Schon wieder eine Bildungsrevolution!? In knappen Abständen wird sie mittels Fachliteratur ausgerufen. Aktueller Anlass: die Digitalisierung des Bildungswesens. „Durch Digitalisierung ist Bildung für alle und personalisiertes Lernen für den Einzelnen erreichbar – und bezahlbar“. (S. 40). Derart begeistert ist das Buch geschrieben. Mit gleicher Verve will es Leserin und Leser von neuen Aufstiegsmöglichkeiten überzeugen, die der Abschied von der bisherigen analogen Bildungswelt bringt (vgl. S. 43): günstiger Bildungszugang und personalisierte Angebote für alle, Lernmotivation und Feedback, soziale Vernetzung, Orientierung und Transparenz „im Dschungel der Bildungsangebote“ sowie die Vermittlung passender Jobs.
Jörg Dräger, von 2001 – 2008 Wissenschaftssenator in Hamburg und zur Zeit Vorstand der Bertelsmann Stiftung, sowie Ralph Müller-Eiselt, Forscher der Bertelsmann Stiftung, belegen ihre revolutionären Hoffnungen mit vielen international recherchierten Beispielen. Aus pädagogischer Sicht sind die Argumentationslinien nicht unbekannt: Die bestehende „Einheitsbildung“ entspricht nicht den unterschiedlichen Bedürfnissen und der tatsächlichen Vielfalt der Lernenden. Homogenität ist Illusion, Heterogenität und Individualisierung angesagt. Die Gefahren, die der „gläserne Mensch“ mit sich bringt, werden gesehen, aber, so die Autoren, wir müssen mit den Gefahren leben.
Die Digitalisierung des Bildungswesens ist aber auch in Österreich schon im Gange: Seit Anfang 2016 stehen in der Sekundarstufe II digitale Schulbücher zur Auswahl, im tertiären Sektor und in der Weiterbildung ist „blended learning“ selbstverständlich, „Gratis online lernen“ wird vom Volkshochschulverband unterstützt, um nur einige Beispiele zu nennen.
Entscheidend ist, dass sich in Konsum- und Berufswelt eine technologische Transformation mit dem Ziel, mehr Diversity herzustellen ereignet. Das Bildungswesen befindet sich gesellschaftlich gesehen in einem Nachzieh- und Nachholverfahren. Was nicht ausschließt, Bildung einzusetzen, um die vor sich gehenden Veränderungen zu analysieren und zu beurteilen. Doch so ein widerständiges, eigensinniges Potenzial wird von dieser Publikation nicht angesprochen – die Autoren fordern vielmehr Anpassungsleistung: aus Sorge, dem Mainstream und damit den Ansprüchen an moderne Wirtschaftsstandorte nicht zu entsprechen. Die Revolution bleibt außen vor.
Trotzdem bringt die Lektüre Information. Sie zeigt, was auf dem Sektor Bildung in digitaler Form vor sich geht und wie sehr wir daran bereits beteiligt sind. Eine digitale Umwälzung in Arbeitsprozessen, Kommunikation und Lernen finden statt. Weiterbildung ist betroffen und aktiver Teil davon: betroffen in ihren Angeboten, aktiv, indem sie informiert und aufklärt, Zusammenhänge erläutert und kritisches Urteilen pflegt. //
Kommentare