Das Lernen Erwachsener in der erwachsenenpädagogischen Diskussion
Reflexionen zwischen Theorie und Praxis

Im vorliegenden Beitrag soll der/die LeserIn zunächst in drei zentrale Theoriepositionen der Erwachsenenbildungswissenschaft zum menschlichen Lehren und Lernen eingeführt werden. In gebotener Kürze werden erwachsenenpädagogische Rezeptionen des Konstruktivismus und der subjektwissenschaftlichen Lerntheorie vorgestellt. Beiden ist eine gewisse Dominanz in der Diskurslandschaft zu attestieren (vgl. Nolda: 2008, 86 f.); zumindest gemessen an deren Sichtbarkeit und Präsenz in der innerdisziplinären Diskussion. Daneben soll auch der poststrukturalistische Ansatz referiert werden. Dieser widmet sich in besonderer Weise den institutionalisierten Lehr-Lernprozessen zugrundeliegenden Machtverhältnissen. In Zeiten verpflichtender Weiterbildungsmaßnahmen erscheint dieser Ansatz insofern nicht minder relevant. In einem zweiten Schritt werden die referierten Modelle in Verbindung zum erwachsenendidaktischen Prinzip der Teilnehmendenorientierung gesetzt. Mithilfe des traditionsreichen Didaktikprinzips soll der Frage nachgespürt werden, welche bildungspraktischen Implikationen sich jeweils für eine erwachsenengerechte Kurspraxis ableiten lassen.1

Der Begriff „Theorie“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet in seiner wörtlichen Übersetzung „Betrachtung“. Im Zentrum lehr-lerntheoretischer Diskurse der Erwachsenenbildungswissenschaft stehen damit unterschiedliche Betrachtungsstandpunkte. Diese intendieren immer, spezifisch gewählte Ausschnitte der Realität – hier: pädagogisches Geschehen in Form von Lehr- und Lernhandlungen von Erwachsenen in unterschiedlichsten Rahmungen, Spielarten und Formalisierungsgraden – zu beschreiben.
Die mehr oder weniger umfangreichen Gebilde konstituieren sich aus je eigenen Systematiken, Logiken, Zugängen, Hypothesen etc.

Galt das wissenschaftliche Erkenntnisinteresse ursprünglich primär kindlichen Lernvorgängen, gewann das Lernen Erwachsener spätestens in den 1960er-Jahren an überdisziplinärer Aufmerksamkeit. (Vgl. Faulstich & Grotlüschen: 2003, 152). Lange Zeit wurden die klassischen lernpsychologischen Schulen des Behaviorismus, Kognitivismus und Konstruktivismus als miteinander nicht zu vereinbarende Theoriearchitekturen skizziert. Während der Mensch im mechanistischen Weltbild des Behaviorismus erst als Reaktion auf einen externen Reiz lernend tätig wurde, waren seine Selbstbestimmungsmöglichkeiten im kognitivistischen Paradigma weitaus größer und im Konstruktivismus die Grundlage für das Lernen selbst. (Vgl. Mienert & Pitcher: 2011, 51). Gegenwartsnahe Konzeptionen präferieren hingegen oftmals einen komplementären Blick. (Vgl. Gieseke: 2007, 222). In Anbetracht der Komplexität sozialer Realität verwundert es wenig, dass die Frage nach dem einen, „wahren“ Paradigma überwunden scheint. Zugleich erhalten damit auch kritisch-reflexive Positionen verstärkt Einzug in die wissenschaftlichen Diskursarenen. (Vgl. exemplarisch Faulstich: 2013).

In der erwachsenenpädagogischen Diskussion wird pädagogisches Handeln gewöhnlich als Spannungsverhältnis entworfen: Auf der einen Seite stehen Vermittlungshandlungen der Lehrenden, gegenüberliegend werden Aneignungsoperationen der Lernenden verortet. Beide Prozesse verweisen aufeinander, ohne dass ein Kausalzusammenhang vorliegt. Weder zieht Lehren automatisch Lernen nach sich, noch kann Lernen als mechanische Reaktion auf Lehre gedeutet werden. (Vgl. Kade: 1997). Lehren intendiert Lernen, hingegen vollzieht sich ein Großteil des Lernens in informellen Kontexten. (Vgl. Ludwig: 2018, 258). In dieser Verhältnissetzung klingt bereits an: Aus Lerntheorien lassen sich strenggenommen keine Lehrkonzepte ableiten, da beide Prozesse in unterschiedlichen Referenzsystemen stattfinden und verschiedene Handlungslogiken innehaben. Mit Blick auf eine begründete Erwachsenenbildungspraxis verschiebt sich der Fokus der Betrachtung daher häufig auf das gezielte Arrangement von Lehr-Lernverhältnissen, da Lerntheorien zu letzteren durchaus gestaltungswirksame Anregungen zu generieren vermögen (vgl. ebd., S.260f).

Konstruktivistische Sicht auf das Lernen Erwachsener – Ermöglichungsdidaktik

In der Erwachsenenpädagogik hat der Konstruktivismus mit dem Deutungsmusteransatz einen prominenten Vorläufer. (Vgl. Pätzold: 2012, 102 f.). Diese auf den Symbolischen Interaktionismus zurückgehende Theorieperspektive proklamiert, dass Menschen Wirklichkeit im „Modus der Auslegung“ subjektiv interpretieren. (Vgl. Arnold: 1985). Das konstruktivistische Paradigma überformt diesen Gedanken weiter: Menschliche Erkenntnis wird allgemein als ein selbstreferentieller, operational geschlossener Prozess unseres Gehirns entworfen, sodass von einer „Relativität und Subjekthaftigkeit allen Erkennens“ (Arnold & Siebert: 2003, 9) ausgegangen werden muss. Einfacher formuliert: Jedes Individuum konstruiert seine je eigene Realität.

Die Ermöglichungsdidaktik (vgl. Arnold & Gómez Tutor: 2007) kann als Kristallisationspunkt konstruktivistischer Didaktikkonzeptionen in der Erwachsenenpädagogik bezeichnet werden. Der Begriff steht stellvertretend für ein gemäßigt konstruktivistisches Lernverständnis und eine dementsprechend angepasste Lehr-Lernkultur. (Vgl. Siebert: 2003, 47). Lernen wird zunächst als ein prinzipiell selbsttätiger Prozess gefasst. Analog dazu können Lernprozesse nicht mehr als Folge pädagogischer Interventionen verstanden werden. Handlungspraktisch mündet diese theoretische Setzung in dem Anspruch, Lernenden einen professionell gestalteten Ermöglichungsraum für selbstgesteuerte Lernprozesse aufzuspannen. (Vgl. Schüßler: 2003, 77). Hieraus ergibt sich eine Reihe von Implikationen für die Erwachsenenbildungspraxis. Vier seien hier exemplarisch genannt:

1. Neue Rollenkonfigurationen im Lehr-Lernprozess: Lehrhandeln expliziert sich weniger als Vermittlungsprozess, sondern vielmehr als Lernhilfe, Lernberatung und Gestaltung von Lernarrangements. (Vgl. Arnold & Siebert: 2003, 163).

2. Neue Verantwortlichkeiten im Lehr-Lernprozess: Lehrende sind für die Qualität ihrer „Lehre“, nicht aber für das Lernen der Teilnehmenden verantwortlich.

3. Auswahl von Lerninhalten: Lerninhalte müssen viabel, d. h. lebensdienlich, für das lernende Subjekt sein. Was für einen Molekularbiologen eine viable Theorie der Biologie ist, muss für die meisten Menschen nicht zwangsweise „gangbar“ sein, da sich bereits Alltagstheorien über Biologie für sie bewährt haben. (Vgl. Siebert: 2006, 28).

4. Relativität von Wissen: Die Wissensbestände von Kursleitenden sind – ebenso wie die der Teilnehmenden – Konstrukte und damit Interimswissen. Ihre Vorläufigkeit, Revidierbarkeit und Irrtumswahrscheinlichkeit wird aber dadurch relativiert, dass es sich in der Regel um wissenschaftlich fundiertes Wissen handelt. (Vgl. Siebert: 2001, 303 f.).

Subjektwissenschaftliche Lerntheorie – Subjektperspektiven auf das Lernen

Die subjektwissenschaftliche Lerntheorie geht ihrem Ursprung nach auf den Begründer der Kritischen Psychologie Klaus Holzkamp zurück. Dabei ist die subjektwissenschaftliche Grundlegung einer Lerntheorie ihrem Selbstverständnis nach nicht als eine „klassische“ Lehr-Lerntheorie zu verstehen. Anstelle eines in sich abgeschlossenen Theoriegebildes verkörpert sie vielmehr ein „vorläufiges Gerüst und einen heuristischen Rahmen für die eigene wissenschaftliche Weiterentwicklung“. (Faulstich & Ludwig: 2008b, 11). Als solche beschreibt sie eine Denkrichtung, welche Lehr-Lernprozesse vom Subjektstandpunkt aus beleuchtet.

Ausgehend vom Menschen als denkendes und handelndes Wesen bildet das „Expansive Lernen“ den begrifflichen Fixpunkt der subjektwissenschaftlichen Lerntheorie. Der Schlüsselbegriff deutet an, dass der Mensch darauf abzielt, seine Partizipationsmöglichkeiten in widersprüchlichen gesellschaftlichen Verhältnissen zu erweitern. Seine individuelle Entfaltung und Teilhabe werden dabei immer wieder durch den gesellschaftlichen Kontext begrenzt. Die individuellen Interessengemenge und Handlungsproblematiken der Lernenden bündeln sich im – vom pädagogischen Personal im Sinne einer Verstehensleistung zu ergründendem – Subjektstandpunkt. (Vgl. Faulstich & Ludwig: 2008a, 5).

Unterschieden werden expansive von defensiven Lernbegründungen. „Expansives Lernen“ ist nicht mit dem Konzept der intrinsischen Motivation zu verwechseln. Es meint gerade nicht das „Lernen um seiner selbst willen“, sondern ein Lernen, mit der Absicht der Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten angesichts einer zuvor erfahrenden Handlungsproblematik. (Vgl. Holzkamp: 1995, 191). Hingegen wird beim „Defensiven Lernen“ die Abwehr einer Bedrohung angestrebt. Anstelle einer Lernhaltung wird eine Bewältigungshaltung eingenommen. In der als bedrohlich empfundenen Lage geht es dem Subjekt ausschließlich darum – zur Not auch gänzlich ohne Lernen – der Situation, in welcher die Lernanforderung gestellt ist, möglichst umgehend und ohne drohenden Verlust an Verfügung oder Lebensqualität zu entkommen. Entscheidend ist, dass die unmittelbare Bedrohung schnellstmöglich überwunden wird. (Vgl. Ebd., 193).

Einschränkend muss jedoch angemerkt werden, dass das Begriffspaar „expansiv-defensiv“ nicht als ein empirisches Schema genutzt werden kann. Vielmehr verkörpern beide Lernformen komplementäre Denkfiguren, die primär zur Aufschlüsselung von Lern- und Handlungsbegründungen vom Subjektstandpunkt aus konzipiert sind. (Vgl. Ludwig: 2008a, 47). Ihre besondere Funktion liegt darin, die widersprüchlichen Handlungsbegründungen von lernenden Individuen vor dem Hintergrund ihrer spezifischen Lebensverhältnisse zu eruieren.

Die Leistung, aus der subjektwissenschaftlichen Lerntheorie eine subjektwissenschaftliche Didaktik abzuleiten ist vor allem auf Joachim Ludwig zurückzuführen. Im Rahmen „Kooperativer Lernverhältnisse“ plädiert er für:

1. Anstatt auf Inhalten oder Curricula gründen kooperative Lernverhältnisse auf gemeinsamen Lerninteressen. Während der Ausgangspunkt des Bildungsprozesses den Lernenden gemeinsam ist, muss das Endergebnis nicht notwendigerweise ein kollektives sein.

2. Lernen ist nicht das Ergebnis eines Vermittlungsprozesses, sondern wird als ein Selbst- und Fremdverständigungsprozess skizziert. Dieser hat für Lernende alltagsnahe Handlungsproblematiken zum Ausgangspunkt, nicht aber vor Veranstaltungsbeginn vom Kursleitenden ausgewählte Inhalte.

3. Kooperative Lernverhältnisse unterstützen aufgrund der Differenzen der individuellen Interpretationen zum jeweiligen Fall die Selbstverständigungsprozesse über die zugrundeliegende Handlungsproblematik der Teilnehmenden.

4. Lernende müssen mit Blick auf die erfolgreiche Realisierung des Lernens die fremden Deutungsangebote nicht nur anerkennen, sondern auch kritisch hinterfragen. (Vgl. Ludwig: 2008b, 119 f.).

Poststrukturalistischer Lernbegriff – Didaktik der Selbstsorge

In der Erwachsenenbildungswissenschaft geht der poststrukturalistische Lernbegriff und die damit verbundene „Didaktik der Selbstsorge“ hauptsächlich auf Hermann J. Forneck und seine Didaktikkonzeption der Selbstlernarchitekturen zurück. (Vgl. Forneck: 2006). Im Mittelpunkt steht die These, dass institutionalisierte Lehr-Lernprozesse stets von Macht durchzogen sind. Pädagogisches Geschehen vollzieht sich demnach innerhalb gesellschaftlich-kultureller Strukturen und Anforderungen, welche den Bildungsprozessen wiederum inhärent sind. Die besondere Qualität professionell gestalteter Settings der Erwachsenenbildung resultiert dieser Argumentationslogik zufolge aus den absichtsvoll eingesetzten Steuerungsformen der Kursleitenden. Dadurch, dass auf die Wahrscheinlichkeit bestimmter Lernhandlungen abgezielt wird, lässt sich Erwachsenenbildung dann auch nicht als steuerungs- und damit machtfreier Raum denken. (Vgl. Ebd., 13 f.).

Durchaus auch in kritischer Distanz zum konstruktivistischen Paradigma wird eine besondere Form des selbstgesteuerten Lernens anvisiert: Im Zuge des „Selbstsorgenden Lernens“ sollen Teilnehmende von Erwachsenenbildung vor allem auch die den Bildungsprozessen innewohnenden Machtverhältnisse reflexiv einholen. (Vgl. Forneck & Springer: 2005a, 112). Die integrative Verzahnung von Lerninhalten mit metakognitiven Lernpraktiken soll also nicht nur gewährleisten, dass gesellschaftlich eingeforderte Wissensbestände, Fertigkeiten und Kompetenzbündel vermittelt werden. Darüber hinausgehend wird auch „ein Bewusstsein von dieser Aneignung“ (ebd., 108) seitens des Subjekts evoziert. Mit anderen Worten soll die reflexive Offenlegung der dem Bildungsprozess immanenten gesellschaftlichen Machtstrukturen die Individuen dazu befähigen, „sich kognitiv aus dem Kontext zu reißen, um sich der Situation wahr zu werden“. (Ebd., 112). Durch die vermittelten Praktiken des „Selbstsorgenden Lernens“ können sich Lernende schließlich dezentrieren, d. h. sie können in selbstsorgender Weise einer Determination in institutionalisierten Bildungsprozessen entgehen. (Vgl. Forneck: 2006, 116). Dieser Zuwachs an Autonomie lässt sich unter anderem auch daran ablesen, dass sich Teilnehmende den reflexiven Steuerungsmitteln und den damit verfolgten Selbstoptimierungsintentionen durchaus auch bewusst entziehen. Dies gilt insbesondere für das Führen von Lernjournalen, was dieses Reflexionsinstrument gleichsam nicht unwirksam macht, sondern auf eigenwillige, z. T. widerständige Nutzungsarten der NutzerInnen hinweist. (Vgl. Wrana: 2006, 246 f.).

Der methodischen Realisierung des „Selbstsorgenden Lernens“ wird mithilfe von sogenannten Selbstlernarchitekturen nachgegangen. Kennzeichnend für die professionelle Gestaltung von diesen stark normierten Arrangements ist ein Steuerungswechsel von der personalen Kursleitenden-Teilnehmenden-Interaktion hin zu apersonalen Selbstlernumgebungen. (Vgl. Forneck: 2006, 6). Mit Blick auf eine erwachsenenbildnerische Praxis sind damit vor allem zwei Handlungsmodi aufgeworfen:

1. Planung und Vorbereitung: Die – durchaus sehr aufwendige – Gestaltung von komplexen Selbstlernarchitekturen zur Vermittlung von spezifisch ausgewählten Lerninhalten. (Vgl. Forneck: 2006, 93).

2. Flankierende Lernberatung: Verpflichtende Lernstandsdiagnostik sowie Unterstützung der Selbstreflexion der Teilnehmenden über den in weiten Teilen fremdgesteuerten Lernprozess. (Vgl. Forneck & Springer: 2005b, 148 f.).

Vermittlung zwischen Theorie und Praxis – Teilnehmendenorientierung als „didaktische Reflexionsfolie“

Bereits dieser holzschnittartige Überblick verdeutlicht: Für gut informierte PraktikerInnen im Feld, die sich auch aus theoretischer Warte für gelingende Lehr-Lernprozesse interessieren, werden differenzierte Perspektiven aufgeworfen. Allerdings – und hier sei der Bogen zum Anfang des Beitrages geschlagen – lassen sich hieraus schwerlich allzu konkrete Lehrhandlungen ableiten.

Dieses Spannungsfeld – so meine These – lässt sich mit Hilfe des Leitprinzips der Teilnehmendenorientierung ein wenig austarieren. Versteht man Teilnehmendenorientierung als eine Art „didaktische Reflexionsfolie“ für das eigene professionelle Handeln, so kann man die theoretischen Impulse der referierten Ansätze wenn auch nicht in handlungsanleitende Rezepte, so zumindest in praxisorientierende Implikationen übersetzen.

Unter konstruktivistischen Vorzeichen ruft Teilnehmendenorientierung dazu auf, das Lernen Erwachsener radikal – nämlich neurophysiologisch manifestiert – als Anschlusslernen aufzufassen. Lernprozesse verkörpern dieser Auffassung nach keine kognitiven Repräsentationen einer vermeintlich objektiven Realität. Lernen expliziert sich vielmehr als individuelle Konstruktion von Wirklichkeit auf der Grundlage einzigartiger biografischer Vorerfahrungen. Ein solches Anschlusslernen ist stets strukturdeterminiert, d. h. es schließt direkt an die vorhandenen kognitiven Strukturen an und nutzt diese zur Konstruktion neuer Wirklichkeit. (Vgl. Siebert: 2010, 150). Gelernt wird schließlich nur solches Wissen, welches viabel und damit anschlussfähig an das jeweilige kognitive und emotionale System ist. Die Bewertung eines Lerngegenstands hinsichtlich seiner Lebensdienlichkeit kann derweil ausschließlich durch den Lernenden selbst geschehen. Aus diesem Grund müssen Lerninhalte mit den Teilnehmenden in einem konsensuellen Dialog erarbeitet werden. Eine an diesem Verständnis ansetzende teilnehmendenorientierte Erwachsenenbildung hätte dann zum Ziel, dem Subjekt handlungsrelevantes Wissens zur Wiederherstellung der eigenen Viabilität zu unterbreiten sowie gleichzeitig auf die Konstruktivität der zur Verfügung gestellten Deutungsangebote hinzuweisen.

Subjektwissenschaftlich gewendet sensibilisiert Teilnehmendenorientierung für defensiv-behindernde oder expansiv-erweiternde Lernbegründungen von Lernenden. Kursleitendenhandeln geht hier primär in Verstehensleistungen auf, welche die Erörterung und Verständigung über die dem Lernen zugrundeliegenden Handlungsproblematiken – und nicht externe Curricula – zum didaktischen Fixpunkt haben. Diese veranlassen das Subjekt dazu, sich begründet (!) für oder gegen die Lernangebote der Bildungsinstitution oder des Kursleitenden zu entscheiden. Lernerfolge lassen sich bestenfalls pädagogisch unterstützen; allen voran durch das Unterbreiten alternativer Situationsinterpretationen. Vollziehen sich die hierfür notwendigen Selbst- und Fremdverständigungsprozesse zwischen Kursleitenden und Teilnehmenden frei von Repressionen, pädagogischem Nachdruck oder normativen Bewertungen, kann sich dem idealtypischen „Expansiven Lernen“ im Sinne eines lernenden Weltaufschlusses zumindest angenähert werden.

Schließlich entlarvt eine poststrukturalistisch apostrophierte Teilnehmendenorientierung die ständige Gegenwart von Macht und Steuerungspraktiken im Kontext von Erwachsenenbildung. Ein erwachsenengerechter Umgang mit dieser grundsätzlichen Konstellation besteht darin, die vorherrschenden Einflüsse und Strukturen nicht zu leugnen, sondern kritisch zu bearbeiten. Erst durch die Reflexion der Lehr-Lernverhältnisse und ihrer bildungspolitischen, arbeitsmarktlichen und institutionellen Rahmungen können sich Teilnehmende bewusst zu diesen verhalten und Position beziehen, d. h. an Souveränität gewinnen. Kursleitendenhandeln meint hier auch, Widerstände der Lernenden gegenüber diesen Verhältnissen zu provozieren und sie auf diesem Weg zu ermächtigen (vgl. Ludwig: 2018, 268); einer modernen Lesart folgend könnte man hier durchaus von „Gegensteuerung“ im Sinne von Hans Tietgens sprechen.

Zur Praktikabilität der Teilnehmendenorientierung

Abschließend sei darauf verwiesen, dass didaktische Prinzipien immer eine Reduktion von pädagogischer Wirklichkeit intendieren. Insofern können auch mithilfe der Teilnehmendenorientierung nicht alle Momente des Lehrens und Lernens umfassend beschrieben werden. Die komplexitätsabmildernde Funktion theoretisch modellierter Didaktikprinzipien macht diese gegenüber einer stärker empirisch-analytischen Didaktik – wie sie beispielsweise die videographische Kursforschung anvisiert (vgl. Kade, Nolda, Dinkelaker & Herrle: 2014) – gleichsam nicht überflüssig. Die Leistung didaktischer Prinzipien wie das der Teilnehmendenorientierung kann vielmehr darin gesehen werden, dass diese eine ordnungsstiftende Reflexionsfolie für professionelles Denken und Handeln in pädagogischen Kontexten zur Verfügung stellen. (Vgl. Klein: 2011, 29). Damit sind zugleich wichtige Schwerpunkte individueller und kollektiver Professionalitätsbestrebungen des Erwachsenenbildungssektors aufgeworfen, was für die Zeitgemäßheit didaktischer Prinzipien spricht.

Die kognitiv nie vollständig zu durchdringende Realität wird von ihnen in spezifischer Weise strukturiert, indem einige Phänomene des Lehrens und Lernens – hier: die Lerninteressen, -bedürfnisse und -voraussetzungen Erwachsener – (über-)betont und andere wiederum vernachlässigt werden. Doch selbst mit ihren relativ losen Handlungsorientierungen vermögen Didaktikprinzipien die nahezu unendliche Vielfalt an wahrnehmbaren Informationen im Kursgeschehen auf ein überschaubares Maß zu verringern, wodurch eine absichtsvolle und zielgerichtete Einflussnahme pädagogischer AkteurInnen erst möglich wird. //

1   Der vorliegende Beitrag lehnt sich in Teilen grob an eine in Arbeit befindliche Dissertationsschrift des Autors zur Teilnehmendenorientierung an.

Literatur

Arnold, Rolf & Gómez Tutor, Claudia (2007): Grundlinien einer Ermöglichungsdidaktik. Bildung ermöglichen – Vielfalt gestalten. Augsburg: ZIEL.

Arnold, Rolf & Siebert, Horst (2003): Konstruktivistische Erwachsenenbildung. Von der Deutung zur Konstruktion von Wirklichkeit. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren.

Faulstich, Peter (2013): Menschliches Lernen. Eine kritisch-pragmatische Lerntheorie. Bielefeld: Transcript.

Faulstich, Peter & Grotlüschen, Anke (2003): Lerntheorie aneignen und vermitteln. In: Peter Dehnbostel, Zorana Dippl, Frank Elster & Thomas Vogel (Hrsg.), Perspektiven moderner Berufsbildung. E-Learning, Didaktische Innovationen, Modellhafte Entwicklungen (S. 151–165). Bielefeld: wbv.

Faulstich, Peter & Ludwig, Joachim (2008a): Vorwort und Übersicht zu den Beiträgen. In: Peter Faulstich & Joachim Ludwig (Hrsg.), Expansives Lernen (S. 4–9). Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren.

Faulstich, Peter & Ludwig, Joachim (2008b): Lernen und Lehren – aus „subjektwissenschaftlicher Perspektive“. In: Peter Faulstich & Joachim Ludwig (Hrsg.), Expansives Lernen (S. 10–28). Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren.

Forneck, Hermann J. (2006): Selbstlernarchitekturen. Bd. 1: Lernen und Selbstsorge. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren.

Forneck, Hermann J. & Springer, Angela (2005a): Gestaltet ist nicht geleitet – Lernentwicklungen in professionell strukturierten Lernarchitekturen. In: Peter Faulstich, Hermann J. Forneck, Petra Grell, Katrin Häßner, Jörg Knoll & Angela Springer (Hrsg.), Lernwiderstand – Lernumgebung – Lernberatung. Empirische Fundierungen zum selbstgesteuerten Lernen (S. 94–161). Bielefeld: wbv.

Forneck, Hermann J. & Springer, Angela (2005b): Gestaltung von Selbstlernarchitekturen – Eine integrative Konzeption für selbstgesteuertes Lernen. In: Stephan Dietrich & Monika Herr (Hrsg.), Support für Neue Lehr- und Lernkulturen (S. 133–153). Bielefeld: wbv.

Gieseke, Wiltrud (2007): Lebenslanges Lernen und Emotionen. Wirkungen von Emotionen auf Bildungsprozesse aus beziehungstheoretischer Perspektive. Bielefeld: wbv.

Holzkamp, Klaus (1995): Lernen. Subjektwissenschaftliche Grundlegung. Frankfurt am Main: Campus Verlag.

Kade, Jochen (1997): Vermittelbar/nicht-vermittelbar: Vermitteln: Aneignen. Im Prozeß der Systembildung des Pädagogischen. In: Dieter Lenzen & Niklas Luhmann (Hrsg.), Bildung und Weiterbildung im Erziehungssystem. Lebenslauf und Humanontogenese als Medium und Form (S. 30–70). Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Kade, Jochen, Nolda, Sigrid, Dinkelaker, Jörg & Herrle, Matthias (2014): Videographische Kursforschung. Empirie des Lehrens und Lernens Erwachsener. Stuttgart: Kohlhammer.

Klein, Rosemarie (2011): Die handlungsleitenden Prinzipien von Lernberatung – Weiterungen und Konkretisierungen. In: Rosemarie Klein & Gerhard Reutter, (Hrsg.), Die Lernberatungskonzeption. Grundlagen und Praxis (S. 29–40). Göttingen: Institut für angewandte Kulturforschung.

Ludwig, Joachim (2008a): Bildung und expansives Lernen. In: Peter Faulstich & Ludwig Joachim (Hrsg.), Expansives Lernen (S. 40–53). Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren.

Ludwig, Joachim (2008b): Vermitteln – verstehen – beraten. In: Peter Faulstich & Joachim Ludwig (Hrsg.), Expansives Lernen (S. 112–126). Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren.

Ludwig, Joachim (2018): Lehr-Lerntheoretische Ansätze der Erwachsenenbildung. In: Rudolf Tippelt & Aiga von Hippel (Hrsg.), Handbuch Erwachsenenbildung/Weiterbildung (S. 257–274). 6. Auflage. Wiesbaden: Springer VS.

Mienert, Malte & Pitcher, Sabine (2011): Pädagogische Psychologie. Theorie und Praxis des Lebenslangen Lernens. Wiesbaden: Springer VS.

Nolda, Sigrid (2008): Einführung in die Theorie der Erwachsenenbildung. Darmstadt: WBG.

Pätzold, Henning (2012): Konstruktivismus und Lerntheorie – radikal vereinbar? In: Wiltrud Gieseke, Ekkehard Nuissl & Ingeborg Schüßler (Hrsg.), Reflexionen zur Selbstbildung. Festschrift für Rolf Arnold (S. 102–118). Bielefeld: wbv.

Schüßler, Ingeborg (2003): Ermöglichungsdidaktik – eine didaktische Theorie? In: Rolf Arnold & Ingeborg Schüßler (Hrsg.), Ermöglichungsdidaktik. Erwachsenenpädagogische Grundlagen und Erfahrungen (S. 76–97). Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren.

Siebert, Horst (2001): Erwachsene – lernfähig, aber unbelehrbar? In: Arbeitsgemeinschaft Betriebliche Weiterbildungsforschung e.V. (Hrsg.), Kompetenzentwicklung 2001. Tätigsein – Lernen – Innovation (S. 281–333). Münster: Waxmann.

Siebert, Horst (2003): Konstruktivistische Aspekte einer Ermöglichungsdidaktik. In: Rolf Arnold, Ingeborg Schüßler (Hrsg.), Ermöglichungsdidaktik. Erwachsenenpädagogische Grundlagen und Erfahrungen (S. 37–47). Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren.

Siebert, Horst (2006): Didaktisches Handeln in der Erwachsenenbildung. Didaktik aus konstruktivistischer Sicht. Augsburg: ZIEL.

Siebert, Horst (2010): Methoden für die Bildungsarbeit. Leitfaden für aktivierendes Lehren. 4., aktualisierte u. überarbeitete Auflage. Bielefeld: wbv.

Wrana, Daniel (2006): Das Subjekt schreiben. Reflexive Praktiken und Subjektivierung in der Weiterbildung – eine Diskursanalyse. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren.

Walter, Dennis (2019): Das Lernen Erwachsener in der erwachsenen-pädagogischen Diskussion – Reflexionen zwischen Theorie und Praxis. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Herbst 2019, Heft 268/70. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

Kommentare

Neuen Kommentar schreiben