Aktueller Stand der Erwachsenenbildungsforschung in Österreich
Ergebnisse der Replikationsstudie 2015

Einleitung

Im Auftrag des Vorstandes der Sektion Berufs- und Erwachsenenbildung der ÖFEB wurde unter Leitung von Frau Prof. Carola Iller im Jänner 2015 eine Replikationsstudie zur Bestandsaufnahme der Erwachsenenbildungsforschung in Österreich durchgeführt. Ziel war es, die Informationen zur Erwachsenenbildungsforschung zu aktualisieren, die vor zehn Jahren, im Jänner 2005, von öibf, DUK und öieb erhoben wurden (Diesenreiter: 2005). Seitdem hat sich in der Erwachsenenbildungsforschung in Österreich einiges verändert – dies sollte mit der Replikation der Befragung sichtbar gemacht werden. Die Fragebogenerhebung fand im Zeitraum Jänner 2015 statt und richtete sich an alle Organisationen (universitär/außeruniversitär) und Einzelpersonen, die im Bereich der Erwachsenenbildungsforschung in Österreich tätig sind. Während bei der ersten Umfrage 2005 die Zielgruppe von 38 Personen namentlich angeschrieben wurde, erfolgte die Versendung des Fragebogens diesmal über den E-Mail-Verteiler des Forschungsnetzwerks Erwachsenenbildung. Vor zehn Jahren nahmen 12 Personen an der Studie teil, an der Replikationsstudie beteiligten sich 13 Personen und Institutionen. Die Befragungsteilnehmer und -teilnehmerinnen setzten sich aus wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und Personen mit Leitungsfunktion zusammen. Die Ergebnisse wurden im Rahmen des 5. Werkstattgesprächs in Wien präsentiert.

Die nachfolgende Darstellung der Ergebnisse ist nach den Themenfeldern institutionelle Rahmenbedingungen, Forschungsschwerpunkte und -perspektiven, sowie Einschätzungen zu den charakteristischen Merkmalen der Erwachsenenbildungsforschung aufgebaut. Vor dem Hintergrund der relativ kleinen Gruppe von 13 Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurden die Ergebnisse entsprechend vorsichtig interpretiert, trotzdem kann auf einige interessante Tendenzen insbesondere im Vergleich mit 2005 hingewiesen werden. Die Ergebnisse des Fragebogens werden daher durch ausgewählte Informationen der ersten Umfrage ergänzt und in Bezug zu den Diskussionen während des Werkstattgesprächs gesetzt.

Darstellung der Ergebnisse

Der erste Themenkomplex umfasste Informationen zu den institutionellen Rahmenbedingungen der Erwachsenenbildungsforschung in Österreich (vgl. Abb. 1). Dabei wurde in der Vorgänger- und der Replikationsstudie deutlich, dass die Erwachsenenbildung in den meisten Einrichtungen einen eher kleinen Teilbereich mit bis zu 25 Prozent einnimmt. Ein Anstieg zeigte sich jedoch bei Personen, die in Einrichtungen arbeiten, in denen die Erwachsenenbildung mit 75–100 Prozent eine selbständige Forschungseinheit darstellt. Die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer schätzen die Entwicklung dieses Größenanteils über die letzten Jahre als gleichbleibend ein, vier Personen beschreiben eine Zunahme des Anteils der Erwachsenenbildung an den Leistungen der Organisationseinheit. Über eine Reduzierung der institutionalisierten Erwachsenenbildungsforschung wurde in beiden Fragebögen nur von einer Person berichtet. Während allerdings vor zehn Jahren in einem Fall noch die Gründung eines neuen Arbeitsgebietes der Erwachsenenbildung beschrieben wurde, wird in der aktuellen Studie keine Neugründung einer Forschungseinheit genannt.

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Quelle: eigene Darstellung.

Die Soziologie zeigte sich in der Studie als die bedeutendste Bezugsdisziplin der Erwachsenenbildung, gefolgt von Pädagogik und Ökonomie (vgl. Abb. 2). Vor zehn Jahren wurde dagegen noch die Pädagogik häufiger genannt als die Soziologie – beide mit deutlichem Abstand zur Ökonomie (vgl. Abb. 3). Aufgrund der Differenzierung in aktuell relevante und zukünftig wichtiger werdende Bezugsdisziplinen ist hier der Vergleich zu 2005 von besonderem Interesse. Bereits vor zehn Jahren wurde die wachsende Bedeutung der Ökonomie entsprechend hoch eingeschätzt, die zukünftige Bedeutung der Soziologie und der Pädagogik wurde jedoch eher im Mittelfeld, nach der Psychologie eingeordnet und damit im Vergleich zum aktuellen Stand in der zukünftigen Bedeutung unterschätzt. Auch in der aktuellen Studie wird die Ökonomie als zukünftig bedeutendste Bezugsdisziplin eingeschätzt, die Pädagogik folgt an zweiter Stelle.

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Quelle: eigene Darstellung 

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Quelle: eigene Darstellung nach Diesenreiter, 2005.

Das Bild der österreichischen Erwachsenenbildungsforschung sollte zudem durch neue Informationen zu relevanten Personen, Publikationen und Referenzdokumenten aktualisiert werden. Wie bereits vor zehn Jahren wurden Elke Gruber und Peter Schlögl mit elf und sechs Nennungen der höchste Bekanntheitsgrad zugesprochen, gefolgt von Daniela Holzer, Lorenz Lassnigg, Annette Sprung und Carola Iller mit jeweils vier Nennungen. Als bekanntestes Referenzdokument erwies sich das Magazin Erwachsenenbildung.at, gefolgt von Publikationen zum PIAAC und der LLL:2020, an dritter Stelle dann weitere Dokumente auf EU-Ebene wie AES und CEDEFOP. Vor zehn Jahren standen dagegen noch allgemein OECD-Dokumente an erster Stelle – das Magazin erwachsenenbildung.at wurde erst später gegründet.

Bei den aktuellen Forschungsschwerpunkten zeigte sich eine Fokussierung auf die Themenbereiche Professionalisierung und nonformales bzw. informelles Lernen, gefolgt von Schwerpunkten zu Beratung und Lebenslangem Lernen (vgl. Abb. 4). Die Themen Internationalisierung, berufliche Bildung, Biografie-Forschung, Hochschulbildung, Kompetenzen, Bildung und Alter wurden zweifach genannt. Kritische Erwachsenbildung, Weiterbildungswiderstand, Theorieentwicklung, Migration, Familienbildung, zweiter Bildungsweg und Basisbildung blieben Einzelnennungen. Bereits vor zehn Jahren waren dabei die Themenfelder Professionalisierung und Lernen bedeutsam, wobei der Bereich Lernen in der aktuellen Auswertung weiter ausdifferenziert wurde und der Schwerpunkt jetzt eindeutig auf nonformalem/informellem Lernen gelegt wird. Forschungstätigkeiten im Bereich Ökonomie und Grundbildung wurden weniger häufig genannt, während Themen zu Beratung und lebenslanges Lernen als eigene Forschungsschwerpunkte neu hervorgetreten sind. Die hier beschriebenen Tendenzen sind dabei immer auch vor dem Hintergrund sich überschneidender Forschungsbereiche zu sehen, so dass die Zuordnung nach Schwerpunkten erfolgt ist.

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Quelle: eigene Darstellung.

Neben den individuellen Forschungsschwerpunkten wurden zudem Einschätzungen zu relevanten Themen im Bereich der Erwachsenenbildungs-Praxis und -Politik sowie der Erwachsenenbildungsforschung in Österreich und aus internationaler Perspektive erhoben. Die Übersicht zeigt, dass auch hier der Bereich des nonformalen und informellen Lernens in allen vier Kategorien aufscheint und insbesondere in der Erwachsenenbildungs-Politik und -Forschung den höchsten Stellenwert einnimmt. Ebenfalls in allen vier Segmenten wird die Zielgruppen- bzw. Adressatenforschung sowie Themen zu den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von Erwachsenenbildung genannt. Der Bereich der Professionalisierung, welcher auch bei den individuellen Forschungsschwerpunkten am häufigsten genannt wurde, erscheint neben dem Forschungsbereich vor allem als relevanter Themenbereich für die Erwachsenenbildungspraxis. Interessanterweise wird das Themenfeld der Finanzierung mit hohem Stellenwert in der Erwachsenenbildungs-Politik und -Praxis genannt, erscheint jedoch weder als relevantes Thema in der österreichischen noch in der internationalen Erwachsenenbildungsforschung.

Der größte Diskussionsbedarf zeigte sich während des Werkstattgesprächs bei den Ergebnissen zur Charakterisierung der Erwachsenenbildung (vgl. Abb. 5). Gegenstand der Diskussion war hier vor allem die übereinstimmende Einschätzung aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die Erwachsenenbildungsforschung als fragmentiert zu beschreiben. Diskutiert wurde dieses Ergebnis vor allem in Bezug auf das Forschungsnetzwerk Erwachsenenbildung, dem alle Teilnehmenden angehören. Die damit in Verbindung stehenden Merkmale „vernetzt“ und „interdisziplinär“ wurden dagegen eher im Mittelfeld eingeordnet. Im Bereich der positiven Attribute wird die Erwachsenenbildungsforschung als kompetent, methodenplural, politik- und praxisnah verstanden. Im Vergleich zum Jahr 2005 zeigten sich ähnliche Ergebnisse – auch damals wurde die Erwachsenenbildungsforschung bereits als fragmentiert charakterisiert. Am geringsten wurde die Erwachsenenbildung in beiden Studien als „kreativ“, „international“, „innovativ“ und „umsetzungsstark“ eingeschätzt.

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Quelle: eigene Darstellung.

Die Ergebnisse zur Charakterisierung der Erwachsenenbildungsforschung können durch weitere Informationen zu den Schwächen ergänzt werden. Auch hier wurde die Fragmentierung wieder an erster Stelle thematisiert, während dies allerdings im Jahr 2005 mit der fehlenden Diskussion von Forschungsergebnissen konkretisiert wurde, wurden jetzt die fehlende Vernetzung und Segmentierung in zahlreiche kleine Projekte beschrieben, parallel zu einer unübersichtlichen institutionellen Differenzierung der Erwachsenenbildungspraxis. Auch der Bereich der fehlenden Ressourcen, insbesondere im universitären Bereich und hier vor allem der Nachwuchsförderung wurde in beiden Studien genannt. Eine weitere Schwäche zeigt sich in der fehlenden Internationalität, die nur in der Zusammenarbeit mit Deutschland positiv erwähnt wird.

Einen vertiefenden Einblick in die Situation der Nachwuchsförderung sollte die Erhebung abgeschlossener und laufender Promotionen bzw. Habilitationen geben. In der Auswertung wie auch in der Diskussion zeigten sich hier jedoch Schwierigkeiten, aussagekräftig Zahlen zu erhalten. Einerseits konnten zahlreiche Teilnehmende nur auf ein begrenzt verfügbares Wissen über die Nachwuchsförderung zurückgreifen und zudem wurden weitere Recherchen durch Datenschutzbestimmungen eingeschränkt. Da der Fragebogen teilweise von mehreren Mitgliedern einer Organisation ausgefüllt wurde, ergaben sich zudem mögliche Überschneidungen bei der Auswertung. Maximal 25 Promotionen wurden nach diesen Ergebnissen seit 2008 an einer Einrichtung abgeschlossenen. Bei den Habilitationen im Bereich Erwachsenenbildung wurden maximal zwei abgeschlossen. Bei den laufenden Promotionen zeigten sich Einrichtungen mit sieben bis zwölf Promovierenden und an einer Institution 23 laufende Promotionen. Zwei bis maximal drei Habilitationen sind im Bereich Erwachsenenbildung in Österreich im Laufen.

Fazit

Zusammenfassend weisen die Ergebnisse der Replikationsstudie zum aktuellen Stand der Erwachsenenbildungsforschung in Österreich im Bereich der institutionellen Rahmenbedingungen darauf hin, dass die Erwachsenenbildung in den meisten Forschungseinrichtungen einen eher kleinen Teilbereich einnimmt. Die Entwicklungen der letzten Jahre zeigen bei Veränderungen des Anteils der Erwachsenenbildung an der Organisationseinheit tendenziell eher eine Zunahme. Im Hinblick auf die relevanten Bezugsdisziplinen hat die Soziologie als einflussreichste Disziplin die Pädagogik abgelöst. Eine Entwicklung, die vor zehn Jahren von den Teilnehmenden nicht so vorhergesehen wurde und angesichts der thematischen Schwerpunkte auch überrascht. Zukünftig wird der Bedeutungszuwachs der Ökonomie am höchsten eingeschätzt. Die Interdisziplinarität der Erwachsenenbildungsforschung in Österreich kann durchaus als Stärke gesehen werden. Allerdings braucht es dafür einen intensiven Austausch, eine Kommunikationsgemeinschaft, in der sich die Forschenden über grundlegende gegenstandsbezogene, methodische oder auch wissenschaftspolitische Fragen verständigen können. Das Forschungsnetzwerk bietet hierfür einen ersten Ansatz, jedoch fehlt es darüber hinaus an institutioneller Absicherung mit personellen Ressourcen, die für einen kontinuierlichen Austausch erforderlich wäre.

Die Forschung ist stark von bildungspolitischen Themen bestimmt. Häufigste Forschungsschwerpunkte zeigen sich wie bereits vor zehn Jahren im Bereich Professionalisierung und Lernen, allerdings mit deutlichem Fokus auf die Themen nonformales und informelles Lernen. Diese Bereiche zeigten sich neben der Forschung auch für die Bereiche der Erwachsenenbildungspraxis und -politik als relevante Schwerpunkte. Zentrales Referenzdokument ist die österreichische Zeitschrift erwachsenenbildung.at, gefolgt von PIAAC und LLL:2020. Die österreichische Erwachsenenbildungsforschung wird im positiven Bereich als kompetent und methodenplural, bei den negativen Merkmalen übereinstimmend als fragmentiert beschrieben. Darin unterscheidet sie sich allerdings kaum von der internationalen Erwachsenenbildungsforschung (Rubenson & Elfert: 2015). Als besondere Schwächen werden zudem die fehlenden Ressourcen an den Universitäten und die geringe Nachwuchsförderung genannt, was sich auch in den Zahlen der Promovierenden und Habilitierenden ausdrückt. In Anbetracht der oben beschriebenen institutionellen und disziplinären Verortung der Erwachsenenbildungsforschung ist dies nicht verwunderlich: Die Forschung findet außerhalb der Universitäten statt, weil in den Universitäten eine auf Dauer ausgerichtete Forschungsinfrastruktur fehlt. Unter diesen Bedingungen ist zwar kurzfristige, projektförmige Forschung, aber eben keine Nachwuchsförderung möglich. Für die Interpretation der Ergebnisse ist die eingeschränkte Anzahl an Teilnehmerinnen und Teilnehmern sowie die unterschiedliche Zusammensetzung der Teilnehmenden in den Erhebungen 2005 und 2015 zu berücksichtigen. //

Literatur

Diesenreiter, Carina (2005): Forschung zur Erwachsenenbildung. Entwicklung, Bedarfe, Theorien, Strategien. Wien/Krems. Verfügbar unter: http://www.oieb.at/upload/3164_13_Erwachsenenbildungsforschung.pdf [5.6.2015].

Kjell Rubenson & Maren Elfert (2015): Adult education research: exploring an increasingly fragmented map. In: European Journal for Research on the Education and Learning of Adults (RELA). Pre-published, 1–14. Verfügbar unter: www.rela.ep.liu.se [5.6.2015]

Schmidtke, Birgit/Iller, Carola  (2015): Aktueller Stand der Erwachsenenbildungsforschung in Österreich. Ergebnisse der Replikationsstudie 2015. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Juli 2015, Heft 256/66. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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