Die Bildungsausschüsse
Ein Modell der Dezentralisierung der Weiterbildung in Südtirol

Die Basis des Systems der Weiterbildung in Südtirol und auch der Bildungsausschüsse wurde durch das 1983 erlassenen Gesetz zur Weiterbildung geschaffen. Isidor Trompedeller, der „Begründer“ der Weiterbildung in Südtirol, schreibt: „Erstmals wurde nun von einem Recht auf Weiterbildung gesprochen, auch einem Recht auf allgemeine Weiterbildung, da von einem ganzheitlichen Bildungsbegriff ausgegangen wurde. Jedem Südtiroler und jeder Südtirolerin ist, entsprechend den jeweiligen Möglichkeiten und der individuellen Bedürfnislage, ein Weiterbildungsangebot zu sichern, das mithilft, die Persönlichkeit in Familie, Beruf und Gesellschaft zu entfalten. Erstmals ist vom ‚Lebenslangen Lernen‘ die Rede, erstmals wird von dem zu schaffenden System gefordert, dass es nach Effizienzkriterien zu gestalten ist.

Diese Ziele sollen erreicht werden durch:

  1. den Aufbau starker und leistungsfähiger autonomer Organisationen,
  2. die Dezentralisierung der Angebote durch die möglichst flächendeckende Gründung von Bildungsausschüssen in den Gemeinden,
  3. die Professionalisierung der Weiterbildung in Organisation, Qualifizierung des Personals und Schaffung genügender finanzieller Ressourcen.“ (Trompedeller: 2012, 33).

2021 gibt es 135 Bildungsausschüsse. Ein großer Teil (87) wurde zwischen 1983 (Gesetz der Weiterbildung) und 1989 gegründet, einige folgten später. Sieben wurden allerdings schon vor 1983 gegründet, einer sogar 1972. Dies war sicher ein Erfolgsfaktor, denn damit konnte das „Experiment“ Bildungsausschuss jahrelang erprobt und Alternativen aufgezeigt werden, bevor es gesetzlich geregelt wurde. (Trompedeller: 2012, 39 f.).

Was sind aber nun Bildungsausschüsse?

Bildungsausschüsse sind Arbeitsgemeinschaften der im Dorf bestehenden Vereine, mit dem Ziel, die Weiterbildungsangebote stärker ins Dorf bzw. zu den Menschen im Dorf zu bringen. Ein Bildungsausschuss setzt sich zusammen aus VertreterInnen von Vereinen, aber auch interessierten BürgerInnen, die keinen Verein vertreten. Weiters müssen auch der Gemeinderat, die Schule und die Bibliothek vertreten sein. Die Vollversammlung wählt dann einen Arbeitsausschuss (oder Vorstand), der für die Erledigung der Aufgaben verantwortlich ist.

Die Grundaufgaben der Bildungsausschüsse sind die Feststellung des Bedarfs an Weiterbildung und dessen Abdeckung in seinem Einzugsgebiet sowie die Koordinierung der Bildungsinitiativen im Dorf. Wichtig dabei ist, dass bezüglich der Abdeckung des Bedarfs bei Standardkursen (z.B. Sprachkurse) es in der Regel nicht Aufgabe der Bildungsausschüsse ist, diese eigenständig zu organisieren und durchzuführen. Aufgabe der Bildungsausschüsse ist es hier, mit einer Weiterbildungseinrichtung (Volkshochschule, Sprachschule usw.) Kontakt aufzunehmen, sodass diese den entsprechenden Kurs im Dorf organisiert. Anders ist es hingegen, wenn es nicht um Standardangebote, sondern um dorfspezifische Initiativen/Projekte geht. Der Bildungsausschuss erkennt z. B., dass das eigene Dorf immer mehr den Charakter einer Schlafstätte von Pendlern annimmt, mit dem Ergebnis, dass das Leben im Dorf selbst langsam abstirbt. Hier gilt es, immer zusammen mit anderen Akteuren im Dorf, Ideen zu spinnen und Maßnahmen zu entwickeln, um dem entgegenzuwirken. In diesem Falle ist es sinnvoll, dass der Bildungsausschuss in der Planung und auch Durchführung eine zentrale Rolle einnimmt. 

Gefördert werden die Bildungsausschüsse über zwei Schienen:

  • die Basisförderung und
  • die Projektförderung.

Basisförderung: Die Bildungsausschüsse erhalten vom Land Südtirol eine Förderung in Form einer Quote pro EinwohnerIn im eigenen Einzugsgebiet (zurzeit 1,5 Euro), sofern sie ihre Aufgaben erfüllen. Voraussetzung ist, dass der Bildungsausschuss von der Gemeinde mindestens dieselbe Förderung erhält. Konkret heißt dies, dass die Basisförderung in der Regel drei Euro pro EinwohnerIn beträgt. Die Tatsache, dass das Land nur dann die Basisförderung vergibt, wenn die Gemeinde auch dieselbe Förderung vergibt, sowie die Pflichtvertretung eines Mitglieds des Gemeinderates im Bildungsausschuss kann im Einzelfall manchmal zu Konflikten führen, hat sich im Grunde aber bewährt, da somit auch die Gemeinde in die Verantwortung genommen wird. 

Projektförderung: Die Bildungsausschüsse können bei besonderen Projekten um eine zusätzliche Förderung ansuchen. Die Voraussetzungen sind:

  • das Projekt fördert dorfspezifische Prozesse,
  • das Projekt ist innovativ,
  • das Thema ist gesellschaftspolitisch relevant,
  • es handelt sich um komplexe Weiterbildungsmaßnahmen.

Seit 2000 werden die ehrenamtlich arbeitenden Bildungsausschüsse von professionellen Bezirksservicestellen unterstützt. Eine in der Regel freiberuflich beauftragte Person (eine pro Bezirk, insgesamt acht) vernetzt, koordiniert und berät die Bildungsausschüsse vor allem im pädagogischen Bereich. Sie motivieren die ehrenamtlichen MitarbeiterInnen und sind ImpulsgeberInnen und AnsprechpartnerInnen für die Bildungsausschüsse selbst, für die Gemeinden und für das Amt für Weiterbildung.

Konkret geht es um:

pädagogische-inhaltliche Beratung:

  • Unterstützung bei der Konzeptarbeit, 
  • deenfindung für Veranstaltungen, 
  • Begleitung von Gruppenprozessen, 
  • Motivationsarbeit, 
  • Sensibilisierung zur Netzwerkarbeit, 
  • Projektmanagement;

organisatorische Unterstützung: 

  • Vereins- und steuerrechtliche Hilfestellung, 
  • Veranstaltungsmanagement, 
  • Ansuchen und Abrechnungen;

Information und Berichtswesen: 

  • Veranstaltungskalender und Ideenspeicher, 
  • Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit.

Wie funktionieren die Bildungsausschüsse nun aber tatsächlich? Und was läuft gut, was weniger?

Wie bei den meisten Sachen auf dieser Welt ist es auch hier so, dass es „den“ Bildungsausschuss nicht gibt. Jeder Bildungsausschuss hat seine Eigenart, die abhängt von der Entstehung, der Zusammensetzung der Vereine und vom Arbeitsausschuss, aber vor allem von der/dem Vorsitzenden. Denn was aus einem Bildungsausschuss gemacht wird, hängt von vor allem von den beteiligten Personen ab. 

Vorweg kann gesagt werden, dass die Grundaufgaben (Feststellung und Abdeckung des Bedarfs an Weiterbildung und Koordinierung der Bildungsinitiativen im Dorf) von (fast) allen bestehenden Bildungsausschüssen zur Zufriedenheit erledigt werden. Bei der darüberhinausgehenden Aufgabe der Entwicklung und Durchführung von dorfspezifischen Angeboten/Projekten hat es hingegen sowohl quantitativ als auch qualitativ eine kontinuierliche Steigerung gegeben. Quantitativ, da in der Zwischenzeit viele Bildungsausschüsse diese „Zusatzaufgabe“ wahrnehmen, während es in der Vergangenheit nur zirka ein gutes Drittel war. Dies ist auch in der Verwendung der Gelder ablesbar: Während früher ziemlich viele Bildungsausschüsse die ihnen zur ­Verfügung stehenden Gelder mehr oder weniger gießkannenmäßig an die Vereine des Dorfes verteilten, passiert dies heute nur noch selten, und die Gelder werden stattdessen meist gezielt eingesetzt. 

Die qualitative Steigerung drückt sich darin aus, dass immer mehr Maßnahmen und Projekte auf der Basis einer vertieften Beschäftigung/Analyse mit der Eigenart des Dorfes, der gegenwärtigen Situation und der voraussichtlichen Entwicklung konzipiert, geplant und durchgeführt werden. Diese Dorfspezifizität betrifft nicht nur offensichtlich „dorfspezifische“ Projekte, also solche, die in toto aus der Eigenart eines Dorfes entstanden sind, sondern oft auch „gewöhnliche“ Maßnahmen wie z. B. Dorfbildungs- oder Gesundheitswochen. Auch diese können im Detail (Auswahl der Themen und ReferentInnen, eingesetzte Methoden, Orte, Zielgruppen) sehr wohl ausgehend von der Eigenart und den spezifischen Bedürfnissen eines Dorfes geplant und durchgeführt werden. Wichtig ist allerdings, und dies spielt auch bei der Projektbewertung eine Rolle, dass neben dem Dorfspezifischen, auch die gesellschaftspolitische Dimension und Entwicklung, lokal und global, präsent ist und berücksichtigt wird. 

Neben Fortbildungen für die ehrenamtlichen MitarbeiterInnen und Maßnahmen, die der Vernetzung dienen (jährliche Studienfahrt, Tag der Bildungsausschüsse usw.) sind vor allem die professionellen BezirksservicestellenleiterInnen für diese positive Entwicklung verantwortlich. 

Zentral ist dabei, dass es ihnen gelingt, Beziehungen zu den ehrenamtlich tätigen Mitgliedern der Bildungsausschüsse aufzubauen und ein Vertrauensverhältnis zu schaffen. Die BezirksservicestellenleiterInnen sind Impulsgeber und Konzeptentwickler; sie motivieren, unterstützten und begleiten das ehrenamtliche Engagement der Bildungsausschüsse. Gleichzeitig müssen sie aber sehr behutsam sein und auch zurückhaltend vorgehen. Nur wenn dies gelingt, werden sie von den Ehrenamtlichen akzeptiert und diese Akzeptanz ist die Voraussetzung dafür, dass sie ihre Arbeit machen können. Es ist deshalb so, dass die BezirksservicestellenleiterInnen zwar vom Amt für Weiterbildung bezahlt werden, die eigentlichen Auftraggeber aber die ehrenamtlichen MitarbeiterInnen der Bildungsausschüsse sind. Sie entscheiden, ob und wofür sie die Unterstützung der BezirksservicestellenleiterInnen in Anspruch nehmen wollen. 

Schön wird dies an einem aktuellen Beispiel deutlich: zurzeit laufen südtirolweite Projekte zur Agenda 2030 und die Bildungsausschüsse sind dabei ein gefragter Partner, denn durch sie ist eine kapillare Verbreitung in die Peripherie möglich. Da den meisten der BezirksservicestellenleiterInnen diese Themen am Herzen liegen, ist es nun naheliegend, dass sie auch die Bildungsausschüsse dafür motivieren. Dies können sie in einem ersten Schritt auch tun, ob aber dann weiter an diesem Thema gearbeitet wird, hängt davon ab, ob die Bildungsausschüsse dies wollen und somit den BezirksservicestellenleiterInnen einen „Auftrag“ zur Unterstützung in diesem Bereich geben. 

Stellung in der Erwachsenenbildung

Das 1983 erlassene Weiterbildungsgesetz griff eine Entwicklung auf, die schon Jahre vorher eingesetzt hatte. Neue Methoden der Weiterbildungsdidaktik hielten in Südtirol Einzug. Mit diesem Gesetz war der Weg frei für eine von Begeisterung getragene Welle der qualitativen und quantitativen Expansion. Prinzipien wie Subsidiarität, Demokratie und Beteiligung, das komplementäre Netz und Nebeneinander von haupt- und ehrenamtlicher Tätigkeit haben von ihrer Bedeutung nichts eingebüßt.

Dennoch ist immer wieder eine Überprüfung notwendig. So wurden in den Jahren vor der Pandemie eine Reihe von Treffen und Veranstaltungen durchgeführt, um gemeinsam mit den AkteurInnen der Weiterbildung in Südtirol und mit Impulsen von in- und ausländischen ExpertInnen zu überlegen, wie das System der Weiterbildung und die einzelnen Einrichtungen gestärkt werden können, auf dass die (neuen) gesellschaftlichen Herausforderungen gemeistert werden. (Peer: 2018, 167 f.).

Als aktuell zentrale gesellschaftliche Herausforderungen für die Weiterbildung wurden identifiziert:

  • Seit den 1980er-Jahren nimmt das Auseinanderdriften der Gesellschaft immer mehr zu und hat heute dramatische Ausmaße angenommen. Diesen gesellschaftlichen Segmentierungstendenzen entgegenzuwirken ist eine wichtige Aufgabe.
  • Die Kluft zwischen Wissenden und Unwissenden, zwischen Arm und Reich wird immer größer. Wenn Weiterbildung ihrem emanzipatorischen Auftrag nicht völlig aufgeben will, muss es ihr Ziel sein, diese zu verringern.
  • Wie kann Weiterbildung gesellschaftliche Teilhabe, Demokratie, das demokratische Zusammenleben fördern?
  • Die demographische Entwicklung, die Alterung der Gesellschaft ist ein Megatrend, der für unsere Gesellschaft und damit auch die Weiterbildung fundamental ist.
  • Zuwanderung, kulturelle Vielfalt ist ein Thema, das – obwohl in Südtirol vermutlich erst in den Anfängen– schon jetzt unsere Gesellschaft und Demokratie zu überfordern scheint.
  • Obwohl nicht mehr ganz neu, ist das Thema Veränderung der Erwerbsarbeit und damit diskontinuierliche Biographien, auch Lernbiographien, für die Weiterbildung immer noch aktuell.
  • Die allumfassende Digitalisierung und die möglichen Folgen sind ein Beispiel, wie die Herausforderungen „Auseinanderdriften der Gesellschaft“, „Kluft zwischen Wissenden und Unwissenden“ und damit Möglichkeit der „Gesellschaftlichen Teilhabe“ (oder Ausschluss) ineinandergreifen. (Peer: 2018, 169 f.).

Daneben standen folgende Fragen/Überlegungen bei allen Gesprächen immer wieder im Zentrum:

  • Welche Bildung brauchen wir für den Umgang mit diesen Herausforderungen?
  • Die Frage „Welche Weiterbildung ist gesellschafts- und bildungspolitisch wichtig?“ müsse umformuliert werden in: In was für einer Gesellschaft wollen wir leben?
  • Welche Bedeutung weisen wir Lernen und Bildung im Erwachsenenalter in unserer Gesellschaft zu? (Peer: 2018, 168).

Was bedeutet dies für die Weiterbildung?

  • Erwachsenenbildung als Möglichkeit der Begegnung und Auseinandersetzung, der wechselseitigen Anerkennung von Menschen aus unterschiedlichen Kontexten:

Unsicherheit und Angst (Zukunftsängste, Ängste vor dem „Anderen“ usw.), Gewalt und Werte-Vielfalt/Unsicherheit prägen das (subjektive) Empfinden vieler Menschen. Erwachsenenbildung ist und muss Plattform sein, um miteinander in Dialog zu treten: Wie geht es mir? Wie geht es dir? Austausch et cetera.

  • Erwachsenenbildung als Reflexion von Ich und Welt:
    Wenn Weiterbildung nicht nur eine Anpassungsleistung erbringen und die Möglichkeiten der Menschen und der Gesellschaft und damit die Freiheit erweitern und nicht verengen soll, ist es zentral, dass Weiterbildung plurale Erzählungen und Interpretationen, Bilder vom guten Leben ermöglicht und anregt.
  • Erwachsenenbildung muss für alle zugänglich sein:
    Zentrale Ansprüche sind nach wie vor ungelöst, z.B. die Zugänglichkeit von Lernen und Bildung für alle, die Demokratisierung von Bildung und Lernverhältnissen.

Wenn Bildung für die Demokratie aber entscheidend ist bzw. Demokratie ohne Bildung nicht funktionieren und leben kann, dann muss die Frage der Zugänglichkeit bzw. die Frage „Wen erreichen wir (= die Weiterbildung) und wen nicht?“ angegangen werden. (Peer: 2018, 170 f.).

Welche Rolle haben die Bildungsausschüsse? 

Diese Herausforderungen können, wenn überhaupt, dann nur von allen AkteurInnen des Südtiroler Weiterbildungssystems gemeinsam angegangen werden. Das auf den ersten Blick schwächste Glied — die Bildungsausschüsse — spielt dabei aber eine zentrale Rolle. 

Zwei Absätze aus dem Leitbild der Südtiroler Weiterbildung

Wer wir sind …

Weiterbildungseinrichtungen, Bildungshäuser und Bildungsausschüsse sind die Anlaufstellen für die Weiterbildungsanliegen der Südtiroler Gesellschaft. Wir haben verschiedene Aufgaben, aber gemeinsame Ziele und Werte.

Für wen wir arbeiten …

Wir arbeiten aktiv daran, dass Weiterbildung allen Menschen zugänglich ist, unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft, Sprache, Religion, Beruf, Ausbildung oder Fähigkeiten. So erfüllen wir einen gesellschaftspolitischen Auftrag ausgehend vom Grundrecht aller auf Weiterbildung.

Wenn wir von Zugänglichkeit und Teilhabe sprechen, dann sind die Bildungsausschüsse sicher diejenigen, die dies am ehesten auf ihre Fahnen schreiben können. Dezentrales Angebot und Nahversorgung bedeutet bei ihnen nicht nur, dass sie die Weiterbildung ins Dorf bringen, sondern auch, dass sie sowohl in der Planung als auch in der Durchführung und „Bewerbung“ nah an den Menschen sind. 

Die Bildungsausschüsse bzw. deren ehrenamtliche MitarbeiterInnen sind einerseits ortsverbunden, sie bringen oft aber auch alternative Sichtweisen und innovative Ideen in die Erwachsenenbildung ein. Im Vergleich zu den professionellen Weiterbildungseinrichtungen sind sie tendenziell risikobereiter, da freier und ungebundener. Dies ist sicher ein Mitgrund, weshalb ihre Angebote auf der einen Seite manchmal sehr traditionell sind, auf der anderen Seite aber auch vielschichtig und nicht selten direkt oder indirekt die Reflexion und das Nachfragen fördern.

Das schon bestehende Auseinanderdriften der Gesellschaft hat mit der Pandemie dramatische Ausmaße angenommen; die Risse gehen quer durch alle Bevölkerungsgruppen und oft auch Familien. Menschen reden nicht mehr miteinander, grüßen sich nicht mehr und beschimpfen sich gegenseitig in den Sozialen Medien. 

Letztens fand auf Bezirksebene ein Treffen mit den Bildungsausschüssen, den Bildungs- und KulturreferentInnen der Gemeinden sowie dem zuständigen Landesrat und VertreterInnen des Amts für Weiterbildung zu Chancen und Herausforderungen in der Bildungsarbeit statt, bei dem es auch um folgende Frage ging: Können die Bildungsausschüsse etwas (was?) gegen das Auseinanderdriften der Gesellschaft, auch in den Dörfern, aufgrund von Covid 19, aber nicht nur, tun? Die Aufgabe scheint fast aussichtslos und teilweise sind natürlich auch die Bildungsausschüsse bzw. die Ehrenamtlichen selbst vor der Spaltung und der gegenseitigen Abwertung nicht immun. Wenn aber eine Chance besteht, Orte der Begegnung zu schaffen, dann am ehesten durch die Weiterbildung im Allgemeinen und die Bildungsausschüsse im Besonderen. Die Gesellschaft, die Gemeinschaft in einem Dorf, diese Mikroeinheit der Demokratie, gilt es immer wieder aufs Neue zu pflegen und in Herausforderungen zu begleiten. Dies ist eine, wenn nicht die wichtigste Aufgabe der Bildungsausschüsse. //

Ergebnisse eines Gesprächskreises im September 2021 zu: 

Können die Bildungsausschüsse etwas (was?) gegen das Auseinanderdriften der Gesellschaft, auch in den Dörfern, aufgrund von Covid 19, aber nicht nur, tun?

  • Es müssen Chancen, Gelegenheiten geschaffen werden, miteinander zu sprechen.
  • Es braucht Orte (z. B. Stammtische), um sich „kultiviert“ auszutauschen, nicht nur in Form von Pro und Contra.
  • Eine Kultur des Dialogs fördern. Jede/jeder hat ein Stück Wahrheit, niemand die absolute.
  • Es braucht wieder die „dritten Orte“ (Verein, Bibliothek, Gasthaus usw.), in denen Austausch passieren kann. In der „Isolierung“ können sich schlimme Sachen entwickeln.
  • Wir müssen uns fragen, welche Hilfeschreie stecken dahinter, wenn jemand mit Hassparolen u. ä. kommt.
  • Es braucht wieder das persönliche Gespräch. Das ist etwas anderes als der Post auf Facebook, das Mail usw.
  • Die Spaltung betrifft alle Schichten.
  • Vereine müssen mehr zusammen machen und offen für alle Menschen sein.
  • Die Kommunikation im Dorf ist in diesen eineinhalb Jahren zum Erliegen gekommen.
  • Es ist ein Neustart notwendig: Kommunikation im Verein, zwischen den Vereinen, mit Gemeinde, mit den Menschen.
  • Begeisterung leben und kommunizieren, nicht anderes abwerten.
  • Wir müssen uns wieder auf den Weg machen, Vereine und Menschen zusammenbringen.

Literatur

Peer, Martin (2018): Erzählungen und Begegnungen des Lernens. Rückblick – Gegenwartsbetrachtungen – Ausblick. In: Irene Cennamo & Hans Karl Peterlini (Hrsg.), Menschenbilder in der Weiterbildung. Kritik – Diskussion – Reflexion (S. 167–174). Meran/Merano: Edizioni alpha beta Verlag.

Trompedeller, Isidor (2012): Am Anfang war die Freude. In: Martin Peer & Hans Karl Peterlini (Hrsg.), Qualität des Lernens. Das System der Weiterbildung in Südtirol von den Pionierzeiten zu EFQM (S. 29–40). Meran/Merano: Edizioni alpha beta Verlag.

Peer, Martin (2021): Die Bildungsausschüsse. Ein Modell der Dezentralisierung der Weiterbildung in Südtirol. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Herbst 2021, Heft 274/72. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

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