtigsten Forderungen war die Umsetzung einer zentralen Gedenkstätte der Republik Österreich in der Bundeshauptstadt Wien.
„Erasmus+“ – seit 2023 wird an einigen Projekten mitgearbeitet wie „Art MINDS: Minority Inclusion via Digital Storytelling“ (digitales Geschichtenerzählen); „enROMyou – enhancing Roma youth work“ (Verbesserung der Rom*nja-Jugendarbeit); „IA4SE“ (nachhaltiger Unterricht), „PRO-MOTE – Promoting Migrant Opportunities, Training and Employment“ (Förderung von Möglichkeiten für die Weiterbildung und Beschäftigung von Migrant*innen) und „Experiencing democracy: Holistic Approaches in classroom and nature“ (Demokratie erleben: Ganzheitliche Ansätze im Klassenzimmer und in der Natur).
9. Infopoint ando thaneskero centrum – Infopoint im Stadtzentrum
Der 2013 errichtete Roma-Infopoint befindet sich im Ortszentrum von Oberwart und informiert über Geschichte, Kultur und Gegenwart der Rom*nja sowie über alle Rom*njavereine in Österreich und über das aktuelle Programm der Roma Volkshochschule Burgenland.
10. Teateriskere projekti – Theaterproduktionen
2017 entstand die Idee, aus dem Protokoll der sogenannten „Oberwarter Zigeunerkonferenz“ von 1933 ein Theaterstück zu machen. Bei dieser Konferenz berieten Vertreter von Bund, Land und Gemeinden, wie sie mit dem sogenannten „Zigeunerproblem“ umgehen sollten. Viele Maßnahmen, die die Nationalsozialist*innen später gegen die Minderheit umsetzten, wurden hier gedanklich vorweggenommen. Die Schriftstellerin Petra Piuk hat auf Basis des Protokolls ein hervorragendes Theaterstück mit dem Titel „Talkshow 1933“ verfasst, welches 2018 im OHO (Offenes Haus Oberwart) uraufgeführt wurde. Partner bei diesem Projekt waren die Theaterinitiative Burgenland und das Offene Haus Oberwart. In ihrem Stück verwebte Piuk den historischen Text mit öffentlichen Aussagen von heutigen Politiker*innen so geschickt, dass die Theaterbesucher*innen nach einiger Zeit kaum mehr unterscheiden konnten, aus welcher Zeitebene die jeweilige Aussage stammt.
11. Museumsikeri buti – Museumsarbeit
Auch fühlen wir uns verpflichtet, Informationen über die Lebensrealitäten von Rom*nja in Museen zu vermitteln. So konnten wir für das Dorfmuseum Mönchhof und für das Landtechnikmuseum in Sankt Michael Bild- und Texttafeln erarbeiten, die dort bis heute zu sehen sind und über die Volksgruppe der Rom*nja informieren.
12. Gondolipeskeri buti – Gedenkarbeit
Die Aufklärung über die schrecklichen Verbrechen und Massenmorde, die an Rom*nja und Roma in der Zeit des Nationalsozialismus begangen wurden, bildet einen roten Faden in der Arbeit unserer Organisation. Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es etwa 140 Rom*njasiedlungen im Burgenland. Allen gemeinsam ist, dass sie auf Befehl der NS-Administration geräumt, die Bewohner*innen deportiert und ihre Häuser und Hütten zerstört wurden. Die Deportierten wurden in verschiedene Konzentrations- und Vernichtungslager transportiert. Die Wissenschaft schätzt heute, dass etwa 90% der über 8.000 Burgenlandrom*nja ermordet worden sind. Der Roma Volkshochschule Burgenland ist es in verschiedenen Gemeinden und meist in Kooperation mit anderen Rom*nja-Vereinen gelungen, Gedenkstätten – oft sind es Tafeln mit den Namen der einstigen Roma-Mitbürger*innen – zu schaffen.
Im Rahmen des EU-Projekts „DREAM ROAD“ wurde unter Leitung der Roma Volkshochschule Burgenland das Positionspapier der Vertreter*innen der Rom*nja und Sinti*zze in Österreich zum Thema „Zentrale Gedenkstätte/Gedenkort der Republik Österreich für die ermordeten Rom*nja und Sint*izze (Opfer des Porajmos) in der Bundeshauptstadt Wien“ erarbeitet und der Regierung und dem Parlament übergeben. Die Umsetzung wurde vom Nationalrat der Republik Österreich am 24. November 2023 einstimmig beschlossen.
13. Sikajipeskere materijaltscha meschterengere- taj meschterkijengere bajder sikadipeske – Unterrichtsmaterialien und Lehrer*innenfortbildung
Lehrer*innen und Schüler*innen wissen im Allgemeinen recht wenig über die Geschichte und das Leben der Volksgruppe der Rom*nja und Sint*izze in unserem Land. Sie wissen kaum etwas über die rassistischen Vorurteile, denen die Volksgruppe nach wie vor ausgesetzt ist, sie wissen kaum etwas über die Diskriminierungsstrukturen, unter denen Rom*nja und Sint*izze bis heute leiden, und sie wissen wenig über die Massenmorde an Rom*nja und Sint*izze in der NS-Zeit.
Daher haben wir einen Informationskoffer mit Text- und Bildmaterial, Audiofiles, Videos und einer Sondernummer unserer RomaCajtung zusammengestellt, der nunmehr kostenlos allen österreichischen Lehrer*innen zur Verfügung steht.
Seit 2021 bieten wir auch in Kooperation mit der Privaten Pädagogischen Hochschule Burgenland, der Bildungsdirektion für Burgenland und dem Österreichischen Friedenszentrum (ASPR) für Lehrer*innen- und Erwachsenenbildner*innen Fortbildungsworkshops gegen Gadsche-Rassismus an.
14. Ardikipe – Ausblick
Die VHS-Roma ist erfolgreich, weil es dem engagierten Team gelingt, Formen und Methoden zu entwickeln, die sowohl die Rom*nja als auch die Gadsche ansprechen. Jedoch muss an diesen Strategien permanent weitergearbeitet werden, um den gesellschaftlichen Veränderungen gerecht zu werden.
Die bisher sehr erfolgreichen Strategien, die zur Anerkennung als Volksgruppe und zur politischen Akzeptanz geführt haben, entsprechen allerdings nicht mehr den Ansprüchen und der gesellschaftlichen Realität des 21. Jahrhunderts. Neue Kommunikationsformen, neue Inhalte und das selbstbewusste Auftreten einer neuen Generation der Rom*nja sind notwendig, um nach der Phase der gesetzlichen Gleichstellung auch nachhaltig die Vorurteilsstrukturen auf Seiten der Mehrheitsbevölkerung zu verringern und durch Bildung und Selbstbewusstsein die gesellschaftliche Gleichstellung der Rom*nja weiter voranzutreiben. //
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