„Ich gebe mir gar nicht die Mühe jemanden nicht zu mögen.“ (S. 26). Dieser Ausspruch charakterisiert Eugenie Schwarzwald, der Zeitgenossen Fröhlichkeit, Optimismus und Tatendrang bescheinigten. 1872 in Galizien geboren, studierte und promovierte sie um die Jahrhundertwende in Zürich, verbrachte ihr Arbeitsleben in Österreich, ging 1938 in die Schweiz ins Exil, wo sie 1940 verstarb.
Eugenie Schwarzwald war eine pädagogische Praktikerin: Sie gründete und leitete Schulen, organisierte Ferienheime und Volksküchen. Sie hatte das Anliegen, wirksam soziale Hilfe zu leisten. Ihre Ansichten, Einsichten, Überzeugungen und Wahrnehmungen fasste sie nicht in theoriegeleiteten Büchern zusammen, sondern in etwa dreihundert Zeitungsfeuilletons, wovon dieses Buch etwa achtzig wiedergibt. Darin ist sehr wohl ihr „Schauen“ (griech.: theorein) auf die Welt, ihre theoretische Konzeption, erkennbar – der Herausgeber spricht von einer bildungsbürgerlichen Einstellung und einem hohen Grad an Vernetzung mit Personen, die, wie sie, Gutes bewirken und die Welt zu einer besseren formen wollten.
In ihren Feuilletons beweist Eugenie Schwarzwald ein differenziertes „Schauen“ auf alltägliche soziale Ereignisse, Verhaltensweisen, Entwicklungen und Hindernisse sowie immer wieder ihr prononciertes persönliches Urteil und ihre individuelle Erfahrung. Letztere liegt vor allem auf pädagogischem Gebiet. So schildert sie z. B. ihre Anfänge als Vortragende im Volksheim Ottakring und ihre Begegnung mit Ludo Hartmann. Dies betrifft auch ihre didaktische Lehrzeit in der Volkshochschule. Sie schreibt über „fröhliche Schule“, bezeichnet „Misstrauen, Missverständnis, Missgunst“ als Dreiklang der alten Schule und meint, man müsse der Jugend „anderes“ bieten. Sie berichtet über den „unsichtbaren Lehrer“ – das ist, zu ihrer Zeit eine pädagogische Innovation, Englischunterricht im Radio. Kurz und bündig beschreibt sie die Eigenschaften für „wahres Lehrertum“: Verstand, Kenntnisse, Humor, Geduld. Im Rückblick auf ihr Studium in Zürich überlegt sie, was davon geblieben ist. Sie stellt nicht das Wissen in den Vordergrund, sondern geblieben sind: Hingabe an Aufgaben, die Methoden für ihre Durchführung sowie Besonnenheit und Entschiedenheit, Vorhaben durchzuführen. Sie erinnert sich aber auch an die durchgängige Ablehnung, die sie erfahren hat, weil sie als Frau studierte. So wurde ihr gesagt (S. 170): „Sie sind zum Studieren zu schade. Sie sollten heiraten.“ Und mittels Grillparzer-Zitat: „Das Weib ist glücklich nur an Gattenhand.“
Deutlich und nachdrücklich thematisiert sie Mädchen- und Frauenbildung. Immer wieder lässt sie den Zeitgeist durch Aussagen junger Menschen zu Wort kommen. Das betrifft die lange Wartezeit der Jugendlichen, bis sie erwachsen werden, ihre Vorstellungen vom künftigen Ehemann, von Familie und Kindererziehung oder vom „Zukunftskurs der österreichischen Jugend“. Sie bewundert die Kraft und die neue Lebensform der ihr bekannten zwanzigjährigen Frauen: Sie verdienen sich den eigenen Lebensunterhalt, wollen von Männern gerecht behandelt werden, haben sich Kenntnisse angeeignet und ein vitales Interesse an Frieden, sind nicht mehr Sklavin, sondern Herrin des Haushalts. Im Interesse der Frauen plädiert Eugenie Schwarzwald für die Befreiung von beengenden Frauenkleidern, schweren Haarknoten und von tyrannischen Hüten.
Eugenie Schwarzwald preist als österreichische Eigenschaft: jeder Lebensform neue Reize abgewinnen zu können und empfiehlt als nachahmenswerte Lebenskunst, „… in voller Erkenntnis der Tragik unserer Zeit jedes dunkle Ding so lange drehen und wenden (…), bis ein Rosenschimmer davon ausgeht“. (S. 245).
In diesem Sinne werden ernste Themen oder die Begegnung mit damaligen Persönlichkeiten (z. B. Montessori, Kokoschka, Klabund, Schönberg, etc.) leichtfüßig heiter vermittelt. Texte, die sich, wenn man an die gegenwärtige Erwachsenenbildung denkt, in Deutschkursen, in der politischen Bildung oder in gesellschaftsbezogenen Angeboten einsetzen lassen. Dem Herausgeber, Robert Streibel, Historiker, Publizist, Schriftsteller, Lyriker und langjähriger Direktor der Volkshochschule Hietzing, ist für die Gelegenheit, diese Lektüre geschaffen zu haben, zu danken.
Die ausgewählten Feuilletons, je zwei bis drei Druckseiten, erfüllen ein Selbstverständnis der Erwachsenenbildung: sie weisen auf durchwegs noch immer aktuelle gesellschaftliche Probleme hin und ermutigen Leserinnen und Leser eigenständig nachzudenken, um Urteile und Lösungen zu finden. //
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