Urbane Herausforderung
Doch was sich in der Dorfgemeinschaft leichter verwirklichen lässt, wird in der Komplexität einer Großstadt rasch zur logistischen, rechtlichen und kommunikativen Herausforderung. Was am Land oft schon durch einen einzigen Anruf beim Gemeindeamt beantwortet werden kann, weil man sich und die Gegebenheiten ohnehin kennt, ist in der Großstadt meist schon in der Abklärung ein zeitaufwändiges Projekt: Wen muss ich fragen, wenn ich die Bäume in meiner Straße ehrenamtlich pflegen will? Wie finde ich Gleichgesinnte, wenn ich Volksschulkindern den richtigen Umgang mit Hunden beibringen möchte? Wofür hafte ich dann womöglich? Brauche ich eine Genehmigung für einen Tai-Chi-Kurs im Park? Von wem? Darf ich meine Spazierwege durch Wien filmen und auf Facebook stellen? Und nachdem mit allen Taten auch eine professionelle Kommunikation einhergehen sollte – wie genau schreibe ich einen Blog? Muss ich eine Pressekonferenz irgendwo anmelden?
Das Glück der guten Tat
Je mehr Unterstützung es für Menschen gibt, die sich für das gute Zusammenleben einsetzen, desto mehr zivilgesellschaftliches Engagement kann wachsen und desto mehr neue Initiativen können erfolgreich verwirklicht werden. Und je eher nehmen sich Menschen selbst als wirksam wahr – ungeachtet dessen, ob sie reich oder beruflich erfolgreich sind. Und Selbstwirksamkeit – darüber sind sich alle PsychologInnen einig – ist einer der Schlüssel zu einem erfüllten Leben. Wer die eigenen Pläne verwirklichen kann, muss sich nicht über die Barrieren grämen, die im Weg stehen. Man überwindet sie einfach.
Und am besten überwindet man Hindernisse gemeinsam. Viele Köpfe bringen viele Perspektiven ein – je unterschiedlicher und vielfältiger eine Gruppe ist, desto mehr und bessere Lösungsmöglichkeiten können gefunden werden. Und je mehr Pläne verwirklicht werden, die der Allgemeinheit zu Gute kommen, desto mehr Menschen können sehen, dass es durchaus möglich ist, etwas zum Positiven zu verändern. Schulterzucken ist out – Anpacken ist in!
Miteinander reden
Foto: VHS Wien
Selfempowerment
Mit der Akademie der Zivilgesellschaft haben die Wiener Volkshochschulen mit Unterstützung der Stadt Wien im Jahr 2016 eine Einrichtung etabliert, die genau an diesem Punkt ansetzt. Wer sich freiwillig engagieren möchte, sollte das so einfach und mit so viel Unterstützung wie möglich tun können. In den Lehrgängen der Akademie erarbeiten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer alle Fähigkeiten, die sie für den Projektstart oder die Weiterentwicklung eines bereits bestehenden Projekts benötigen. Im Mittelpunkt steht dabei stets das Selfempowerment der TeilnehmerInnen. Dass dies gelingt, zeigt auch eine Evaluation aus dem Jahr 2016, die zu dem Schluss kommt, dass „die TeilnehmerInnen Gelegenheit fanden, als Personen neue Kompetenzen zu erwerben bzw. weiterzuentwickeln.“ Für den nachhaltigen Erfolg der entstandenen Initiativen sorgt eine kontinuierliche Betreuung auch nach dem Ende eines Lehrgangs. Mit dem Netzwerk Zivilgesellschaft bietet die Akademie den AbsolventInnen eine etablierte Plattform, auf der sie sich mit anderen AkteurInnen der Zivilgesellschaft austauschen können. Die Evaluation kommt zu dem Schluss, dass „die Akademie ein Netz zu freiwilliger Arbeit geknüpft hat und dabei gleichsam als Bühne und Begegnungszone funktioniert. Sie lässt bestehende Organisationen auftreten, die sonst kaum derart konkurrenzfrei aufeinandertreffen würden.“
ich wie du
Foto: ich wie du
Die Schaffenskraft von Gründungspersönlichkeiten
Mit ihrem Lehrgangsangebot richtet sich die Akademie in der historischen Tradition der Wiener Volkshochschulen an ein breites Bevölkerungsspektrum. Gemeinsam ist ihnen der Wunsch, etwas Neues, Positives auf die Beine zu stellen. Ob pensionierter Manager, Angestellte oder Studierende – sie alle können die Lehrgänge besuchen, unabhängig von ihrem materiellen Status, ihrer Vorbildung oder ihrer Herkunft. So vielfältig die TeilnehmerInnen, so vielfältig auch die entstandenen Projekte. So hat Walter Brenner im Frühjahrslehrgang 2016 das Projekt „Geben für Leben“1 weiterentwickelt, durch das die Zahl der in Österreich registrierten StammzellenspenderInnen erhöht werden sollte. Über 50.000 zusätzliche SpenderInnen konnten mittlerweile in die weltweit verfügbare Datenbank aufgenommen werden. 58 Menschen, darunter vielen Kindern, konnte dadurch das Leben gerettet werden. „Der Akademielehrgang hat mir klargemacht, dass Projektmanagement seine Berechtigung hat, um eine Idee erfolgreich in die Realität umzusetzen. Alleine hätte ich es nicht geschafft“, zieht Walter Brenner eine positive Bilanz.
Geben für Leben
Foto: Geben für Leben
Wissenstransfer und Best-Practice-Beispiele
Die Autorin Petra Piuk hat im Herbstlehrgang 2017 das Projekt „Schreiben am Markt“2 konzipiert. In Schreibworkshops am Viktor-Adler-Markt in Wien-Favoriten wird Menschen, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft, der Erstsprache oder ihren Einkommensverhältnissen ein einfacher Zugang zum kreativen Schreiben ermöglicht. „Ich bin ein Mensch mit vielen Ideen. Im Akademie-Lehrgang habe ich gelernt, mich auf eine Idee zu fokussieren und die dann auch umzusetzen“, erklärt Piuk, die bereits eine Fortsetzung bzw. Ausweitung ihres Projekts andenkt.
Für alle Projekte gilt: Hat sich eine Initiative bewährt, wird das Know-how weitergegeben und anderen zur Verfügung gestellt. Der Transfer von Wissen sowie die Kooperation mit bereits etablierten AkteurInnen der Zivilgesellschaft zählen zu den zentralen Erfolgsfaktoren.
Nur wer seine Erfahrungen mit anderen teilt, profitiert auch vom Know-how anderer und trägt gleichzeitig dazu bei, dass das Rad nicht immer wieder neu erfunden werden muss. Gleiches gilt im Übrigen auch für die Akademie der Zivilgesellschaft selbst: Sie kann mit ihrem Konzept als Best-Practice-Beispiel für andere Großstädte dienen.
Österreichweite Wirksamkeit
Zwei in der Akademie entstandene Projekte entfalten ihre Wirksamkeit bereits für ganz Österreich. „Die Akademie hat beim Aufbau unseres Projekts eine sehr wertvolle Starthilfe geleistet und uns durch ihr Netzwerk die Möglichkeit gegeben, andere ehrenamtliche Initiativen kennenzulernen“, sagt Absolventin Michaela McClain. Mit der von ihr mitentwickelten Online-Plattform www.zeig-initiative.at3 werden Freiwillige und Projekte, die ehrenamtliche MitarbeiterInnen suchen, miteinander vernetzt. Roland Loidl wiederum bietet mit seinem im Frühjahrslehrgang 2016 konzipierten Institut für Personenbetreuung unabhängige Beratung für in Österreich tätige 24-Stunden-Pflegekräfte an.
Weit über die Wiener Landesgrenzen hinaus strahlen auch zwei weitere in der Akademie entwickelten Projekte aus: Austrian Edupreneurs von Daniela Wolf und Wolfgang Markytan bietet unter www.austrianedupreneurs.com ein unabhängiges Netzwerk, in dem sich AkteurInnen der Onlinebildung darstellen und vernetzen können. Das Projekt „ich wie du“ von Bernadette Vargas-Simon und Theresa Stadlmann verschafft Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung von der Mehrheitsgesellschaft nur selten wahrgenommen werden, auf der Website http://ich-wie-du.com ein Sprachrohr in Text und (Bewegt-)Bild. Der Projektinitiatorin Bernadette Vargas-Simon hat „die Akademie verdeutlicht, dass ich mit dem Wunsch, die Welt ein bisschen besser zu machen, nicht alleine bin. Das hat mir neuen Antrieb gegeben.“
Und so wurden seit dem Start der Akademie der Zivilgesellschaft im Jahr 2016 bereits mehr als fünfzig Projekte für Wien entwickelt, deren Wirkung weit über die Landesgrenzen der Bundeshauptstadt hinausreicht. Und die als Best-Practice-Beispiele zum Nachahmen einladen – egal ob in der Großstadt oder in der Dorfgemeinschaft. //
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