Philipp Blom: Was auf dem Spiel steht.

Philipp Blom: Was auf dem Spiel steht.
München: dtv 2019, 238 Seiten.

Am Anfang war das Wort … im Falle Philipp Bloms die Rede, genauer gesagt, seine Salzburger Festspielrede von 2018. Sie ist der aktuellen Auflage am Ende hinzugefügt. Pointiert versammelt die Ansprache Argumente und Überzeugungen, Ansichten und Hoffnungen des Autors, die er in seinem Buch ausführlich, kenntnisreich, sachkundig und umsichtig vorstellt.

„Wir sind alle Kinder der Aufklärung“, so der Titel der Rede, betont in letzter Zeit immer öfter das „Wir“ und schließt Mitglieder anderer Kulturen aus! „Wir“, die Nachfahren von Pionieren, die etwas riskiert haben, sind eine Generation von Erben, die behalten wollen, was wir haben und bleiben wollen, was wir sind. Unser Rückzug vom globalen Arbeitsmarkt – und auch von humanitären Hilfeleistungen ist wohl aufgrund aktueller Vorgänge im Mittelmeer zu ergänzen – trägt bei, die „Festung Europa“ zu errichten. Aufklärung, schreibt Blom, fungiere „als Regenschirm gegen das Unbekannte“.

Intensiv in der Gegenwart lebend und damit die Zukunft, das Risiko der Offenheit und der Veränderung zurückweisend, verweigern wir das Erwachsenwerden, indem wir verweigern, uns den eigenen Ängsten zu stellen. Blom registriert einen „sozialen Klimawandel“, in dem Ängste geschürt werden. Als politisches Kalkül registriert er (S. 229): „Wer die Ängste kontrolliert, kontrolliert auch die Menschen.“

Philipp Blom, gelernter Historiker und eloquenter Moderator, teilt sein Buch in zwei Abschnitte. Der erste, „Aussicht ohne Einsicht“, konfrontiert mit den tiefgreifenden Veränderungen der Gegenwart: Konsum, Klimawandel, Digitalisierung. „Das kann niemals passieren“, ist für Blom ein Satz, der dem Nachdenken über Zukunft widerspricht. Blom erläutert aus historischer Sicht die Akzeptanz des Individuums und der Menschenrechte, den Kampf gegen die Ausbeutung landloser Armer in Europa, die Befreiung von Sklaven und Kolonialvölkern in der Nachfolge der Französischen Revolution und sozialistischer Bewegungen. Der Einsatz von Maschinen sollte Arbeit verbilligen, erforderte aber als Antriebskraft Kohle und später Erdöl.

Blom bringt die sozialen Veränderungen der letzten Jahrhunderte auch mit dem Klimawandel in Zusammenhang. Er sieht Konsequenzen der damaligen „Kleinen Eiszeit“ (sie endete etwa um 1680) in der politischen und kulturellen Evolution und diskutiert entsprechende klimaabhängige Szenarien für die Gegenwart. Analog erörtert er Konsequenzen bezüglich der vor sich gehenden digitalen Revolution. Sein Menschenbild: Wir sind Primaten, die sich Geschichten über sich selbst erzählen. Wir sind Herdentiere, Bündel von Emotionen, die gelernt haben, sich als Verbraucher zu begreifen. Blom beendet diesen Abschnitt des Buches mit Fragen: Was passiert in Gesellschaften, in denen Menschen jahrzehntelang mit ihren Bedürfnissen nach Konsum ins Zentrum gerückt, wo Veränderungen aus dem Bewusstsein gestrichen und die Notwendigkeit von Transformation vorenthalten wurden?

Im zweiten Teil, „Die gespaltene Zukunft“, rechnet Blom mit der Gegenwart ab. Er zeichnet ein düsteres Bild der Wohlstandsgesellschaft, beschreibt die Ernüchterung, die der liberale Markt produziert hat und die Flucht „in die Festung, die autoritäre Antwort auf die eisige Freiheit des Marktes“ (S. 107). Blom stellt Attraktivität und Schwächen der beiden Modelle Markt und Festung gegenüber. Er vergleicht somit die beiden „ideologischen Familien“, die in der Gegenwart auf Konfrontationskurs sind. Er bemüht sich um ein Szenario, wie Gesellschaften eine positive Transformation gelingen könnte. Als Historiker meint er (S. 218): „Unmögliches ist im Laufe der Geschichte immer wieder Wirklichkeit geworden.“ Doch natürlich besteht, da niemand alles wissen und nicht alle komplexen Zusammenhänge durchschauen kann, Unsicherheit. In dieser Unsicherheit, damit beendet Blom seine Reflexionen (S. 219), „liegt eine mögliche Zukunft, eine Verpflichtung sogar.“

Klar, verständlich und sachlich geschrieben, schildert das Buch Wege und Irrwege zu unserer gesellschaftlichen Gegenwart. Es vermittelt eine aufklärerische Haltung, die Wissen und Wollen umfasst sowie die Hoffnung, die Welt lebensfreundlich gestalten zu können. Ein „Bildungsbuch“ – ein bildendes Buch, in dem der Autor seine Positionen vertritt, Leserin und Leser aber erkennen können, dass sie ihr Handeln selbst bedenken und entscheiden sollen. //

Lenz, Werner (2019): Philipp Blom: Was auf dem Spiel steht. München: dtv 2019, 238 Seiten. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Herbst 2019, Heft 268/70. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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