In wenigen Ländern hängt der Bildungserfolg von Kindern so sehr vom Einkommen bzw. vom Bildungsstand der Eltern ab wie in Österreich. Nach wie vor ist die Halbtagsschule, die davon ausgeht, dass Kinder – mit Unterstützung der Eltern – am Nachmittag selbständig lernen und üben, vorherrschend. Die Inhalte des Schulstoffs in den verschiedenen Fächern, manchmal die Sprache Deutsch, oft auch fehlende zeitliche Ressourcen, machen es den Eltern schwer, ihre Kinder entsprechend zu fördern. Viele Kinder sind daher in schulischen Belangen auf sich selbst gestellt, obwohl sie Unterstützung beim Lernen benötigen.
Nachhilfe wäre für diese Schüler*innen daher wichtig, um in der Schule gut voranzukommen. Eine erfolgreiche Schullaufbahn ist von zentraler Bedeutung für die weitere berufliche Qualifizierung und persönliche Entwicklung. Bezahlte Nachhilfe ist für viele Eltern aber aus ökonomischen Gründen keine Option, wie der Nachhilfemonitor der AK Wien Jahr für Jahr zeigt.1 Die Kosten sind für viele Haushalte zu hoch, der organisatorische Aufwand vor allem für berufstätige Eltern oft nicht machbar.
Das Schulsystem im Jahre 2023 ist nach wie vor auf Segregation und Auslese ausgelegt. Die Stadt Wien setzt seit Jahren durch den Ausbau von Ganztagsschulen im Rahmen ihrer Möglichkeiten dem einen Kontrapunkt. Zusätzlich dazu stellt die Stadt Wien daher bereits seit dem Schuljahr 2014/2015 ein kostenloses Lernhilfeangebot für alle Pflichtschüler*innen bereit. Dieses wird seither von den Wiener Volkshochschulen in enger Kooperation mit Mittelschulen und Gymnasien an rund 120 Schulen in allen Wiener Bezirken durchführt.
Die Wiener Volkshochschulen zeigen mit der Wiener Lernhilfe, dass Volksbildung bereits bei den Jüngsten in der Gesellschaft beginnt. Seit nunmehr acht Jahren leistet die Wiener Lernhilfe einen Beitrag dazu, die Bildungschancen von jungen Menschen zu erhöhen, und diese dabei zu unterstützen, ihre Potenziale entfalten zu können. Dabei setzt das Angebot da an, wo es sich von den Angeboten der Schulbildung unterscheidet, und ist somit eine wertvolle Ergänzung dazu. Der niederschwellige, kostenlose Zugang zu den Angeboten ermöglicht allen Schüler*innen die Teilhabe an qualitätsvoller, ressourcenfokussierter, persönlichkeitsstärkender Bildung und bildet damit einen Grundstein zu positiven Schullaufbahnen, beruflichen Qualifikationen, persönlicher Entwicklung und gesellschaftlicher Teilhabe.
Die Umsetzung der Lernhilfekurse erfolgt direkt an den Schulen bzw. an VHS-Standorten. Daher gibt es für Eltern kaum organisatorischen Aufwand und die Schüler*innen lernen an ihnen bereits bekannten Lernorten. Für die Eltern sind die Angebote kostenlos. Damit bekommen auch jene Familien Lernunterstützung, die sich Nachhilfe aus finanziellen Gründen nicht leisten konnten. Mit diesem niederschwelligen, kostenlosen Angebot wird daher allen Schüler*innen der Zugang zu mehr Bildung ermöglicht.
Nicht selten kommen Kinder zu den Angeboten der Wiener Lernhilfe mit der festen Überzeugung „Mathematik ist nichts für mich“ oder „Deutsch kann ich einfach nicht!“ Ursache für diese Einschätzungen sind Erfahrungen aus dem Schulalltag inklusive negativer Noten. Der Schulstoff kann nicht mehr bewältigt werden. In den meisten Fällen fehlen Basiskenntnisse, die im Schulalltag nicht ausreichend verankert bzw. geübt werden konnten.
Die Wiener Lernhilfe setzt hier mit einem Konzept des binnendifferenzierten Unterrichts an. Die Lernanliegen der einzelnen Schüler*innen stehen dabei im Mittelpunkt. Jede/r Schüler*in lernt bzw. übt, was er/sie gerade braucht. Dies kann bedeuten, dass der aktuelle Schulstoff wiederholt wird. Es kann aber auch sein, dass Lernstoff aus vorangegangenen Monaten wiederholt wird und Basiskenntnisse vermittelt werden, die eigentlich „schon sitzen sollten“, damit die Kinder im Schulunterricht wieder Anschluss finden.
Die Lernbetreuer*innen der Wiener Volkshochschulen sind darin geschult, den Stoff möglichst anschaulich und spielerisch zu vermitteln. Die Beziehung zwischen Lernbetreuer*innen und Schüler*innen ist dabei von zentraler Bedeutung. Ein vertrauensvolles, wertschätzendes Lernklima wird gefördert, damit Schüler*innen auch den Mut haben, Fragen zu stellen und sich aktiv im Lernprozess einzubringen. Autonomie und Selbstverantwortung im Lernprozess sowie die Stärkung des Selbstbewusstseins der Schüler*innen sind weitere tragendende Säulen der Wiener Lernhilfe. Die Lernbetreuer*innen legen zu Beginn bewusst den Fokus darauf, gemeinsam mit den Schüler*innen ihre persönlichen Stärken zu entdecken und positive Lernerfahrungen zu machen. In der Wiener Lernhilfe geht es also nicht nur um reines Üben für die nächste Schularbeit, sondern auch um das Selbstbild der Kinder. Die Lernbetreuer*innen können dort ansetzen, wo die Kinder stehen und sie auf den nächsten Schritten ihrer Lernreise begleiten.
Das erhöht neben der Motivation auch das positive Selbstbild der Kinder. Die ersten Erfolge der Kinder zeigen sich oftmals bereits nach wenigen Einheiten, da die Kinder mit mehr Selbstbewusstsein in die Schule gehen, alte Glaubenssätze, wie „Ich kann das nicht“ überwinden und durch das gemeinsame Üben generell gestärkt am Unterricht teilnehmen. Zentral ist, Freude am Lernen (wieder) zu entwickeln und Erfolgserlebnisse zu haben.
Möglich ist dies, durch die besonderen Rahmenbedingungen der Wiener Lernhilfe – gelernt wird in kleinen Gruppen von maximal zehn Schüler*innen. Damit ist ein individuelles Eingehen auf die Schüler*innen möglich. Es gibt keinen vorgegebenen Lehrplan und die Lernbetreuer*innen haben – im Gegensatz zu Lehrer*innen nicht die Aufgabe zu unterstützen und in Form von Noten zu bewerten, sondern können sich ganz auf die Unterstützung der Schüler*innen konzentrieren. Für die Schüler*innen ergibt sich damit ein „geschützter Raum“, in dem Fehler keinerlei Konsequenzen nach sich ziehen.
Die Evaluierung der Förderung 2.0 in den Jahren 2017 und 2020 hat nicht zuletzt gezeigt, dass die Angebote der Wiener Lernhilfe für manche Kinder auch ein Ort sind, um ungestört zu lernen, wenn es zu Hause keinen Schreibtisch oder keine ruhige Umgebung gibt. Von Beginn an war den Wiener Volkshochschulen wichtig, dass alle Kinder einen guten Lernraum in der Wiener Lernhilfe vorfinden.
Um den vielfältigen, individuellen Lernbedürfnissen gerecht zu werden, wurde im Laufe der Jahre das Angebot der Wiener Lernhilfe immer weiter ausdifferenziert:
Mit mehr als 1.000 Kursen pro Semester sind die Lernhilfekurse für Schüler*innen aus Wiener Mittelschulen und der AHS-Unterstufe das Herzstück der Wiener Lernhilfe. Es handelt sich dabei um zweistündige Kurse in den Fächern Deutsch, Deutsch als Zweitsprache, Mathematik und Englisch, welche einmal wöchentlich direkt an über 120 Schulen angeboten werden. Ebenso gibt es auch ein kleineres Kontingent an Lernhilfekursen für Volksschulkinder.
Für punktuelle und kurzfristige Unterstützung sowie konkrete Fragen zu Hausübung und Schularbeitsstoff können Schüler*innen aus Mittelschulen und der AHS-Unterstufe außerdem die VHS-Lernstationen nützen. Es handelt sich um ein Angebot direkt an den VHS-Standorten, wo die Kinder und Jugendlichen ohne Anmeldung während der Öffnungszeiten kommen und bleiben können, bis ihr persönliches Lernziel erreicht ist. Die Lernstationen werden sowohl während des Schuljahres als auch in den Sommerferien angeboten.
Ergänzend dazu wird die VHS-Lernhilfe auch online via Videokonferenz angeboten. Ziel ist es, den Schüler*innen mehr Flexibilität beim Besuch der Lernhilfe zu ermöglichen und ihre digitalen Kompetenzen zu fördern.
Alle Angebote der „Wiener Lernhilfe – Förderung 2.0“ zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Kinder und Jugendlichen dort abholen, wo sie Unterstützung brauchen. Dabei zeigt sich, dass eine enge Zusammenarbeit mit den Schulen eine besondere Rolle spielt. Die Schüler*innen profitieren sehr von dem Umstand, dass die Kurse direkt an den Schulen, und somit an einem vertrauten, sicheren Ort, stattfinden können. Eine Unterstützung der Schulen beim Anmeldeprozess verstärkt den niederschwelligen Zugang zu den Angeboten. Umgekehrt profitieren die Schulen davon, wenn Schüler*innen ein zusätzliches Unterstützungsangebot am Nachmittag erhalten. Manchmal hilft es auch schon, wenn Inhalte lediglich in einer anderen Form oder von einer weiteren Person erklärt werden. Gemeinsam mit vielen anderen Player*innen in der Bildungslandschaft wird so ein wichtiger Beitrag zu einem gelungen gesellschaftlichen Miteinander geleistet.
Die Wiener Lernhilfe hat das Ziel, die Bildungschancen der Schüler*innen in dieser Stadt zu erhöhen, unabhängig vom Einkommen oder dem Bildungsstand der Eltern und trägt damit einem Grundprinzip der Volksbildung, „Bildung für alle“, Rechnung. Seit mehr als 135 Jahren arbeitet die Wiener Volksbildung daran, dass allen Menschen der Zugang zu Bildung offensteht. Alle Menschen, unabhängig von Vorbildung, Herkunft, Geschlecht oder finanzieller Mittel sollen aktiv an Bildung und damit an der Gesellschaft teilhaben können, wodurch die Selbstbestimmung gestärkt und aktives Handeln ermöglicht wird. Zum Grundprinzip „Bildung für alle“ und zur Selbstbestimmungsfähigkeit der Teilnehmer*innen einen Beitrag zu leisten, ist ein besonderes Anliegen der Wiener Lernhilfe. //
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