Der Staat verspricht Schutz, die BürgerInnen versprechen Gehorsam. Diese Übereinkunft steht in der politischen Konzeption von Thomas Hobbes (1588–1679) am Beginn des modernen Staates. Versagt der Staat, ist es Bürgerrecht, sich selbst zu verteidigen. Werden soziale Gefahren nicht wahrgenommen, sind die Wachsamen legitimiert, sich mit Gewalt zu schützen. Wer eine nahende Bedrohung des Staates nicht erkennt, nicht verhindert und nicht bekämpft, gegen den ist Gewalt zulässig. Diese Argumentation erinnert an Geschehnisse in der jüngsten Geschichte der USA.
Norbert Bolz, Philosoph und Kommunikationstheoretiker, analysiert kollektive Ängste und ihre Folgen. Für ihn sind es die „Preppers“ („Be prepared“, „Allzeit bereit“, das Motto der Pfadfinder), die vor Gefährdungen, wie sie literarische (1984, George Orwell) oder filmische (Independence Day) Werke ankündigen, schützen wollen. Bolz bemerkt, dass heute nicht mehr, wie in der Denktradition der Antike, das Interesse am „guten Leben“ im Vordergrund steht. Nein, heute herrscht Angst vor dem größtmöglichen Übel. Prävention, dem Schlimmsten zuvorzukommen, ist notwendig für die Selbstbehauptung. Schutz vor Unvorhergesehenem – welch treffende Koinzidenz mit dem Auftreten eines mutierenden pandemischen Virus.
Bolz visiert allerdings einen anderen Angstmacher an: den Klimawandel. Sein Buch beginnt mit einer Kritik der „politischen Theologie der grünen Bewegung“. Sie setze der mit der Neuzeit begonnenen wissenschaftlichen Entzauberung der Welt die Forderung nach neuen Tabus entgegen und produziere apokalyptisches Umweltbewusstsein, Unsicherheit durch Klimakatastrophe, Angst vor dem technisch Machbaren. Die linke Utopie einer klassenlosen Gesellschaft sei einer grünen Dystopie gewichen. Bolz bezeichnet das Zeitalter der Massenmedien als „Zeitalter des Entrüstungspessimismus und der Angstrhetorik“. In einer Öko-Religion, im Ausrufen von Katastrophen, in der Furcht vor dem Weltuntergang erkennt er bei der „Greta-Generation“ den Wunsch nach einem sinnstiftenden Führer.
Der Autor warnt vor dem Geschäftsmodell Angst. Den Ruf nach Ethik und Moral betrachtet er skeptisch. Darin kommt die fehlende Bereitschaft, umzulernen, und der Wunsch, sich gründliches Nachdenken zu ersparen, zum Ausdruck. Denn einfacher sei es, sich auf ein Werturteil – „die argumentative Form einer Illusion“ – zu berufen. Lernen finde schon statt, allerdings durch Leiden und Schmerz. Diesbezügliche Lernorte seien Kriegsschauplätze ebenso wie solche Orte, die die Folgen von Naturgewalten zeigen. Hunger nach Katastrophen werde entfacht und genährt.
Bolz rechnet mit der Peter-Pan-Gesellschaft, mit dem Nicht-erwachsen-werden-Wollen, mit den Propheten der Apokalypse, mit Technikangst und religiösem Bedürfnis wortgewandt ab. Nicht zuletzt wendet er sich gegen Schuldkult und schlechtes Gewissen. Anstatt die Komplexität der Welt zu analysieren, tritt Selbstanklage in den Vordergrund. Die bewährte Selbstkritik hat sich in Selbsthass verwandelt. Der Humanismus der Ängstlichen, konstatiert Bolz, führt letztlich zu Denkverboten. In der abendländischen Geschichte der Umwertung von Werten, sieht der Autor drei Umbesetzungen: durch das Christentum, durch den Sozialismus und nun durch die Umweltbewegung. Bolz plädiert, es sei höchst angebracht – wie einst die Neuzeit gegen einen theologischen –, die Gegenwart nun gegen einen ökologischen Absolutismus zu verteidigen.
Das Buch ist eine Streitschrift gegen eine „Theologie der Grünen“ und birgt die Aufforderung, sich nicht vor Komplexität zu flüchten, sondern sich ihr zu stellen. Das gilt, meint Bolz, vor allem für PhilosophInnen und WissenschafterInnen – in diesem Sinne ist das Buch in erster Linie für deren Gebrauch und für deren Bibliotheken zu empfehlen. //
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