Hans Schütze: Bildungsrecht. Einführung und Überblick.
Münster – New York: Waxmann 2022 (Studienreihe Bildungs- und Wissenschaftsmanagement 23).
Hessischer Volkshochschulverband (Hrsg.): Recht und Finanzierung der Weiterbildung. Hessische Blätter für Volksbildung (1/2022).
Frankfurt am Main: wbv 2022.
Beide Publikationen erschienen im Frühjahr 2022. Zu diesem Zeitpunkt setzte ich mich mit Fragen auseinander, die sich aus einer Neuorientierung des Menschenrechts auf Bildung hin zu einem Menschenrecht auf lebenslanges Lernen ergeben. Unterorganisationen der Vereinten Nationen – insbesondere die ILO (Internationale Arbeitsorganisation) und die UNESCO (Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Soziales und Kultur) – haben der Interpretation einer Reduktion des Rechts auf (schulische) Bildung den Kampf angesagt und die Forderung einer Förderung von Bildungschancen über den gesamten Lebenslauf in den Vordergrund gerückt. ILO fragt in einer Studie mit Recht: Wenn es ein Anrecht („entitlement“) auf lebenslanges Lernen für alle Berufstätigen geben soll, dann muss dies auch für die zwei Milliarden Menschen gelten, die im informellen Sektor leben und arbeiten. Die UNESCO liegt hier auf gleicher Wellenlänge und fordert mit dem gerade veröffentlichten Bericht der International Commission on the Futures of Education einen neuen Sozialvertrag, der dieses Menschenrecht auf lebenslanges Lernen für alle garantiert.
Die UNESCO verweist unermüdlich auf die Bedeutung der Mitgliedsstaaten in diesem Prozess. Also versuchte ich mich etwas schlau zu machen, was dies denn mit dem Blick auf das Bildungsrecht, insbesondere für Erwachsene, bedeuten würde. Vorab: Beide hier angezeigten Publikationen waren hierbei für mich sehr hilfreich.
Hans G. Schütze ist in der Tat das gelungen, was der Untertitel aussagt: Einführung und Überblick. Es ist der studierte und praktizierende Jurist in Verwaltung und Bildungsforschung, mit Etappen in Deutschland und an Universitäten in vielen Ländern, der hier seine Erfahrungen und seine Sicht auf die Dinge zusammenfasst, was auch gut in eine Studienreihe zu Bildungs- und Wissenschaftsmanagement passt. Hilfreich sind kapitelweise weiterführende Fragen sowie Literatur zu Vertiefung.
Der Text ist übersichtlich gegliedert und beginnt mit grundsätzlichen Fragen, was denn das Recht auf Bildung eigentlich beinhaltet. Es folgen Kapitel zum Schulrecht, zu Hochschul- und Wissenschaftsrecht, zum Recht auf Berufsbildung sowie zum Recht auf Weiterbildung. Hier wird dann schnell deutlich, wie stark außerhalb des Bildungssystems liegende Regelungen, etwa Tarifverträge, Einfluss nehmen können. Dem Bildungsurlaub ist ein eigenes Unterkapitel gewidmet, anschaulich erläutert am Beispielfall „Radtour als Bildungsurlaub“ und dem Hinweis auf den entsprechenden Rechtsstreit. Hilfreich sind die vielen weiteren Beispielfälle in jedem Kapitel.
Wenn ich zum eingangs geschilderten Kontext zurückkehre, dann sind natürlich insbesondere auch die beiden Schlusskapitel zum lebenslangen Lernen und der rechtlichen Umsetzung sowie das Internationale und Europäische Bildungsrecht von besonderem Interesse. Hierbei sind die Rückbezüge auf den Beginn der 2000er-Jahre und die unternommenen Anstrengungen um eine Strategie des lebenslangen Lernens wichtig, vor allem der Bericht einer Expertenkommission zur Finanzierung des lebenslangen Lernens. Der Ausblick auf die Zuständigkeiten und Verbindlichkeiten, die sich aus Rechtssetzungen der Vereinten Nationen, des Europarates und der Europäischen Union ergeben, sind in einer tabellarischen Übersicht mit Blick auf die Organe, die Judikative, die Zielsetzungen und deren jeweilige Relevanz für das Bildungsrecht dargestellt.
Die zehn Beiträge der Hessischen Blätter bieten eine erfreuliche Bandbreite von Fragestellungen im Hinblick auf Anspruch, Recht und Finanzierung, wobei insbesondere auf die Erwachsenenbildung bzw. Weiterbildung fokussiert wird – zwei Begriffe, die fast synonym verwandt werden. Das Heft hat eine Grobgliederung in eher einführende Aspekte, inklusive eines Blicks in die Bayerische Verfassung (Küspert), sowie in die zwei großen Blöcke Wissenschaft und Praxis. Auf einige Artikel sei im Folgenden besonders hingewiesen.
Einen fundierten Überblick über die vielfältigen Aspektes des Weiterbildungsrechts liefert zu Beginn Ekkehard Nuissl, ehemals langjähriger Direktor des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung – Leibnitz Institut für Lebenslanges Lernen (DIE). Er beleuchtet dabei die kommunale, Landes- und Bundesebene, beginnend bei den jeweiligen Verordnungen bis hin zu Tarifverträgen. Für die Rechtstexte wird auf das Praxishandbuch Recht der Weiterbildung verwiesen, das er mit Peter Krug seit 2004 herausgibt. Das Recht auf Bildungsfreistellung (Heinemann) sowie Weiterbildungsberatung im Kontext einer nationalen Strategie (Schiersmann) geben detaillierte Einblicke. Der Blick nach Schweden erlaubt ein Verständnis dafür, warum dort die Zahlen der Beteiligung besonders hoch sind (Fejes, Andersson).
Der Praxisteil beginnt mit den Volkshochschulen und ihrer Bedeutung für die kommunale Infrastruktur. Klaus Hebborn mahnt einen hohen Investitionsbedarf nicht nur mit Blick auf die digitale Bildung ein. Nordrhein-Westfalen hat seit Anfang 2022 ein novelliertes Weiterbildungsgesetz, in der die kommunale Pflichtaufgabe und die finanzielle Förderung weiterhin große Bedeutung haben (Sokolowsky, Schöll). Das Heft rundet ein Beitrag zur bildungspolitischen Bedeutung des Europäischen Sozialfonds für die Erwachsenenbildung ab (Bisovsky).
Insgesamt erfreulich ist, dass die Heftherausgeber der Finanzierung der Erwachsenenbildung im Zusammenhang des lebenslangen Lernens so große Beachtung beigemessen haben. Mir klingen immer noch Sätze von früher im Ohr: „Ohne Moos nichts los“, so die Worte eines Volkshochschulleiters oder Ministerialbeamten, der bedauerte, nur eine „policy on paper“ zu haben.
Beide Publikationen bezeugen, wie eng Politik, Gesetzgebung und Finanzierung verzahnt sein müssen, wenn sie Wirksamkeit entfalten sollen.
Die obigen Hinweise auf die vielfältigen Aspekte der angezeigten Publikationen entstanden in einem internationalen Kontext. Die UNESCO veranstaltet seit ihrer Gründung im Jahr 1949 alle zwölf Jahre die Weltkonferenz für Erwachsenenbildung CONFINTEA (Conférence internationale sur l’éducation des adultes), im Juni 2022 findet die CONFINTEA VII in Marrakech statt. Alles was dabei diskutiert und beschlossen wird, enthält, nachdem die Vorbereitungen über nationale Berichte und regionale Treffen gelaufen sind, eine globale Dimension. Das UNESCO-Institut für lebenslanges Lernen (UIL) in Hamburg setzte eine Arbeitsgruppe ein, die einen Entwurf für die spätere Abschlusserklärung (Marrakech Framework for Action, MFA) erarbeitete und diesen im Mai an alle 193 Mitgliedsstaaten zur Beratung versandt hat. Darin finden sich Sätze wie: „We strongly affirm education, including ALE, as a fundamental human right“, wobei ALE als Kürzel für Adult Learning and Education breiter verstanden wird als Erwachsenenbildung. Das MFA fordert dementsprechend in Richtung Umsetzung: „translate the vision of a right to lifelong learning into reality, hence creating a culture of lifelong learning that is adapted to each Member State.“
Dieses große Ziel wird von den Mitgliedsstaaten beschlossen werden und bildet sodann die Herausforderung für die nächsten Jahre.
Für den deutschsprachigen Raum liegen mit den beiden Publikationen wichtige Texte vor, die hoffentlich auch genutzt werden. Übersetzungen in die englische Sprache wären für die internationalen Prozesse freilich sehr hilfreich. //
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