Fareed Zakaria: In Defense of a Liberal Education.
W. W. Norton & Company, New York, London 2015, 204 Seiten.

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Anlass: Geld! Bei Liberal Education soll an US-amerikanischen Universitäten eingespart werden. Einige Gouverneure und sogar Präsident Obama treten für eine berufsnahe Ausbildung, für „skills-based learning“ ein. Studieren, was am Arbeitsmarkt verlangt wird, sei das Gebot der Stunde. Dies wendet sich gegen eine lange Bildungstradition, die keineswegs einer engen berufsorientierten Ausbildung entsprochen hat. Der Grund für das traditionelle, eher offene, weitere, wenig berufsorientierte Bildungskonzept war ein dynamisches Selbstverständnis: In den USA konnte man auf der Suche nach neuen Gelegenheiten immer zu neuen Orten aufbrechen, traditionsbewahrende Zünfte, die über festgeschriebene Berufswege wachten, fehlten. Eine wenig regulierte Ökonomie und ihre Technologie veränderten permanent die Arbeit und ihre qualifikatorischen Anforderungen. Im Gegensatz zu Europa entstanden deshalb kein Lehrlingssystem, kein duales Bildungswesen sowie keine spezifische berufliche Ausbildung. Außerdem wurde in Schulen und Colleges Liberal Education schon historisch früh öffentlich finanziert. Bis heute steht sie auf einem breiteren institutionellen Fundament als in Europa. Ein Luxus, ein überflüssiges Bildungsrelikt, vergeudete Ressourcen?

Der Begriffsrahmen Liberal Education umfasst Analogien zu Allgemeinbildung und zu Politischer Bildung. Liberal Education bezieht sich auf ein Lernen, das die Individualität stärkt, persönliche Fähigkeiten entwickelt und auf Kompetenzen achtet, um Wandel, Diversität und Komplexität zu bewältigen. Liberal Education soll beitragen „liberale“ (lat. liber = frei), also „freie“ Menschen hervorzubringen. Inhaltlich bedeutet es nicht, vordringlich zweckorientiert zu lernen oder zu studieren, sondern sich übergreifend, „open-minded“ zu bilden.

Fareed Zakaria tritt zur Verteidigung einer so verstandenen Liberal Education an. Aufgewachsen in Indien kam er als Student in die USA und fand in einer der Liberal Education zuzurechnenden Vorlesung zu seiner Berufung. Er ist ein in den USA bekannter Journalist bei CNN, schreibt in verschiedenen Print-Medien und gestaltet als Autor von Bestsellern die öffentliche Meinung mit. Er ist ein „betriebsamer“ Schreiber – auch dieses Buch beruht auf Recherchen mehrerer Mitarbeiter. Das Buch bezieht sich hinsichtlich Liberal Education vor allem auf Schulen, Colleges und Universitäten. Es gibt aber genügend Anlässe, an Weiterbildung oder lebenslanges Lernen zu denken. Die Grundfrage bleibt ja: mehr berufsorientiert oder mehr allgemein bildend?

Zugang zur Thematik bietet Zakaria mit einem historischen Blick auf Liberal Education. Ein übersichtlicher Bogen von der Antike bis zur Gegenwart wird gespannt. Als aktuelles, für ihn vielversprechendes Projekt schildert der Autor die Kooperation zwischen den Universitäten Yale und Singapur. An letzterer wird Liberal Education unter Einbeziehung von Human- und Naturwissenschaften auf multikultureller Basis angeboten. Das umfasst z.B. Kenntnisse über die Philosophie Platons und Aristoteles sowie über Konfuzius und Buddha oder Kenntnisse über Kultur und Kunst aus der östlichen und aus der westlichen Hemisphäre. Zakaria erhofft sich aus solchen Angeboten positive Impulse für unsere zunehmend globalisierte und multikulturell orientierte Welt.

Der Frage nach Ziel, Nutzen und Sinn von Liberal Education geht Zakaria im Kapitel „Learning to Think“ genauer nach. Dabei verweist er mit Beispielen auf die Innovationen, die Technologie und kreative Ökonomie in den letzten Jahren durch Persönlichkeiten mit Liberal Education erfahren haben: Probleme lösen, Entscheidungen treffen, neue Situationen beurteilen, sportliche und gesunde Lebensführung, Ausdauer und Teamwork gelten als die Benefits einer Liberal Education – wovon sich Zakaria noch mehr wünscht.

Im zunehmenden Interesse der heranwachsenden und erwachsenen Bevölkerung an Bildung, ablesbar an der steigenden Nachfrage nach Kursen, Studiengängen, Büchern und Videos, sieht Zakaria eine Chance für Liberal Education. Eine Chance, zur Weltoffenheit beizutragen, auf die vor sich gehenden Veränderungen vorzubereiten und das Potenzial für gelebte Freiheit zu erweitern.

In der Gesamtaussage bleibt das Buch vage. Zakaria schließt mit der Bemerkung, wir alle investieren zu wenig Zeit, Aufmerksamkeit und Nachdruck in die Frage nach Bedeutung und Sinn des Lebens. Wir achten zu wenig auf unsere Stärken und Schwächen, zu wenig auf die Geschichte und auf die Welt um uns. Deshalb würden wir alle etwas mehr von Liberal Education brauchen.

Es bleibt beim Appell. Das Buch liest sich flüssig – journalistisch konzipiert vermeidet es komplizierte wissenschaftliche Argumentationsketten und präsentiert Best-Practice-Beispiele, Statements aus Politik und Führungsetagen, kurze statische Angaben, passende Forschungsergebnisse, Innovationen, Vorläufiges – ein drehbuchartiges Skript, das uns bei Leselaune halten will.

Doch zwischendurch könnte Leserin und Leser einfallen, spätestens am Ende der Lektüre auffallen, dass europäische Vorstellungen von Liberal Education stärker mit politischen Aspekten in Verbindung stehen: demokratische Werthaltungen stärken, aktive Beteiligung an der Demokratie sichern, sozialen Zusammenhalt fördern, Arbeit und Berufsbedingungen human gestalten …

So verweist dieses Buch auf kulturelle Differenzen im Bildungsdenken. Es gibt auch Anstoß, die eigene Position einer liberalen Bildung, wir sprechen akzentuierter von einer politischen, zu formulieren und umzusetzen. Das „Manifest für Erwachsenenbildung im 21. Jahrhundert“ (VHS 3/2015, Nr. 257, S. 11) gibt ein gutes Beispiel für entsprechende aktuelle Zielsetzungen der europäischen Erwachsenenbildung. //

Lenz, Werner (2016): Fareed Zakaria: In Defense of a Liberal Education. W. W. Norton & Company, New York, London 2015, 204 Seiten. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. April 2016, Heft 258/67. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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