Wiltrud Gieseke: Lebenslanges Lernen und Emotionen. Wirkungen von Emotionen auf Bildungsprozesse aus beziehungstheoretischer Perspektive.

Wiltrud Gieseke: Lebenslanges Lernen und Emotionen. Wirkungen von Emotionen auf Bildungsprozesse aus beziehungstheoretischer Perspektive.
Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag 2016, 309 Seiten.

Was Emotionalität für Lernprozesse Erwachsener bedeutet und welche Beziehungsfähigkeit von MitarbeiterInnen in der Erwachsenenbildung erforderlich ist, will dieses Buch vermitteln. Wiltrud Gieseke, Professorin für Erwachsenenbildung an der Humboldt Universität Berlin, legt hiermit die dritte überarbeitete Auflage vor – ein Zeichen, dass sie mit ihrem Thema eine interessierte Leserschaft erreicht.

Eingangs erörtert die Autorin den Bildungsbegriff in seinem Bezug zu Emotionen. Sie zeigt dabei die bisherige Ausgrenzung von Emotionalität und deren Reduzierung auf ein den Frauen zugewiesenes Feld und geht auf den Sektor „Herzensbildung“ ein. Letztere, als Relikt ständischer Staatsorganisation charakterisiert, wurde mit dem Thema Emotionen in Verbindung gebracht und seit den 1960er- Jahren von einer sich wissenschaftlich und rational orientierenden Erwachsenenbildung ausgeblendet. Dadurch öffnete sich ein bequemer Weg zur Nutzung und Funktionalisierung des Menschen als Humankapital – allenfalls im Recht auf Widerstand blieb die emotionale Komponente für die Erwachsenenbildung sichtbar.

Erkenntnisse aus der Neurobiologie schaffen für das Thema Bildung/Lernen und Emotionen Anstöße für neue Zusammenhänge – letztlich den Beleg, dass Emotion und Kognition zusammengehören. Anhand einschlägiger aktueller Literatur schildert die Autorin neurobiologische Befunde über den Ort der Emotionen und das Gedächtnis im Gehirn. Praxisbezogen wird die Rolle von Freude und Angst für Bildungsprozesse dargestellt. Gerade seitens der berufsbezogenen Weiterbildung belegt die Autorin das Interesse an Emotionalität und ihrer Rolle in Lernprozessen.

Nach grundlagentheoretischen Überlegungen, wie Emotionalität ausdifferenziert und erlernt wird, werden in einem eigenen Kapitel Emotionen als Inhalte von Bildungsprozessen in der Erwachsenenbildung und in der Personalentwicklung behandelt. Ein Schwerpunkt liegt auf dem gesellschaftlichen, politisch-emotionalen Lernen. Vorurteile, Stereotypen, Ressentiments und Empathie sind dabei zum Tragen kommende Schlüsselbegriffe. Nie geht es aber darum, Wissen zu ignorieren, sondern immer darum, an jeweilige Themen gebundene Emotionalität zuzulassen. Konsequenzen ergeben sich auch für das Handeln: So z. B. plädiert die Autorin für eine aktive „Gegenrede“ – etwa um Hassreden nicht unwidersprochen hinzunehmen.

Der zweite Schwerpunkt in diesem Kapitel beschäftigt sich mit dem psychosozialen Lernen als Bildungsinhalt. Erörtert werden Emotionalität in der Führungsfunktion, in der Konfliktregelung, in Dienstleistungsberufen sowie die Entwicklung sozialer Kompetenz. Verkaufen, Bedienen, Heilen und Pflegen stellen konkrete Bezüge dar.

Der Autorin fällt auf, dass heute in Familien basale Kompetenzen wie Kommunikationsfähigkeit zu wenig zur Verfügung stehen und in Trainings nachgeliefert werden. Sie bemerkt auch fehlende Analysen, welche emotionalen Kompetenzen in der Pflege von alten und kranken Menschen tatsächlich gebraucht werden und in die Pflegedidaktik eingebracht werden sollen.

Im letzten Kapitel stellt die Autorin exemplarische Zugänge in die erwachsenenpädagogische Anschlussforschung vor. Weiterbildungsberatung, relationale Didaktik und partizipative Lernkultur sind die Bezugsthemen. Hiermit gibt die Autorin Einblick in ihre eigene aktuelle Forschung. Zugleich vermittelt sie Anregungen, welche Forschungswege in der Erwachsenenbildung begehbar sind.

Bei der Lektüre fasziniert, dass das Thema „Emotionalität“ der Erwachsenenbildung nicht als zusätzliche Dimension hinzugefügt wird. Wiltrud Gieseke positioniert vielmehr die Betrachtung lebenslanger Bildungs- und Lernprozesse neu. Sie beobachtet Menschen –emotionale und rationale Wesen – in ihren vielfältigen Beziehungsformen. Menschen, die durch Bildung/Lernen in unabhängigen Räumen und Orten Autonomie hervorbringen können.

Hiermit liegt eine theoriegeleitete und praxisorientierte Publikation vor, die eine neue Betrachtung der Erwachsenenbildung/Weiterbildung als Teil lebenslangen Lernens vorschlägt. Das Buch vermittelt, welches innovative Potenzial lebenslanger Bildung innewohnt. Es thematisiert den gesellschaftlichen Stellenwert und die Bedeutung für die demokratische Gestaltung unseres Miteinanders, wenn Emotionalität als integrierter Teil menschlicher Persönlichkeit akzeptiert wird. Wiltrud Giesekes Überlegungen bieten einen attraktiven Fundus, um spannende Forschungsfragen lebensintegrierter Bildung zu formulieren und zu verfolgen.

Das Buch, ein fundamentaler Beitrag zur Professionalisierung, sollte einen festen Platz in Studiengängen und Fortbildungsangeboten für MitarbeiterInnen und Verantwortliche im Bereich Erwachsenenbildung und lebenslanges Lernen einnehmen. //

Lenz, Werner (2017): Wiltrud Gieseke: Lebenslanges Lernen und Emotionen. Wirkungen von Emotionen auf Bildungsprozesse aus beziehungstheoretischer Perspektive. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Juni 2017, Heft 261/68. Jg., Wien. Druck-Version: Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien.

Kommentare

Neuen Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

Zurück nach oben