„Die Wiener Volkshochschulen blicken stolz auf eine mehr als 135-jährige Volksbildungstradition zurück. Sie sind in dieser Zeit ein wesentlicher Bestandteil der Stadt Wien, ihrer Geschichte, Kultur und Bildungslandschaft geworden. […] Unsere Geschichte ist für uns Auftrag, auch weiterhin Bildung für alle zugänglich zu machen,“ so ist es im Leitbild der Wiener Volkshochschulen festgeschrieben.1
Mit dem am 25. Oktober 2019 im Wiener Gemeinderat beschlossenen „Sanierungs- und Investitionsprogramm Wiener Volkshochschulen 2030“ kann diesem Auftrag auch in baulicher Hinsicht Rechnung getragen werden. Das Sanierungspaket der Stadt Wien ist gleichzeitig eine Investition in die Zukunftschancen der Wiener*innen und unterstreicht den Stellenwert, den lebensbegleitendes Lernen in Wien innehat. Bildung ist die Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben und ein Mittel zur Emanzipation. Die Volksbildungsbewegung hatte immer den Anspruch, Menschen das Werkzeug in die Hand zu geben, um ihre Situation aus eigener Kraft zu verbessern, und so als Individuen in einer politischen Gesellschaft wirken und die eigenen Interessen vertreten zu können. Bildung ist die Basis für gesellschaftliche Teilhabe und damit für eine demokratische und solidarische Gesellschaft. Jede Investition in Bildungsbauten ist eine Investition in die Zukunft der Menschen.2
Den Startschuss für die bauliche Sanierung von insgesamt 27 VHS-Standorten bildete ganz in der Tradition ihrer Pionierinnenrolle in der Geschichte der Volksbildungsbewegung die Generalsanierung der VHS Ottakring im Juni 2021. Nach rund dreijähriger Bauzeit feierte das geschichtsträchtige Haus am 10. September 2024 offiziell seine Wiedereröffnung.
Ein Fest für die Volksbildung
Der festliche Abend bot einen Streifzug durch die Geschichte der VHS Ottakring, gab einen Einblick in ihre gesellschaftliche und politische Bedeutung und Verantwortung, ihre Verbundenheit mit dem Bezirk und seinen Bewohner*innen sowie ihren Mut zu Innovation und zum Voranschreiten. Nach der Begrüßung der zahlreichen Gäst*innen durch Thomas Laimer, Direktor der VHS Ottakring, hielt Wiens Bürgermeister Dr. Michael Ludwig eine spannende und informative Eröffnungsrede zur Geschichte und Bedeutung der VHS Ottakring. Es folgten Redebeiträge von Christian Deutsch (Aufsichtsratsvorsitzender der Wiener Volkshochschulen GmbH), Stefanie Lamp (Bezirksvorsteherin in Ottakring), Eva Weißmann (Vorsitzende des Fördervereins der VHS Ottakring – Hernals), Herbert Schweiger (Geschäftsführer der Wiener Volkshochschulen GmbH) und Susanne Höhndorf (Architekturbüro RATAPLAN). Der Projektchor der Arbeitersänger*innen Wien untermalte die Veranstaltung, ganz im Zeichen der engen Verbundenheit der Volksbildung mit der Arbeiter*innenbewegung, mit den Liedern „Die Arbeiter von Wien“ und „Brot und Rosen“. Moderatorin Petra Unger führte durch den Abend. Das Fest feierte aber auch vor allem das Durchhaltevermögen und Engagement des gesamten Teams der VHS Ottakring, das nach mehrmaligen Umzügen in der dreijährigen Bauzeit nun wieder in ihr „Haus der hundert Fenster“ zurückkehren konnte.3
Palast des Wissens für das Volk: Das Volksheim Ottakring
Die heutige VHS Ottakring wurde 1901 als „Volksheim Ottakring“ auf Initiative von Ludo Moritz Hartmann und Emil Reich als Einrichtung der Erwachsenenbildung gegründet. Der Antrag zur Gründung des Vereins erfolgte mit dem Namen „Volkshochschule“. Diese Selbstbezeichnung des Vereins untersagte jedoch die Behörde, da vermutet wurde, der Name sei antiuniversitär und revolutionär inspiriert, da eine Hochschule nicht für das Volk da sei und eine derartige Benennung somit eine Anmaßung darstelle. Es wurde sich daher auf die Benennung „Volksheim“ geeinigt, die schlussendlich die behördliche Genehmigung erhielt. Erst mit Beginn der Ersten Republik durfte der Name „Volkshochschule“ offiziell verwendet werden.
Das Volksheim Ottakring wurde von Franz Ritter von Neumann entworfen und 1905 eröffnet. Der Arbeiterdichter Alfons Petzold gab dem Gebäude den Namen „Haus der hundert Fenster“.
Bis 1940 befanden sich im Eingangsbereich der VHS Ottakring vier marmorne Ehrentafeln, die an die Namen jener Personen erinnerten, denen die Errichtung der ersten Volksuniversität Europas maßgeblich zu verdanken ist. Durch Schenkungen und Spenden von Firmen, Privatpersonen – darunter Arbeiter*innen und Handwerker*innen – waren es aber insbesondere liberale, zum Teil jüdische Unterstützer*innen, die die Realisierung der geplanten Volkshochschule gegen den Widerstand des damaligen Bürgermeisters Karl Lueger finanziell möglich machten.
Die Nationalsozialist*innen entfernten 1940 in einem zerstörerischen Akt diese Ehrentafeln. Am 19. November 2019 wurden zwei Tafeln enthüllt, die daran erinnern sollten. Geplant ist, die ursprünglichen Ehrentafeln in Marmor zu rekonstruieren und an ihrem Originalplatz zu befestigen.
Generalsanierung mit Innovation und Geschichtsbewusstsein
Das Architekturbüro RATAPLAN gestaltete die Generalsanierung des Hauses. Dabei ist es gelungen, die historische Atmosphäre beizubehalten und gleichzeitig entscheidende Veränderungen umzusetzen. Durch die sensible, geschichtsbewusste und nutzungsorientierte architektonische Konzeption wurde nicht nur der Zeitgeist der Gründungsjahre geweckt, sondern auch eine den heutigen und künftigen Lern- und Arbeitsanforderungen gemäße moderne Volkshochschule realisiert.
Das Haus verfügt nun über einen zweiten Haupteingang in der Neumayrgasse und ist mit einem Lift sowie einem Leitsystem barrierefrei gestaltet. Durch Glastüren werden die Gänge mit natürlichem Licht versorgt und wirken einladend und hell. Neu hinzugekommen ist ein großer Bewegungsraum, der durch das Einziehen einer neuen Ebene im Zuge der Umgestaltung des großen Festsaals entstehen konnte. Ebenfalls neu ist die „Wolke 16“, ein zusätzlicher Veranstaltungssaal am Dach mit attraktiver, anschließender Terrasse und Blick über Wien.
Die Sanierung der VHS Ottakring zeigt architektonisch, in welche Richtung die Wiener Volkshochschulen als Institution gehen. Die Gebäude und Angebote werden entlang der Bedürfnisse der Teilnehmer*innen gestaltet und schaffen Möglichkeiten für ein soziales Miteinander – auch über den Kursraum hinausgehend. Die gelungene Fusion von Geschichtsträchtigkeit und dem Begegnen moderner Bildungsbedarfe im Rahmen der Sanierung unterstreicht die Bedeutung der Volksbildungsbewegung damals wie heute.
Ein schönes Detail, das diesen Gedanken in der VHS Ottakring aufgreift, ist die Benennung der Kursräume nach bedeutenden Personen, die in der Volkshochschule bzw. dem Volksheim Ottakring vorgetragen und gewirkt haben.
Ein Beispiel ist Marie Eugenie delle Grazie (1864 – 1931): Sie gilt als eine der prominentesten Schriftstellerinnen um 1900. Zwischen 1901 und 1915 war M. E. delle Grazie Ausschussmitglied – zuerst in der Volkshochschule „Volksheim“ Ottakring, später auch im Wiener Volksbildungsverein. Sie verfasste eine Hymne auf die Volksbildung und schrieb einen atmosphärisch interessanten Bericht über die Bildungsarbeit und das Flair des Hauses am Ludo-Hartmann-Platz.
Diese und viele andere Kurzbiografien historischer Persönlichkeiten der Volksbildung in Ottakring sind überall im Haus neben den Kursräumlichkeiten angebracht.
Sie alle einte, was auch heute noch das Engagement der Volkshochschulen antreibt: Die Überzeugung, dass Bildung Zukunft schafft und allen Menschen ein freier Zugang dazu gewährt werden sollte.
VHS Hietzing: Zwischen Hautevolee und Gemeindebau
Am Wiener Stadtrand zwischen Hautevolee und Gemeindebau, monarchischem Charme und wilder Natur hält die VHS Hietzing schon seit mehr als 70 Jahren die volksbildnerische Stellung im 13. Wiener Gemeindebezirk.
Nach knapp zwei Jahren im Ersatzquartier feierte die VHS Hietzing mit gleich zwei Festen ihre Rückkehr in die Hofwiesengasse 48. Nach dem „Soft Opening“ im Juni fand die offizielle Wiedereröffnung am 19. September 2024 im Beisein von Bürgermeister Dr. Michael Ludwig und Vizebürgermeisterin und Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál statt. Im Rahmen des „Sanierungs- und Investitionsprogramms Wiener Volkshochschulen 2030“ wurde der VHS-Standort nicht nur bezogen auf Brandschutz und Barrierefreiheit auf den neuesten Stand gebracht. Viele Räumlichkeiten wurden neu gestaltet und erweitert. Eine Lehrküche bietet zukünftig Raum für Kochkurse und auch für die Bewegungskurse steht nun mit neuen Garderoben und Duschen eine bessere Ausstattung zur Verfügung. Ein neues Belüftungs- und Kühlsystem sorgt für ein angenehmes Raumklima in den Kursräumen und schafft gemeinsam mit großen Fenstern am Gang und der neuen Ruhe durch die Doppelverglasung eine einmalige Atmosphäre und Lernumgebung.
Die Photovoltaikanlage am Dach speist zukünftig grünen Strom ins Netz der Wien Energie ein und senkt dadurch die laufenden Kosten.
In mühevoller Kleinarbeit wurde der Festsaal so renoviert, dass der Charme der alten Holzvertäfelung erhalten bleibt. Bezüge und Vorhänge wurden erneuert und eine brandneue Bühnen-, Licht- und Tontechnik sorgt dafür, dass Veranstaltungen künftig ideal ablaufen können.
Die offizielle Feier zur Wiedereröffnung bot ein vielfältiges Programm mit einigen Überraschungen. Nach der Begrüßung durch Sylvia Kuba (Direktorin VHS Hietzing) und Robert Streibel (ehem. Direktor VHS Hietzing) sprachen Bürgermeister Dr. Michael Ludwig und Vizebürgermeisterin und Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál die Eröffnungsworte. Es folgten Wortspenden von Christian Deutsch (Aufsichtsratsvorsitzender der Wiener Volkshochschulen GmbH), Nikolaus Ebert (Bezirksvorsteher Hietzing), Prof. Dr. Mag. Gerhard Schmid (Förderverein der VHS Hietzing) und Herbert Schweiger (Geschäftsführer der Wiener Volkshochschulen GmbH). Musikalisch wurde der Abend vom Hackenberg Ensemble, Wolfgang Seligo und dem Chor der VHS Hietzing begleitet. Zwei Taucher*innen kündigten die neuen Tauchkurse der VHS Hietzing an, und Eugenie Schwarzwald (verkörpert durch eine Schauspielerin) machte auf die Dauerausstellung „Eugenie Schwarzwald – eine Pionierin der Moderne“ aufmerksam. Zwischendurch baute der ehemalige Direktor Robert Streibel die VHS Hietzing aus Legosteinen nach.4
Mehr als 70 Jahre Volksbildung in Hietzing
Es gab zwar in Hietzing vor 1945 keine große Volkshochschultradition wie sie etwa in Margareten oder Ottakring bestand, doch begann bereits im April 1945 – bald nach Übernahme des 13. Bezirks durch die sowjetischen Truppen – die Volksbildungstätigkeit im Bezirk.
Die ersten Kurse entsprachen dem Geist der praktischen „Lebenshilfe“: Schneiderkurse, Kurse für Schuhreparaturen, Kurse für die Kaninchenzucht und vor allem Englisch- und Russischkurse, da die Bevölkerung mit den Alliierten kommunizieren wollte, waren gefragt.
1975 kam es zur Eröffnung des zwischen 1971 und 1974 errichteten Gebäudes der VHS Hietzing in der Hofwiesengasse 48. Mit der Übersiedlung in das neue Haus änderten sich die Voraussetzungen und Möglichkeiten der Volkshochschularbeit grundlegend. Die Arbeit konnte sich erstmals voll auf ein ausreichend ausgestattetes Zentrum konzentrieren. 1985 erfolgte die Aufstockung des Gebäudes.
Mit 1. Jänner 1999 wurde der Historiker Dr. Robert Streibel, der zuvor für die Öffentlichkeitsarbeit des Verbandes Wiener Volksbildung zuständig war, Direktor der VHS Hietzing. Als Experte für Geschichte und Öffentlichkeitsarbeit initiierte der mit zahlreichen Preisen und Ehrungen bedachte Volksbildner unzählige historische Recherche- und Forschungsprojekte, Ausstellungen, Tagungen, Diskussionsveranstaltungen und Publikationen zu den Opfern und Täter*innen des Nationalsozialismus, zum Antisemitismus und zur Geschichte des Judentums, zur Erinnerungspolitik, zum Februaraufstand 1934, zu bedeutenden historischen Persönlichkeiten wie Viktor Matejka, Theodor W. Adorno und Eugenie Schwarzwald, aber auch künstlerische Projekte sowie Aktionen und Aktivitäten im Rahmen der Politischen Bildung. Außerdem rief er die seit 2014 jährlich stattfindende Marathonlesung „Wir lesen Nobelpreis“ ins Leben.
Mit der Wiedereröffnung übernahm Sylvia Kuba, Direktorin der VHS Penzing, auch die Leitung der VHS Hietzing. Robert Streibel, der das Haus in den letzten 25 Jahren geleitet und geprägt hat, verabschiedete sich in die Pension.
Gesellschaftliche Verantwortung
Mit zahlreichen Initiativen zu Zeitgeschichte und Shoa-Gedenkprojekten nimmt die VHS Hietzing zu gesellschaftlich relevanten Themen Stellung. Sie trägt damit einen bedeutenden Teil zur antifaschistischen Arbeit und Demokratiebildung an den Wiener Volkshochschulen bei. Erst im Juni wurde vor der VHS Hietzing die Gedenkstele für die Opfer der Shoa im Umfeld der Wiener Volkshochschulen enthüllt.
Das Besondere an Wien ist, dass gute Bildung nicht einer Elite vorbehalten ist, sondern allen Menschen Angebote offenstehen, die sie persönlich vorwärtsbringen. //
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