Der Lehrgang „Basiswissen Frauenrechte“ wurde zum ersten Mal im Wintersemester 2016/2017 angeboten. Die neun Module wurden von WIDE Österreich in Kooperation mit der VHS Ottakring gestaltet. In meiner Funktion als Koordinatorin von WIDE gebe ich nachfolgend Einblick in die Entstehungsgeschichte und die Themen des Lehrgangs „Basiswissen Frauenrechte“.
Wer ist WIDE?
WIDE ist ein österreichisches Netzwerk, das sich seit 1992 für Frauenrechte und feministische Perspektiven in der Entwicklungszusammenarbeit einsetzt. Im WIDE-Netzwerk sind in erster Linie Frauen aus entwicklungspolitischen Organisationen und FeministInnen vertreten. In Solidarität mit Frauen, die weltweit von Armut betroffen sind, engagieren sie sich für Frauenrechte – sei es durch soziale Projekte in Entwicklungsländern oder Bildungsaktivitäten in Österreich. WIDE nimmt zu entwicklungspolitischen Themen aus feministischer Perspektive Stellung und mobilisiert u.a. durch Aktionen im öffentlichen Raum, um vor allem Frauenanliegen in Ländern des „Südens“ sichtbar zu machen.
Ein Teil der Entstehungsgeschichte des Lehrgangs „Basiswissen Frauenrechte“
Das Ende des „Rosa-Mayreder-College“ im Jahr 2013 hat aus Sicht von WIDE eine große Lücke in der feministischen Erwachsenenbildung in Österreich hinterlassen. Dieses College der Wiener Volkshochschulen hatte viele Jahre lang einen feministischen „Lehrgang universitären Charakters“ angeboten. Es ermöglichte, mit wenig formalen Kriterien, Frauen aus unterschiedlichen Lebens- und Arbeitsbereichen den Zugang zu einem berufsbegleitenden, feministischen Grundstudium und einem Masterlehrgang. Eine der Absolventinnen des Masterlehrgangs des Rosa-Mayreder-Colleges war Ursula Dullnig, von 2009 bis 2016 Koordinatorin von WIDE. Ursula Dullnig und Petra Götzenbrugger, aktuell Programm-Managerin bei der VHS Ottakring, knüpften im Rosa-Mayreder-College Kontakt. Aus dieser Konstellation ergab sich die Möglichkeit und Idee, gemeinsam als WIDE und VHS Ottakring, einen feministischen Lehrgang mit internationalem Fokus zu entwickeln. Während Petra Götzenbrugger sich um das organisatorische Zustandekommen des angedachten Lehrgangs bei der VHS bemühte, begann Ursula Dullnig im Rahmen eines von der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit finanzierten WIDE-Projekts („Geschlechtergerechte Perspektiven nachhaltiger Entwicklung“ 2015–2017) die Inhalte eines solchen Lehrgangs mit einer WIDE-Arbeitsgruppe zusammenzustellen.
Welchen gesellschaftspolitischen Beitrag will der Lehrgang leisten?
Der Lehrgang stellt einen Beitrag zur Erwachsenenbildung in Österreich dar und ist ein emanzipatorisches Angebot im Bereich Geschlechtergleichstellung, das sich an Frauen und Männer gleichermaßen richtet. Der erste Durchgang des Lehrgangs wurde dennoch ausschließlich von Frauen besucht – 18 Teilnehmerinnen zählte der Lehrgang im Wintersemester 2016/2017. Obwohl der vordergründige Auftrag von WIDE die Ermöglichung von Vernetzungs- und Selbstermächtigungsangeboten für Frauen ist, sollen auch Männer für WIDE-Veranstaltungen gewonnen werden – der Reflexionsprozess zu Geschlechterfragen muss nämlich von Frauen und Männern gleichermaßen geführt werden, um das Ziel der Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen. Von der Emanzipation aus Geschlechterstereotypen profitieren nicht nur Frauen und Männer, die unter den Erwartungen an ihr Geschlecht leiden, sondern auch viele andere Menschen, die Diskriminierungen ausgesetzt sind. „Die Emanzipationsbewegung hat nämlich die ganze Schräglage von Machtverhältnissen verrückbar gemacht. Gleichstellungsbeauftragte sind für alle da, die sich diskriminiert fühlen. Quoten sind eine Zwischenlösung für ein gesellschaftliches Verständnis von Gleichberechtigung.“1
Der Lehrgang „Basiswissen Frauenrechte“ leistet auch einen Beitrag zur entwicklungspolitischen Bildungsarbeit und macht Problematiken im entwicklungspolitischen Kontext, aber auch Erfolge internationaler Solidarität und Entwicklungszusammenarbeit sichtbar. Durch die Unterstützung von Entwicklungsprojekten und Frauenorganisationen, die Frauenrechte weltweit stärken, drückt unsere Gesellschaft ihre Solidarität mit Frauen und Mädchen in Entwicklungsländern aus. Diese Projekte bestärken soziale Bewegungen, die gesellschaftlichen Wandel in Entwicklungsländern vorantreiben, und leisten damit einen Beitrag zu mehr Geschlechtergerechtigkeit weltweit. Der Einsatz für die Gleichstellung der Geschlechter ist längst als wesentliches Element für die Erreichung von Wohlstand für alle erkannt. In den nachhaltigen Entwicklungszielen für die „Transformation der Welt“, die 2015 von 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen – darunter auch Österreich – unterzeichnet wurden, ist ein eigenes Ziel für „die Geschlechtergleichstellung und die Ermächtigung von Frauen und Mädchen“ formuliert. WIDE sieht es als wichtige Aufgabe, die nachhaltigen Entwicklungsziele in Österreich bekannt zu machen und die österreichischen PolitikerInnen in die Pflicht zu nehmen, diese Ziele umzusetzen.2
Frauenpolitisch verbunden – nationale und internationale Anliegen
Um FortbildungsteilnehmerInnen für spezifische Inhalte zu sensibilisieren, ist es methodisch hilfreich, von ihren Realitäten und Interessen auszugehen. Insofern wäre es naheliegend gewesen, die in Österreich frauenpolitisch besonders relevanten und aktuellen Themen im Lehrgang aufzugreifen. Die Themen der neun Einheiten des Lehrgangs sind jedoch aus der Expertise und dem internationalen Fokus von WIDE und dem Einbezug von WIDE-Mitgliedern in die Lehrgangsgestaltung erwachsen. WIDE hat über viele Jahre Wissen zu strategischen Frauenanliegen in Entwicklungsländern gesammelt und aufbereitet und auch die österreichische und europäische Wirtschafts-, Handels- und Entwicklungspolitik kritisch untersucht. Die WIDE-Gestalterinnen der Lehrgangsmodule fanden jedoch trotz der internationalen Perspektive von WIDE sehr einfach Anknüpfungspunkte zu österreichischen Themen – denn so unterschiedlich sind die Anliegen von Frauen des „Globalen Südens“ und Frauen des „Globalen Norden“ trotz der meist sehr unterschiedlicheren Rahmenbedingungen nicht.
Das Logo des Lehrgangs von WIDE (Bild links) symbolisiert in abgewandelter Form die „wide woman“ – eine für Aktionen im öffentlichen Raum von WIDE erfundene „Superheldin“, die mit pinkem Heldinnenumhang und rosa Putzhandschuhen bewaffnet auftritt und auf Frauenrechtsverletzungen aufmerksam macht (Bild rechts: „wide woman“ Johanna Marquardt, die ein Modul des Lehrgangs „Basiswissen Frauenrechte“ gestaltet hat).
Menschenrechte – der rote Faden durch die Module des Lehrgangs
Die wichtigsten Rechte von Frauen und Mädchen sind in verschiedenen internationalen Abkommen wie der „Konvention über die Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau“ (1997), dem „Aktionsprogramm der Konferenz zu Bevölkerung und Entwicklung der Vereinten Nationen“ (Kairo 1994), der „Peking Deklaration und Aktionsplattform für die Gleichstellung der Geschlechter, Entwicklung und Frieden“ (1995) festgehalten. Diese internationalen Instrumente ermöglichen ein Pochen auf die Verwirklichung von Frauenrechten und eine Ist-Analyse der Situation von Frauen weltweit, da die beteiligten Staaten regelmäßig über die Umsetzung der Vereinbarungen berichten müssen. Die Abkommen sind weiters ein wesentlicher Referenzrahmen für Entwicklungsprojekte und für Forderungen internationaler Frauenbewegungen. Aus Sicht von WIDE bilden sie die Basis für den Lehrgang „Basiswissen Frauenrechte“. Sie sind der Ausgangspunkt der Themenschwerpunkte der neun Lehrgangsmodule (Einheiten) und der rote Faden, der sich durch den gesamten Kurs zieht.
Somit gab das erste Modul des Lehrgangs mit dem Titel „Erkämpft – umkämpft – universell. Einführung in die Geschichte der internationalen Frauenrechte“ einen Überblick über die zentralen Menschenrechtsdokumente, in denen die wichtigsten Frauen- und Mädchenrechte ausformuliert sind. Eva Kalny, Lehrende am Institut für Soziologie an der Leibniz Universität Hannover, Lektorin am Institut für Sozial- und Kulturanthropologie an der Universität Wien und Menschenrechtsexpertin hat diese Aufgabe im ersten Durchgang des Lehrgangs souverän ausgeführt.
Modul zwei bildete einen Brückenschlag von der internationalen Ebene zur österreichischen und umgekehrt: Wie werden internationale Frauenrechte national umgesetzt? Wer waren österreichische Pionierinnen in Sachen Rechte für Frauen und Mädchen? Die Teilnehmerinnen spazierten mit Petra Unger, akademische Referentin für feministische Bildung und Politik, durch die Innenstadt auf den Spuren der „Pionierinnen der Frauenrechte in Österreich“.
In Modul drei des Lehrgangs „Antidiskriminierung und Vielfalt“ beschäftigten sich Birgit Mbwisi-Henökl, u. a. selbständige Jugend- und Erwachsenenbildnerin, und Aleksandra Kolodziejczyk, entwicklungspolitische Referentin bei Brot für die Welt, mit unterschiedlichen Diskriminierungsformen und erarbeiteten Handlungsmöglichkeiten mit den Teilnehmerinnen.
Das Modul vier „Wirtschaft anders denken! Grundlagen feministischer Ökonomie“ ist Herzstück vieler Selbstermächtigungskurse für Frauen und behandelt die Fragen: Warum ist die Arbeitsbelastung von Frauen so hoch und ihre finanzielle Sicherheit so gering? Ist Hauswirtschaft, unbezahlte Sorge- und Pflegearbeit Teil der Wirtschaft – wer hat den Nutzen, wer die Last? Eva Klawatsch-Treitl, damals Lehrende an der Fachhochschule Soziale Arbeit am Campus Wien und langjährige Obfrau von WIDE und dem Verein JOAN ROBINSON, gab Antworten auf diese und andere strategische Fragen in Bezug auf Frauen und Wirtschaft. Sie hat viele Jahre die Arbeitsgruppe „Frauen und Wirtschaft“ bei WIDE und den Verein JOAN ROBINSON geleitet und wesentlich zu zwei Handbüchern für die „Wirtschafts-Alphabetisierung“ von Frauen beigetragen, die bei WIDE erhältlich sind.3
In Modul fünf „Handlungsmöglichkeiten von Frauen zwischen Herrschaft und Widerstand“ haben die Teilnehmerinnen „Frauenräume“ besucht. In Frauenräumen können alternative Lebens- und Arbeitsentwürfe erprobt werden. Sie können Räume öffnen für die Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Themen aus feministischen Perspektiven und den gegenseitigen Wissensaustausch und -erwerb. Im ersten Durchgang des Lehrgangs wurde das Frauenwohnprojekt Kalypso im ehemaligen Kabelwerk besucht, Karin Gruber hat die Frauen-Werkstatt Craftistas und Birge Krondorfer den Verein Frauenhetz für feministische Bildung, Kultur und Politik vorgestellt.
Der Themenkomplex der reproduktiven und sexuellen Rechte von Frauen und Mädchen wurde im Modul sechs „Sex sells – oder was sind sexuelle Rechte?“ aufgearbeitet. Das Thema ist besonders wichtig für die Selbstbestimmung von Frauen. Johanna Marquardt, ehemals Bildungsreferentin der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung, hat die Lehrgangsteilnehmerinnen in das Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch eingeladen. Das Museum zeigt, dass die „kritischen Punkte“ in Bezug auf die reproduktiven und sexuelle Rechte von Frauen und Mädchen, wie der Zugang zu Verhütungsmitteln und Schwangerschaftsabbruch, eine lange Geschichte haben und in vielen Ländern noch immer großteils tabuisiert sind.
In Modul sieben „Frauen ernähren die Welt: Frauenrechte in der Landwirtschaft“ wurde erklärt, warum für Frauen im „Globalen Süden“ der Kampf um Landrechte eines der wichtigsten Anliegen ist. Hannah Satlow, Bildungsreferentin bei der Organisation „Brot für die Welt“, Eva Lachkovics, Biochemikerin und Leiterin der Arbeitsgruppe „Gender und Biodiversität“ bei WIDE, und Edith Schnitzer, langjährige Afrika-Referentin der „Dreikönigsaktion“ (dem Hilfswerk der katholischen Jungschar) und aktuell Obfrau von WIDE, gaben Einblick in die Situation von Frauen in der Landwirtschaft in Österreich und in afrikanischen Ländern. Weiters informierten sie über die globalen Zusammenhänge betreffend Ernährung und Klimakrise.
In Modul acht „Recht auf Arbeit – Arbeitsrechte“ wurde den Teilnehmerinnen klar, dass es gar nicht so einfach ist, Arbeit und den Wert von Arbeit zu definieren. Kathrin Pelzer, langjährige Managerin der „Clean Clothes-Kampagne“ bei der Frauensolidarität, stellte Kampagnen um gerechte Löhne vor allem aus dem asiatischen Raum vor. Sie beleuchtete die Rolle von Gewerkschaften und bestärkte den gesellschaftspolitischen Kampfgeist so mancher Teilnehmerin.
In Modul neun „Gutes Leben für alle?“ reflektierten die Teilnehmerinnen gemeinsam mit Janine Wurzer, der Lehrgangsbegleiterin von WIDE, über den gesamten Lehrgang und gaben Feedback zu Highlights, was ihnen gefehlt hat und was sie gerne vertiefen würden. Mit großer Bestärkung und viel Anregungen versuchen nun WIDE und die VHS Ottakring, einen zweiten Durchgang im Wintersemester 2018/2019 zu ermöglichen.
„Lessons learnt“ und Weiterarbeit
Vom Feedback der Teilnehmerinnen konnten WIDE und die VHS Ottakring lernen, dass der Austausch zwischen den Teilnehmerinnen ebenso geschätzt wird wie der Einblick in die Realitäten von Frauen in anderen Ländern. Spezifische Themen des Lehrgangs wurden als besonders relevant empfunden, so das Thema Frauen und Wirtschaft, reproduktive und sexuelle Gesundheit und der Einblick in die Menschenrechtsinstrumente. Die Teilnehmerinnen wünschten sich noch mehr Informationen zu einigen Themen, wie zu Gesundheit, Gewalt gegen Frauen, Care-Ökonomie (Sorge- und Pflegearbeit) und Arbeit.
Deswegen haben WIDE und die VHS Ottakring vereinbart, eine dreiteilige „feministische“ Vertiefung im Herbst 2017 anzubieten – weiter unter dem Titel „Basiswissen Frauenrechte“. Die Themen der drei Einheiten sind Genderdiskurse und Migration, feministische Care-Ökonomie und Arbeitsrechte von Frauen. Damit geht WIDE auf die „Wunschthemen“ der Teilnehmerinnen des ersten Lehrgangdurchgangs ein und knüpften zusätzlich an aktuellen gesellschaftspolitischen Fragen an.
Im Herbst 2018 soll dann – sofern die Zusatzfinanzierung durch die Austrian Development Agency genehmigt wird – der Lehrgang „Basiswissen Frauenrechte“ in der „Langfassung“ noch einmal stattfinden. Vielleicht wird der Titel des Lehrgangs leicht angepasst, WIDE würde gern den internationalen Fokus des Lehrgangs betonen und dies in den Titel einfließen lassen. WIDE ist überzeugt, dass der Blick über den Tellerrand die Analysefähigkeit der Teilnehmerinnen in Bezug auf die strukturellen Diskriminierungen von Frauen und Mädchen stärkt, und will sie mobilisieren, die österreichische Regierung in Bezug auf ihre Verantwortung für die Umsetzung der 17 nachhaltigen Entwicklungsziele in die Pflicht zu nehmen. //
Foto: Nina Oberleitner/ÖKOBÜRO
Aleksandra Kolodziejczyk und Hannah Satlow beim Fotoshooting zur Pressekonferenz am 26. September 2017 zur Gründung der zivilgesellschaftlichen Plattform „SDG Watch Austria“ (SDG/Sustainable Development Goals/Nachhaltigen Entwicklungsziele). Mehr als 80 Organisationen haben sich zusammengeschlossen, um zu beobachten, ob diese und die künftige Regierung ihre Verantwortung für die Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsziele übernimmt.
Kommentare