Der Liberalismus ist gescheitert – weil er sich selbst treu geblieben und weil er erfolgreich ist! Diese Ansicht vertritt Patrick J. Deneen, Professor für Politikwissenschaften an der University of Notre Dame Indiana/USA. Der Drang zur Freiheit bringt eine totale, zerstörerische Freiheit mit sich. Eine Dynamik wie in totalitären Systemen.
Seit etwa fünfhundert Jahren wurden liberale Ideen gesellschaftlich immer wirkmächtiger. Sie basierten auf einem Bekenntnis zur Freiheit, die allerdings, wie Deneen bedauert, zunehmend schwindet. Er führt zu den Anfängen des Liberalismus: zur Vorrangstellung des Individuums, zur Abwehr ökonomischer Beschränkungen sowie zur Überwindung von Ergebenheit und stoischer Hinnahme.
Deneen charakterisiert Merkmale des modernen Liberalismus: Liberale sehen den Individualismus anthropologisch verankert und die Menschen von der Natur abgetrennt. Individuelle Eigeninteressen werden in den Vordergrund gestellt, dies fördert flexible Beziehungen, lose Verbindungen – bisherige feste Bindungen erodieren.
Mit traditionellen Vorstellungen, den Menschen eingebunden in die Natur zu verstehen, wird gebrochen und noch mehr: Nun führt der Mensch mit Hilfe von Wissenschaft einen „Krieg gegen die Natur“. Der Liberalismus zielt auf Unterwerfung der Natur und auf ein ständiges „Mehr“. Niemand kann zurzeit Gesellschaften führen, meint Deneen aus politischer Sicht, der für Einschränkung und Selbstbeherrschung eintritt. Die moderne Freiheit des Liberalismus bestehe vielmehr darin, allem nachzugeben, was man sich wünscht. Diese Art der Freiheit, ohne Beschränkung, werde zum Naturzustand erklärt. In der Folge wird Gemeinsinn durch Eigeninteressen ersetzt und abgeschafft.
Auf dieser Basis entstand nun eine technologische Gesellschaft, die total befreite Individuen in die Einsamkeit führt. Beispielhaft sei soziale Isolierung an Facebook, Konsumverhalten oder Wohnbau zu erkennen: Das Gefüge der Gemeinschaft zerbricht zugunsten grenzenloser Unabhängigkeit. Doch es handelt sich um eine relative Freiheit. Denn zunehmend sei Regulierung und Macht dem Staat übertragen worden. Die Abhängigkeiten von seinen Gesetzen und Vorgaben seien größer als je zuvor, denn mehr Freiheit erfordere mehr Gesetzgebung. Deneen erläutert den Zusammenhang mit den philosophischen Gedanken von Francis Bacon (1561–1626) und David Hume (1711–1776), die – als Gründungsväter – für den befreiten Menschen den Staat als Ordnungsmacht vorschlugen.
Was wir verloren haben: Freiheit als Lernprojekt. In den alten Gesellschaften galt Freiheit als erlernte Fähigkeit, sich selbst zu zügeln und zu regulieren.
Bezugnehmend auf die USA kritisiert Deneen das Bildungswesen und insbesondere die Universitäten. Letztere drängen zugunsten von Naturwissenschaft und Technik die „Liberal Arts“ zurück. Bildung dient heute einer „Aufwärtsmobilität“, das Bildungssystem sei ein Instrument des Liberalismus geworden. Es hat eine neue Aristokratie hervorgebracht, deren Status auf Bildungsabschlüssen beruht. Deneen resümiert: Der Liberalismus hat ein Ende für die Bildung gebracht, die einst für freie Menschen vorgesehen war.
Das Buch reiht sich in die Gruppe der Publikationen ein, die sich gegen den Neoliberalismus positionieren. Es bietet historische, philosophische und politische Zusammenhänge und empfiehlt dringend den Weg des Liberalismus zu verlassen, um andere Gemeinschafts- und Wirtschaftsformen zu entfalten. Dezidiert schlägt aber Deneen keine Revolution vor, sondern setzt auf geduldige, langsame Veränderung, auf das Einüben der Fähigkeit Sorge für die Welt und ihre Menschen zu tragen. In diesem Sinn empfiehlt sich das Buch für historische und politische Bildung. //
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